Leitsatz (amtlich)
Für Streitigkeiten über Ansprüche nach G 131 § 66 sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Witwe, deren erster Ehemann als Berufsoffizier gestorben ist, kann nach der im Jahre 1953 erfolgten Auflösung ihrer im Jahre 1948 geschlossenen zweiten Ehe Versorgung aus Anlaß des Todes ihres ersten Mannes nicht erhalten.
Versorgung von Hinterbliebenen iS des G 131 § 66 ist nur nach den Vorschriften des BVG möglich; der Anspruch auf Witwenrente nach BVG § 38 erlischt mit der Wiederverheiratung und lebt mit der Auflösung der neuen Ehe nicht wieder auf.
2. Witwenbeihilfe nach BVG § 44 kann nicht gewährt werden, da diese Vorschrift in der erschöpfenden Aufzählung des G 131 § 66 nicht enthalten ist.
Normenkette
G131 § 66; SGG § 51 Fassung: 1953-09-03; BVG § 44 Fassung: 1956-06-06, § 38 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 26. Oktober 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der erste Ehemann der Klägerin, H M., war Berufsoffizier in der früheren Wehrmacht. Am 5. März 1937 starb er; sein Tod stand nicht im ursächlichen Zusammenhang mit Einflüssen des Wehrdienstes. Das Reichskriegsministerium bewilligte der Klägerin und ihren Kindern durch Bescheid vom 5. Juli 1937 nach § 77 des Wehrmachtversorgungsgesetzes Versorgung in Höhe von zwei Dritteln der gesetzlichen Hinterbliebenenrente. Diese Versorgung wurde bis Mai 1945 gewährt. Am 19. Juni 1948 ging die Klägerin eine neue Ehe ein; diese Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Kiel vom 22. Oktober 1953 aus Verschulden des Ehemannes aufgehoben.
Am 30. November 1953 beantragte die Klägerin Witwenbezüge nach § 66 des Gesetzes zu Art. 131 Grundgesetz (GG). Das Versorgungsamt Kiel, das nach dem Erlaß des Finanzministers des Landes Schleswig-Holstein vom 12. Februar 1954 die Versorgung nach § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG durchzuführen hatte, lehnte den Antrag durch Bescheid vom 15. Januar 1955 ab, weil die Klägerin wieder geheiratet habe und die Witwenrente nach Aufhebung der neuen Ehe nicht wieder gewährt werden könne. Den Widerspruch wies das Landesversorgungsamt durch Bescheid vom 8. Juli 1955 zurück. Das Sozialgericht (SG.) Schleswig wies die Klage durch Urteil vom 28. November 1955 ab. Die Klägerin legte Berufung beim Landessozialgericht (LSG.) Schleswig ein. Sie machte in erster Linie geltend, nicht die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit seien für Streitfälle der vorliegenden Art zuständig, sondern die allgemeinen Verwaltungsgerichte; ihr Anspruch auf Witwenrente sei durch die Aufhebung der Ehe wieder aufgelebt. Das LSG. wies die Berufung durch Urteil vom 26. Oktober 1956 zurück: Der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei gegeben, es handele sich um eine Angelegenheit der Kriegsopferversorgung im Sinne von § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG ergänze das Bundesversorgungsgesetz (BVG), er leite Ansprüche nach den früheren Militärversorgungsgesetzen in Ansprüche nach dem BVG über; die Ansprüche des von § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG erfaßten Personenkreises richteten sich nicht nach diesem Gesetz, sondern nach dem BVG; danach sei der Anspruch der Klägerin aber nicht begründet; nach § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG könne sie nur Bezüge nach den §§ 39 bis 42 BVG erhalten; der Anspruch auf Witwenrente nach § 39 BVG erlösche bei der Wiederverheiratung und lebe bei Aufhebung oder Scheidung der neuen Ehe nicht wieder auf. Ansprüche nach dem Bundesbeamtengesetz (BBG) kämen nicht in Betracht; ausgeschlossen seien auch Ansprüche aus § 44 BVG, da § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG auf diese Vorschrift nicht verweise. Die Revision ließ das LSG. zu.
Das Urteil wurde der Klägerin am 16. Januar 1957 zugestellt. Am 18. Januar 1957 legte sie Revision ein und beantragte,
das Urteil des LSG. Schleswig vom 26. Oktober 1956 aufzuheben und die Sache an das Landesverwaltungsgericht in Schleswig zu verweisen.
Zugleich begründete sie die Revision: Das LSG. habe sich zu Unrecht für zuständig gehalten, es handele sich nicht um eine Angelegenheit der Kriegsopferversorgung; für Rechtsstreitigkeiten aus dem Gesetz zu Art. 131 GG seien die allgemeinen Verwaltungsgerichte zuständig; das LSG. habe deshalb den Rechtsstreit an das Landesverwaltungsgericht in Schleswig verweisen müssen; der Anspruch auf Witwenrente sei entgegen der Ansicht des LSG. nach § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG begründet.
Der Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Das LSG. hat die Revision zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), sie ist auch zulässig; sie ist aber nicht begründet.
1. Das LSG. hat mit Recht angenommen, daß für den vorliegenden Streit die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig sind. Diese Gerichte entscheiden nach § 51 SGG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung. Die Verwendung des allgemeinen Begriffs "Angelegenheiten" läßt erkennen, daß die Rechtsgebiete, die in § 51 SGG aufgeführt sind, in ihrer Gesamtheit in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fallen; entscheidend ist dabei der materiell-rechtliche Inhalt der einzelnen Rechtsgebiete; die "Angelegenheiten" im Sinne des § 51 SGG liegen deshalb nicht ein für alle Mal fest, ihr Umfang kann sich ändern, je nachdem, welche Aufgaben im materiell-rechtlichen Sinn den in § 51 genannten Gebieten im einzelnen zugewiesen oder entzogen werden. Angelegenheiten der von den Gesetzen über die Versorgung der Kriegsopfer erfaßten Personen - mit Ausnahme der Maßnahmen nach den §§ 25 bis 27 BVG (BSG. 2 S. 23 (27)) - und Angelegenheiten der den Kriegsopfern gleichgestellten Personen sind "Angelegenheiten" der Kriegsopferversorgung im Sinne des § 51 SGG. Auch der vorliegende Rechtsstreit betrifft eine Angelegenheit der Kriegsopferversorgung in diesem Sinne. Zwar gehört die Klägerin zu dem Personenkreis des § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG, ihr Anspruch richtet sich aber nach den Vorschriften des BVG; sie ist den Kriegsopfern gleichgestellt. Nach § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG erhalten Hinterbliebene von Berufssoldaten, deren Tod nicht infolge einer Dienstbeschädigung, aber während der Zugehörigkeit zur Wehrmacht eingetreten ist, Versorgung nach den §§ 36, 37, 39 bis 42, 45 bis 47 und 53 BVG, soweit sie am 8. Mai 1945 auf Grund früherer Gesetze Versorgung nach Maßgabe der Vorschriften des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) bezogen haben. Diese Vorschrift bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Personen, die nicht zu dem vom BVG erfaßten Personenkreis gehören, Ansprüche nach dem BVG geltend machen können; sie betrifft somit Ansprüche, die in den Bereich der Kriegsopferversorgung fallen. Dem steht nicht entgegen, daß die Vorschrift formell nicht im BVG, sondern im Gesetz zu Art. 131 GG - übrigens nur in den "Übergangs- und Schlußvorschriften" - enthalten ist, materiell ergänzt sie das BVG und erweitert den Kreis der Versorgungsberechtigten. Auch früher sind die Personen, um die es sich hier handelt, nach den Gesetzen über die Versorgung der Kriegsopfer versorgt worden, die Versorgungsdienststellen sind auch dafür zuständig gewesen. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn entsprechend der gemeinsamen Empfehlung des Bundesministers des Inneren und des Bundesministers der Finanzen vom 6. Februar 1953 (BVBl. 1953 S. 27) die Durchführung des § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG den Versorgungsämtern übertragen worden ist. Von ihnen ist über Anträge der in § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG bezeichneten Personen auf Versorgung nach dem BVG zu entscheiden; ihre Entscheidungen sind auf Klage von den Sozialgerichten nachzuprüfen; § 51 Abs. 1 SGG dient gerade dem Ziel, Streitigkeiten über Verwaltungsakte, die Kriegsopfer und ihnen gleichgestellte Personen betreffen, den Sozialgerichten als besonderen Verwaltungsgerichten zuzuweisen.
2. Der Anspruch der Klägerin ist jedoch nicht begründet. § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG ist eine Sondervorschrift für ehemalige Berufssoldaten und deren Hinterbliebene. Hinterbliebene von Berufssoldaten, deren Tod nicht durch Einflüsse des Wehrdienstes, jedoch während des Wehrdienstes eingetreten ist, erhalten Versorgung nach Maßgabe der in § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG ausdrücklich und erschöpfend aufgeführten Vorschriften des BVG. Danach gelten für die Versorgung der Witwe die §§ 39 bis 42 BVG. Der Anspruch auf Witwenrente nach § 39 BVG erlischt aber mit der Wiederverheiratung; er lebt, anders als der Anspruch auf Witwengeld nach § 164 Abs. 3 des BBG, mit der Auflösung der neuen Ehe nicht wieder auf. Nach § 44 Abs. 4 BVG kann zwar, wenn die neue Ehe geschieden oder aufgehoben wird, eine Beihilfe in Höhe von zwei Dritteln der Witwenrente gewährt werden, sofern nicht die Witwe die Scheidung oder Aufhebung der Ehe überwiegend oder allein verschuldet oder die Scheidung nach § 48 des Ehegesetzes verlangt hat und deshalb nach den eherechtlichen Vorschriften keinen Unterhaltsanspruch gegen den früheren Ehemann hat, diese Vorschrift ist jedoch in § 66 des Gesetzes zu Art. 131 GG nicht erwähnt; die Klägerin, deren neue Ehe ohne ihr Verschulden aufgehoben worden ist, kann daher auch nicht Versorgung nach § 44 BVG erhalten.
Die Revision ist daher nicht begründet; sie ist zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen