Entscheidungsstichwort (Thema)
Umschulung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung, nach der Umschulung mindestens drei Jahre lang eine beitragspflichtige Beschäftigung auszuüben, beschränkt sich auf Beschäftigungen, die der Umschulung entsprechen.
2. Findet der Umgeschulte trotz nachhaltiger Bemühungen keine solche Beschäftigung, kann er eine auf Dauer berechnete selbständige Tätigkeit aufnehmen, ohne verpflichtet zu werden, die Umschulungsleistungen zurückzuzahlen.
3. Daß der Umgeschulte keine der Umschulung entsprechende beitragspflichtige Beschäftigung finden konnte, kann im allgemeinen nur nachgewiesen werden, wenn er die Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes in Anspruch nimmt; ist der Umgeschulte darüber nicht belehrt worden, reichen auch erfolglose individuelle Bemühungen aus.
Normenkette
AFG § 46 Abs. 3 S. 2; SGB I § 14
Gründe
I. Die Beklagte fordert vom Kläger Unterhaltsgeld (Uhg) und Umschulungsleistungen (§ 45 Arbeitsförderungsgesetz AFG) zurück. Diese Leistungen erhielt der Kläger während einer Umschulung zum Schuhmacher in der Zeit vom 1. April 1980 bis 28. Januar 19S2 nach § 46 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) a.F.. Er hatte sich zuvor schriftlich verpflichten müssen, innerhalb von vier Jahren nach Abschluß der Maßnahme mindestens drei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung auszuüben und die Leistungen zurückzuzahlen, wenn er ohne wichtigen Grund jener Verpflichtung nicht nachkomme. Vom 1. Februar bis 30. September 1982 arbeitete er als Bezirksvertreter beitragspflichtig, meldete sich danach nicht beim Arbeitsamt, war von, 26. November 1982 bis 8. Juni 1934 aufgrund einer handwerksrechtlichen Ausnahmebewilligung selbständig als Schuhmacher tätig, sodann vom 9. Oktober 1984 bis 31. Dezember 1985 als Wachmann beschäftigt, ohne sich zwischendurch beim Arbeitsamt gemeldet.zu haben, bezog vorn 13. Januar bis Mai 1986 Arbeitslosengeld (Alg) und ist seit 1. Mai 1986 beitragspflichtig außerhalb des Umschulungsberufs beschäftigt. Mit Bescheid vom 12. Juni 1986 hob das Arbeitsamt die Bewilligungsbescheide auf, weil der Kläger seine Verpflichtung nicht erfüllt habe, und forderte insgesamt 45.703,60 DM zurück. Das Sozialgericht (SG) hat diesen Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 1986 aufgehoben, soweit mehr als ein Drittel der Leistungen zurückgefordert worden ist (Urteil vom 19. November 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 10. Juni 1988). Es hält den Kläger für uneingeschränkt erstattungspflichtig, weil er die eingegangene Verpflichtung, eine auflösende Bedingung, nicht erfüllt habe. Die selbständige Tätigkeit erfülle nicht den Tatbestand des wichtigen Grundes. Dem Kläger sei es nicht unmöglich gewesen beitragspflichtig zu arbeiten; er habe sich vielmehr wiederholt nicht arbeitslos gemeldet und damit der Beklagten die Möglichkeit genommen, für ihn vermittelnd tätig zu werden, und zwar im Schuhmacherberuf, in dem es Stellen gegeben habe, oder in einer anderen zumutbaren Beschäftigung. Das Erstattungsbegehren sei nicht als unzulässige Rechtsausübung zu werten.
Der Kläger rügt mit der - vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 46 Abs. 2 Satz 2 AFG. Für die Erstattung fehle es an der notwendigen Voraussetzung, daß der Rückforderungstatbestand in den Bewilligungsbescheiden deutlich zum Ausdruck gebracht worden wäre. Der Kläger bestreitet, daß die Bescheide, die weder er noch die Beklagte vorlegen können, eine entsprechende Belehrung enthalten hätten. Außerdem sei er durch die Beklagte zu einem Beruf ausgebildet worden, für den kein Bedarf bestanden habe. Dies hätte das Landessozialgericht (LSG) aufklären müssen. Wegen fehlerhafter Beratung stehe ihm ein Gegenanspruch zu, der die Erstattung nach dem Grundsatz des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausschließe. Schließlich hätte nach Treu und Glauben mehr als ein Drittel der Leistungen deshalb nicht zurückgefordert werden können, weil er, der Kläger, innerhalb der Rahmenfrist nur etwa ein Jahr lang nicht beitragspflichtig gearbeitet habe. Durch seine selbständige Tätigkeit habe er die Versichertengemeinschaft entlastet und sogar Schulden von mehr als 50.000,-- DM auf sich genommen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgericht (LSG) und des SG zu ändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 1986 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 1986 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Im Revisionsverfahren hat die Beklagte den Anspruch auf Erstattung von 15.603,25 DM für Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung fallengelassen.
II.
Die Revision des Klägers ist begründet.
Entgegen den Entscheidungen der Vorinstanzen hat der Kläger die Kosten seiner Umschulung nicht nach § 46 Abs 3 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) (in der hier maßgebenden Fassung vom 25. Juni 1969 - BGBl I 582/20. Dezember 1985 - BGBl I 2484) an die Beklagte zurückzuzahlen. Das folgt aus dem Zusammenhang der gegenseitigen Pflichten der Beteiligten auf Grund des Sozialrechtsverhältnisses (vgl dazu zB BSG SozR 4100 § 44 Nr 9).
Die Umschulungsleistungen hatte die Beklagte dem Kläger nur unter der Voraussetzung zu gewähren, daß er sich zu einer mindestens dreijährigen Nachbeschäftigung innerhalb von vier Jahren nach der Umschulung verpflichtete (§ 46 Abs 2 Satz 1 AFG 1975 in der hier maßgebenden Fassung vom 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113). Dieser Zusammenhang der Umschulung mit der Selbstverpflichtung kam in den mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten über die Leistungen zum Ausdruck (zu solchen Verwaltungsakten: Jülicher, SGb 1981, 30; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl 1988, 373; Renck, Juristische Schulung 1971, 77 ff; auch "Verwaltungsakt auf Zustimmung" genannt - Kirchhof, DVBl 1985, 651 ff).
Der Kläger hat die von ihm übernommene Verpflichtung nicht erfüllt. Nach der im Januar 1982 beendeten Umschulung war er binnen vier Jahren bloß ca 23 Monate lang beitragspflichtig beschäftigt. Vor allem infolge der etwa achtzehneinhalbmonatigen selbständigen Tätigkeit hatte er sich die Erfüllung der übernommenen Verpflichtung unmöglich gemacht. Gleichwohl hat er die Leistungen nicht nach § 46 Abs 3 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nF zurückzuzahlen, weil er aus wichtigem Grund die erforderlichen Nachbeschäftigungszeiten nicht erreicht hat.
Unzweifelhaft wird der Umgeschulte von der Rückzahlungspflicht frei, wenn und soweit er infolge von Arbeitslosigkeit, dh nicht zu vertretender Beschäftigungslosigkeit (§ 101 Abs 1 Satz 1 AFG) - hier von einem halben Monat mit Alg-Bezug -, seine Verpflichtung nicht erfüllen kann. Dieser Zustand stellte den Kläger nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz (vgl für das bürgerliche Recht: § 275 BGB) von der eingegangenen Nachbeschäftigungspflicht frei; die Erfüllung war in dieser Zeit in nicht zu vertretender Weise unmöglich. Dies nimmt auch die Beklagte an (ebenso BSGE 63, 83, 85 = SozR 4100 § 46 Nr 9).
Gleiches gilt für die selbständige Tätigkeit; auch sie verhindert die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtung, hängt jedoch vom Willen des Verpflichteten ab. Diese Entschließung muß von einem wichtigen Grund iS des § 46 Abs 3 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gedeckt sein. In aller Regel wird es hieran fehlen. Ein "wichtiger Grund" kommt einem Umgeschulten in der Lage des Klägers dann zugute, wenn ihm nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Zweckes der beruflichen Förderung und unter Abwägung seiner Interessen gegen die Interessen der Versichertengemeinschaft und eines funktionierenden Arbeitsmarktes nicht zugemutet werden kann, die Mindestzeit an Beschäftigung zu erfüllen (vgl die Abwägungsklauseln in anderen Fällen: § 626 Abs 1 BGB; dazu Staudinger/Neumann, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl 1979, § 226 Rz 22 bis 24, 37, 46, 52; zu § 44 Abs 6 AFG: BSG SozR 4100 § 44 Nr 51; zu § 119 Abs 1 Satz 1 AFG: BSGE 44, 71, 73 f = SozR 4100 § 119 Nr 3; BSGE 52, 276, 277 = SozR 4100 § 119 Nr 17; BSGE 64, 202, 205 = SozR 4100 § 119 Nr 34; SozR 4100 § 119 Nrn 4, 28, 33; BSG 29. November 1989 - BSGE 66, 94 = SozR 4100 § 119 Nr 36; zu § 7 Abs 3 BAföG: BVerwGE 50, 161, 163 f; Buchholz 436.36 § 15a Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) Nr 3; BVerwGE 67, 235, 236; 67, 250, 253). Wichtig ist für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs vor allem, ob die Umschulung erfolgreich oder erfolglos bleibt. Bleibt einem Umschüler, der im Vorgriff auf eine spätere versicherungspflichtige Beschäftigung Leistungen erhalten hat, der Arbeitsmarkt auch nach der Maßnahme verschlossen, wird man jeder subjektiven Anstrengung, aus eigener Kraft den Lebensunterhalt zu bestreiten, großes Gewicht beimessen müssen. Der Auffassung der Beklagten, daß die eingegangene Verpflichtung zur beitragspflichtigen Beschäftigung jedweder Art grundsätzlich Vorrang genießt, ist bei dieser Fallgestaltung nicht zu folgen. Arbeitslosigkeit selbst ist nicht wichtiger Grund iS des Gesetzes, sondern bezeichnet nur einen der Fälle nicht zu vertretender Unmöglichkeit, die eingegangene Verpflichtung zu erfüllen. Diese Situation zur Vermeidung einer Rückzahlungsverpflichtung beizubehalten, kann vom Gesetzgeber nicht verlangt worden sein. Vielmehr ist an dieser Lage des Scheiterns einer Maßnahme zu messen, welche Gründe den Arbeitslosen zum Wechsel in die Selbständigkeit bewegen und ob sie anzuerkennen, also wichtig sind. Folgender Leitgedanke ist hier maßgebend: Die Beklagte hat berufliche Bildung zur Verbesserung des Arbeitsmarktes mit dem Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes zu fördern; sie hat auf diese Weise insbesondere dafür zu sorgen, daß für den Arbeitsmarkt genügend qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar sind, Arbeitslosigkeit, unterwertige Beschäftigung und ein Mangel von Arbeitskräften vermieden sowie berufliche Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit gesichert werden (§§ 1, 2 Nrn 1, 2 und 3, § 33 Abs 1 Satz 2, § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Satz 2, § 39 Satz 2 Nr 1, § 41 Abs 1, § 43 Abs 1, § 47 Abs 1 Satz 1 AFG). Aus diesem Aufgabenbereich, der den Umschulungszweck bestimmt, folgt eine Beschränkung der Rückzahlungsverpflichtung auf die Fälle, in denen eine Nachbeschäftigung im Umschulungsberuf oder in einem entsprechenden Beruf unterlassen wird, obwohl sie möglich wäre. Der Umgeschulte darf nicht auf unterwertige Beschäftigungen verwiesen werden, nur um die eingegangene Verpflichtung zu erfüllen. Der Zweck der Rückzahlungspflicht, den Umgeschulten zur Mitwirkung bei einer dauerhaften angemessenen Eingliederung und zu einer gewissen Mindestarbeit im Umschulungsberuf zu veranlassen, und dadurch zu einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt beizutragen, verschafft dem wichtigen Grund iS des § 46 Abs 3 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) einen anderen Inhalt als dem gleichen Rechtsbegriff in § 119 AFG. Nach dieser Vorschrift führt die ohne wichtigen Grund herbeigeführte Arbeitslosigkeit zu einer Sperrzeit, die als angedrohte kurzfristige Belastung des Arbeitnehmers jeder Art von Erwerbslosigkeit entgegenwirken soll und uU auch durch eine unterwertige Beschäftigung abgewendet werden kann.
Der Kläger hatte im Schuhmacherberuf, zu dem er umgeschult worden ist, nach seinem Kenntnisstand Arbeitslosigkeit auf unabsehbare Dauer zu erwarten. Beschäftigung fand er nur in anderen Berufen. Damit erschien ihm die Umschulung erfolglos. Ob dies auch den objektiven Gegebenheiten entsprach, kann hier offenbleiben. Denn die Unaufklärbarkeit geht - wie noch ausgeführt wird - zu Lasten der Beklagten. Das finanzielle Risiko des Scheiterns einer Umschulung trägt die Beklagte in allen Leistungsfällen. Findet ein Umschüler keine Beschäftigung im Umschulungsberuf, hat die Maßnahme ihren Zweck verfehlt, wie § 36 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF durch das 5. AFG-ÄndG vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) verdeutlicht. Verbessert sich die berufliche Situation des Umschülers durch die Maßnahme nicht, hätte sie - rückschauend - überhaupt nicht bewilligt werden sollen. Die Prognose, die notwendig mit gewissen Unsicherheiten hinsichtlich des erhofften Erfolges behaftet ist, hat sich als falsch erwiesen. Dieses Risiko trägt aber die Beklagte auch in den Fällen, in denen mangels ausreichender Vorversicherungszeit die Kosten nur gegen eine Verpflichtung zur Nacharbeit übernommen werden. Sie darf es nicht in der Weise auf den erfolglos Umgeschulten abwälzen, daß sie ihn die Umschulungskosten nachträglich im Wege der Rückzahlung tragen läßt. Die berufliche Förderung hat sie aus ihren Mitteln, die durch Beiträge der Arbeitgeber und der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer aufgebracht werden, zu finanzieren (§§ 3, 19 Abs 1 Nr 3 Buchst a SGB I vom 11. Dezember 1975 - BGBl I 3015; § 3 Abs 2 Satz 1 Nr 3, §§ 167 ff, 215 Satz 1 AFG; BVerfGE 53, 313, 323 ff = SozR 4100 § 168 Nr 12). Wer nicht die üblicherweise zu fordernde Vorbeschäftigung und die damit verbundene längere Zugehörigkeit zum Kreis der beitragspflichtigen Arbeitnehmer aufweist, hat wegen des Zweckes der Umschulung nicht irgendeine beitragspflichtige unterwertige Beschäftigung in einem - gegenüber der Vorbeschäftigung um 50 oder 33 vH erhöhten - Mindestumfang innerhalb der Rahmenfrist nachzuholen. Die Beitragsleistung - in Höhe von 3 vH bis 1981 und von 4 vH ab 1982 (§§ 174, 175 AFG) -, die durch jegliche Art von beitragspflichtiger Beschäftigung ermöglicht würde, ist allein keine angemessene Gegenleistung für die Umschulung (zur "Gesamtäquivalenz" zwischen allen Beiträgen und Leistungen: Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, Stand: 1989, § 167 Rz 1; BVerfGE 51, 115, 124 f; 53, 313, 328; 72, 9, 19 f = SozR 4100 § 104 Nr 13; BSGE 60, 201, 203 = SozR 4100 § 59 Nr 4). Sie ist nur ein Nebenprodukt der Beschäftigung, zu der der Umgeschulte in einem umschulungsgerechten Beruf verpflichtet ist. Die Beitragszahlung in irgendeinem Beruf kann nicht zum Hauptzweck der Beschäftigungspflicht werden. Die übernommene Verpflichtung ist in diesem Sinne einzugrenzen.
Die endgültige Kostenzuweisung an die Beklagte in Fällen wie dem des Klägers ist deshalb geboten, weil die nach dem bloßen Gesetzeswortlaut des § 46 Abs 3 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) unbedingte Pflicht zur Rückzahlung eines im Verhältnis zu den Beiträgen enorm hohen Förderungsaufwandes (BSGE 63, 83, 86 f; BSG 17. März 1988 - 11 RAr 21/87 - gegen die Urteile des Landessozialgericht (LSG) Berlin, zitiert von Holst in: Gesamtkomm zum AFG, Stand: 1989, § 46 Rz 17) das Verfassungsrecht beachten muß (zu § 7 Abs 3 BAföG: BVerfGE 70, 230, 239 ff, besonders 241). Die Interessenabwägung, die den wichtigen Grund bestimmt, muß insbesondere den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe und des Übermaßverbotes (BVerfGE 70, 278, 286; 71, 137, 144; 76, 1, 50; 76, 256, 359; zu § 120 AFG: BVerfGE 74, 203, 214 = SozR 4100 § 120 Nr 20; zur übermäßigen Vermögensbelastung: BVerfGE 63, 312, 327) berücksichtigen.
