Leitsatz (redaktionell)
1. Besteht Streit, ob gemäß AVAVG § 89 Familienzuschläge einer Arbeitslosen oder ihrem früheren Ehemanne zustehen, so ist die Berufung gemäß SGG § 147 ausgeschlossen.
2. Der Beklagte kann mit Erfolg Verfahrensmangel gemäß SGG § 150 Nr 2 auch dann rügen, wenn das LSG dem Antrage der klagenden Arbeitslosen auf Beiladung ihres früheren Ehemannes gemäß SGG § 75 Abs 2 nicht stattgegeben hat.
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 147 Fassung: 1958-06-25, § 150 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03; AVAVG § 89 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. Dezember 1961 wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlußrevision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. Dezember 1961 aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen hat.
In diesem Umfange wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Die erste Ehe der Klägerin mit dem Bauschlosser Helmut E ist seit Mai 1955 geschieden; aus ihr sind zwei Töchter hervorgegangen. Am 24. Dezember 1953 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosenunterstützung (Alu). Diesem Antrag wurde unter Auferlegung einer Wartezeit von sieben Tagen ohne Familienzuschläge entsprochen. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen: Die Wartezeit richte sich danach, ob zur Hauptunterstützung Zuschläge gewährt würden oder nicht. Da für die Kinder Zuschläge bereits zur Unterstützung des früheren Ehemannes bewilligt worden seien, könnten der Klägerin solche nicht nochmals gezahlt werden.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Klage und beantragte, ihr Familienzuschläge für zwei Kinder zu gewähren und die Wartezeit auf 3 Tage festzusetzen. Das Sozialgericht (SG) setzte die Wartezeit auf 3 Tage herab und wies im übrigen die Klage ab. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es, daß gegen das Urteil gemäß § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Berufung zulässig sei, weil es sich um fortlaufende wiederholte Teilleistungen für einen Zeitraum von über 13 Wochen handele.
Durch Urteil vom 12. Dezember 1961 verwarf das Landessozialgericht (LSG) die Berufungen der Klägerin und der Beklagten als unzulässig. Es war der Ansicht, daß die Berufung der Klägerin gemäß § 147 SGG nicht statthaft sei, da es sich um einen Streit über die Höhe der Unterstützung handele. Die Beklagte sei zwar durch die Herabsetzung der Wartezeit beschwert, ihre Berufung sei jedoch ebenfalls gemäß § 147 SGG ausgeschlossen, weil über den Beginn der Leistung gestritten werde. Ein wesentlicher Verfahrensmangel, der die Berufungen der Klägerin oder der Beklagten nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig machen würde, liege nicht vor.
Gegen das am 28. Dezember 1961 den Parteien zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Januar 1962 Revision eingelegt und diese am 22. Februar 1962 begründet. Die Beklagte hat mit einem am 28. Februar 1962 eingegangenen Schriftsatz Anschlußrevision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Die Klägerin meint, das LSG habe sachlich entscheiden müssen, weil die Nichtzulassung der Berufung durch das SG ein wesentlicher Verfahrensmangel sei. Das SG habe angenommen, die Berufung sei gemäß den §§ 143, 144 SGG zulässig; es habe aber § 147 SGG übersehen, durch den die Berufung ausgeschlossen werde. Es stehe damit fest, daß sich das SG über die Berufungsfähigkeit seines Urteils keine Gedanken gemacht und über eine Berufungszulassung weder beraten noch beschlossen habe. Im übrigen ist die Klägerin der Ansicht, daß § 147 SGG nicht zur Anwendung komme, weil es sich nicht um einen Streit um Beginn und Höhe, sondern um die Substanz des Anspruchs handele, wie es der 7. Senat in BSG 4, 133 angenommen habe. Weiterhin macht die Klägerin nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist noch geltend, daß ihr Ehemann habe beigeladen werden müssen.
Sachlich trägt die Klägerin vor, bei zutreffender Subsumierung unter die Bestimmungen des alten Rechts stehe jedem Anspruchsberechtigten auf Hauptunterstützung der Familienzuschlag für die gemeinsamen Kinder zu.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 12. Dezember 1961 aufzuheben und unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. Juni 1955 sowie unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 8. Januar 1954 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 1954 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zur Arbeitslosenunterstützung zwei Familienzuschläge zu zahlen,
ferner die Anschlußrevision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 12. Dezember 1961 sowie das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. Juni 1955 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen,
außerdem,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie trägt vor, das SG hätte die Berufung gemäß § 150 Ziff. 1 SGG zulassen müssen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung habe. Das SG habe die Berufung aber deshalb nicht zugelassen, weil es sie rechtsirrtümlich bereits auf Grund des § 144 SGG als zulässig angesehen habe; darin liege ein wesentlicher Mangel des sozialgerichtlichen Verfahrens. Ein weiterer Verfahrensmangel sei darin zu erblicken, daß das SG den Ehemann der Klägerin nicht beigeladen habe, obwohl es sich um eine notwendige Beiladung gehandelt habe, wie sie schon vor dem LSG gerügt habe. Wenn das SG die Kinder der Klägerin nicht als zuschlagsberechtigte Angehörige nach § 103 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aF ansehe, habe es sie bezüglich der Wartezeit ebenfalls nicht als zuschlagsberechtigte Angehörige betrachten dürfen.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision der Klägerin konnte keinen Erfolg haben.
Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Berufung der Klägerin nach § 147 SGG nicht statthaft war, weil es sich um einen Streit über die Höhe der Leistung gehandelt hat. Denn, wie der Senat in BSG 9, 246 ausgesprochen hat, betrifft der Streit über die Familienzuschläge jedenfalls dann die Höhe der Leistung, wenn darüber zu entscheiden ist, welchem von mehreren Berechtigten zu der Hauptunterstützung Familienzuschläge für gemeinsame zuschlagsberechtigte Angehörige zu zahlen sind. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Berufung der Klägerin könnte daher nur nach § 150 Nr. 1 oder 2 SGG zulässig sein. Dies ist aber nicht der Fall. Die Rechtsmittelbelehrung, die Berufung sei zulässig, stellt keine Zulassung des Rechtsmittels dar (BSG 2, 121). Einen wesentlichen Mangel des Verfahrens des SG hat die Klägerin vor dem LSG nicht gerügt; die entsprechende Rüge erst im Revisionsverfahren stellt keine Rüge im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG dar.
Die Revision der Klägerin mußte daher zurückgewiesen werden.
Dagegen erweist sich die zulässige Anschlußrevision der Beklagten als begründet, weil das LSG zu Unrecht ihre Berufung als unzulässig angesehen hat (BSG 1, 286). Diese war zwar nicht nach § 147 SGG statthaft, weil ein Streit über den Lauf der Wartezeit einen solchen über den Beginn der Leistung darstellt (BSG 1, 111, 114), jedoch ergab sich ihre Zulässigkeit aus § 150 Nr. 2 SGG. Denn die Klägerin hatte zutreffend vor dem LSG gerügt, das SG habe die (notwendige) Beiladung (§ 75 Abs. 2 SGG) ihres ersten Ehemannes unterlassen und damit einen wesentlichen Verfahrensverstoß begangen (BSG 2, 87). Die Frage, ob die Familienzuschläge für die beiden gemeinsamen Kinder der Klägerin oder ihrem ersten Ehemann zustehen, oder ob sie an beide zu zahlen sind, kann nämlich nur einheitlich mit Wirkung beiden gegenüber entschieden werden. Dies gilt auch dann, wenn die Zuschläge dem früheren Ehemann bereits durch das Arbeitsamt zugebilligt worden sind, weil die Beklagte sie im Falle einer gegenteiligen gerichtlichen Entscheidung nach § 185 AVAVG entziehen und zurückfordern kann. Die Beiladung des früheren Ehemannes war daher notwendig.
Auf die Anschlußrevision der Beklagten war deshalb das Urteil des LSG aufzuheben, soweit es die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen hat. In diesem Umfange mußte die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, weil die auf einem fehlerhaften Verfahren beruhenden Feststellungen des LSG nicht als Grundlage für eine abschließende sachliche Entscheidung des Revisionsgerichts dienen können.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen