Leitsatz (amtlich)
Enthält ein vor Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes ergangener Bescheid über die Entziehung der kassenärztlichen Zulassung keine Rechtsmittelbelehrung, hat aber der betroffene Arzt dagegen eine zulässige Anfechtungsklage vor dem allgemeinen Verwaltungsgericht erhoben, diese jedoch später wieder zurückgenommen, so ist jedenfalls nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist von einem Monat seit Erhebung der Klage eine neue Anfechtungsklage nicht zulässig.
Normenkette
MRV BrZ 165 § 35
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 8. Juni 1956 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Zulassungsausschuß für den Arztregisterbezirk Hamburg entzog dem Kläger, der im Jahre 1932 zur Kassenpraxis zugelassen worden war, durch Beschluß vom 29. Oktober 1948 die Zulassung, weil er wiederholt Kassenpatienten Honorare abgefordert und dadurch seine Pflichten als Kassenarzt gröblich verletzt habe (§ 25 Abs. 3 der Zulassungsordnung für die britische Zone vom 21.4.1948). Auf seine Berufung beschränkte der beklagte Berufungsausschuß die Zulassungsentziehung zunächst auf die Dauer eines Jahres (Beschluß vom 28.2.1949), beschloß jedoch am 28. April 1950 auf Grund eines psychiatrischen Gutachtens, ihm die Zulassung endgültig zu entziehen. Dieser Beschluß enthielt keine Rechtsmittelbelehrung. Gleichwohl erhob der Kläger am 1. August 1952 während eines gegen ihn schwebenden Entmündigungsverfahrens beim Landesverwaltungsgericht Hamburg Anfechtungsklage. Nachdem ihm hierfür das Armenrecht mangels sachlicher Erfolgsaussicht verweigert worden war, nahm sein Vormund die Klage am 30. Januar 1953 zurück; das Landesverwaltungsgericht stellte darauf das Verfahren durch Beschluß vom 2. Februar 1953 ein. Als der Kläger - nach Aufhebung seiner Entmündigung durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Mai 1953 - die Wiederaufnahme des Verwaltungsstreitverfahrens betrieb, gab ihm das Landesverwaltungsgericht im September 1953 anheim, zu prüfen, ob er sich von einer neuen Klage gegen die Beschlüsse des Zulassungs- und des Berufungsausschusses Erfolg verspreche oder ob er nicht Wiederzulassung beantragen wolle. Darauf erhob der Kläger am 2. Dezember 1953 gegen die Entziehung seiner Zulassung eine zweite, dem gegenwärtigen Rechtsstreit zugrunde liegende Klage beim Landesverwaltungsgericht, die er nach seiner Wiederzulassung zur Kassenpraxis um einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 127 000.-- DM erweiterte, weil ihm in der Zeit vom 29. Oktober 1948 bis zum 29. August 1954 (Tag seiner Wiederzulassung) die Kassenzulassung vorenthalten worden sei.
Das Sozialgericht Hamburg, auf das der Rechtsstreit nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) überging, wies die Klage als unzulässig ab. Es hielt die Zulassungsentziehung nach Rücknahme der ersten Klage für "rechtskräftig erledigt". Über den Schadensersatzanspruch zu entscheiden, sei das Sozialgericht nicht zuständig (Urteil vom 23. November 1955). Die Berufung des Klägers, mit der er nur noch beantragte, die Entziehungsbeschlüsse aufzuheben, wurde vom Landessozialgericht durch Urteil vom 8. Juni 1956 zurückgewiesen: Zwar habe der neuen Klage im Jahre 1953 nicht, wie das Sozialgericht annehme, die Rechtskraft des Entziehungsbescheides entgegengestanden; die zweite Klage sei jedoch wegen Fristversäumnis unzulässig. Die einmonatige Klagefrist habe hier trotz des Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung spätestens mit der Zustellung der ersten Klage (9.8.1952) zu laufen begonnen, sei also bei Erhebung der zweiten Klage im Jahre 1953 verstrichen gewesen. Die Schutzvorschrift des § 35 der Militärregierungsverordnung (MRVO) Nr. 165, wonach beim Fehlen der Rechtsmittelbelehrung eine Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt werde, habe ihren Zweck erfüllt, sobald gegen den Verwaltungsakt Klage erhoben worden sei; damit entfalle ihre Wirkung. Das Landessozialgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Mit der Revision beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben, hilfsweise, den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. Er meint, auch im Verwaltungsstreitverfahren müsse eine Klage im Falle ihrer Rücknahme als niemals anhängig geworden gelten; das Berufungsgericht habe daher schon aus Gründen der Logik an die Einlegung der ersten, später zurückgenommenen Anfechtungsklage nicht den Wegfall der in § 35 MRVO Nr. 165 vorgeschriebenen Hemmungswirkung und den Beginn der Klagefrist knüpfen dürfen. Außerdem sei die Rücknahme der ersten Klage durch seinen damaligen Vormund nicht rechtswirksam gewesen, da sie der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedurft habe, die nicht erteilt worden sei.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Nach seiner Ansicht ist die Revision schon deswegen nicht zulässig, weil der Kläger keine Mängel des "Verfahrens" gerügt habe. Im übrigen fehle ihm selbst - auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 (GKAR) - die Fähigkeit zur Teilnahme am sozialgerichtlichen Verfahren. In der Sache habe der Kläger an der Verfolgung seines Aufhebungsanspruches kein schutzwürdiges Interesse mehr, nachdem er im Jahre 1954 wiederum zur Kassenpraxis zugelassen worden sei. Die im Jahre 1953 erhobene zweite Klage sei auch, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen habe, von Anfang an wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig gewesen, zumal der Kläger nach seinen eigenen Erklärungen vor dem Landesverwaltungsgericht das Bestehen und die Dauer der Klagefrist spätestens seit Erhebung der ersten Klage gekannt habe.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision konnte keinen Erfolg haben. Die vom Kläger erhobenen Rügen richten sich zwar - entgegen der Auffassung des Revisionsbeklagten - gegen das "Verfahren" des Berufungsgerichts; denn die Frage, um deren Beantwortung die Beteiligten in erster Linie streiten: ob nämlich bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung der Lauf der Klagefrist nur bis zur Erhebung der ersten Klage oder - nach deren Rücknahme - auch darüber hinaus gehemmt wird, betrifft allein die Rechtzeitigkeit und damit die Zulässigkeit der Klage. Ihre unrichtige Entscheidung begründet daher - ebenso wie eine unzutreffende Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung - einen Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; dabei ist es unerheblich, ob der Verfahrensverstoß allein dem Berufungsgericht zur Last fällt oder ob er bereits vom Gericht erster Instanz begangen, im zweiten Rechtszuge jedoch unbeanstandet geblieben ist (vgl. BSG. 4, 200 [201] sowie RGZ. 110, 150 [151]). Im letzten Fall macht es auch keinen Unterschied, ob die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts über die Zulässigkeit der Klage vom Berufungsgericht nur im Ergebnis - wie hier - oder auch in der Begründung gebilligt wird. Die gerügten Mängel sind mithin ihrer Art nach geeignet, die Zulässigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG zu begründen. - Sie kann auch nicht mit dem Hinweis auf die angebliche Unfähigkeit des Beklagten zur Teilnahme am sozialgerichtlichen Verfahren in Frage gestellt werden. Denn abgesehen davon, daß die mangelnde Parteifähigkeit des Revisionsbeklagten auf die Zulässigkeit der Revision ohne Einfluß ist (vgl. BSG. 5, 124), hat der Senat schon im Rechtsstreit 6 RKa 6/56 (Urteil vom 28.1.1958) entschieden, daß § 70 Nr. 4 SGG mit dem 20. August 1955 in Kraft getreten ist. Der Berufungsausschuß ist daher jedenfalls seit diesem Zeitpunkt fähig, am Verfahren vor den Sozialgerichten beteiligt zu sein. Der vom Revisionsbeklagten angeregten Umstellung der Klage auf die hinter dem Berufungsausschuß stehenden Trägerverbände bedarf es somit nicht.
Die Revision kann gleichwohl keinen Erfolg haben, da die gerügten Rechtsverletzungen nicht vorliegen. Das Berufungsgericht hat die Klage, über die im gegenwärtigen Rechtsstreit zu entscheiden ist, mit Recht als verspätet und deshalb als unzulässig angesehen. § 35 MRVO Nr. 165, der für die Rechtzeitigkeit einer vor der Errichtung der Sozialgerichtsbarkeit erhobenen Klage auch nach deren Übergang auf die Sozialgerichte maßgebend ist (vgl. BSG. 4, 294 [296]; 5, 124 [126]), bestimmt zwar, daß die Frist für ein Rechtsmittel oder einen sonstigen Rechtsbehelf nur dann zu laufen beginnt, wenn - was hier nicht geschehen ist - der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die zuständige Behörde mit Angabe ihres Sitzes und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist. Der Kläger kann sich jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, auf diese Vorschrift nicht mehr berufen.
In der Rechtsprechung der allgemeinen Verwaltungsgerichte wird der Sinn und die Tragweite der genannten Vorschrift verschieden gedeutet. Das Oberverwaltungsgericht Münster (Entscheidungssammlung Bd. 1, 78; Zeitschrift für Miet- und Raumrecht, 1953, 22 und 1956, 32) hat - wenn auch mit wechselnder Begründung - die Auffassung vertreten, daß trotz des § 35 MRVO Nr. 165 ein Verwaltungsakt bei fehlender, unvollständiger oder unrichtiger Belehrung nicht unbegrenzt angefochten werden könne; die Rechtssicherheit erfordere, daß das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Rechtsbeständigkeit von Verwaltungsakten gestützt werde. Deshalb sei entweder in entsprechender Anwendung der für die Nachsichtgewährung vorgesehenen einjährigen Ausschlußfrist (§ 36 Abs. 4 MRVO Nr. 165) oder aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung anzunehmen, daß ein Verwaltungsakt trotz Fehlens der Rechtsmittelbelehrung spätestens ein Jahr nach Ablauf der gesetzlichen Rechtsmittelfrist unanfechtbar werde. Demgegenüber haben die Oberverwaltungsgerichte Hamburg (Verwaltungsrechtsprechung Bd. 4, 88 [92]) und Lüneburg (Entscheidungssammlung Bd. 5, 315 [316]) sich auf den Standpunkt gestellt, die Annahme einer bestimmten Ausschluß frist für die Anfechtung von Verwaltungsakten bedürfe einer positiven gesetzlichen Vorschrift, an der es im Geltungsbereich der MRVO Nr. 165 fehle. Das Bundesverwaltungsgericht hat in mehreren Entscheidungen eine Verwirkung des prozessualen Anfechtungsrechts grundsätzlich für möglich gehalten, und zwar hat es in einem Fall, in dem der Einspruch erst ungefähr 1 3/4 Jahr nach Erlaß des angefochtenen Verwaltungsaktes erhoben war, die Sache zur Prüfung der Verwirkungsvoraussetzungen an die Vorinstanz zurückverwiesen (DVBl. 1956, 520) und in einer anderen Entscheidung allgemein ausgesprochen, ein Zeitraum von rund zwei Jahren genüge zur Verwirkung der Anfechtungsbefugnis des Klägers (DVBl. 1957, 646 mit Anm. von Stich).
Ob der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Münster, besonders in der Anwendung des Verwirkungsgedankens im Rahmen des § 35 MRVO Nr. 165, allgemein zu folgen ist, kann dahinstehen (ablehnend Klinger, MRVO Nr. 165, 3. Aufl. § 35 Anm. C 2, kritisch auch Stich a.a.O.; vgl. ferner BSG. 4, 294 [296] und zur Auslegung anderer ähnlicher Vorschriften BGHZ. 14, 179 ff.). Auch wenn im Gegensatz zum Bundesverwaltungsgericht anzunehmen wäre, daß - entsprechend dem Wortlaut des § 35 MRVO Nr. 165 - bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung der Rechtsbehelf grundsätzlich unbefristet eingelegt werden kann, muß dieser Grundsatz doch dort seine Grenze finden, wo der Ausschluß der Verwirkung zu sinnwidrigen Ergebnissen führen würde. Das ist hier der Fall. Geht man nämlich davon aus, daß ein Rechtsbehelf, über den der Beteiligte nicht belehrt worden ist, deshalb nicht der Verwirkung unterliegen soll, weil die Untätigkeit des Beteiligten möglicherweise gerade auf dem Fehlen der Belehrung beruht, so verliert das Verbot der Verwirkung dann seinen Sinn, wenn jene Möglichkeit durch das Verhalten des Beteiligten selbst klar ausgeschlossen wird.
Der Kläger hat am 1. August 1952 bei dem zuständigen Gericht in der vorgeschriebenen Form Klage gegen die Beschlüsse der Zulassungsinstanzen vom 29. Oktober 1948, 28. März 1949 und 28. April 1950 erhoben, obwohl er von dem beklagten Berufungsausschuß nicht nach § 35 MRVO Nr. 165 belehrt worden war. Dadurch hat er eindeutig zu erkennen gegeben, daß seine Untätigkeit nach Rücknahme der ersten Klage (30.1.1953) unter keinen Umständen auf dem Mangel der Rechtsbehelfsbelehrung beruhen kann, daß die Erwägungen, die dem § 35 MRVO Nr. 165 zugrunde liegen, für ihn also nicht zutreffen. Anderseits ist über diese Frage erst durch die Klage vom 1. August 1952 völlige Klarheit geschaffen worden. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht angenommen, daß der Kläger sich seit Zustellung (richtiger wohl: Erhebung) dieser Klage nicht mehr auf die Schutzvorschrift des § 35 MRVO Nr. 165 berufen kann.