Diese "verfassungskonforme" Auslegung ist schon deshalb geboten, weil die Verwaltung in anderen Fällen ähnlich schwere Belastungen durch eine Ermessensentscheidung mildern oder gänzlich abwenden kann. Im Arbeitsförderungsrecht ist dies für verschiedene Fälle ausdrücklich vorgeschrieben: Für die Erstattung von Uhg wegen vorzeitigen Abbruchs einer Förderungsmaßnahme (§ 44 Abs 6 Satz 1 AFG; dazu BSG SozR 4100 § 44 Nr 51), für die Rückzahlung einer Ausbildungsbeihilfe (§ 40 AFG; dazu BSGE 45, 38, 45 = SozR 4100 § 40 Nr 17) und ähnlich für die Erstattung von Alg durch den Arbeitgeber, wenn er ältere Arbeitnehmer entlassen hat (§ 128 AFG; dazu BSG SozR 4100 § 128 Nr 3; BVerfG, Der Betrieb 1990, 325). Allgemein darf ein Sozialleistungsträger sogar ursprünglich unrichtig gewesene Verwaltungsakte, die er aufgrund einer Abwägung innerhalb bestimmter Fristen nach § 45 Abs 2 ff SGB X (vom 18. August 1980 - BGBl I 1469) mit der zwingenden Folge einer Rückzahlungspflicht nach § 50 aufheben kann, nur aufgrund einer Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 zurücknehmen (BSGE 61, 223, 225 = SozR 1300 § 45 Nr 28; SozR 1300 § 45 Nr 39). Das BSG hat auch für die Rückforderung von Zuschüssen an Arbeitgeber für Schwerbehindertenplätze den Härtegesichtspunkt geprüft und eine Ermessensausübung als notwendig erachtet (BSG SozR 3870 § 8 Nr 2).
Die im Soldatenrecht gesetzlich begründete Pflicht, besondere Ausbildungskosten zurückzuzahlen, falls ein Soldat vor Ablauf einer Mindestdienstzeit (§ 46 Abs 3 Satz 1 Soldatengesetz -SG- idF vom 10. Januar 1968 - BGBl I 1220) auf eigenen Antrag aus dem Dienstverhältnis ausscheidet (§ 49 Abs 4 Satz 1 und 2 SG), haben das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nur deshalb als verfassungsmäßig und insbesondere als mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar beurteilt, weil auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden kann (§ 49 Abs 4 Satz 3 SG; dazu BVerfGE 39, 128 f, 141 f, 143; BVerwGE 52, 70, 72, 78; 52, 84, 89; Scherer/Alff, Soldatengesetz, 6. Aufl 1988, § 49 Rz 10). Entsprechendes gilt nach der Rechtspr für die Rückzahlung von Ausbildungskosten aufgrund von Verträgen zwischen Berufsanwärtern und öffentlichen Dienstherrn (BVerwGE 30, 65, 69 f; Krebs, VerwArch 70 - 1979 - 81 ff). In allen diesen Fällen, denen § 46 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ersichtlich nachgebildet ist, wird durchweg der durch die Ausbildung Begünstigte aus einem gesicherten Beamten- oder Soldatenverhältnis vorzeitig ausscheiden, um seine Ausbildung, die er auf Staatskosten erhalten hat, wirtschaftlich günstiger zu verwerten. Selbst hier wird nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entschieden, obwohl die jeweilige Maßnahme "erfolgreich" war, obwohl der Zweck erreicht ist. Für die Personen, die nach § 46 Abs 3 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) (Abs 2 Satz 1 aF) gefördert wurden, besteht aber im allgemeinen eine wirtschaftlich ungünstigere und ungesichertere Lage. Sie haben nach Abschluß ihrer beruflichen Förderung keine Arbeitsplatzgarantie. Um so dringlicher ist für sie die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Nur dann, wenn sie in ihrem Umschulungsberuf auf Dauer Arbeit finden, erscheint diese Lage den genannten Subventionsfällen vergleichbar. Finden sie jedoch keinen ihrer Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz oder sind sie gar arbeitslos, so trifft sie die drohende Rückzahlung in wirtschaftlich und persönlich ungünstigen Verhältnissen. Sie haben womöglich nutzlos Lebenszeit vertan, weil die erworbenen Kenntnisse auf dem Arbeitsmarkt nicht verwertbar sind. Die Pflicht zur Rückzahlung von Unterhaltssicherungsleistungen (§ 16 Uhg) muß erst recht nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeschränkt sein (BVerwGE 49, 103, 104 f).
Bei unzumutbar langer Arbeitslosigkeit darf ein Umgeschulter in eine selbständige Tätigkeit in seinem Umschulungsberuf ausweichen, obwohl die Bundesanstalt grundsätzlich nur Aufgaben zu erfüllen hat, die der Beschäftigung, dh der abhängigen Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt dienen, wozu auch die Umschulung gehört (§§ 1 bis 3 AFG; BSGE 38, 282, 286 = SozR 4100 § 42 Nr 5; SozR 4460 § 7 Nr 6). Die freie Berufswahl aufgrund des Art 12 Abs 1 Satz 1 GG darf dann, wenn der Zweck der Förderung verfehlt wurde, nicht durch die wirtschaftliche Last der Rückzahlung von einigen 10.000,- DM eingeschränkt werden. Eine andere Auslegung käme einem ungerechtfertigten Berufsverbot gleich. Das Grundrecht der Berufsfreiheit strahlt in die Regelungen des Arbeitsförderungsgesetz (AFG) aus. Schon bei der Bestimmung der Umschulungsmaßnahme und bei der Wahl eines Arbeitsplatzes ist dem individuellen Berufswunsch des Antragstellers oder Arbeitsuchenden nach Möglichkeit zu entsprechen (BSGE 44, 62, 65 = SozR 4460 § 6 Nr 8; 44, 71, 77 = SozR 4100 § 119 Nr 3; SozR 4100 § 119 Nr 9 S 40 f).
In der für den Kläger maßgebenden Zeit - 1982 bis 1985 - war die Arbeitsmarktlage für Schuhmachergesellen denkbar ungünstig, und eine Vermittlung erschien aussichtslos. Von Ende der sechziger bis Ende der siebziger Jahre waren die Zahl der Schuhmacherhandwerksbetriebe und die Zahl der in diesen Betrieben Beschäftigten um etwa die Hälfte zurückgegangen (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1978, 207; 1979, 207; 1981, 209; 1982, 213). Die Zahl der offenen Stellen für Schuhmacher war weitaus geringer als die Zahl der Arbeitslosen, und zwar 1982: 99 zu 918; 1983: 79 zu 1046; 1984: 106 zu 1010; 1985: 155 zu 942 (ANBA 1986, 380, 415). Angesichts dessen konnte der Kläger annehmen, er dürfe zeitweilig in eine selbständige Tätigkeit ausweichen, ohne eine längere Arbeitslosigkeit hinnehmen zu müssen, zumal er dadurch die Beklagte von der Zahlung von Alg und Alhi entlastete.
Grundsätzlich hat ein Umgeschulter sich selbst um die Erfüllung seiner Verpflichtung zu bemühen und, falls er keine angemessene Stelle findet, durch Nachfragen um eine Vermittlung (§ 13 AFG) dem ArbA Gelegenheit zu geben, aufgrund seiner Kenntnis des Arbeitsmarktes zu prüfen, ob zumutbare Stellen frei sind. Die Beklagte, die der Kläger in der maßgebenden Zeit nicht derart angegangen hat, weist nachträglich auf eine offene Stelle für Schuhmacher im Jahre 1982 im Arbeitsamtsbezirk des Klägers und auf drei Stellen im Jahr 1984 hin. Diese Lage hätte möglicherweise zu einer umschulungsgerechten Vermittlung des Klägers geführt. Das wirkt sich jedoch ausnahmsweise nicht zum Nachteil des Klägers aus, weil er nicht in gebotener Weise zeitgerecht darüber unterrichtet worden ist, daß er zur Aufklärung über die Beschäftigungsmöglichkeiten beizutragen hat. Dadurch verlagert sich die Beweislast auf die Beklagte.
Obwohl der Kläger jene Nebenpflicht oder Obliegenheit, sich beim ArbA zu melden, nicht erfüllt hat, muß die Beklagte ihm ausnahmsweise mangels ausreichender Belehrung von der Rückzahlung freistellen. Sie hat ihn nach Abschluß der Umschulung nicht in der gebotenen Weise hinreichend darüber belehrt, daß er sich, sobald er keine umschulungsgerechte Beschäftigung fände, um eine Vermittlung durch das ArbA bemühen müsse. Dies hätte sie aber als Leistungsträger aufgrund ihrer allgemeinen Fürsorgepflichten (§§ 13 bis 15 SGB I) tun müssen. Der vor der Maßnahme bei Antragstellung erteilte Hinweis auf die gesetzliche Rückzahlungspflicht, der zwar unerläßlich war (BSGE 63, 83, 88), genügte nicht. Dies gilt auch für die Wiederholung im Bewilligungsbescheid mit der Aufforderung, nach Ablauf der vier Jahre eine mindestens dreijährige Beschäftigung oder wichtige Gründe für die Nichterfüllung nachzuweisen. Da der Kläger nicht im Sozialrecht rechtskundig ist, hätte ihm sogleich nach der Maßnahme vorsorglich genau mitgeteilt werden müssen, wann die Rahmenfrist beginnt und endet, welchen Betrag er zurückzuzahlen hat, um ihm die Notwendigkeit eigener Bemühungen verständlich zu machen. Erforderlich war auch ein Hinweis auf die Beweissituation: daß er sich insbesondere arbeitslos melden müsse, um in eine Beschäftigung zu kommen oder um das sachgemäße Verfahren einzuhalten, das notwendig ist, damit eine umschulungsgerechte Arbeitsmöglichkeit oder ein wichtiger Grund für das Unterlassen einer beitragspflichtigen Beschäftigung nachgewiesen werden kann. Der Kläger mußte nicht von sich aus wissen, daß er sich auch dann, wenn er keinen Anspruch auf Alg erwartet, arbeitslos melden müsse, um Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der Voraussetzungen der Rückzahlungspflicht zu vermeiden. Obgleich die Bemühung um eine Mindestbeschäftigung wegen der besonders geregelten Rechtsfolge nicht zu den allgemeinen Mitwirkungspflichten iS der §§ 60 ff SGB I gehört, ist auch im Zusammenhang des § 46 Abs 3 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die Belehrung durch den Leistungsträger, die § 66 Abs 3 SGB I als Voraussetzung für nachteilige Folgen einer Pflichtverletzung festlegt, anzuerkennen (zu solchen Belehrungspflichten: BSGE 49, 30, 33 f = SozR 4220 § 6 Nr 3; BSGE 53, 13, 15 f = SozR 4100 § 119 Nr 18; BSGE 61, 289, 292, 294 = SozR 4100 § 119 Nr 31; BSGE 65, 72, 75, 76 = SozR 4100 § 128a Nr 2; SozR 1200 § 66 Nr 13; 2200 § 243 Nr 3; 4100 § 44 Nr 9; 4100 § 132 Nr 1). Eine hinreichende und erschöpfende Belehrung in diesen Fällen ist um so dringlicher, als die Rechtsfolgen einer unterlassenen, aber notwendigen Meldung härter sind als in irgendeinem anderen Bereich des AFG, insbesondere, wenn man sie mit den kurzen Sperrzeiten oder Versagungsgründen vergleicht. Dieselbe Erwägung ergibt sich aus dem Vergleich zur Ausbildungsförderung nach dem BAföG, die einem Personenkreis zugute kommt, der im allgemeinen über eine höhere Bildung verfügt; auch dort ist die Belehrung gesetzlich vorgeschrieben (§ 18 Abs 5a BAföG).
Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht von der Rechtspr des 11. Senats ab, der im übrigen für das Rechtsgebiet der beruflichen Bildung nicht mehr zuständig ist. Er hat eine Anwendung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter der Voraussetzung ausgeschlossen, daß - anders als hier - kein wichtiger Grund für eine unzureichende Nachbeschäftigung gegeben war, und verneint, daß die Verwaltung nach diesem Rechtsgrundsatz von der Rückforderung ganz oder teilweise absehen könne oder müsse (BSGE 63, 83; Urteil vom 17. März 1988 - 11 RAr 21/87).
Fundstellen