Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung von Umschulungskosten
Orientierungssatz
1. Zur Frage der Rückzahlung von Umschulungskosten nach § 46 Abs 2 S 2 AFG idF vom 18.12.1975.
2. Beweislastumkehr bei unterbliebener Beratung durch die Bundesanstalt für Arbeit.
Normenkette
AFG § 46 Abs 2 S 2 Fassung: 1975-12-18; SGB 1 § 14
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 14.10.1988; Aktenzeichen L 6 Ar 22/88) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 09.02.1988; Aktenzeichen S 9 Ar 218/87) |
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger der Beklagten die ihm während einer Maßnahme der beruflichen Umschulung gewährten Leistungen zurückzuzahlen hat.
Der Kläger, der nach Erlangung der mittleren Reife von 1976 bis 1980 Soldat auf Zeit war, beantragte im Juli 1980 die Förderung seiner Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Umschulung zum Fachgehilfen in steuer- und wirtschaftsberatenden Berufen. Nachdem der Kläger formularmäßig erklärt hatte:
"Ich verpflichte mich, innerhalb von vier Jahren nach Abschluß der Maßnahme mindestens drei Jahre lang eine die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitslosenversicherung) begründende Beschäftigung auszuüben. Die Leistungen sind von mir zurückzuzahlen, wenn ich ohne wichtigen Grund dieser Verpflichtung nicht nachkomme",
bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 1. Oktober 1980 bis zum 31. August 1982 Unterhaltsgeld (Uhg) im Gesamtbetrag von 16.532,09 DM und übernahm für diese Zeit die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung (8.040,28 DM) sowie Kosten für Lernmittel und Fahrkosten (3.858,92 DM). Der Kläger schloß die Umschulung erfolgreich ab. Auf Nachfrage des Arbeitsamtes teilte der Kläger im September 1986 mit, daß er seit dem 1. Januar 1983 als selbständiger Finanzberater tätig sei. Er habe diese Tätigkeit aufgenommen, nachdem er sich vergeblich bemüht habe, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer zu finden. Mit Bescheid vom 6. Januar 1987 widerrief das Arbeitsamt die Förderungsbewilligung gemäß § 151 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), weil der Kläger die damit verbundene Auflage nicht erfüllt habe, und forderte die erbrachten Leistungen im Gesamtwert von 28.431,29 DM zurück. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 14. Oktober 1988 ausgeführt: Der Kläger habe die empfangenen Förderungsleistungen zurückzuerstatten, weil er die eingegangene Verpflichtung, innerhalb von vier Jahren nach Abschluß der Maßnahme mindestens drei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung auszuüben, nicht erfüllt habe. Die Nichterfüllung dieser Verpflichtung stelle eine auflösende Bedingung dar, die die Leistungspflicht der Bundesanstalt rückwirkend entfallen lasse und den Leistungsempfänger verpflichte, die Leistungen zu erstatten. Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit sei kein wichtiger Grund, eine beitragspflichtige Beschäftigung nicht auszuüben. Der Kläger habe sich nach Beendigung seiner Umschulung nicht mehr beim Arbeitsamt gemeldet und diesem damit keine Möglichkeit gegeben, ihm eine abhängige Beschäftigung zu vermitteln. Es reiche nicht aus, wenn der Kläger sich nach seinen Angaben selbst bei zahlreichen Unternehmen vergeblich um eine Einstellung bemüht habe. Er hätte sich auch außerhalb seines Umschulungsberufs um eine Beschäftigung bemühen müssen. Gegen nachhaltige Bemühungen des Klägers spreche schon die Kürze der Zeit, nach der er eine selbständige Tätigkeit aufgenommen habe. Auch der Höhe nach bestehe die Erstattungsforderung zu Recht.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers. Das LSG habe verkannt, daß die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit dann als wichtiger Grund anzuerkennen sei, wenn sie aufgrund eines entsprechenden Einkommens zu einer dauerhaften beruflichen Eingliederung führe. Ferner sei zu berücksichtigen, daß er, selbst wenn er keine eigenen Sozialversicherungsbeiträge leiste, durch die Beschäftigung ehemals arbeitsloser Arbeitnehmer zur Entlastung des Arbeitsmarktes beitrage. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, er habe sich vor der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit auch um eine Beschäftigung außerhalb seines Umschulungsberufes bemühen müssen.
Der Kläger beantragt,
die angefochtenen Urteile sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Den Anspruch auf Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung in Höhe von 8.040,28 DM macht sie nicht mehr geltend. Im übrigen hält sie das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Entgegen den Entscheidungen der Vorinstanzen hat der Kläger die Kosten seiner Umschulung nicht nach § 46 Abs 2 Satz 2 AFG (in der hier maßgebenden Fassung vom 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113 -, jetzt § 46 Abs 3 Satz 2 idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1985 - BGBl I 2484) an die Beklagte zurückzuzahlen.
Die Umschulung hatte die Beklagte dem Kläger, der die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 46 Abs 1 AFG nicht erfüllte, nur unter der Voraussetzung zu gewähren, daß er sich zu einer mindestens dreijährigen Nachbeschäftigung innerhalb von vier Jahren nach der Umschulung verpflichtete (§ 46 Abs 2 Satz 1 AFG). Der Kläger hat diese Verpflichtung nicht erfüllt. Er war nach der im Juni 1982 mit der Prüfung abgeschlossenen Umschulung nur bis Ende August 1982, also keine drei Monate in seinem Ausbildungsbetrieb weiterbeschäftigt. Nach § 46 Abs 2 Satz 2 AFG müßte er die Umschulungsaufwendungen zurückzahlen, falls er innerhalb der vierjährigen Rahmenfrist ohne wichtigen Grund nicht die Mindestbeschäftigungszeit erfüllt hätte. Ob der Kläger schon wegen anhaltender Arbeitslosigkeit oder einer bloß unterwertigen Beschäftigungsmöglichkeit, die ihn zum Ausweichen in eine selbständige Existenz hätte veranlassen können, von der Rückzahlungspflicht freizustellen ist (vgl dazu das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 28. März 1990 - 9b/11 RAr 91/88), kann offenbleiben. Jedenfalls muß sich die Beklagte einen wichtigen Grund iS des § 46 Abs 2 Satz 2 AFG, der nicht erwiesen ist, wegen Verletzung ihrer Belehrungspflicht entgegenhalten lassen und kann deshalb die Rückzahlung der Umschulungsaufwendungen nicht verlangen.
Solange der Kläger nicht umschulungsgerecht beschäftigt war, hätte er sich allerdings beim Arbeitsamt melden müssen, damit dieses ihn entsprechend vermittelte (§§ 13 f AFG); nur dann könnten die Voraussetzungen für die Unmöglichkeit der Beschäftigung oder ein wichtiger Grund unter Einbeziehung des damaligen Arbeitsmarktes festgestellt werden (Urteil in der Sache 9b/11 RAr 91/88). Diese Nebenpflicht oder Obliegenheit hat der Kläger im Anschluß an den Verlust seiner Beschäftigung im Ausbildungsbetrieb nicht erfüllt. Dies ist ihm aber nicht mit der Folge anzulasten, daß er die Umschulungsaufwendungen deshalb zurückzahlen müßte; denn mangels Belehrung wird die Beweislast umgekehrt. Vom Kläger, der nicht im Sozialrecht rechtskundig ist, war eine Erfüllung seiner Nebenpflicht oder Obliegenheit nicht ohne eine gezielte vorausgegangene Belehrung zu erwarten (vgl dazu Urteil in der Sache 9b/11 RAr 91/88).
Nach den Feststellungen des LSG war es aus der Sicht des Klägers vertretbar, daß er nach vergeblichen Bemühungen, im Umschulungsberuf eine Anstellung zu finden, zu der Annahme gekommen ist, eine solche oder zumindest ähnliche Tätigkeit lasse sich auf absehbare Zeit nicht finden, und die selbständige Tätigkeit sei die einzige Möglichkeit, auf Dauer die Arbeitslosigkeit zu beenden. Der Kläger hat somit für sich den wichtigen Grund bejaht und sich zur Lösung von der eingegangenen Verpflichtung berechtigt gehalten.
Grundsätzlich liegt es im Risikobereich des Verpflichteten, ob er in dieser Annahme irrt oder nicht. Das Gesetz stellt auf den objektiven Tatbestand und nicht auf schuldhaftes oder schuldloses Handeln ab. Von diesem Grundsatz ist jedoch nach der Rechtsprechung des Senats dann abzuweichen, wenn dem Verpflichteten nach seiner Vorstellung ohnedies die Erfüllung unmöglich erscheint, weil er keinen Arbeitsplatz hat oder findet. Welche Vorkehrungen dann zu treffen sind, damit diese Unmöglichkeit nach Ausschöpfung aller Vermittlungsmöglichkeiten durch das Arbeitsamt festgestellt werden kann, kann dem Einzelnen nur durch ausreichende Belehrung mit besonderem Hinweis auf die Meldepflicht vermittelt werden. Der mangels Belehrung entschuldbare Irrtum des Klägers betrifft nicht den wichtigen Grund (Arbeitsmangel erkennt auch die Beklagte an), sondern den Weg der Beweissicherung.
Nur weil die Beklagte den Kläger nicht ausreichend beraten und belehrt hat, läßt sich im nachhinein nicht mehr feststellen, ob der Kläger seine Pflicht zur Ausübung einer Nachbeschäftigung in zumutbarer Weise hätte erfüllen können oder nicht. Es besteht nach den Feststellungen des LSG kein Anhalt dafür, daß der Kläger eine entsprechende Belehrung durch das Arbeitsamt mißachtet hätte. Das Aufklärungshindernis stammt deshalb in erster Linie aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten. Bei dieser Sachlage verlagert sich die Beweislast dafür, ob der Kläger einen wichtigen Grund zur Nichteinhaltung seiner Verpflichtung gehabt hat, vom Kläger auf die Beklagte. Eine solche Beweislastverlagerung auf denjenigen, der für die Beweisnot verantwortlich ist, ist auch auf anderen Rechtsgebieten anerkannt (vgl etwa bei mangelhafter ärztlicher Dokumentation: BGHZ 72, 138; NJW 1983, 333; Haftung des Kassenbeamten bei unaufklärbaren Kassenfehlbeständen: BVerwGE 37, 199; 52, 260).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen