Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.02.1976) |
Tenor
Auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Februar 1976 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur Rentenversicherung der Arbeiter für Hilfskräfte zu entrichten, die namentlich nicht festgestellt und benannt sind.
Die Klägerin betreibt einen Gemüsegroßhandel. Am 17. Dezember 1971 erteilte ihr die Beklagte aufgrund einer Betriebsprüfung einen Bescheid, mit dem sie nach der Lohnsumme berechnete Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 9.691,50 DM für im einzelnen nicht benannte Hilfskräfte forderte, die von der Beklagten in der Zeit vom 1. Januar 1969 bis 30. September 1971 auf dem Großmarkt mit Verladearbeiten beschäftigt worden waren. Dem Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, die in Frage kommenden Aushilfsarbeiter seien nicht versicherungspflichtig gewesen, half die Beklagte nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 11. April 1972).
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Mai 1973). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG aufgehoben und den Rechtsstreit zu erneuter Entscheidung an das SG zurückverwiesen. Das SG hat nach Beiladung der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz die Klage erneut abgewiesen (Urteil vom 27. November 1974).
Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG abgeändert und den Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 1972 aufgehoben (Urteil vom 12. Februar 1976). Unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 6. Februar 1974 (BSGE 37, 114) hat das LSG die Auffassung vertreten, ein Arbeitgeber werde nicht schon deshalb beitragspflichtig im Sinne der §§ 393 Abs. 1 Satz 1 und 1396 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil er nachweislich in bestimmter Höhe Löhne gezahlt habe. Vielmehr sei eine Beitragspflicht nur gegeben, soweit sich bestimmte Beschäftigte nach den §§ 165 ff und 1227 ff RVO als versicherungspflichtig erwiesen hätten. Ob eine bestimmte Person der Versicherungspflicht unterliege und in welcher Höhe deshalb für sie Beiträge abzuführen seien, lasse sich erst beurteilen, wenn diese ihren persönlichen Daten nach bekannt sei und auch feststehe, welcher Teil der insgesamt gezahlten Löhne während der jeweils streitigen Zeiträume auf sie entfallen sei. Erst wenn bekannt sei, wer gegen ein Entgelt in bestimmter Höhe in abhängiger Beschäftigung gestanden habe, könne die weitere Frage untersucht werden, ob aufgrund besonderer Umstände Versicherungsfreiheit im Sinne der §§ 168 ff, 1228 ff RVO angenommen werden müsse. Für welche Personen die Klägerin die Löhne gezahlt habe, habe trotz Zurückverweisung an das SG nicht aufgeklärt werden können. Die sich hieraus prozessual ergebenden Nachteile fielen zwangsläufig der Beklagten zur Last, weil mangels Identifizierbarkeit der in Frage kommenden Beschäftigten schon die Grundvoraussetzungen für die Annahme von Versicherungspflicht nicht nachgewiesen werden könnten.
Die Beklagte und die Beigeladene haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen sinngemäß eine Verletzung der §§ 165, 168, 1227, 1228, 1396, 1399 und 1427 RVO und beziehen sich in ihren Begründungen ua auf das Urteil des erkennenden Senats vom 29. April 1976 – 12/3 RK 66/75 – (BSGE 41, 297).
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zwar treffe sie kein Verschulden, wenn sie nicht in der Lage gewesen sei, die vollständigen Angaben zur Person der Aushilfskräfte zu machen. Sie meint aber, entgegen dem Urteil des erkennenden Senats vom 29. April 1976 – 12/3 RK 38/75 – begründe die Vorschrift des § 449 Abs. 1 RVO überhaupt keine Meldepflicht des Arbeitgebers für unständig Beschäftigte. Dementsprechend sei diese Vorschrift auch nicht in § 530 Abs. 1 RVO aufgeführt, der die Sanktionen für Verstöße gegen Melde- und Auskunftspflichten normiere.
Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen sind begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß ein Arbeitgeber nicht schon deshalb beitragspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung wird, weil er nachweislich in bestimmter Höhe Löhne gezahlt hat, sondern daß seine Beitragspflicht vom Nachweis der Versicherungspflicht der einzelnen bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer abhängt. Das Berufungsgericht hat hierbei zutreffend auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 37, 114) abgestellt. In tatsächlicher Hinsicht hat es festgestellt, es habe nicht mehr aufgeklärt werden können, für welche Personen die Klägerin die Löhne gezahlt hat, nach deren Gesamtsumme die streitige Beitragsforderung berechnet worden ist. Gegen diese Tatsachenfeststellung ist eine Revisionsrüge nicht erhoben worden, so daß sie für das Revisionsgericht bindend ist (§ 163 SGG). Aus der Unaufklärbarkeit der für die Beurteilung der Versicherungspflicht der einzelnen Beschäftigten tatsächlichen Umstände hat das LSG an sich auch den richtigen rechtlichen Schluß gezogen, daß die sich hieraus ergebenden Nachteile der Beklagten zur Last fallen. Läßt sich nämlich der von der Beklagten behauptete Tatbestand der Versicherungspflicht der Beschäftigten nicht feststellen, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten als Einzugsstelle, die aus der von ihr behaupteten Versicherungspflicht ihre Beitragsforderung ableitet (BSGE 41, 297, 300; 37, 114, 117). Der Beweis kann allerdings als geführt angesehen werden, wenn die Kläger die ihnen als Arbeitgeber gesetzlich auferlegten Mitwirkungspflichten bei der zunächst festzustellenden Versicherungspflicht schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) verletzt und so die erforderliche Aufklärung verhindert haben (Urteil des erkennenden Senats vom 29. April 1976 – 12/3 RK 66/75 – BSGE 41, 297). Die Einzugsstellen können nämlich den von ihnen verlangten Beweis der für die Versicherungspflicht notwendigen Tatsachen nur führen, wenn die Arbeitgeber ihren für den Beitragseinzug entscheidenden Mitwirkungspflichten nachkommen. Diese aus der besonderen „Indienstnahme Privater” abgeleiteten Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers umfassen die Einzelpflichten zur Aufzeichnung, Auskunft, Meldung, Vorlage und Beitragsabführung. Wenn auch die Aufzeichnungspflicht als solche nicht ausdrücklich im Gesetz aufgeführt ist, so ergibt sie sich doch zwingend aus dem Zusammenhang der übrigen gesetzlich bestimmten Melde-, Auskunfts- und Vorlagepflichten. Es ist nämlich ausgeschlossen, diese Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, wenn nicht vorher der Arbeitgeber die versicherungsrechtlich maßgeblichen Angaben wie sie zB in § 2 der Beitragsüberwachungs-Verordnung (BÜVO) im einzelnen aufgeführt sind, aufgezeichnet hat. Diese gesamten Mitwirkungspflichten treffen den Arbeitgeber auch dann, wenn er Personen lediglich unständig beschäftigt (BSGE 41, 297, 301). Dem steht nicht entgegen, daß sich gemäß § 444 Abs. 1 RVO der versicherungspflichtige unständig Beschäftigte selbst zur Eintragung bei der Kasse anmelden soll und daß die Vorschrift des § 449 Abs. 1 RVO nicht in dem die Verstöße gegen Melde- und Auskunftspflichten unter Sanktionen stellenden § 530 RVO aufgeführt ist. Ob sich die Meldepflicht des Arbeitgebers schon nach § 317 Abs. 1 RVO auch im Rahmen der Krankenversicherung auf unständig Beschäftigte erstreckt und deshalb entgegen Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Komm. 2. Aufl. Anm. 2 zu § 444 RVO, ihre Normierung in § 18 der Datenerfassungs-Verordnung (DEVO) durch die Ermächtigungsnorm des § 317 Abs. 2 RVO gedeckt ist, kann dahingestellt bleiben. Sie ergibt sich jedenfalls aus dem Sinn und Zweck der Mitwirkung des „indienstgenommenen” Arbeitgebers. Ob nämlich ein unständig Beschäftigter der Versicherungspflicht unterliegt oder ob er nach den einschlägigen Vorschriften in der Kranken- und Rentenversicherung versicherungsfrei und in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei ist, kann nicht vom Arbeitgeber festgestellt und entschieden werden, sondern bedarf der Entscheidung der Krankenkasse als Einzugsstelle. Dieser muß daher durch die Aufzeichnung der notwendigen Daten des Beschäftigten die Grundlage für ihre Entscheidung in die Hand gegeben werden. Deshalb ist der Arbeitgeber – auch ohne daß dies in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich geregelt zu sein braucht – gehalten, alle für die Versicherungspflicht und ggf auch für die Versicherungsfreiheit maßgeblichen Tatsachen über den Beschäftigten aufzuzeichnen.
Wird die allen anderen Mitwirkungspflichten zugrunde liegende und alle Beschäftigten ohne Rücksicht auf das Bestehen einer Versicherungspflicht umfassende Aufzeichnungspflicht vom Arbeitgeber absichtlich oder schuldhaft verletzt und dadurch von ihm die der Einzugsstelle obliegende Beweisführung zur Versicherungspflicht der Beschäftigten vereitelt, dann hat der Arbeitgeber Beiträge nach Maßgabe der Lohnsumme zu zahlen, ohne daß es auf den tatsächlichen Nachweis der Versicherungspflicht des einzelnen Versicherten ankommt (BSGE 41, 297, 301).
Diese Rechtsfolge würde die Klägerin allerdings dann nicht treffen, wenn sie nachweisbar in einer auch Fahrlässigkeit ausschließenden Weise der Auffassung sein durfte, die von ihr herangezogenen Aushilfskräfte seien nicht versicherungspflichtig, bedürften daher nicht der Meldung und brauchten auch nicht in den Firmenunterlagen, nach Personalien, Beschäftigungsdauer und Entgelthöhe festgehalten zu werden. Dies könnte der Fall sein, wenn die Beklagte in Kenntnis dieser Umstände in der vorauf gegangenen Zeit eine derartige Verhaltensweise für die Klägerin erkennbar geduldet hatte (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 29. April 1976 – 12/3 RK 38/75 –). Dies ist aber in tatsächlicher Hinsicht ebenfalls ungeklärt. Daß von der Beklagten Beanstandungen nicht erhoben wurden, wie das LSG als „offenbar” angenommen hat, ist durch entsprechende Feststellungen bisher nicht abgesichert.
Das LSG wird hierzu noch Feststellungen treffen müssen.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen