Leitsatz (amtlich)
1. Eine Änderung in den Verhältnissen kann auch darin liegen, daß der Empfänger einer Rente wegen BU nach Bewilligung der Rente eine ihm zumutbare Erwerbstätigkeit erlangt hat.
2. Der Versicherte ist "infolge" dieser Änderung nicht mehr berufsunfähig, wenn der Umstand, daß für ihn kein zumutbarer Arbeitsplatz vorhanden war, für die Bewilligung der Rente wesentlich mitursächlich gewesen ist.
Normenkette
RVO § 1286 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.09.1976; Aktenzeichen L 18 J 147/72) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.05.1972; Aktenzeichen S 3 (15,9) J 97/70) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. September 1976 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Tatbestand
Der im Jahr 1917 geborene Kläger war als Arbeiter, ab 1951 als Maschineneinsteller und ab Oktober 1956 in der Gesenkschmiede F.S. als Vorarbeiter und Presseneinsteller beschäftigt. Im Oktober 1967 erlitt er einen Herzinfarkt. Seit 31. August 1970 ist er in der Gesenkschmiede R.A.H. als Spätpförtner beschäftigt.
Im März 1968 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Facharzt für innere Krankheiten Obermedizinalrat Dr. R von der Ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten erstattete im April 1968 ein Gutachten dahin, daß der Kläger wegen Herzkranzgefäßdurchblutungs- und Kreislaufregulationsstörungen bei Zustand nach Herzinfarkt, wegen chronischer Emphysembronchitis und wegen vegetativer Störungen keine Lohnarbeiten mehr ausführen könne. Darauf gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juli 1968 dem Kläger für die Zeit vom 1. März 1968 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Aufgrund einer Nachuntersuchung berichtete Dr. R in einem Gutachten von Februar 1970, der Zustand des Klägers habe sich gebessert; dieser könne leichte bis mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen bei vorwiegend sitzender Arbeitshaltung drei bis vier Stunden täglich verrichten. Nunmehr wandelte die Beklagte mit Bescheid vom 8. April 1970 die Rente mit Wirkung vom 1. Juni 1970 in eine Rente wegen Berufsunfähigkeit um, da gegenüber den zur Rentengewährung führenden Verhältnissen insofern eine Änderung eingetreten sei, als der Herzinfarkt inzwischen vernarbt sei und sich Zeichen für eine Herzleistungsminderung nicht mehr nachweisen ließen; es liege jedoch weiterhin Berufsunfähigkeit vor.
Im anschließenden Klageverfahren führte der vom Sozialgericht (SG) beauftragte Sachverständige Prof. Dr. H in seinem Gutachten von April 1971 aus, im Zustand des Klägers sei gegenüber dem Gutachten von 1968 eine Besserung, gegenüber dem Gutachten von 1970 dagegen keine Änderung eingetreten; er halte den Kläger für fähig, leichte bis mittelschwere Arbeiten unter bestimmten Einschränkungen ganztags zu verrichten. Während des Klageverfahrens entzog die Beklagte mit Bescheid vom 7. Juni 1971 die Rente wegen Berufsunfähigkeit mit Wirkung vom 1. August 1971, weil sich das Leistungsvermögen des Klägers wesentlich gebessert und er außerdem einen angepaßten Arbeitsplatz erlangt habe. Der Kläger hat daraufhin seine Klage auf die Anfechtung des Entziehungsbescheides vom 7. Juni 1971 beschränkt. Das SG hat mit Urteil vom 15. Mai 1972 diesen Bescheid aufgehoben.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 14. September 1976 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Der Gesundheitszustand des Klägers sei seit 1970 im wesentlichen unverändert. Dieser habe auch keine neuen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, durch die die Berufsunfähigkeit beseitigt worden wäre.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 1246, 1286 der Reichsversicherungsordnung (RVO); sie ist der Ansicht, die Erlangung eines gesundheitlich und sozial zumutbaren Teilzeitarbeitsplatzes sei eine wesentliche Änderung im Sinn des § 1286 RVO. Sie beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. September 1976 und das Urteil des SG Düsseldorf vom 15. Mai 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG für das Land Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Er führt aus, zwar möge eine Änderung in seinen Verhältnissen eingetreten sein, er sei aber immer noch berufsunfähig; die Pförtnertätigkeit sei ihm nicht zuzumuten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden mußte. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Nach § 1286 Abs 1 Satz 1 RVO wird die Rente (wegen Berufsunfähigkeit) entzogen, wenn der Empfänger infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr berufsunfähig ist. Die Entziehung setzt voraus, daß eine Änderung in den Verhältnissen des Rentenempfängers eingetreten ist, ferner daß der Versicherte nicht (mehr) berufsunfähig ist, sowie daß die Änderung der Verhältnisse eine wesentliche Ursache für den Wegfall der Berufsunfähigkeit gewesen ist. Zur Entscheidung, ob diese einzelnen Voraussetzungen bei Erlaß des Entziehungsbescheides vorgelegen haben, fehlen ausreichende Feststellungen.
Was die Änderung in den Verhältnissen des Klägers angeht, so ist der Zeitpunkt der Entziehung (Frühjahr 1971) mit dem Zeitpunkt der Umwandlung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in die Rente wegen Berufsunfähigkeit (Frühjahr 1970) zu vergleichen (BSG 28, 292; SozR Nr 9 zu § 1286 RVO). Zu der Prüfung, ob der Kläger im Zeitpunkt der Entziehung nicht mehr berufsunfähig war, gehört auch die Prüfung, ob er im Zeitpunkt der Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit (hier: der Umwandlung) noch berufsunfähig war (SozR Nr 14 zu § 1286 RVO). Nach den vom LSG angeführten ärztlichen Gutachten dürfte dies nahe liegen; doch fehlen dazu die konkreten Feststellungen. Das LSG hat die Ausführungen auf Seite 23 des Gutachtens des Prof. Dr. H vom 22. April 1971 nicht beachtet, wonach der Sachverständige dem Kläger für Frühjahr 1970 noch eine Eingewöhnungszeit für die Annahme einer Erwerbstätigkeit zugebilligt, diese Eingewöhnungszeit "jetzt", dh im Frühjahr 1971, als beendet angesehen und anscheinend auch deshalb sein Leistungsvermögen anders als Dr. R beurteilt hat. War der Kläger aber im Frühjahr 1970 (noch) berufsunfähig, dann ist zu prüfen, ob er im Frühjahr 1971 nicht (mehr) berufsunfähig war. Auch dazu fehlen die erforderlichen Feststellungen; insbesondere hat das LSG nicht festgestellt, wie die Leistungsfähigkeit des Klägers zur Zeit des Entziehungsbescheides tatsächlich beschaffen war.
Weiter fehlen Feststellungen für die Beurteilung, ob die Tätigkeit als Pförtner dem Kläger nach seinem bisherigen Beruf zumutbar ist. Dies hängt davon ab, welches der bisherige Beruf des Klägers ist, ob er als Facharbeiter anzusehen oder einem Arbeiter mit kürzerem Ausbildungsberuf oder einem betrieblich angelernten Arbeiter gleichzuachten ist, insbesondere ob er infolge der von ihm angegebenen Tätigkeit als "Vorarbeiter" (vgl dazu auch seine Angaben in dem Fragebogen des SG vom 24. April 1970 und bei der ärztlichen Begutachtung durch Dr. B, S. 6 des Gutachtens vom 29. Februar 1972) höher als ein Facharbeiter zu beurteilen sein sollte. Dazu sind die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. März 1977 - 5 RJ 98/76 - (BSGE 43, 243 = SozR 2200 § 1246 Nr 16) und des erkennenden Senats vom 19. Januar 1978 - 4 RJ 81/77 - zu berücksichtigen. Danach ist dann zunächst zu prüfen, ob dem Kläger die ausgeübte Pförtnertätigkeit zuzumuten ist. Sollte die Pförtnertätigkeit nicht zuzumuten sein, ist weiter zu untersuchen, welche sonstigen Tätigkeiten dem Kläger beruflich zumutbar sind. Dabei kommt es, wenn der Kläger ganztags arbeiten kann und es zumutbare Verweisungstätigkeiten gibt, nicht darauf an, ob der Arbeitsmarkt dafür offen oder verschlossen ist (SozR 2200 § 1246 Nr 19, Urteile vom 21. September 1977 - 4 RJ 131/76 - und vom 30. November 1977 - 4/5 RJ 20/77 -).
Unabhängig von der Änderung der Verhältnisse durch eine Besserung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit ist im Erlangen eines zumutbaren Arbeitsplatzes eine nach § 1286 RVO rechtserhebliche Änderung der Verhältnisse zu sehen, wenn der Umstand, daß für den Versicherten kein zumutbarer Arbeitsplatz vorhanden war, für die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente wesentlich mitursächlich gewesen ist. Zu Unrecht ist das LSG der Auffassung, andere Ereignisse als eine Besserung des Gesundheitszustandes oder der Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten könnten entweder keine Änderung in den Verhältnissen des Rentenempfängers oder doch keine Ursache für den Wegfall der Berufsunfähigkeit sein. Für eine solche Beschränkung des Begriffs "Änderung in den Verhältnissen" gibt § 1286 Abs 1 Satz 1 RVO keinen Anhalt. Der erkennende Senat hat bereits im Urteil vom 23. März 1977 - 4 RJ 1/76 - ausgesprochen, daß eine Änderung der Verhältnisse auch darin liegen kann, daß der Versicherte nach Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente eine ihm zumutbare Tätigkeit erlangt (vgl neuerdings auch § 1276 Abs 1 RVO idF des 20. Rentenanpassungsgesetzes vom 27. Juni 1977).
Die notwendigen Ermittlungen sind vom LSG noch durchzuführen. Der Rechtsstreit war daher zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen