Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 24.09.1954)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. September 1954 wird als unzulässig verworfen

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger war vom 6. bis 24. November 1951 in Krankenhauspflege. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wurde er am 4. Dezember 1951 von der Beratungsärztin der Versicherungsanstalt Berlin (VAB.) untersucht, für arbeitsfähig vom 10. Dezember 1951 ab erachtet und hierüber verständigt. Vom gleichen Zeitpunkt ab stellte die VAB. die Zahlung des Krankengeldes ein. Auf seinen Einspruch vom 19. Dezember 1951 erhielt der Kläger von der zuständigen Bezirksstelle der VAB. den Bescheid vom 22. Dezember 1951, daß nur der behandelnde Arzt einen begründeten Einspruch gegen die Entscheidung des nachuntersuchenden Arztes erheben könne und dem Einspruch daher nicht stattgegeben werden könne. Weitere Eingaben des Klägers wurden im gleichen Sinne beschieden. Ein neuerlicher Einspruch vom 2. Juli 1952 wurde vom Beschwerdeausschuß der Krankenversicherungsanstalt Berlin (KVAB.), auf die inzwischen die Aufgaben der Durchführung der Krankenversicherung in Berlin übergegangen waren, durch Beschluß vom 14. November 1952 als unbegründet zurückgewiesen

Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde des Klägers hat der Bezirksberufungsausschuß des Sozialversicherungsamts Berlin durch Entscheidung vom 10. November 1953 zurückgewiesen. Die weitere Beschwerde des Klägers an den Spruchausschuß des Sozialversicherungsamts Berlin ist mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG.) Berlin übergegangen. In diesem Verfahren hat der Kläger beantragt, die Vorentscheidungen aufzuheben und die beklagte KVAB. zu verurteilen, ihm Krankengeld für die Zeit vom 10. bis 19. Dezember 1951 zu gewähren. Das LSG hat die Berufung als unzulässig angesehen, weil der Klaganspruch wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum unter dreizehn Wochen betreffe. Die Berufung wurde durch Urteil vom 24. September 1954 verworfen; die Revision wurde zugelassen.

Das Urteil wurde dem Kläger, der zu dieser Zeit im Zellengefängnis Lehrter Straße in Berlin eine Strafe verbüßte, dort am 14. Oktober 1954 zugestellt

Mit einem von ihm persönlich unterzeichneten Schreiben vom 31. Oktober 1954, das bei dem Bundessozialgericht (BSG.) am 10. November 1954 eingegangen ist, hat zunächst der Kläger selbst gegen das Urteil des LSG. Revision eingelegt. Am 17. Januar 1955 hat Rechtsanwalt Dr. Sch. als damaliger Prozeßbevollmächtigter des Klägers erneut Revision eingelegt mit dem Antrag, unter Aufhebung aller Vorentscheidungen die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 10. bis 19. Dezember 1951 Krankengeld zu gewähren. Er macht geltend, der Kläger sei erst jetzt darüber belehrt worden, daß er sich bereits bei Einlegung der Revision eines Prozeßbevollmächtigten hätte bedienen müssen. Er weist außerdem darauf hin, in der Rechtsmittelbelehrung des LSG. fehle der Hinweis darauf, daß auch Verwaltungsrechtsräte als Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG. zugelassen seien. Der Kläger bringt ferner vor, das LSG. habe zu Unrecht seine Zuständigkeit zur Entscheidung des Rechtsstreits bejaht; die Sache sei vielmehr bei Inkrafttreten des SGG auf das Sozialgericht (SG.) Berlin übergegangen. Für den Fall, daß die Revisionsfrist als versäumt anzusehen sei, hat er vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, da die Unvollständigkeit der Rechtsmittelbelehrung einen unabwendbaren Zufall für den Kläger bedeute. Die beklagte KVAB. hat um Zurückweisung der Revision gebeten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unzulässig.

Eine den Erfordernissen des § 166 SGG genügende Revisionsschrift ist erst nach Ablauf der in § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG für die Einlegung der Revision bestimmten Frist beim BSG. eingegangen. Die Revision wäre nur dann fristgerecht eingegangen, wenn sie innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG hätte eingelegt werden können. Voraussetzung wäre jedoch, daß die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil „unrichtig erteilt” wäre. Eine solche Unrichtigkeit erblickt die Revision darin, daß die Rechtsmittelbelehrung keinen Hinweis darauf enthält, daß auch Verwaltungsrechtsräte als Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG. zugelassen sind (§ 217 SGG). Diese Auffassung ist jedoch bei verständiger Würdigung des Wesens und Zwecks der Rechtsmittelbelehrung nicht haltbar. Das Bestroben nach möglichst vollständiger und genauer Unterrichtung der Rechtsuchenden steht in Widerstreit zu dem Erfahrungssatz, daß zu ausführliche und umständliche Rechtsmittelbelehrungen die Gefahr in sich bergen, den Rechtsuchenden zu verwirren und von den für ihn wesentlichen Punkten der Rechtsmittelbelehrung abzulenken (vgl. BSG. 1, 227 [229]). Der Ausgleich dieser beiden Gesichtspunkte macht eine Beschränkung der „Belehrung über den Rechtsbehelf” auf eine Unterrichtung der Beteiligten über die für sie wesentlichen Einzelheiten des Rechtsmittels erforderlich (vgl. BSG. 1, 194 [195]). Wenn die Rechtsmittelbelehrung eines LSG. im Zusammenhang mit der Unterrichtung über den vor dem BSG. bestehenden Vertretungszwang nur auf den in § 166 Abs. 2 SGG näher bezeichneten Personenkreis, nicht jedoch auf die in § 217 SGG aufgeführten Personen als zugelassene Prozeßbevollmächtigte verweist, so übergeht sie damit nicht einen für die Einlegung des Rechtsmittels wesentlichen Umstand. Die Vorschrift des § 217 SGG hat nur Übergangscharakter, wie ihre Stellung im Teil „Übergangs- und Schlußvorschriften” und die Befristung ihrer Geltungsdauer – „Bis zu einer einheitlichen Regelung durch die Bundesrechtsanwaltsordnung …” – erkennen lassen; So qualifiziert die Verwaltungsrechtsräte und die ihnen gleichgestellten Personen des § 217 Abs. 2 SGG für die Prozeßvertretung im Verfahren vor dem BSG. als einem „besonderen Verwaltungsgericht” (§ 1 SGG) auch sein mögen, so liegt es doch schon an ihrer verhältnismäßig geringen Zahl, daß sie verglichen mit den Regelfällen der Prozeßvertretung des § 166 Abs. 2 SGG nur eine Ausnahmeerscheinung im Verfahren vor dem BSG. sind Wenn das LSG. eine solche nicht typische Besonderheit des revisionsgerichtlichen Verfahrens in seiner Rechtsmittelbelehrung nicht miterwähnt, hat es seine Belehrungspflicht nach § 66 Abs. 1 SGG nicht verletzt; die Rechtsmittelbelehrung ist nicht „unrichtig” erteilt (§ 66 Abs. 2 SGG).

Der Senat sah sich auch nicht in der Lage, die von dem Revisionskläger gegen die Versäumung der Revisionsfrist hilfsweise beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die dem Antrag gegebene Begründung, die Unvollständigkeit der Rechtsmittelbelehrung des LSG. habe für den Revisionskläger einen unabwendbaren Zufall bedeutet, läßt keine Tatsachen erkennen, die einen Wiedereinsetzungsgrund ergeben könnten. Der Revisionskläger hätte unter dem von ihm geltend gemachten rechtlichen Gesichtspunkt darlegen müssen, warum ihm gerade die Nichterwähnung der Möglichkeit, sich vor dem BSG. auch durch einen Verwaltungsrechtsrat vertreten zu lassen, ohne sein Verschulden daran verhindert hatte, die Revisionsfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Da der Wiedereinsetzungsantrag in dieser Hinsicht nicht substantiiert ist und auch sonst ein Wiedereinsetzungsgrund nicht erkennbar ist, konnte dem Antrag nicht stattgegeben werden.

Die Revision ist somit verspätet eingelegt. Sie muß deshalb als unzulässig verworfen werden (§ 169 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und. 4 SGG

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926588

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