Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der ordnungsmäßigen Besetzung eines Senats vor und nach der Zurruhesetzung des erkrankten Vorsitzenden.
Normenkette
SGG § 34 Fassung: 1953-09-03, § 36 S. 2 Fassung: 1953-09-03; GVG § 62; SGG § 25 Fassung: 1953-09-03; GVG § 66
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Oktober 1956 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger bezog wegen der Folgen von Schädigungen im ersten Weltkrieg seit vielen Jahren die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - seit 1. Oktober 1950 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) -. Nach einer versorgungsärztlichen Nachuntersuchung im März 1952 stellte das Versorgungsamt G mit Bescheid vom 19. April 1952 die Rente mit Wirkung vom 1.Juni 1952 an neu fest. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) wurde mit 70 v.H. bewertet, die Leiden wurden anders bezeichnet; den Einspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wies der Beschwerdeausschuß zurück. Der Kläger legte Berufung ein, diese ging als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Münster über; er begehrte, auch einen bei ihm bestehenden postencephalitischen Parkinsonismus als Schädigungsfolge festzustellen und ihm weiterhin die Vollrente zu gewähren. Das SG. wies durch Urteil vom 13. Juli 1954 die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen wies durch Urteil vom 26. Oktober 1956 die Berufung zurück, die Revision ließ es nicht zu. In der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 1956, auf die hin das Urteil erging, hatten Landessozialgerichtsrat Dr. W als Vorsitzender, zwei weitere Landessozialgerichtsräte als weitere Berufsrichter und zwei Landessozialrichter mitgewirkt, das Urteil wurde von den drei Berufsrichtern unterzeichnet, es wurde dem Kläger am 28. November 1956 zugestellt.
Am 3. Dezember 1956 legte der Kläger Revision ein, er beantragte,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückzuweisen.
Nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis 28. Februar 1957 verlängert worden war, begründete der Kläger die Revision am 27. Februar 1957. Er rügte, der erkennende VIII. Senat des LSG. sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, dadurch seien die §§ 34 Abs. 1, 36 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit den §§ 25 Abs. 2, 202 SGG, §§ 62, 66, 117 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt; der ordentliche Vorsitzende des VIII. Senats sei Senatspräsident Prof. Dr. P gewesen, dieser habe seit Spätherbst 1955 den Vorsitz nicht mehr geführt und sei auf 1. Oktober 1956 in den Ruhestand versetzt worden; den Vorsitz im VIII. Senat habe seit Spätherbst 1955 Landessozialgerichtsrat Dr. W geführt, er führe ihn auch noch nach dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1957, ein neuer Senatspräsident sei als Vorsitzender bisher (Februar 1957) nicht bestellt worden. Sonach sei die Vertretung des Senatspräsidenten im Vorsitz durch Landessozialgerichtsrat Dr. W nicht nur eine vorübergehende gewesen, sie sei vielmehr zu einer Dauereinrichtung geworden. Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich nur um eine verhältnismäßig kurzfristige und damit vorübergehende Vertretung oder um einen Dauerzustand handle, sei die zeitliche Dauer der Verhinderung des ordentlichen Senatsvorsitzenden sowohl vor als auch nach dem Erlaß des in Rede stehenden Urteils zu berücksichtigen. Im vorliegenden Falle habe der außergewöhnliche Zustand bei Erlaß des angefochtenen Urteils (26. Oktober 1956) schon etwa ein Jahr bestanden, er habe auch nach dem Ausscheiden des ordentlichen Vorsitzenden (1. Oktober 1956) noch fortbestanden und bestehe nach dem Geschäftsverteilungsplan weiterhin für das Jahr 1957; damit sei die Grenze, bis zu der noch von einer "vorübergehenden" Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden gesprochen werden könne, überschritten, um so mehr, als das Ausscheiden des ordentlichen Vorsitzenden zum 1. Oktober 1956 offenbar voraussehbar gewesen sei und die Verwaltung dem hätte rechtzeitig Rechnung tragen können; auch das Präsidium des LSG. habe diesen Zustand nicht zulassen dürfen, sondern nach § 25 Abs. 2 in Verbindung mit § 36 SGG verfahren müssen.
Der Beklagte beantragte,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Der Senat holte eine dienstliche Äußerung des Präsidenten des LSG. Nordrhein-Westfalen ein. Danach war Senatspräsident Prof. Dr. P, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für 1955 Vorsitzender des II. Senats war, am 22. November 1955 erkrankt, am 19. Dezember 1955 beantragte er aus gesundheitlichen Gründen seine Versetzung in den Ruhestand. Dieses Gesuch wurde, nachdem ein ärztliches Gutachten die dauernde Dienstunfähigkeit bescheinigt hatte, am 16. Februar 1956 vom Präsidenten des LSG. dem Arbeits- und Sozialminister befürwortend vorgelegt, die Urkunde über die Versetzung in den Ruhestand wurde Prof. Dr. P am 11. Juni 1956 ausgehändigt, der Eintritt in den Ruhestand erfolgte nach dem Landesbeamtengesetz für Nordrhein-Westfalen mit Ablauf des Monats September 1956. Nach dem Geschäftsverteilungsplan für das Kalenderjahr 1956 war Prof. Dr. P der Vorsitz des VIII. (Plan-) Senats übertragen, der Vorsitzende wurde nach diesem Plan von dem jeweils dienstältesten Berufsrichter vertreten, dies war der damalige Landessozialgerichtsrat Dr. W, der auch den Vorsitz in der Verhandlung vom 26. Oktober 1956 hatte. Bei der Verteilung der Geschäfte für das Kalenderjahr 1957 wurde die Stelle des Vorsitzenden des VIII. Senats nicht besetzt und die bisherige Vertretungsregelung beibehalten; nach dem Bericht des Präsidenten war die Ernennung dreier weiterer Senatspräsidenten zu erwarten, da für das Rechnungsjahr 1956 (1. April 1956 bis zum 31. März 1957) zwei weitere Präsidentenstellen bewilligt worden waren; Ende Mai 1957 wurden zwei Landessozialgerichtsräte zu Senatspräsidenten ernannt, der Vorsitz im VIII. Senat wurde mit Wirkung vom 1. Juli 1957 im Wege einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans einem der neu ernannten Senatspräsidenten übertragen.
Der Senat zog weiter die Akten in der Revisionssache 8 RV 575/57 bei; aus ihnen ergab sich noch, daß die Urkunde über die Versetzung von Prof. Dr. P in den Ruhestand vom 23. Mai 1956 datierte; in dieser Sache lagen ferner die Geschäftsverteilungspläne des LSG. für 1956 und 1957 vor, der Geschäftsverteilungsplan für 1956 datierte vom 21. Dezember 1955 mit Änderungen durch das Präsidium vom 3. August 1956 und vom 2. November 1956; der Geschäftsverteilungsplan für 1957 datierte vom 18. Dezember 1956.
II.
1. Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ist die Revision nicht statthaft; das LSG. hat festgestellt, es sei nicht wahrscheinlich, daß der postencephalitische Parkinsonismus, den der Kläger als weitere Schädigungsfolge anerkannt haben will, mit dem Wehrdienst ursächlich zusammenhänge. Die Revision ist deshalb nur statthaft, wenn mit Erfolg gerügt wird, das Urteil des LSG. leide an einem wesentlichen Mangel des Verfahrens (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die Rüge des Klägers trifft jedoch nicht zu.
2. Der Geschäftsverteilungsplan eines LSG., bei dessen Aufstellung gegen § 34 Abs. 1 SGG verstoßen ist, ist gesetzwidrig und ein Senat, für den ein ordentlicher Vorsitzender im Sinne von § 34 Abs. 1 SGG nicht bestellt worden ist oder der nicht nur vorübergehend von dem bestellten ordentlichen Vorsitzenden nicht geführt worden ist, ist nicht vorschriftsmäßig besetzt (BSG. Urteil vom 19.2.1959, SozR. Nr. 2 zu § 34 SGG mit weiteren Hinweisen); die Gesetzmäßigkeit der Aufstellung des Geschäftsverteilungsplanes unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (Schorn, Die Präsidialverfassung der Gerichte aller Rechtswege, S. 120 und 150; RGSt. 37 S. 59; RGZ. 119, S. 287 ff., BSG. a.a.O.). Der VIII. Senat des LSG. ist jedoch in der Sitzung am 26. Oktober 1956 vorschriftsmäßig besetzt gewesen.
In tatsächlicher Hinsicht geht die Revision zunächst zu Unrecht davon aus, Senatspräsident Prof. Dr. P sei auch im Jahre 1955 der ordentliche Vorsitzende des VIII. Senats gewesen; dies ist nach der Äußerung des Präsidenten des LSG. nicht richtig, im Jahre 1955 hat Prof. Dr. P den Vorsitz im II. Senat geführt. Zum Vorsitzenden des VIII. Senats ist Prof. Dr. P durch den Geschäftsverteilungsplan vom 21. Dezember 1955 erstmals für das Kalenderjahr 1956 bestimmt worden, gleichzeitig ist der damalige Landessozialgerichtsrat Dr. W zu seinem Vertreter bestellt worden. Diese Regelung hat dem § 34 Abs. 1 SGG entsprochen, wonach den Vorsitz im Senat, wenn der Senat nicht vom Präsidenten des Gerichts geführt wird, ein Senatspräsident zu führen hat.
Insoweit liegt der Sachverhalt hier anders als in dem Fall, den der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG.) am 19. Februar 1959 entschieden hat (SozR. Nr. 2 zu § 34 SGG); in jenem Fall hat es sich - bei dem gleichen VIII. Senat des LSG. Nordrhein-Westfalen - darum gehandelt, daß im Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1957 die Stelle des Vorsitzenden "namenlos" geführt worden ist, ein ordentlicher Vorsitzender also überhaupt nicht vorhanden und deshalb der Senat nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen ist. Man kann auch nicht sagen, die Sach- und Rechtslage sei hier deshalb dieselbe wie in jenem Fall, weil Prof. Dr. P schon im Kalenderjahr 1956 den Senat nicht mehr geführt habe. Durch § 34 Abs. 1 SGG soll - ebenso wie durch § 62 Abs. 1 GVG - sichergestellt werden, daß die Senate von Richtern geführt werden, die vermöge ihrer besonderen Auswahl die Güte und Einheitlichkeit der Rechtsprechung des Senats, dem sie vorsitzen, in besonderem Maße gewährleisten; dies kann nur erreicht werden, wenn der Präsident des Gerichts, falls er Vorsitzender eines Senats ist, oder der zum Senatsvorsitzenden bestellte Senatspräsident die Führung bei der richterlichen Tätigkeit des Senats auch tatsächlich in einem Umfang ausübt, der einen richtunggebenden Einfluß auf die Rechtsprechung des Senats zuläßt (BGHZ. Bd. 16 S. 256 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des RG.). Das schließt auch bei den Landessozialgerichten nicht aus, daß der Vorsitzende, wenn er verhindert ist, zeitweilig durch einen Landessozialgerichtsrat vertreten wird, dies darf jedoch immer nur vorübergehend und aushilfsweise, also nicht dauernd oder für eine unbestimmte und unabsehbare Zeit geschehen, es müssen mindestens Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Verhinderung des Vorsitzenden und damit seine Stellvertretung durch den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertreter nur vorübergehend sein werde (BGH. Bd. 10 S. 133, 134 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des RG.); dem Gesetz ist auch nicht schon dadurch Genüge geschehen, daß allein nach dem Geschäftsverteilungsplan der Vorsitz einem Senatspräsidenten übertragen ist, sofern sich aus den Umständen des Einzelfalles ergibt, daß der Senatspräsident einen richtunggebenden Einfluß auf die Arbeit des Senats nicht nehmen kann. Der Geschäftsverteilungsplan des LSG. für 1956 wäre sonach auch dann gesetzwidrig, wenn schon bei der Geschäftsverteilung für 1956 erkennbar gewesen wäre, daß das Präsidium den Vorsitz im VIII. Senat für das Kalenderjahr 1956 dem damaligen Landessozialgerichtsrat Dr. W übertragen wollte, daß es also schon damals davon ausging oder möglicherweise davon ausgehen mußte, daß für das Jahr 1956 ein Senatspräsident zur Führung des Vorsitzes in diesem Senat nicht verfügbar sei, sei es weil anzunehmen war, der zum Vorsitzenden bestimmte Prof. Dr. P werde infolge seiner Krankheit zur Führung des Senats während des ganzen Jahres nicht in der Lage sein, sei es weil mit der Ernennung eines anderen Senatspräsidenten im Laufe dieses Jahres nicht hat gerechnet werden können. Weder das eine noch das andere ist aber der Fall gewesen. Aus der Tatsache, daß Prof. Dr. P seit Ende November 1955 krank gewesen ist und daß er zwei Tage vor dem 21. Dezember 1955, an dem das Präsidium den Geschäftsverteilungsplan für 1956 beschlossen hat, krankheitshalber seine Versetzung in den Ruhestand beantragt hat, hat sich zunächst nur ergeben, daß er zur Zeit seiner Bestellung zum Vorsitzenden des VIII. Senats an der Führung des Vorsitzes im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 SGG "verhindert" gewesen ist. Als Verhinderung im Sinne dieser Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts zu der entsprechenden Vorschrift des § 66 GVG jede tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit zu verstehen, in der erforderlichen Weise tätig zu werden (RGSt. Bd. 62 S. 273 mit Hinweisen), insbesondere auch die Unmöglichkeit, die durch Krankheit bedingt ist. Über die Dauer der Verhinderung hat sich bei der Beschlußfassung über den Geschäftsverteilungsplan für 1956 jedoch noch nichts sagen lassen, auch dann noch nicht, als zu Anfang des Jahres 1956 das ärztliche Zeugnis eingegangen ist, in dem die dauernde Dienstunfähigkeit bestätigt worden ist; das Präsidium des LSG. hat bei der Bestellung von Prof. Dr. P zum Vorsitzenden nicht wissen können, ob und wann dessen Antrag auf Zurruhesetzung entsprochen wird, es hat davon ausgehen dürfen, daß im Verlauf einiger Monate über diesen Antrag entschieden sein werde, solange diese Entscheidung noch nicht vorgelegen hat, hat es Prof. Dr. P nicht als dauernd verhindert ansehen müssen; auch die etatsmäßigen Grundsätze über die Stellenzahl verbietet es, eine Stelle zu besetzen, solange sie noch der in den Ruhestand tretende bisherige Stelleninhaber inne hat; wenn der damalige Landessozialgerichtsrat Dr. W als der nach dem Geschäftsverteilungsplan bestimmte Vertreter in dieser Zeit die Geschäfte des Vorsitzenden geführt hat, so ist dies eine vorübergehende und deshalb zulässige Vertretung gewesen; der Fall liegt anders als in den wiederholt vom Reichsgericht (RG.) und Bundesgerichtshof (BGH.) entschiedenen Fällen, in denen ein Senatspräsident nach dem Geschäftsverteilungsplan den Vorsitz in mehreren Senaten gehabt, sich aber von vornherein für einen dieser Senate für "verhindert" erklärt oder tatsächlich auf die Geschäftsführung eines dieser Senate keinen richtunggebenden Einfluß ausgeübt hat (vgl. z.B. RGZ. 119 S. 288 ff.; 127 S. 100 ff.; 132 S. 301 ff.; RG. NJW. 1928 S. 1302 Nr. 20; RGSt. 55 S. 236; 56 S. 157) und deshalb auch von vornherein festgestanden hat, daß der Vorsitz während des ganzen Geschäftsjahres von dem bestellten "Vertreter" zu führen gewesen ist. Zwar hat auch Senatspräsident Prof. Dr. P infolge seiner Krankheit im Jahre 1956 keinen richtunggebenden Einfluß auf die Geschäfte des VIII. Senats des LSG. ausüben können; es liegt aber im Wesen jeder Krankheit, daß sie zu einer gewissen Unsicherheit über die Dauer der Verhinderung führt, sei es weil nach menschlicher Voraussicht mit einer Wiederherstellung des Erkrankten in absehbarer Zeit zu rechnen ist (BGHZ. 16 S. 256), sei es weil vielfach erst nach einer gewissen Dauer der Erkrankung festzustellen ist, daß mit einer Wiederherstellung nicht zu rechnen ist und es deshalb - bei einem Beamten oder Richter - zum Ausscheiden aus dem Dienst kommt. Solange diese Unsicherheit über die Dauer der Verhinderung besteht, handelt es sich jedenfalls um eine vorübergehende Verhinderung. Diese Unsicherheit ist im vorliegenden Falle erst mit der Aushändigung der Urkunde über die Versetzung in den Ruhestand an Prof. Dr. P am 11. Juni 1956 beseitig gewesen, daraus hat sich ergeben, daß Prof. Dr. P am 30 September 1956 in den Ruhestand treten, daß er also von diesem Zeitpunkt an dauernd verhindert sein werde und daß ein Wechsel in der Person des Vorsitzenden eintreten werde. Auch die Dauernde Verhinderung im Sinne der §§ 36 Satz 2, 25 Abs. 2 SGG, die einen Wechsel in der Person des Vorsitzenden notwendig macht, ist aber ein Fall der Verhinderung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 SGG, auch dieser Fall hat zunächst zur Folge, daß an Stelle des ordentlichen Vorsitzenden der im Geschäftsverteilungsplan vorgesehene Vertreter die Geschäfte des Vorsitzenden zu führen hat. Von einer "Verhinderung" im Sinne des § 34 Abs. 1 SGG kann nach dem verkehrsüblichen Sinn, von dem auch bei der Auslegung von § 34 Abs. 1 SGG auszugehen ist (vgl. RGSt. 62 S. 273; RG. in Leipziger Zeitschrift 1915 S. 138 Nr. 15 - in beiden Fällen zu den §§ 62, 66 GVG), während einer gewissen Zeit auch dann noch gesprochen werden, wenn die Stelle, die durch das Ausscheiden des Vorsitzenden frei geworden ist, nicht sofort neu besetzt wird; es muß sogar angenommen werden, daß der Gesetzgeber gerade auch solche Fälle im Auge gehabt hat, er hat die Gewähr dafür schaffen wollen, daß beim Ausscheiden des Vorsitzenden infolge seiner Zurruhesetzung oder seines Todes nicht eine "mit einer geordneten Rechtspflege unvereinbare Stockung der Geschäfte eines Gerichts" eintritt, daß die Stetigkeit der Rechtsprechung des Senats und die Fortführung der laufenden Geschäfte gesichert ist (RG. Leipziger Zeitschrift a.a.O.). Das Präsidium des LSG. hat zwar vom 11. Juni 1956 an nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGG die Möglichkeit gehabt, den Geschäftsverteilungsplan 1956 wegen der dauernden Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden des VIII. Senats vom 1. Oktober 1956 an für den Rest des Kalenderjahres zu ändern, es hat aber nicht gegen eine zwingende Vorschrift verstoßen, wenn es dies nicht getan hat; der VIII. Senat des LSG. ist während des letzten Kalendervierteljahres 1956 nicht schon deshalb nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil er in dieser Zeit nicht von einem Senatspräsidenten, sondern von einem Landessozialgerichtsrat geführt worden ist. Für die Beurteilung der Frage, ob der Senat ordnungsmäßig besetzt gewesen ist, kommt es im vorliegenden Falle auf die Besetzung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an, auf die das angefochtene Urteil ergangen ist (BGH. 10 S. 131), also auf die Besetzung am 26. Oktober 1956. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Tatsache, daß die zum 30. September 1956 frei gewordene Stelle des Vorsitzenden des VIII. Senats erst zum 1. Juli 1957 wieder mit einem Senatspräsidenten besetzt worden ist und daß die Regelung in dem Geschäftsverteilungsplan für 1957 - wie der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der Auffassung, die der 8. Senat des BSG. in dem Urteil vom 19. Februar 1959 vertreten hat, annimmt - gesetzwidrig gewesen ist, für die Beurteilung dieser Frage überhaupt herangezogen werden darf (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Anm. 1 zu § 34 SGG). Jedenfalls hat das Präsidium des LSG. davon ausgehen dürfen, daß es sich bei der Führung des Vorsitzes im VIII. Senat durch Landessozialgerichtsrat Dr. W während des letzten Kalendervierteljahres 1956 um einen vorübergehenden Zustand handle und daß das zuständige Ministerium die frei gewordene Stelle demnächst wieder mit einem Senatspräsidenten besetzen werde; insoweit muß auch die Verwaltung, die für die Neubesetzung der Stelle verantwortlich ist, eine gewisse "Beweglichkeit" haben (vgl. hierzu auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.3.1959, NJW. = MdR. 1959 S. 363, 1959 S. 871 f.), auch die Verwaltung muß einen "Spielraum" für ihre personelle Entscheidung haben; dabei können zeitlich begrenzte besondere Umstände eine Rolle spielen; es kann sein, daß die Verwaltung neue oder frei gewordene Richterstellen zeitweise nicht so schnell besetzen kann wie zu anderen Zeiten (BGH. 12 S. 1 ff. (5)); die Verwaltung darf allerdings nicht aus sachfremden - etwa aus finanziellen - Erwägungen die Neubesetzung frei gewordener Stelle verzögern. Nach der dienstlichen Äußerung des Präsidenten des LSG. hat der Senat keine Bedenken anzunehmen, daß jedenfalls auch solche Besetzungsschwierigkeiten beim Aufbau der Sozialgerichtsbarkeit innerhalb der ersten zwei bis drei Jahre nach dem Inkrafttreten des SGG (1.4.1954) dazu geführt haben, daß sich die Wiederbesetzung der frei gewordenen Stelle des Vorsitzenden des VIII. Senats durch das Ministerium verzögert hat. Die Verzögerung der Wiederbesetzung ist im vorliegenden Falle allerdings so erheblich gewesen - sie hat vom Ausscheiden des früheren Senatspräsidenten an neun Monate gedauert -, daß sie an der Grenze dessen liegt, was im Rahmen einer geordneten Personalverwaltung und Rechtspflege noch verantwortet werden kann, zumal zu berücksichtigen ist, daß das Ministerium spätestens von der Ausstellung der Urkunde über die Zurruhesetzung des Senatspräsidenten Prof. Dr. P, also schon von Mai 1956 an auf die baldige Wiederbesetzung der Stelle hat bedacht sein müssen. Es liegen indessen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das Präsidium des LSG. schon im Jahre 1956 hat damit rechnen müssen, daß sich die Neubesetzung noch bis zum 1. Juli 1957 verzögern werde, das Präsidium hat nicht davon ausgehen müssen, daß das zuständige Ministerium die Besetzung der vorhandenen frei gewordenen Stellen mit der Auswahl und Ernennung der Senatspräsidenten für die beiden neu geschaffenen Senatspräsidentenstellen verbinden werde, es ist - in Übereinstimmung mit den Grundsätzen, die auch der BGH. im Anschluß an die Rechtsprechung des RG. entwickelt hat (vgl. BGH. 16 S. 257 ff. mit weiteren Hinweisen) - zu Recht davon ausgegangen, daß jedenfalls bis zum Ende des laufenden Geschäftsjahres, also noch für die Zeit vom 1. Oktober 1956 bis zum 31. Dezember 1956 ein Fall der Verhinderung des Vorsitzenden im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 vorliege; das Präsidium ist nicht verpflichtet gewesen, den Geschäftsverteilungsplan 1956 nach §§ 36 Satz 2, 25 Abs. 2 SGG wegen der dauernden Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden schon ab 1. Oktober 1956 zu ändern.
Da sonach die Revision nicht statthaft ist, ist sie als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2325691 |
BSGE, 195 |