Entscheidungsstichwort (Thema)
Verschleppung. Beschäftigungsmöglichkeit
Leitsatz (amtlich)
Zeiten der Verschleppung iS des RVO § 1251 Abs 1 Nr 2 sind - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - auch dann als Ersatzzeiten anzurechnen, wenn der Versicherte während der Verschleppungszeit Beitrags- und Beschäftigungszeiten (FRG §§ 15, 16) hätte zurücklegen können, aber nicht zurückgelegt hat.
Orientierungssatz
1. Als verschleppt iS RVO § 1251 Abs 1 Nr 2 gilt, wer gegen seinen Willen in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht worden ist und an seiner Rückkehr gehindert war.
2. Mit dem Inkrafttreten des FRG ist bei RVO § 1251 Abs 1 Nr 2 keine "nachträglich, verdeckte Lücke" entstanden, die nach Sinn und Zweck der Ersatzzeitenregelung in der Weise geschlossen werden müßte, daß Verschleppten, die als Vertriebene während der Verschleppung Beitrags- und Beschäftigungszeiten zurücklegen konnten (FRG §§ 15, 16), keine Ersatzzeiten anzurechnen sind.
3. Eine Gesetzeslücke, sei sie offen oder verdeckt, anfänglich oder nachträglich, liegt nur dann vor, wenn eine "planwidrige" Unvollständigkeit des Gesetzes gegeben ist, nicht auch dann, wenn dieses (nur) rechtspolitisch fehlerhaft ist. Die Regelung des RVO § 1251 Abs 1 Nr 2 ist nicht planwidrig.
4. RVO § 1251 Abs 1 Nr 2 verstößt nicht dadurch gegen den Gleichheitsgrundsatz (GG Art 3 Abs 1) indem Hausfrauen mit Vertriebenenausweis, die freiwillig auf eine Beschäftigung verzichtet haben, eine Versicherungszeit zugebilligt wird, während im Bundesgebiet in diesem Falle derartige Vorteile nicht eingeräumt werden.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23; HkG § 1 Abs. 3 Fassung: 1953-08-17; FRG § 15 Fassung: 1960-02-25, § 16 Fassung: 1960-02-25; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 12.04.1978; Aktenzeichen L 14 Ar 411/77) |
SG München (Entscheidung vom 21.01.1977; Aktenzeichen S 8 Ar 2419/74) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. April 1978 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsrechtszuges zu erstatten.
Tatbestand
Die im Jahr 1912 im Kreis N (Ukraine) geborene Klägerin, deutsche Volkszugehörige, war bis zum August 1943 in ihrer Heimat als Landarbeiterin beschäftigt. Nach der Flucht vor den russischen Truppen kam sie in den Kreis B; dort war sie von Oktober 1944 bis Anfang Juni 1945 als Landarbeiterin beschäftigt. Im Juni 1945 wurde sie mit ihren fünf Kindern von den Russen in das Gebiet der UdSSR verschleppt. Sie lebte zunächst etwa elf Jahre lang in Archangelsk und dann in anderen Orten der UdSSR. Von Januar 1946 bis Oktober 1952 war sie in einem Papierkombinat als Arbeiterin beschäftigt. Anschließend war sie fast zwanzig Jahre lang "aus persönlichen und familiären Gründen nicht in der Lage, einer Beschäftigung nachzugehen". Von April 1972 bis Januar 1974 war sie als Putzfrau tätig. Sie erhielt dann ohne ihre Kinder die Ausreiseerlaubnis und traf im Februar 1974 im Bundesgebiet bei ihrem Ehemann, der sich seit Kriegsende hier aufhält, ein.
Die Klägerin ist Inhaberin des Ausweises A für Vertriebene und Flüchtlinge und einer Heimkehrerbescheinigung des Grenzdurchgangslagers Friedland, in der vermerkt ist, daß sie im Sommer 1945 verschleppt und am 23. Februar 1974 aus der Verschleppung entlassen worden sei.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 4. Oktober 1974 der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Mai 1974 an. Bei der Berechnung der Rente berücksichtigte sie zwar die Zeit vom 1. Januar 1946 bis 21. Oktober 1952 und vom 19. April 1972 bis 1. Februar 1974 als glaubhaft gemachte Beitragszeit, aber nicht die dazwischenliegende Zeit vom 22. Oktober 1952 bis zum 18. April 1972.
Nachdem die Beteiligten im Prozeß einen Teilvergleich abgeschlossen hatten, hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 21. Januar 1977 die Beklagte verpflichtet, "die beitragsfreie Zeit vom 1.1.1947 bis 23.2.1974 als Ersatzzeit anzurechnen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 12. April 1978 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Klägerin sei Heimkehrerin, sie sei auch verschleppt worden. Deshalb sei ihr eine Ersatzzeit im Sinne des § 1251 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzurechnen. Diese Vorschrift sei auch nach dem Inkrafttreten (1. Januar 1959) des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) weiterhin anzuwenden. Einer in die Sowjetunion verschleppten Versicherten sei es zwar in der Regel möglich, Beitrags- oder Beschäftigungszeiten zu erwerben; die Klägerin sei aber in dem streitigen Zeitraum nicht in der Lage gewesen, einer Beschäftigung nachzugehen. § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO gehe von der unwiderlegbaren Vermutung aus, daß die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Ersatzzeit erfüllt seien, wenn die Tatbestandsmerkmale dieser Rechtsnorm vorlägen; die Vorschrift unterstelle, daß der Versicherte während der Verschleppungszeit gearbeitet habe oder durch die Verschleppung an der Arbeit gehindert gewesen sei.
Mit der Revision rügt die Beklagte die unrichtige Anwendung des § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO. Eine Ersatzzeit sei dann nicht anzurechnen, wenn der dem Personenkreis des § 1 Heimkehrergesetz (HkG) angehörende Versicherte aus freier Willensentscheidung von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Vertreibungsgebiet Abstand genommen habe. Die Klägerin habe wegen der Betreuung ihrer eigenen Kinder und der Enkelkinder sowie wegen Krankheit keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Seit dem Inkrafttreten des FANG könne § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO auf Inhaber des Vertriebenenausweises A nicht mehr angewendet werden. Auch dem Verschleppten sei es möglich gewesen, Beitrags- oder Beschäftigungszeiten zu erwerben. Eine der Klägerin vergleichbare Hausfrau, die im selben Umfang ihre Familie im Bundesgebiet versorgt habe, erhalte keine Versicherungszeit angerechnet. Das Bundessozialgericht (BSG) habe schon mehrfach trotz des an sich erfüllten Gesetzeswortlautes den Tatbestand einer Ersatzzeit verneint (SozR Nrn 44 und 58 zu § 1251 RVO).
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. April 1978 sowie des Sozialgerichts München vom 21. Januar 1977 aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als die Anrechnung einer Ersatzzeit vom 1. Januar 1947 bis 23. Februar 1974 begehrt wird.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die Beklagte verurteilt, die Zeit der Verschleppung vollständig als Ersatzzeit anzurechnen, soweit sie nicht mit Beitrags- oder diesen nach dem Fremdrentengesetz (FRG) gleichgestellten Beschäftigungszeiten belegt ist.
§ 1251 Abs 1 Nr 2 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) bestimmt, daß für die Erfüllung der Wartezeit (und damit nach §§ 1255a, 1258 RVO auch für die Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage und der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre, also für die Höhe der Rente) als Ersatzzeiten angerechnet werden Zeiten der Verschleppung, wenn der Versicherte Heimkehrer im Sinne des § 1 HkG vom 19. Juni 1950 (BGBl 221) ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.
Die Klägerin ist Heimkehrerin im Sinne des HkG: als Heimkehrer gelten Deutsche, die ua wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen in ein ausländisches Staatsgebiet verschleppt waren, nach dem 8. Mai 1945 entlassen wurden und innerhalb von zwei Monaten nach der Entlassung im Bundesgebiet Aufenthalt genommen haben (§ 1 Abs 3 HkG idF des Gesetzes vom 17. August 1953, BGBl I 931). Der Begriff der Verschleppung ist in Nr 17 der Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des HkG idF vom 24. Januar 1956 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr 21) definiert: "Als verschleppt gilt, wer gegen seinen Willen in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht worden ist und an seiner Rückkehr gehindert war". Diese Begriffsbestimmung gilt auch für § 1251 Abs 1 Nr 2 (Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Aufl, Anm 10 zu § 1251 RVO; Zweng/Scheerer, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl, Anm B II 2 zu § 1251 RVO).
In der Heimkehrerbescheinigung der Klägerin ist festgestellt, daß diese Heimkehrer ist und von Sommer 1945 bis 23. Februar 1974 verschleppt war. Diese in der Heimkehrerbescheinigung enthaltenen Feststellungen mögen zwar für den Rentenversicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht bindend sein (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 45 und Urteil vom 30. Juni 1971 - 12/11 RA 8/70 - zu § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO; Koch/Hartmann, Das Angestelltenversicherungsgesetz, 2. und 3. Aufl, Anm B II 5.1 (Seite V 257/69) zu § 28 AVG; BVerwG, Buchholz 427.3 § 230 LAG Nr 92; MittLVA Oberfr 1979, 34, 36 "Verschleppung als Ersatzzeit"; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S 676 f, Stand: Juni 1966). Hier hat aber das Berufungsgericht sowohl die Heimkehrereigenschaft der Klägerin als auch den Tatbestand der Verschleppung in der angegebenen Zeit ausdrücklich festgestellt. Die Beklagte hat insoweit keine Revisionsrügen erhoben, geht vielmehr in der Revisionsbegründung selbst von der Richtigkeit dieser Feststellungen aus. Auch der Senat hat deshalb keine Bedenken, ihnen zu folgen.
Da nach Anerkennung der von Januar 1946 bis Oktober 1952 zurückgelegten Beitragszeiten (im Bescheid vom 4. Oktober 1974) und der Beschäftigungszeit von 1930 bis August 1943 (im Teilvergleich vom 21. Januar 1977) als Versicherungszeiten eine Versicherungszeit "vorher bestanden hat" (§ 1251 Abs 2 RVO), sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anrechnung der streitigen Zeit als Ersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO erfüllt.
Die Revision ist dagegen der Auffassung, bei § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO sei mit dem Inkrafttreten des FRG (1. Januar 1959) eine "nachträgliche, verdeckte Lücke" entstanden, die nach Sinn und Zweck der Ersatzzeitenregelung in der Weise geschlossen werden müsse, daß Verschleppten, die als Vertriebene während der Verschleppung Beitrags- und Beschäftigungszeiten zurücklegen konnten (§§ 15, 16 FRG), keine Ersatzzeiten anzurechnen seien. Das ist rechtsirrig. Zeiten der Verschleppung sind - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - auch dann als Ersatzzeiten anzurechnen, wenn der Versicherte während der Verschleppungszeit Beitrags- oder Beschäftigungszeiten (§§ 15, 16 FRG) hätte zurücklegen können, aber nicht zurückgelegt hat.
Der Revision ist allerdings zuzugeben, daß ein Versicherter, der sowohl Verschleppter (§ 1 HkG) als auch Vertriebener (§ 1 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG -) ist und während der Verschleppungszeit entweder eine Beitragszeit bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt hat oder in einer Weise beschäftigt war, die im Bundesgebiet die Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätte, nicht der besonderen Ersatzzeit der Verschleppung bedarf, da ihm für die Erfüllung der Wartezeit und die Berechnung der Rente Beitrags- oder Beschäftigungszeiten (§§ 15, 16 FRG) angerechnet werden. Für die anderen Fälle - der Verschleppte hat keine anrechnungsfähigen Beitrags- oder Beschäftigungszeiten zurückgelegt - mag es zwar zutreffen, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des ArVNG im Jahr 1957 (vor Inkrafttreten des FRG) angenommen hat, einem Verschleppten sei die Entrichtung von Beiträgen oder der Erwerb von Beschäftigungszeiten, die bei der deutschen Rente berücksichtigt werden, in aller Regel nicht möglich. Daß dies jedoch unter der Herrschaft des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (BGBl I 848) - FAG - unmöglich gewesen sei, wie die Revision meint, trifft nicht zu, denn nach § 1 Abs 2 Nr 2 FAG hatten Personen, die in einer gesetzlichen Rentenversicherung bei einem nichtdeutschen Versicherungsträger versichert waren, Deutsche im Sinne des Art 116 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) waren und im Zusammenhang mit den Ereignissen des zweiten Weltkrieges ihren Wohnsitz infolge Vertreibung, insbesondere Flucht, Ausweisung, Umsiedlung oder Aussiedlung verloren hatten, Anspruch auf Rentenversicherungsleistungen im Bundesgebiet (vgl BSGE 6, 263).
Aber auch wenn berücksichtigt wird, daß die Einbeziehung fremder Zeiten in die deutsche Rentenversicherung durch das FRG eine neue Grundlage erhalten hat, wobei die Anrechnung fremder Beitragszeiten wesentlich erleichtert, diejenige fremder Beschäftigungszeiten überhaupt erst ermöglicht wurde, kann § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO nicht als seit dem Inkrafttreten des FRG obsolet angesehen werden.
Mit dem Hinweis auf eine Gesetzeslücke und auf frühere Urteile des Senats (SozR Nrn 44 und 58 zu § 1251 RVO; vgl auch das Urteil des 12. Senats in SozR Nr 69 zu § 1251 RVO) will die Revision erreichen, daß der Senat, wohl im Wege der "teleologischen Reduktion" (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl, S 377), das Recht fortbildet und § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO in einem engeren Sinn anwendet, als dies der Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigt hatte (zur Rechtsfortbildung durch die Gerichte vgl zB Krey, Zur Problematik richterlicher Rechtsfortbildung contra legem, JZ 1978, 361, 428 und 465, und Wertenbruch, Rechtsbindung und Gerichtskontrolle, ZfS 1979, 1). Eine Gesetzeslücke, sei sie offen oder verdeckt, anfänglich oder nachträglich, liegt indessen nur dann vor, wenn eine "planwidrige" Unvollständigkeit des Gesetzes gegeben ist, nicht auch dann, wenn dieses (nur) rechtspolitisch fehlerhaft ist (Larenz, aaO, Seite 358). Die Regelung des § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO ist jedoch auch bei Versicherten, die als Verschleppte und zugleich Vertriebene die Möglichkeit hatten, im Verschleppungsgebiet einer (quasi) versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen, nicht "planwidrig".
Der Gesetzgeber, der den § 1251 RVO nach dem Inkrafttreten des FRG mehrmals, zum Teil sehr erheblich, geändert hat, hat keine Veranlassung gesehen, die Nr 2 des Abs 1 aufzuheben oder im Sinne der Beklagten einzuschränken. Diese Vorschrift ist auch weiterhin sinnvoll und notwendig. Dabei mag dahinstehen, ob der Kreis der Verschleppten, die nicht zugleich Vertriebene sind und deshalb nur durch Zubilligung einer Ersatzzeit rentenversicherungsrechtlich geschützt werden können, sehr groß ist. Jedenfalls muß aber an die sicherlich recht große Zahl von Personen gedacht werden, die während der Verschleppung, insbesondere wegen der Unterbringung in Lagern, weder Beitrags- noch Beschäftigungszeiten zurücklegen konnten.
Im übrigen gehörte es zum "Plan" des Gesetzgebers, die Anrechnung von Ersatzzeiten im Sinne einer "generalisierenden Regelung" für die "Massenverwaltung" der Sozialversicherung (BSGE 36, 16, 21) vorzuschreiben, und zwar unter der Annahme einer tatsächlichen Unmöglichkeit der Beitragsleistung, aber unabhängig davon, ob der Versicherte im Einzelfall während dieser Zeit beschäftigt war oder nicht. Dies erscheint verständlich, weil die wirklichen Gründe für die Nichtbeschäftigung häufig nur schwer zu klären gewesen wären, das Vorliegen von "triftigen" Gründen indessen dem Versicherten nicht hätte nachteilig sein dürfen (vgl dazu Zweng/Scheerer aaO Anm A II zu § 1251 RVO; Verbandskommentar, 6. Aufl, Stand: 1. Januar 1978, Anm 2 zu § 1251 RVO). Der Umstand, daß ein Versicherter während der Ersatzzeit eine - ihm an sich möglich gewesene - Beschäftigung tatsächlich nicht ausgeübt hat, ist daher kein Hindernis für die Anrechnung der Ersatzzeit.
Eine andere Regelung ist auch nicht mit Rücksicht auf die Interessen der Versichertengemeinschaft geboten. Denn durch das Nichtbeschäftigtsein des Versicherten und die deswegen erforderlich werdende Anrechnung einer - nicht durch Beitragszeiten verdrängten - Ersatzzeit wird die Versichertengemeinschaft nicht belastet; wäre der Versicherte beschäftigt gewesen, so müßte ihm eine Beitragszeit angerechnet werden, die sich in der Auswirkung auf die Rentenhöhe nicht wesentlich von der Ersatzzeit unterscheidet und - in den Fällen der §§ 15, 16 FRG - bei dem bundesdeutschen Versicherungsträger genau so wenig wie diese durch Beiträge ausgeglichen wird.
Schließlich spricht gegen eine planwidrige Lücke bei § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO, daß der Gesetzgeber bei der Regelung der Ersatzzeiten allgemein mit der Möglichkeit der versicherungspflichtigen Beschäftigung und Beitragsentrichtung eines Versicherten während eines Ersatzzeittatbestandes gerechnet haben muß; denn bei einigen der Fälle des § 1251 Abs 1 RVO liegt das Nebeneinander von Ersatzzeittatbestand und Beschäftigung besonders nahe, zB bei der Verhinderung der Rückkehr aus dem Ausland nach Nr 3, dem verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt der Nr 4 und der pauschalen Ersatzzeit der Nr 6 (zu Nr 1 vgl die Beispiele in SozR Nr 2 zu § 3 HwVG und BSG 44, 218 = SozR 2200 § 1251 Nr 34). Die Möglichkeit der Anrechnung einer - subsidiären - Ersatzzeit verhindert auf jeden Fall die Entstehung von Lücken während dieser versicherungsrechtlich als schutzwürdig angesehenen Ersatzzeittatbestände.
§ 1251 Abs 1 Nr 2 RVO verstößt auch nicht etwa dadurch gegen den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz (Art 3 Abs 1 GG), daß er, wie die Revision meint, Hausfrauen mit Vertriebenenausweis, die freiwillig auf eine Beschäftigung verzichtet haben, auf Kosten der Versichertengemeinschaft eine Versicherungszeit zubilligt, wahrend im Bundesgebiet in diesem Falle derartige Vorteile nicht eingeräumt werden. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber den Spielraum, den ihm das GG bei der Normierung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anrechnung einer Verschleppungszeit als Ersatzzeit gewährt, nicht überschritten, zumal die Gewährung von Ersatzzeiten nicht in erster Linie auf dem Versicherungsprinzip, also der Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen, sondern auf dem Gedanken des an sich versicherungsfremden Ausgleichs von Sonderopfern (hier Verschleppung) beruht, die zudem durch den Bundeszuschuß aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden.
Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen