Leitsatz (redaktionell)
RVO § 1286 Abs 1 S 3 - Verweisbarkeit bei Prüfung der EU - Tägliche Arbeit bis zu 3 Stunden - Begriff der geringfügigen Einkünfte:
1. Der Versicherte kann grundsätzlich nur auf körperliche Tätigkeiten in abhängiger Stellung verwiesen werden. Aus der Betrachtung scheiden solche Tätigkeiten aus, für die es Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter Zahl - nicht gibt, es sei denn, daß der Versicherte zufällig einen solchen Arbeitsplatz inne hat. Es kommt nicht darauf an, ob der Versicherte durch Verrichtung einer solchen Tätigkeit einen wesentlichen sozialen Abstieg erleidet. Allerdings ist die äußerste Grenze der Verweisbarkeit durch den Grundsatz von Treu und Glauben gegeben.
2. Ein Wohnortwechsel oder Wochenendpendlertum kann bei 2 bis 3 Stunden täglicher Arbeitszeit nicht verlangt werden.
3. Die Einkünfte sind dann als geringfügig anzusehen, wenn sie ein Fünftel des Einkommens eines gesunden Versicherten gleicher Art nicht erreichen.
Normenkette
RVO § 1286 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 30. März 1961 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der im Jahre 1902 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war von 1918 bis zum 7. Februar 1958 als ungelernter Landarbeiter invalidenpflichtversichert beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt erlitt er einen Herzinfarkt. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 23. Oktober 1958 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Arbeiterrentenversicherung mit Wirkung vom 1. Juni 1958. Dem Bescheid lag ein Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. S in Lensahn vom 1. Juli 1958 zugrunde, in welchem ein Myokardinfarkt im reaktiven Stadium und Coronarinsuffizienz festgestellt sind.
Auf Grund ärztlicher Gutachten wandelte die Beklagte durch Bescheid vom 20. Januar 1960 die Erwerbsunfähigkeitsrente mit Wirkung vom 1. März 1960 an in eine Berufsunfähigkeitsrente um, weil der Kläger nicht mehr erwerbsunfähig sei. Sein Gesundheitszustand habe sich insofern gebessert, als der Herzinfarkt inzwischen vernarbt und der Kreislauf wieder für leichte Arbeiten belastungsfähig sei. Der Kläger könne wieder leichte Arbeiten drei bis vier Stunden täglich mit einer gewissen Regelmäßigkeit verrichten.
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 2. September 1960 den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 1960 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den Monat Februar 1960 hinaus weiter zu gewähren. Der Kläger sei lediglich imstande, leichte Arbeiten im Sitzen drei bis vier Stunden täglich zu verrichten. Mit einem derart eingeschränkten Leistungsvermögen ließen sich in der Landwirtschaft, auf die der Kläger nach jahrzehntelanger Berufsunfähigkeit und in Anbetracht seines Alters allein verwiesen werden könne, nur noch geringfügige Einkünfte erzielen. Eine Verweisung auf Tätigkeiten in gewerblichen Betrieben komme schon wegen der Wohnverhältnisse des Klägers nicht in Betracht. Eine Umsiedlung sei ihm nicht mehr zumutbar. Mithin sei er nach wie vor erwerbsunfähig.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 30. März 1961 zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen.
In der Urteilsbegründung hat das LSG ausgeführt:
Das Urteil des SG sei im Ergebnis nicht zu beanstanden. Wenn sich auch die Verhältnisse des Klägers geändert hätten, so doch nicht so stark, daß er nicht mehr erwerbsunfähig sei. Die geschädigten Teile des Herzens seien fest verschwielt. Dadurch sei eine wesentliche, nicht nur vorübergehende Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten. Als die Beklagte am 23. Oktober 1958 die Erwerbsunfähigkeitsrente gewährt habe, sei diese Verschwielung noch nicht eingetreten gewesen, vielmehr sei erst im März 1959 das Schwielenstadium erreicht worden. Dies ließen die zahlreichen von dem Facharzt für innere Krankheiten Dr. Z in Oldenburg/Holst. angefertigten und beigezogenen Elektrokardiogramme und der von dem Facharzt für innere Krankheiten Dr. M in Lübeck am 22. April 1959 erhobene elektrokardiographische Befund erkennen.
Der Kläger sei jedoch nach wie vor erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO); denn er könne weiterhin infolge seiner Krankheit auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht ausüben. Er sei zwar noch in der Lage, Arbeitsleistungen von drei bis vier Stunden täglich einschließlich des Arbeitsweges zu erbringen, könne jedoch einen entsprechenden Arbeitsplatz nicht erreichen. Sein Wohnort L. biete ausschließlich Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, in der körperlich leichte Arbeiten nur selten an männliche Arbeiter vergeben würden, so daß insoweit kein genügend großes Arbeitsfeld vorhanden sei. Sein Leistungsvermögen ließe nur noch eine Beschäftigung in unmittelbarer Nähe von L. , demnach ausschließlich in Lensahn, zu, das allein in verhältnismäßig kurzer Zeit von L. aus mit dem Omnibus zu erreichen sei. Aber auch in Lensahn sei das Arbeitsfeld nicht so umfangreich und vielseitig, daß genügend Einsatzmöglichkeiten für den Kläger bestünden. L. sei ein kleiner Ort mit ländlichem Gepräge. In solchen Ortschaften würden erfahrungsgemäß männliche Arbeitskräfte für körperlich leichte und geistig einfache Arbeiten, die für den Kläger nach seinem Berufsbild lediglich in Betracht kämen, von nur einigen Stunden am Tage so selten benötigt, daß insoweit von einem dem Wettbewerb zugänglichen allgemeinen Arbeitsfeld nicht gesprochen werden könne. Nennenswerte Möglichkeiten der stundenweisen Beschäftigung böten sich solchen Arbeitskräften nur in größeren Industriestädten.
Gegen dieses ihr am 7. August 1961 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch Schriftsatz vom 28. August 1961, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 29. August 1961, unter Stellung eines Revisionsantrages Revision eingelegt und diese durch Schriftsatz vom 21. September 1961, beim BSG am 23. September eingegangen, begründet.
Das Berufungsgericht - hat die Beklagte vorgetragen - habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es nähere Ermittlungen über die Art der in Lensahn zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze unterlassen habe. Es habe lediglich festgestellt, daß Lensahn ein kleinerer Ort mit ländlichem Gepräge sei und habe daraus geschlossen, daß aus diesem Grunde dort Einsatzmöglichkeiten für den Kläger nicht vorhanden seien, da "erfahrungsgemäß in solchen Ortschaften" männliche Arbeitskräfte für leichte und einfache Arbeiten nur selten benötigt würden. Einen solchen allgemeinen Erfahrungssatz gebe es nicht. Das Berufungsgericht sei verpflichtet gewesen, wenn es nicht aus eigener Sachkenntnis die Verhältnisse in Lensahn habe beurteilen können, eine Auskunft des zuständigen Arbeitsamtes einzuholen oder die Vernehmung eines Ortsansässigen durchzuführen. Eine solche Beweisaufnahme hätte zu einem anderen Ergebnis geführt, da gerade in Holsteinischen Landgemeinden vielfach ältere Arbeiter auf Bauernhöfen stundenweise mit leichten Aushilfsarbeiten beschäftigt würden. - Auch materiell-rechtlich sei das angefochtene Urteil unzutreffend. Es beruhe auf einer unrichtigen Auslegung und Anwendung der §§ 1286, 1247 RVO. In dem Gesundheitszustand des Klägers sei eine Änderung eingetreten, da der im Februar 1958 aufgetretene Herzinfarkt vernarbt sei. Der Kläger sei daher wieder in der Lage, leichte Arbeiten drei bis vier Stunden täglich mit gewisser Regelmäßigkeit zu verrichten. Insoweit sei das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Die Auffassung jedoch, daß trotzdem noch Erwerbsunfähigkeit vorliege, weil der Kläger nicht in der Lage sei, einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, sei unrichtig. Für das Vorliegen von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit sei es vielmehr ohne Bedeutung, ob für den Kläger erreichbare Arbeitsplätze, die seinem Leistungsvermögen entsprächen, in der näheren Umgebung vorhanden seien. Für einen Versicherten, der in einer abgelegenen Gegend wohne, sei ein Wohnsitzwechsel zumutbar.
Sie beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 30. März 1961 sowie das Urteil des Sozialgerichts in Lübeck vom 2. September 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 30. März 1961 zurückzuweisen.
Die Rüge mangelnder Sachaufklärung sei nicht schlüssig erhoben. Das Berufungsgericht habe zwar keinerlei Angaben darüber gemacht, worauf es seine Kenntnis, daß Lensahn ein kleiner Ort mit ländlichem Gepräge sei und daß es dort für männliche Arbeitskräfte keine körperlich leichten und geistig einfachen Arbeiten gebe, gründe, Es habe aber andererseits festgestellt, daß der Kläger nach seinem Berufsbild nur landwirtschaftliche Arbeiten verrichten könne. Diese Feststellungen seien von der Revision nicht angegriffen worden. Wenn diese daher zur Begründung ihrer Verfahrensrüge anführe, daß "gerade in holsteinischen Landgemeinden vielfach ältere Arbeiter auf Bauernhöfen stundenweise mit leichten Aushilfsarbeiten beschäftigt würden", dann versuche sie etwas anzugreifen, was das Berufungsgericht unangefochten unterstellt habe, nämlich daß auf Bauernhöfen für den Kläger keine geeignete Arbeit vorhanden sei. In der Landwirtschaft gebe es nur körperlich schwere Arbeiten. Hinsichtlich der materiellen Rüge sei zwar zutreffend, daß es nicht entscheidend sei, ob im Einzelfall eine Arbeitsgelegenheit nachgewiesen werden könne, weil dieses Risiko von der Arbeitslosenversicherung zu tragen sei. Es müßten in der fraglichen Gegend aber geeignete Stellen in ausreichender Zahl vorhanden sein. Das sei aber nicht der Fall. Dem Kläger könne ein Wohnungswechsel bei seinem Berufsbild und bei seinem Alter nicht zugemutet werden.
Die zulässige Revision hatte insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden ist.
Die von der Beklagten durchgeführte Umwandlung der dem Kläger gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in eine Rente wegen Berufsunfähigkeit richtet sich nach § 1286 Abs. 1 Satz 3 RVO. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß in den Verhältnissen des Klägers gegenüber dem Zeitpunkt der Rentenbewilligung eine Änderung eingetreten ist. Dem Rentenbewilligungsbescheid vom 23. Oktober 1958 lag der von dem Arzt Dr. S festgestellte Befund: Myokardinfarkt im reaktiven Stadium und Coronarinsuffizienz" zugrunde. Anschließend ist eine im März 1959 abgeschlossene Vernarbung eingetreten. Diese Feststellungen sind nicht angegriffen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß der gesetzliche Begriff der "Änderung in den Verhältnissen" vom Berufungsgericht unrichtig ausgelegt oder angewandt worden wäre. Es liegt also eine Änderung in den Verhältnissen des Klägers im Sinne dieser Vorschrift vor.
Weitere Voraussetzung der Rentenumwandlung ist, daß der Kläger nicht mehr erwerbsunfähig nach § 1247 Abs. 2 RVO ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger auf Grund seines Gesundheitszustandes nur noch in der Lage, täglich drei bis vier Stunden einschließlich des Weges zu und von der Arbeitsstätte erwerbstätig zu sein. Wenn man auch nur von einer kurzen Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Wohnung ausgeht, so bleiben doch jedenfalls nur so wenige Stunden täglicher Arbeitsleistung übrig, daß der Kläger nicht einmal halbtägig arbeiten kann. Es fragt sich, ob bei einer so beschränkten Einsatzfähigkeit das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 1247 Abs. 2 RVO überhaupt verneint werden kann. Im einzelnen wird hierzu auf die Gründe des Urteils vom heutigen Tage in Sachen W. ./. LVA Baden - 12/4 RJ 142/61 - verwiesen. Nach der 1. Alternative des § 1247 Abs. 2 RVO kommt es darauf an, ob der Versicherte infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben kann. Da die Erwerbsfähigkeit des Klägers nach den vom Berufungsgericht getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen dauernd, d. h. also ohne zeitliche Beschränkung gemindert ist, durfte dieses davon ausgehen, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne dieser Vorschrift "auf nicht absehbare Zeit" gemindert ist. Es mag zweifelhaft sein, welche Zeitspanne als "nicht absehbare Zeit" in diesem Sinne anzusehen ist; hier bedurfte es einer Entscheidung dieser Zweifelsfrage jedoch nicht, da ein Dauerzustand, wie er festgestellt ist, jedenfalls als "auf nicht absehbare Zeit" bestehend angesehen werden muß.
Es war weiter zu prüfen, ob der Kläger "eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben" kann. Unter "Erwerbstätigkeit" ist eine auf Gewinn abzielende, also nicht unentgeltlich zu verrichtende - in der Regel körperliche, abhängige - Arbeit zu verstehen.
Nicht anders als in § 1246 Abs. 2 RVO - und früher in § 1254 RVO aF - scheiden aus der Betrachtung solche Tätigkeiten aus, für die es Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter Zahl - seien sie frei oder besetzt - überhaupt nicht gibt, es sei denn, daß der Versicherte zufällig einen solchen Arbeitsplatz innehat. Auf solche Tätigkeiten - abgesehen von dem letzteren Fall - kann der Versicherte nicht verwiesen werden, weil sie ihm praktisch keine Möglichkeit des Erwerbs eröffnen. Dabei ist von normalen Verhältnissen, nicht aber z. B. von einem vorübergehenden Zustand extremen Mangels an Arbeitskräften, der zur Einrichtung von Arbeitsplätzen mit Teilarbeit unter der Grenze der Halbtagsarbeit führt, auszugehen.
Anders als nach § 1246 Abs. 2 RVO kommt es nach § 1247 Abs. 2 RVO allerdings nicht darauf an, ob der Versicherte durch Verrichtung einer solchen Tätigkeit einen wesentlichen sozialen Abstieg erleidet. Denn im Unterschiede zu § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO enthält § 1247 Abs. 2 RVO eine Vorschrift über die Beschränkung der Verweisbarkeit auf zumutbare Tätigkeiten nicht. Allerdings ist auch bei Anwendung dieser Vorschrift zu berücksichtigen, daß die Rechtsbeziehungen zwischen Versicherten und Versicherungsträgern von dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht werden. Aus diesem Grundsatz ergibt sich auch hier eine gewisse äußerste Grenze der Verweisbarkeit. Allerdings wird diese Begrenzung der Verweisbarkeit jedenfalls in der Arbeiterrentenversicherung nur eine recht geringe Rolle spielen, da bei Anwendung des § 1247 Abs. 2 RVO selbst der gelernte Arbeiter grundsätzlich auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verwiesen werden kann, wenn auch daran zu denken ist, einzelne sozial besonders niedrig bewertete Tätigkeiten auszuschließen.
Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß zur Entscheidung der Frage, was unter dem Begriff "in gewisser Regelmäßigkeit" zu verstehen ist, da der Kläger täglich, wenn auch jeweils nur für drei bis vier Stunden einschließlich des Arbeitsweges, arbeiten kann.
Wenn hiernach als Verweisungstätigkeiten nur solche angesehen werden können, für die es zumindest in nennenswerter Zahl Arbeitsplätze gibt, fragt sich in vorliegenden Falle, in welchem der Versicherte weder ganztägig noch halbtägig, sondern allenfalls bis zu vier Stunden täglich mit Einschluß der Wege zur und von der Arbeitsstätte arbeiten kann, vor allem, ob es für ihn Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter Zahl überhaupt gibt. Hierbei wird folgendes zu erwägen sein: In normalen Betrieben sind in aller Regel nur Arbeitsplätze, die ganztägig, oder allenfalls solche, die halbtägig zu besetzen sind, vorhanden. Es ist nicht üblich und läßt sich auch organisatorisch im allgemeinen nicht durchführen, daß Arbeiter beschäftigt werden, die weniger als eine halbe Schicht arbeiten. Die Beschäftigung solcher Arbeiter würde den Betriebsablauf meist zu empfindlich stören. Immerhin wird es wegen der Eigenart der Tätigkeit in Ausnahmefällen solche Tätigkeiten geben, etwa die des Zeitungsausträgers. Bei Heimarbeit besteht zwar diese Schwierigkeit nicht, da der Heimarbeiter seine Arbeit zeitlich so verteilen kann, wie es gesundheitlich für ihn tragbar ist. Andererseits darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß Heimarbeit nur in gewissen Wirtschaftszweigen und - gebieten üblich ist und daß der Arbeitgeber jedenfalls in Zeiten normaler Beschäftigung im allgemeinen Wert darauf legen wird, mit möglichst wenigen Heimarbeitern auszukommen, weil mit größerer Zahl der Heimarbeiter eine Vergrößerung der Verwaltungsarbeit und gegebenenfalls auch der Zahl der zur Verfügung zu stellenden Maschinen oder Werkzeuge verbunden ist. In kleineren Handwerksbetrieben, Einzelhandelsbetrieben und Landwirtschaftsbetrieben mag es vorkommen, daß Arbeiten einer bestimmten Art nur in so geringem Umfang anfallen, daß es genügt, einen Arbeiter für zwei bis drei Stunden täglich zu beschäftigen, Wenn auch Arbeitsplätze dieser Art durch das Arbeitsamt nicht vermittelt werden, so bedeute dies doch nicht, daß sie im Rahmen des § 1247 Abs. 2 RVO nicht berücksichtigt werden könnten, immer vorausgesetzt, daß es sie zumindest in nennenswerter Zahl überhaupt gibt. Für Angestellte und Arbeiterinnen werden in diesen Beziehungen die Verhältnisse günstiger liegen als für Arbeiter. Um einen solchen handelt es sich aber bei dem Kläger. Immerhin ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß es auch für Arbeiter Arbeitsplätze dieser Art, die nur bis zu etwa drei Stunden täglich zu besetzen sind, in nennenswerter Zahl gibt.
Es kommen hier im übrigen, wie das Berufungsgericht auch nicht verkannt hat, nur solche Tätigkeiten in Betracht, für die es Arbeitsplätze am Wohnort des Versicherten oder in dessen näherer, täglich zu erreichender Umgebung gibt. Es würde dagegen mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar sein, zu verlangen, daß ein Versicherter zur Verrichtung einer Arbeit von lediglich etwa drei Stunden und zur Erzielung eines dementsprechend geringen Verdienstes an einen anderen Ort verzieht oder auch als sogenannter Wochenendpendler einen solchen Arbeitsplatz aufsucht. Auch in dieser Beziehung ist die Rechtslage bei der Anwendung des § 1247 RVO anders als bei der Anwendung des § 1246 RVO (zu vgl. BSG in SozR RVO § 1246 Aa 12 Nr. 21).
Abgesehen davon, daß die hinsichtlich der Verweisungstätigkeiten getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die nach diesen Grundsätzen erforderlichen Einzelheiten nicht enthalten, greifen auch die von der Beklagten gegen diese Feststellungen des Berufungsgerichts erhobenen Rügen durch. Das Berufungsgericht hat seine Feststellungen auf allgemeine Erfahrungen gestützt, anstatt, wie die Beklagte zu Recht rügt, durch eine Anfrage bei dem Arbeitsamt oder bei der Gemeindeverwaltung oder durch die Vernehmung von Ortsansässigen als Zeugen oder in anderer geeigneter Weise zu klären, ob es im vorliegenden Falle solche Arbeitsplätze in Lensahn und Lensahnerhof nicht gibt. Das angefochtene Urteil mußte schon aus diesem Grunde aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Sollte das Berufungsgericht auf Grund seiner neuen Feststellungen und unter Anwendung der hier dargelegten Grundsätze dazu kommen, daß es an dem Wohnort des Klägers oder in dessen näherer, täglich zu erreichender Umgebung Arbeitsplätze, die nur rund drei Stunden täglich besetzt zu werden brauchen, und die der Kläger nach seinem Gesundheitszustand und seinen beruflichen Fähigkeiten verrichten kann, in zumindest nennenswerter Zahl überhaupt nicht gibt, so ist der Kläger schon nach der 1. Alternative des § 1247 Abs. 2 RVO erwerbsunfähig, so daß es einer Prüfung, ob die Voraussetzungen der 2. Alternative dieser Vorschrift vorliegen, nicht bedarf.
Andernfalls dagegen ist weiter zu prüfen, ob die Voraussetzungen der 2. Alternative dieser Vorschrift erfüllt sind. Danach liegt Erwerbsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Auch hier, ebenso wie bei der 1. Alternative, kann der Versicherte grundsätzlich auf alle abhängigen körperlichen Tätigkeiten des ganzen allgemeinen Arbeitsfeldes, soweit es Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl an seinem Wohnort oder in dessen näherer, täglich zu erreichender Umgebung gibt, verwiesen werden, Entscheidend kommt es aber weiter darauf an, was unter "geringfügigen Einkünften" zu verstehen ist. Als "geringfügige Einkünfte" im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO kommt nur ein Teilbetrag dessen in Betracht, was ein körperlich und geistig gesunder Versicherter mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten zu erwerben vermag, und zwar wird es den Vorstellungen des Gesetzgebers am ehesten entsprechen, wenn ein Fünftel dieses Betrages nicht erreichende Einkünfte als "geringfügig" angesehen werden. Praktisch wird ähnlich wie bei der Anwendung des § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO auch hier vom durchschnittlichen Bruttotariflohn eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auszugehen sein. Die Einkünfte sind dann als geringfügig anzusehen, wenn sie ein Fünftel des Einkommens eines solchen gesunden Versicherten gleicher Art nicht erreichen, Ob in Fällen außergewöhnlich niedrigen Lohnes, etwa bei Lehrlingen, oder auch in Fällen außergewöhnlich hohen Lohnes es zur Bestimmung des Begriffes der "geringfügigen Einkünfte" der Feststellung ziffernmäßig bestimmter Beträge als unterer, bzw. oberer Grenze bedarf, kann im vorliegenden Falle dahinstehen.
Das LSG wird, falls es zu dem Ergebnis kommt, daß der Kläger nicht mehr erwerbsunfähig ist, weiter zu prüfen haben, ob sich die Erwerbsunfähigkeit "infolge" der Änderung in den Verhältnissen des Klägers in Berufsunfähigkeit - die nach dem relativ bindend gewordenen Bescheid der Beklagten noch vorliegt - verwandelt hat, Wenn dies hier auch kaum zweifelhaft sein kann, so wird es von dem Berufungsgericht immerhin noch festzustellen sein.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen