Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung von der Krankenversicherungspflicht

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Recht auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht als Rentner besteht trotz ausreichender privater Krankenversicherung nicht, wenn in den letzten 5 Jahren vor Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen eine Versicherung bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bestanden hat.

 

Orientierungssatz

Versicherungszeiten iS des § 173a Abs 1 S 2 RVO - Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung des Personenkreises:

1. Die freiwillige Versicherung bei einer Ersatzkasse ist eine Versicherung bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung iS des § 173a Abs 1 S 2. Der eindeutige Wille des Gesetzgebers geht dahin, alle Versicherungsverhältnisse in der gesetzlichen Krankenversicherung, also auch freiwillige und bei Ersatzkassen begründete, zu erfassen.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Versagung eines Befreiungsrechts in der KVdR bestehen nicht, weil der Gesetzgeber bei der Abgrenzung des Personenkreises der Pflichtversicherten einen weiten Spielraum hat und nicht jedem im Einzelfall auftretenden Bedürfnis Rechnung tragen muß (vergleiche zB BVerfG, vom 1977-02-09 1 BvL 11/74 = BVerfGE 44, 70, 90).

 

Normenkette

RVO § 173a Abs. 1 S. 2 Fassung: 1967-12-21; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

SG Duisburg (Entscheidung vom 09.07.1980; Aktenzeichen S 21 Kr 88/80)

 

Tatbestand

Streitig ist die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Der 1915 geborene Kläger ist pensionierter Schulrektor. Er war vom 1. Januar 1930 bis 31. Dezember 1976 freiwillig bei der beklagten Ersatzkasse krankenversichert. Seit 1. Juli 1953 führt er eine private Krankenkostenvollversicherung. Nachdem der Kläger am 21. August 1979 eine Rente aus der Angestelltenversicherung beantragt hatte, stellte die Beklagte als zuständige Krankenkasse iS von § 257a Abs 1 Satz 1 iVm § 514 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) fest, daß der Kläger von diesem Tage an gem § 315a Abs 1 RVO bei ihr versichert sei (Bescheid vom 19. Dezember 1979 und Widerspruchsbescheid vom 18. April 1980). Die Klage mit dem Ziel der Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR wies das Sozialgericht Duisburg (SG) durch Urteil vom 9. Juli 1980 ab und führte im wesentlichen aus: Obwohl der Kläger über seine private Krankenversicherung Leistungen erhalte, die der Art nach denen der Krankenhilfe entsprächen, könne er nicht von der Versicherungspflicht in der KVdR befreit werden, weil er während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen sei; dabei sei die Zeit der freiwilligen Versicherung bei der beklagten Ersatzkasse zu berücksichtigen; durch den Übergang von der freiwilligen zur Pflichtversicherung habe der Kläger keine Rechtsposition von Bedeutung verloren.

Mit seiner Sprungrevision rügt der Kläger die Verletzung von § 317a Abs 1 RVO und trägt vor: Unstreitig lägen die Voraussetzungen des Satzes 1 dieser Vorschrift vor, wonach das Recht auf Befreiung von der KVdR bestehe; Satz 2 der Vorschrift könne entgegen der Auffassung des SG nicht dahin verstanden werden, daß ihm, der niemals Pflichtversicherter in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sei und der weiterhin ein Recht auf Wahrung seines Besitzstandes als Privatpatient habe, dieses Recht auf Befreiung genommen würde; als Beamter, der selbst ausreichend für seinen Krankenversicherungsschutz sorge, gehöre er nicht zu dem Personenkreis, den § 173a Abs 1 Satz 2 RVO - 1. Alternative - meine.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Duisburg vom 9. Juli

1980 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Dezember

1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 1980 zu

verpflichten, ihn gemäß § 173a RVO von der Versicherungspflicht in der

gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht haben die Beklagte und das SG den Kläger für versicherungspflichtig in der KVdR gehalten.

Der Kläger kann nicht nach § 173a Abs 1 RVO von der Versicherungspflicht in der KVdR befreit werden. Zwar liegen bei ihm die Voraussetzungen des § 173a Abs 1 Satz 1 RVO vor, wonach auf Antrag von der Versicherungspflicht nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO befreit wird, wer bei einem Krankenversicherungsunternehmen versichert ist und für sich und seine Angehörigen, für die ihm Familienkrankenpflege zusteht, Vertragsleistungen erhält, die der Art nach den Leistungen der Krankenhilfe entsprechen. Gem § 173a Abs 1 Satz 2 - 1. Alternative - gilt dies jedoch nicht für Personen, die während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren. Unter diese Ausnahme von dem Befreiungsrecht nach Satz 1 der Vorschrift fällt der Kläger, weil er mehr als 52 Wochen während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages, nämlich vom 21. August 1974 bs 31. Dezember 1976, Mitglied der Beklagten war. Daß es sich dabei um die freiwillige Versicherung bei einer Ersatzkasse handelte, schließt die Anwendung von § 173a Abs 1 Satz 2 RVO nicht aus; denn der eindeutige Wille des Gesetzgebers geht geht dahin, alle Versicherungsverhältnisse in der gesetzlichen Krankenversicherung, also auch freiwillige und bei Ersatzkassen begründete, zu erfassen. Dieser Wille ist mit dem Hinweis des Gesetzes auf die "Träger der gesetzlichen Krankenversicherung" klar zum Ausdruck gekommen (allgemeine Ansicht, vgl nur Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, 17. Aufl bis 66. Lieferung 1981, § 173a RVO, Anm 4b; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl Stand 1981, § 173a RVO, Anm 1; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung einschließlich des Sozialgesetzbuches, 9. Aufl bis einschließlich 56. Nachtragslieferung 1981, S 448 o, 448 d III; vgl auch BSGE 23, 199).

Auch aus der Entwicklung der Vorschriften über die Rentnerkrankenversicherung läßt sich kein vom Wortlaut abweichender Sinngehalt der Befreiungsregelung ableiten. Nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO idF des Gesetzes über die KVdR vom 12. Juni 1956 bestand Versicherungspflicht in der KVdR nur für Rentner, die während der letzten fünf Jahre für Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (freiwillig oder kraft Gesetzes) versichert waren. Der Ausschluß der Rentner ohne die genannte Versicherungszeit wurde damit begründet, daß es nicht gerechtfertigt sei, den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung auf Kosten der übrigen Beitragszahler auch denjenigen zukommen zu lassen, die während ihres Arbeitslebens nicht wenigstens ein Minimum an Beiträgen aufgebracht haben (Stellungnahme der Bundesregierung zu Nr 1c und 2 der Änderungsvorschläge des Bundesrates - BT-Drucks II/1234).

Durch das Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 (in Kraft seit 1. Januar 1968) wurde das Erfordernis einer Vorversicherungszeit gestrichen. Dafür wurde in § 173a RVO eine Befreiungsmöglichkeit geschaffen für diejenigen, die während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages nicht 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren, also erst durch das neue Recht versicherungspflichtig wurden (s zu BT-Drucks V/2341 S 3 unten und S 4 oben). Allerdings kam diese Befreiungsmöglichkeit nicht nur denjenigen zugute, die bereits Rentner waren, sondern auch denjenigen, die es erst später wurden. Durch diese Vorschriften wurden somit einerseits alle Rentner in die KVdR einbezogen, andererseits der früher nicht versicherten Gruppe, aber auch nur dieser, eine Befreiungsmöglichkeit eröffnet.

Daß diese nach Wortlaut und Sinn eindeutige und deshalb einer erweiternden Auslegung nicht fähige Regelung während des Gesetzgebungsverfahren nicht unumstritten war und die Berechtigung für die Einschränkung der Befreiungsmöglichkeit problematisch sein mag (vgl dazu Brackmann, aaO, S 448 o; Harbeck Die Beitr 74, 1, 10), ändert nichts daran, daß dem Gesetz gewordenen Willen des Gesetzgebers zu folgen ist und die Gerichte keine Befugnis haben, die fragliche Befreiungsmöglichkeit im Wege der Lückenfüllung auf weitere Tatbestände auszudehnen (vgl dazu ausführlich das Urteil des erkennenden Senats vom 24. September 1981 - 12 RK 24/80 -, betreffend die 2. Alternative von § 173a Abs 1 Satz 2 RVO).

Daß der Kläger an dem Krankenversicherungsschutz, wie er sich aus der Versicherung nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO ergibt, kein Interesse hat, ist unerheblich, da es sich um eine Pflichtversicherung handelt. Sofern der Kläger sich die angeblich bessere Behandlung als Privatpatient erhalten will, ist es ihm nicht verwehrt, neben der Pflichtmitgliedschaft in der KVdR eine private Zusatzversicherung abzuschließen.

Es ist auch nicht möglich, dem Kläger anstelle der Pflichtversicherung die Möglichkeit einzuräumen, sich freiwillig bei der Beklagten zu versichern; denn seit dem Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz vom 27. Juni 1977 wird die Rentnerkrankenversicherung durch eine freiwillige Versicherung nicht mehr verdrängt. Die Voraussetzungen für einen freiwilligen Beitritt liegen überdies beim Kläger nicht mehr vor.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Versagung eines Befreiungsrechts bestehen nicht, weil der Gesetzgeber bei der Abgrenzung des Personenkreises der Pflichtversicherten einen weiten Spielraum hat und nicht jedem im Einzelfall auftretenden Bedürfnis Rechnung tragen muß (vgl zB VerfG, Urteil vom 9. Februar 1977 - 1 BvL 1/74 = BVerfGE 44, 70, 90).

Ein Befreiungsrecht läßt sich schließlich auch nicht mit dem sog Herstellungsanspruch begründen. Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Beklagten kein Beratungsverschulden zur Last fällt und daß damit schon die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht vorliegen. Auf die Begründung des SG wird verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657069

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