Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf Witwenrente nach dem ersten Ehemann lebt auch dann nicht iS von BVG § 44 Abs 2 erneut wieder auf, wenn die 3. Ehe der Witwe für nichtig erklärt worden ist (Anschluß an BSG 1973-05-23 9 RV 344/72 = SozR Nr 19 zu § 44 BVG -).

 

Normenkette

BVG § 44 Abs. 2 Fassung: 1966-12-28

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1972 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Wiedergewährung von Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann.

Der erste Ehemann der Klägerin, A J, ist 1943 als Soldat gefallen. 1946 heiratete die Klägerin Johannes B. Diese zweite Ehe wurde 1954 durch das Kreisgericht in Dresden geschieden. Danach übersiedelte die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland und erhielt antragsgemäß ab 1. Juni 1960 Witwenrente nach A J.

Am 31. August 1964 heiratete die Klägerin E K Sp. Daraufhin wurde die bisher gewährte Witwenrente mit Wirkung vom 1. September 1964 entzogen.

Die Ehe der Klägerin mit Sp wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24. Mai 1968 für nichtig erklärt, weil Sp seinerzeit noch verheiratet war.

Den Antrag der Klägerin vom 19. Juni 1968 auf Wiedergewährung der Witwenrente nach A J lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 15. August 1968 / Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1970). Unter einer neuen Ehe im Sinne des § 44 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei nur die erste neue Eheschließung nach dem Tode des Versorgungsberechtigten, also die zweite Ehe, zu verstehen. Das Sozialgericht (SG) Detmold gab der hiergegen erhobenen Klage der Klägerin statt und verurteilte den Beklagten im Urteil vom 13. Mai 1971 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, der Klägerin für die Zeit ab 1. Juli 1968 Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Wegen der Nichtigkeit der dritten Ehe der Klägerin sei die Klägerin so zu behandeln, als ob sie die dritte Ehe nie geschlossen habe.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) im Urteil vom 28. September 1972 die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LSG ist der Auffassung, daß unter der neuen Ehe "der Witwe" im Sinne des § 44 Abs. 2 BVG schon begrifflich lediglich die erste Ehe einer Kriegerwitwe nach dem Tode des Versorgungsberechtigten zu verstehen sei, und zwar auch dann, wenn die weitere Ehe der Kriegerwitwe für nichtig erklärt worden sei. Eine solche Ehe sei zwar nach dem Eherecht so zu behandeln, als ob sie nie geschlossen worden wäre. Im Bereich des Unterhaltsrechts könne aber auch eine solche Ehe Unterhaltsansprüche auslösen. Derartige Rechtswirkungen müßten sonach auch im Kriegsopfer- und Sozialversicherungsrecht beachtet werden. Eine andere Auffassung würde letztlich zu einer Benachteiligung derjenigen Witwen führen, deren Ehen durch Scheidung oder Aufhebung aufgelöst worden sind; denn wenn die nichtige Ehe in Fällen dieser Art keinerlei Rechtswirkungen hätte, müßte der Witwe letztlich auch für die Zeit des Bestandes dieser Ehe vor ihrer Nichtigerklärung die Witwenrente gewährt werden. Eine solche Rechtsfolge habe der Gesetzgeber aber gerade durch die Gleichstellung geschiedener und nichtiger Ehen in § 44 Abs. 2 BVG verhindern wollen. Die Revision hat das LSG zugelassen.

Gegen das am 12. Oktober 1972 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. November 1972 die Revision eingelegt und am 24. November 1972 begründet. Sie rügt die Verletzung des § 44 Abs. 2 BVG und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

Die Klägerin meint, daß aus der Regelung, wonach auch im Falle der Nichtigerklärung der neuen Ehe die Rente wiederauflebe, zu schließen sei, daß der Gesetzgeber dem bürgerlichen Recht folgen wollte. Das bedeute aber, daß man davon auszugehen habe, daß die "neue Ehe" von Rechts wegen und von Anfang an gar nicht vorhanden gewesen sei. Mithin komme es nur darauf an, ob der Witwe vor der erneuten Eheschließung (der nichtigen Ehe) ein Anspruch auf Witwenrente zustand oder nicht. Durch die Nichtigerklärung der "neuen Ehe" entfalle der Tatbestand der Unterbrechung des Rentenanspruchs, die "Rentenkette" sei aus rechtlicher Sicht nicht unterbrochen worden. Deswegen würde eine andere Betrachtungsweise auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wonach wesentlich Gleiches gleich zu behandeln ist. Denn eine Witwe, der ein Rentenanspruch zustand, könne bei Nichtigkeit einer weiteren Ehe nicht anders behandelt werden als eine Witwe, deren Rentenanspruch bei Scheidung der ersten Ehe wiederaufgelebt ist. In beiden Fällen sei die Rentenkette nicht unterbrochen worden.

Die Auffassung des LSG ließe sich auch nicht mit der Überlegung rechtfertigen, daß anderenfalls einer Witwe auch für die Zeit des Bestandes einer später für nichtig erklärten Ehe Witwenrente rückwirkend zu gewähren sei. Das LSG habe nämlich übersehen, daß sich in diesen Fällen die Witwe nach dem alle Rechtsmaterien beherrschenden Grundgedanken des Vorteilsausgleichs die während der Dauer dieser nichtigen Ehe erbrachten Unterhaltsleistungen anrechnen lassen müßte. Folgerichtig habe daher der Gesetzgeber keine rückwirkende Gewährung zugelassen, sondern nur ein Wiederaufleben des Rentenanspruchs.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1972 den Bescheid des Beklagten vom 15. August 1968 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1970 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit ab 1. Juli 1968 Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu zahlen und darüber einen Bescheid zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist ebenso wie der beigeladene Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der einen förmlichen Antrag nicht gestellt hat, der Auffassung, daß das angefochtene Urteil der Rechtslage entspricht, insbesondere weil auch im Falle der Nichtigerklärung einer Ehe gewisse Rechtswirkungen aus dieser Verbindung herrühren können, vor allem in bezug auf Unterhaltsansprüche.

Sämtliche Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die zugelassene Revision ist nicht begründet. Denn das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Klägerin ein Anspruch auf Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG nicht mehr zusteht.

Die Klägerin hatte zwar als Witwe des im Krieg gefallenen A J den Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente nach den einschlägigen versorgungsrechtlichen Vorschriften, zuletzt nach §§ 38 ff BVG, erworben. Dieser Anspruch war erstmals durch ihre Heirat mit J B erloschen, nach Scheidung dieser Ehe jedoch wiederaufgelebt (§ 44 Abs. 2 BVG). Durch die Eheschließung mit Erich Kurt Sp ist der Witwenrentenanspruch erneut und diesmal endgültig erloschen. Denn nach § 44 Abs. 2 BVG auch in der hier maßgeblichen Fassung des 3. Neuordnungsgesetzes vom 28. Dezember 1968 (BGBl I 750) kann der Rentenanspruch einer Witwe nur einmal wiederaufleben, nämlich nach nicht allein verschuldetem Scheitern ihrer ersten Ehe nach dem Tod des Beschädigten. Nach dem Scheitern einer zweiten Ehe nach dem Tod des Beschädigten, regelmäßig also nach der dritten Ehe der Witwe des Beschädigten, lebt der Witwenrentenanspruch nicht mehr auf, weil nunmehr das Risiko des Scheiterns dieser zweiten und aller weiteren Versuche einer neuen Familienverbindung nicht mehr vom System des staatlichen Versorgungsrechts übernommen werden kann. Die "Versorgungskette" ist unterbrochen. Diese Auslegung des § 44 Abs. 2 BVG entspricht seinem Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers, wie es schon mehrfach, auch für die Heiratsabfindung gemäß § 44 Abs. 1 BVG, vom Bundessozialgericht (BSG) entschieden worden ist (vgl. BSG in SozR Nr. 5 zu § 44 BVG; Nr. 3 zu § 89 BVG; BSG 17, 120; 26, 77; Urteil vom 23. Mai 1973 - 9 RV 344/72 -). Von dieser gesicherten Rechtsauffassung abzuweichen, sieht der Senat keinen Anlaß.

Sie ist auch dann zugrunde zu legen, wenn - wie hier - die zweite Ehe einer Witwe nach dem Tode des Beschädigten für nichtig erklärt worden ist. Dies ergibt sich einmal aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 2 BVG. Dort sind als maßgebliche Tatbestände für das Wiederaufleben einer Witwenrente die Auflösung und die Nichtigerklärung der "neuen Ehe" gleichwertig nebeneinandergestellt. Ebenso ist der Gesetzgeber in § 44 Abs. 3 BVG für die Anrechnung einer ausgezahlten Witwenrentenabfindung auf die wiederaufgelebte Witwenrente und in § 42 BVG für den Witwenrentenanspruch der früheren Ehefrauen verfahren. Werden aber die Tatbestände der Auflösung und der Nichtigerklärung einer Ehe von Gesetzes wegen schon bei der Rechtsfolge der erneuten Entstehung eines Anspruchs gleich behandelt, so ist nicht einzusehen, daß sie für die Frage seines Fortbestandes von verschiedener Wirkung sein sollen. Es ist zwar richtig, daß die für nichtig erklärte Ehe mit rückwirkender Kraft als von Anfang an nicht geschlossen angesehen wird, wenngleich sie bis zur Nichtigerklärung wie eine gültige Ehe behandelt wird (§ 23 Ehegesetz - EheG -; vgl. RG 120, 37). Im Falle der Aufhebung einer Ehe wirkt die Auflösung dagegen nur für die Zukunft (§§ 28, 29, 37 EheG). Diese auf das Rechtsinstitut der Ehe selbst abgestellten zivilrechtlichen Unterschiede rechtfertigen es jedoch nicht, die für nichtig erklärte Ehe im Falle des § 44 Abs. 2 BVG anders als die aufgelöste Ehe zu behandeln. Der erkennende Senat folgt hier der Rechtsauffassung des 9. Senats des BSG in seinem Urteil vom 23. Mai 1973 - 9 RV 344/72 -.

Dort ist ausgeführt worden, daß die bürgerlich-rechtlichen Folgen der Nichtigkeitserklärung einer Ehe vermögensrechtlich weitgehend denen der Scheidung einer Ehe entsprechen. Denn die nach §§ 17 bis 22 EheG vernichtbare Ehe wird - wie schon erwähnt - bis zur Wirksamkeit ihrer Nichtigerklärung wie eine gültige Ehe behandelt (§ 23 EheG); sie kann auch nach der Nichtigkeitserklärung Rechtsfolgen in vermögensrechtlicher Beziehung haben, insbesondere im Unterhaltsrecht und im Ehegüterrecht (§ 26 EheG). Derartige Ansprüche aus der gescheiterten "neuen Ehe", also auch aus der für nichtig erklärten "neuen Ehe" im Sinne von § 44 Abs. 2 BVG, sind ggf. ferner nach § 44 Abs. 5 BVG auf den wiederaufgelebten Witwenrentenanspruch anzurechnen (vgl. auch § 14 iVm § 2 Nr. 19 der Durchführungsverordnung zu § 33 BVG). Es ist also unverkennbar, daß das Versorgungsrecht gerade wegen der Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente hier die aufgelöste und die für nichtig erklärte Ehe gleich behandelt. Wesentlich aus diesem Grund hat daher auch der 9. Senat in dem oa. Urteil die für nichtig erklärte Ehe, sofern sie die erste Ehe der Witwe nach dem Tode des Beschädigten war, als "neue Ehe" im Sinne des § 44 Abs. 2 BVG angesehen, nach deren Vernichtung die Versorgungskette endgültig unterbrochen ist, so daß auch nach einer infolge Scheidung aufgelösten weiteren Ehe der Witwe der Rentenanspruch nicht mehr wiederaufleben kann. Nichts anderes kann aber für den vorliegenden Fall gelten, umso mehr, als hier die erste Ehe der Witwe nach dem Tode des Beschädigten durch Scheidung aufgelöst worden ist und eigentlich schon in diesem Stadium die Beziehung der Klägerin zum Versorgungsrechtsverhältnis nach ihrem gefallenen Ehemann J endgültig gelöst war (vgl. BSG aaO). Konnte danach das Scheitern einer weiteren Ehe der Klägerin durch Scheidung aber keinen Witwenrentenanspruch erneut aufleben lassen, so konnte dies wegen der Gleichbehandlung von eherechtlichen Auflösungs- und Vernichtungstatbeständen im Versorgungsrecht auch nicht infolge der Nichtigkeitserklärung geschehen. Die Klägerin übersieht, daß der wesentliche Unterschied hier nur zu der sog. Nichtehe besteht, also jener eigentlich gar nicht mehr als "Ehe" bezeichnungsfähigen Verbindung, die überhaupt nicht zustande gekommen ist, zB. weil sie gar nicht vor einem Standesbeamten geschlossen wurde (vgl. § 11 EheG) oder im Falle der "Eheschließung" zwischen Gleichgeschlechtlichen (vgl. Palandt, Komm. z. BGB, 31. Aufl. Anm. 5 zu § 11 EheG und Einf.1) vor § 16 EheG). Hier bedarf es im Gegensatz zur nichtigen Ehe (bzw.: zur vernichtbaren Ehe) keiner Nichtigerklärung für die Geltendmachung der Nichtigkeit einer solchen Verbindung (vgl. RG 120, 37). Bei dieser Sachlage bedurfte es keiner Erörterung der Frage mehr, ob auch der Erwägung des 9. Senats beizutreten ist, daß die von der Klägerin vertretene Auffassung letztlich dazu führen müßte, der Witwe sogar für die Zeit des "Bestandes" einer später für nichtig erklärten Ehe die Witwenrentenleistungen nachzuzahlen, oder ob dieser Rechtsfolge in jedem Fall der allgemeine Grundsatz des Vorteilsausgleichs, etwa in Form des Verbots von Doppel-Unterhaltsleistungen, entgegenstünde.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin schließlich auf eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Das dort geregelte Grundrecht der Gleichheit und Gleichbehandlung wäre nur verletzt, wenn hier gleiche Sachverhalte unterschiedlich behandelt würden. Die Klägerin verkennt aber, daß hier aber nicht gleiche Sachverhalte vorliegen; denn es ist eben voneinander verschieden, wenn in einem Fall die Witwe des Beschädigten nach dessen Tod nur einmal verheiratet war und diese Ehe geschieden worden ist und im anderen Fall die Witwe nach einer solchen Scheidung erneut heiratet und diese weitere Ehe später für nichtig erklärt wird. Diese unterschiedlichen Sachverhalte auch unterschiedlich zu behandeln, wird durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht untersagt. Es könnte sich im Gegenteil möglicherweise viel eher eine Witwe, deren Rente nach der Scheidung ihrer zweiten Ehe nach dem Tode des Beschädigten gemäß § 44 Abs. 2 BVG nicht wiederauflebt, auf die Verletzung des Art. 3 GG berufen, wenn das Wiederaufleben der Rente in einem Fall wie dem der Klägerin zugelassen wäre. Denn hier könnte geltend gemacht werden, daß dann jedenfalls von ihren unterhalts- und vermögensrechtlichen Folgen her wesentlich gleiche Sachverhalte mit unterschiedlichen Ergebnissen ausgestattet wären.

Nach allem wurde der von der Klägerin erhobene Anspruch auf Weitergewährung der Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann für die Zeit nach der Nichtigerklärung ihrer dritten Ehe mit Erich Kurt Sp zu Recht abgelehnt. Die Revision der Klägerin mußte daher ebenfalls erfolglos bleiben (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669454

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