Die hiergegen von der Revision erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Zwar wird man, obwohl die MRVO Nr. 165 im Gegensatz zur Zivilprozeßordnung - ZPO - (§ 271 Abs. 3 Satz 1) darüber keine ausdrückliche Bestimmung enthält, auch für den Verwaltungsprozeß annehmen müssen, daß die Rücknahme der Klage die Wirkung der Rechtshängigkeit von Anfang an (ex tunc) beseitigt (vgl. Klinger a.a.O., § 69 Anm. 7). Damit hat der Gesetzgeber jedoch nicht, wie die Revision meint, die frühere Klagerhebung ungeschehen machen wollen. Diese Bestimmung soll vielmehr nur klarstellen, daß die Rücknahme der Klage keine weiteren Wirkungen als die Beseitigung der Rechtshängigkeit, insbesondere nicht die Wirkung eines Klage- oder Anspruchsverzichts hat (vgl. Baumbach-Lauterbach, ZPO, 24. Aufl., § 271, Anm. 4 a). Dem Berufungsgericht war daher nicht verwehrt, die frühere Klagerhebung im Rahmen des § 35 MRVO Nr. 165 zu berücksichtigen.
Der Auffassung, daß die Hemmung der Rechtsmittelfrist nach § 35 MRVO Nr. 165 entfällt, sobald sich aus der Einlegung eines in jeder Hinsicht zulässigen Rechtsbehelfs eindeutig ergibt, daß der Beteiligte des Schutzes dieser Vorschrift nicht mehr bedarf, stehen auch die Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu § 66 SGG nicht entgegen. Nach ihnen gilt die verlängerte Rechtsbehelfsfrist von einem Jahr (§ 66 Abs. 2 SGG) auch dann, wenn zwar die Rechtsmittelbelehrung (z.B. über die Form der Berufung) fehlerhaft war, der Fehler des Rechtsmittels oder des Rechtsbehelfs jedoch nicht auf dem Mangel der Rechtsmittelbelehrung beruht (BSG. 1, 254 [255 f.]; SGb. 1955, 269). Zwar hat auch hier der Betroffene zu erkennen gegeben, daß er des besonderen Schutzes nach § 66 Abs. 2 SGG im Grunde nicht bedurfte, da der Rechtsbehelf trotz mangelhafter Belehrung in dem fraglichen Punkte den gesetzlichen Anforderungen genügte. Eine Verlängerung der Rechtsbehelfsfrist auf ein Jahr - mit Rücksicht auf die mangelhafte Belehrung - wäre daher auch hier nach der Zwecksetzung des § 66 SGG nicht angebracht, wenn nicht Erwägungen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dafür sprächen. Im übrigen unterscheidet sich jener Fall von dem vorliegenden insofern grundlegend, als dort der zunächst eingelegte Rechtsbehelf nicht alle gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllte, die Verlängerung der Rechtsbehelfsfrist also nur die Möglichkeit eröffnen soll, die fehlenden Erfordernisse nachzuholen. Im vorliegenden Fall war dagegen schon einmal ein zulässiger Rechtsbehelf eingelegt, der später wieder zurückgenommen und dann nochmals eingelegt worden ist. Wollte man hier eine wiederholte Einlegung des Rechtsbehelfs gestatten, so wäre dadurch dem Rechtsmißbrauch Tür und Tor geöffnet. Da der Kläger nach § 69 MRVO Nr. 165 die Klage bis zum Eintritt der Rechtskraft, also auch noch nach Erlaß eines erst- und zweitinstanzlichen Urteils ohne Zustimmung des Beklagten zurücknehmen kann, würde er bei fehlender oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung die Gerichte beliebig oft - ohne jedes eigene Prozeßrisiko - anrufen können. Daß ihm § 35 MRVO Nr. 165 dazu verhelfen will, kann nicht angenommen werden. Die Einlegung eines Rechtsbehelfs, über den der Betroffene nicht belehrt worden ist, muß hiernach grundsätzlich als unzulässig angesehen werden, sobald der Rechtsbehelf einmal in zulässiger Form eingelegt worden ist (ebenso Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsgesetz, § 32 Anm. II 1). Dabei kann offenbleiben, ob die zulässige Einlegung des Rechtsbehelfs seine Wiederholung schlechthin ausschließt oder ob, wie das Berufungsgericht angenommen hat, mit der Einlegung des Rechtsbehelfs die ordentliche Rechtsbehelfsfrist von einem Monat in Lauf gesetzt wird, so daß der Rechtsbehelf wenigstens innerhalb dieser Frist erneut eingelegt werden könnte. Im vorliegenden Fall ist die zweite Klage vom 2. Dezember 1953 über ein Jahr nach der ersten Klage vom 1. August 1952 erhoben worden. Sie wäre mithin auch dann als verspätet und deshalb als unzulässig anzusehen, wenn nicht schon die Erhebung der ersten Klage, sondern erst der Ablauf der (durch jene Klagerhebung in Lauf gesetzten) Klagefrist ihrer Wiederholung entgegenstände.
Schließlich sind auch die Bedenken der Revision gegen die Wirksamkeit der am 30. Januar 1953 von dem damaligen Vormund des Klägers erklärten Klagerücknahme nicht begründet. Dabei kann dahinstehen, ob die Rücknahme einer gegen die Entziehung einer Kassenzulassung gerichteten Aufhebungsklage - mit der Folge, daß die angefochtene Entziehung unanfechtbar wird - einem Vertrag über die Veräußerung eines Erwerbsgeschäfts (§ 1822 Nr. 3 BGB) gleichzustellen ist und daher, wie die Revision meint, der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf (eher ließe sich wohl eine entsprechende Anwendung des § 1823 BGB rechtfertigen, wonach der Vormund nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ein bestehendes Erwerbsgeschäft auflösen soll). Es braucht auch nicht näher erörtert zu werden, ob das Recht auf verwaltungsgerichtliche Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts (hier: auf Aufhebung der vermeintlich rechtswidrigen Zulassungsentziehung) als "Forderung" im Sinne des § 1812 BGB anzusehen ist (vgl. BVerwG. 3, 208 [210] und 4, 291), über die ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts eine wirksame Verfügung - durch Rücknahme der Klage - nicht getroffen werden könnte (vgl. Erman, BGB, § 1812 Anm. 2 a. E. mit Hinweisen). Selbst wenn die eine oder die andere dieser Fragen zugunsten des Klägers zu beantworten wäre, die Rücknahme der Klage an sich also nach bürgerlichem Recht der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts bedurft hätte, würde sie doch nach der positiven Vorschrift des § 54 ZPO, die für das sozialgerichtliche Verfahren entsprechend gilt (§ 71 Abs. 6 SGG), auch ohne eine solche "besondere Ermächtigung" des Vormundschaftsgerichts gültig sein. Denn die Klagerücknahme gehört zu den Prozeßhandlungen im Sinne des § 54 (vgl. Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., § 54 Anm. II und § 81 Anm. III 1). Der für den Kläger bestellte Vormund war auch, was für die Anwendung des § 54 ZPO weiterhin erforderlich ist, für den vorliegenden Rechtsstreit zur "Prozeßführung im allgemeinen" befugt (§ 1897 BGB i.V. mit §§ 1793, 1812 ff. BGB). In diesen Fällen "muß der Prozeßgegner gesichert dagegen sein, daß die Wirksamkeit der einzelnen Prozeßhandlungen des gesetzlichen Vertreters auf Grund von Vorschriften, die für einzelne Handlungen eine spezielle Ermächtigung erfordern, in Frage gestellt wird, und zwar deshalb, weil in der Regel der Prozeßgegner mit solchen Vorschriften nicht bekannt sein wird und die Nichtkenntnis derselben ihm nicht zum Vorwurf gereichen kann" (RGZ. 56, 333 [336]).
Hat das Berufungsgericht hiernach mit Recht die Klage vom 1. August 1952 als wirksam zurückgenommen und die vorliegende Klage (vom 2.12.1953) als verspätet erhoben angesehen, liegen mithin die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel nicht vor, so muß die nicht zugelassene Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG als unstatthaft verworfen werden. Damit erübrigt sich eine Prüfung, ob für die im Jahre 1953 erhobene Klage etwa auch das Rechtsschutzinteresse fehlt, sei es, weil der Kläger die Aufhebung der Entziehungsbeschlüsse oder die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit (vgl. BVerwG. in NJW. 1956, 1652 und 1958, 312 [313 f.]; DVBl. 1957, 862) nur zur Vorbereitung einer späteren Schadensersatzklage verlangt (vgl. die beiden zuletztgenannten Entscheidungen des BVerwG. sowie BVerwG. 2, 229 [232]), sei es, weil er nach Erhebung der vorliegenden Klage wiederum zur Kassenpraxis zugelassen worden ist (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 18.1.1957 - 6 RKa 7/56 - zu der Frage, ob die anderweitige Zulassung der Fortführung eines Zulassungsstreits entgegensteht).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen