Entscheidungsstichwort (Thema)
Kurzfristige Ausübung der Hauertätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Auch die kurzfristige Ausübung der Hauertätigkeit von nur etwa 3 Wochen nach Ablegung der Hauerprüfung genügt grundsätzlich, um den Hauerberuf als Hauptberuf iS des RKG § 45 Abs 2 anzuerkennen, wenn dieser Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben werden mußte. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Hauptberuf von Anfang an auf Kosten der Gesundheit ausgeübt worden ist.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1972-10-16, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 08.04.1976; Aktenzeichen L 2 Kn 100/74) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 27.05.1974; Aktenzeichen S 2 Kn 53/73) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger vermindert bergmännisch berufsfähig im Sinne des § 45 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) ist und ihm deshalb die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG zu zahlen ist.
Der im Jahre 1921 geborene Kläger war im Bergbau vom 29. Oktober 1948 bis 7. Oktober 1949 als Gedingeschlepper, vom 8. Oktober 1949 bis 30. November 1949 als Schlepper im Schichtlohn, vom 1. Dezember 1949 bis 2. Juni 1951 als Tagesarbeiter, vom 4. Juni 1951 bis 30. April 1953 als Grubenlokführer, vom 1. Mai 1953 bis 30. April 1954 als Gedingeschlepper, vom 1. Mai 1954 bis 30. November 1955 als Lehrhauer tätig.
Am 26. November 1955 legte er die Hauerprüfung ab und arbeitete vom 1. Dezember bis zum 22. Dezember 1955 als Hauer. Vom 23. Dezember 1955 bis zum 13. August 1956 wurde er als Zimmerhauer eingesetzt, nachdem das Knappschaftskrankenhaus Gelsenkirchen am 23. Dezember 1955 der Zeche mitgeteilt hatte, der Kläger leide noch an den Folgen eines im Jahre 1949 erlittenen doppelten Unterarmbruchs rechts und könne nach dem Gesamtbefund nicht mit Preßluftarbeiten und schweren Hämmern beschäftigt werden, auch allzu schweres Heben sei nicht angezeigt, so daß gebeten werde, ihn entsprechend einzusetzen. Seit dem 16. August 1956 ist der Kläger nur noch außerhalb des Bergbaus tätig gewesen.
Den vom Kläger am 3. August 1972 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Dezember 1972 ab, weil Schlosserarbeiten im Innendienst und in der Werkstatt noch vollschichtig ausgeübt werden könnten.
Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 1973 zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Duisburg mit Urteil vom 27. Mai 1974 abgewiesen. Gegen das Urteil des SG hat der Kläger Berufung eingelegt und seinen Antrag auf die Gewährung von Bergmannsrente beschränkt. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 8. April 1976 die Entscheidung des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. September 1972 Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zu zahlen. Nach seiner Ansicht ist der Kläger vermindert bergmännisch berufsfähig. Er habe nach mehrjähriger Tätigkeit als Lehrhauer die Hauerprüfung abgelegt und sodann vom 1. bis zum 23. Dezember 1955 als Hauer gearbeitet und diese Tätigkeit schließlich aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Als Lehrhauer und als Hauer sei er mit körperlich gleich schweren Arbeiten beschäftigt worden. Auch wenn er die Arbeit als Lehrhauer und sodann als Hauer nur mit besonderer Anstrengung - zum Ausgleich der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen - habe ausüben können, so sei dennoch von dem Hauer als Hauptberuf auszugehen, weil er das angestrebte Berufsziel mit der Hauerprüfung erreicht, als Hauer gearbeitet und auch den Lohn eines Hauers erhalten habe. Wegen einer chronischen Emphysembronchitis könne er nicht mehr unter Tage tätig sein. Auch über Tage könne er nur noch leichte Arbeiten, unter Schutz vor gröberen Witterungseinflüssen oder in geschlossenen Räumen, wenn in diesen die Luft nicht stärker durch Rauch, Gase oder Staub verunreinigt sei, verrichten. Mittelschweren körperlichen Anstrengungen sei er nicht mehr gewachsen. Das LSG kommt aus verschiedenen, im einzelnen dargelegten Gründen zu dem Ergebnis, daß es keine knappschaftlichen Tätigkeiten über Tage gebe, auf die der Kläger verwiesen werden kann. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Die Beklagte rügt zur Begründung der von ihr eingelegten Revision eine unrichtige Anwendung des § 45 Abs. 2 RKG sowie eine Verletzung des § 128 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG sei zu Unrecht von der Hauertätigkeit als Hauptberuf ausgegangen, denn diese Tätigkeit habe der Kläger nur ganz kurze Zeit "auf Kosten seiner Gesundheit" verrichtet. Wegen der Folgen des am 8. April 1949 erlittenen Arbeitsunfalls (Unterarmbruch rechts im Bereich des Radius an der Grenze vom mittleren zum unteren Drittel) habe er schon bei Aufnahme der Hauertätigkeit am 1. Dezember 1955 keine Arbeiten mit Preßluftwerkzeugen oder schweren Hämmern und Arbeiten mit schwerem Heben verrichten dürfen, wie sich aus der am 23. Dezember 1955 ausgestellten ärztlichen Bescheinigung ergebe. Wenn sich auch der genaue Eintritt der angeführten Gesundheitsschäden nicht mehr feststellen lasse, so stehe doch außer Zweifel, daß die genannten Arbeiten schon am 1. Dezember 1955 nicht mehr hätten verrichtet werden dürfen. Deshalb müsse vom Hauptberuf des Lehrhauers ausgegangen werden. Da der Kläger aber noch Arbeiten als Magazinarbeiter, Maschinenwärter, Lampenwärter oder Verwieger verrichten könne, sei er nicht vermindert bergmännisch berufsfähig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. April 1976 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Duisburg vom 27. Mai 1974 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Nach seiner Ansicht ist vom Hauptberuf des Hauers auszugehen, obwohl er nur 23 Tage als Hauer gearbeitet habe. Eine unmittelbare Gefahr für seine Gesundheit habe nicht bestanden, so daß auch nicht davon ausgegangen werden könne, daß er die Hauertätigkeit "auf Kosten seiner Gesundheit" verrichtet habe. Im übrigen sei eine verminderte bergmännische Berufsfähigkeit auch gegeben, wenn von dem Hauptberuf des Lehrhauers ausgegangen werde. Da er auch über Tage nur noch leichte Arbeiten unter Schutz vor gröberen Witterungseinflüssen oder in geschlossenen Räumen verrichten könne, sei er nicht mehr als Magazinarbeiter, Maschinenwärter, Lampenwärter oder Verwieger einsetzbar.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG ist zu Recht vom Hauptberuf des Hauers ausgegangen.
Bergmannsrente erhält auf Antrag der Versicherte, der vermindert bergmännisch berufsfähig ist und die Wartezeit erfüllt hat (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG). Die Wartezeit ist erfüllt. Vermindert bergmännisch berufsfähig ist nach § 45 Abs. 2 RKG ein Versicherter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben.
Hauptberuf eines Versicherten, der nach Ablegung der Hauerprüfung noch - wenn auch nur kurzfristig - als Hauer beschäftigt war, ist grundsätzlich die Hauertätigkeit, wenn diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben werden mußte (vgl. Urteil des erkennenden Senats in SozR Nr. 20 zu § 45 RKG).
Der Beklagten ist darin zuzustimmen, daß es versicherungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen würde, wenn die Fähigkeit zur Verrichtung eines bestimmten Berufes Gegenstand der Versicherung sein könnte, obwohl der Versicherte diesen Beruf nach seinem Gesundheitszustand von Beginn an nicht hätte ausüben können, ihn vielmehr nur "auf Kosten seiner Gesundheit" verrichtet hat. Wenn das LSG aufgrund des Schreibens des knappschaftlichen Krankenhauses vom 23. Dezember 1955 an die Zeche des Klägers, welches zur Aufgabe der Hauertätigkeit führte, nicht zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Kläger auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet hat, sondern lediglich festgestellt hat, er habe nur mit besonderer Anstrengung als Hauer - ebenso wie vorher als Lehrhauer - arbeiten können, so hat es damit die Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht überschritten. "Auf Kosten seiner Gesundheit" hat ein Versicherter eine Tätigkeit nur dann ausgeübt, wenn mit dieser Tätigkeit eine unmittelbare Gefahr für seine Gesundheit verbunden war, nicht aber schon dann, wenn die Tätigkeit aus vorsorglichen Gründen aufgegeben worden ist oder wenn der Arbeitgeber auf Aufgabe der Tätigkeit bestanden hat, weil der Versicherte auf ärztliche Anordnung nicht mit bestimmten Teiltätigkeiten seines Berufes - wie z.B. im Falle des Klägers nicht mit Preßluftarbeiten und schweren Hämmern - beschäftigt werden durfte und auch allzu schweres Heben nicht angezeigt war. In einem solchen Falle muß der Versicherte zwar seine Arbeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben, jedoch ergibt sich daraus nicht, daß bereits durch die bisherige Berufsausübung eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit ausgelöst worden war und sie damit "auf Kosten der Gesundheit" erfolgte. Der erkennende Senat hat in dem genannten Urteil darauf hingewiesen, daß der Begriff "auf Kosten der Gesundheit" nicht in einem weiten allgemeinen Sinne, sondern nur in dem engeren Sinne zu verstehen ist, daß bereits durch die ausgeübte Tätigkeit eine unmittelbare Gefahr der Gesundheit bestanden haben muß. Das war aber nach den Feststellungen des LSG beim Kläger nicht der Fall. Mit dem Hinweis auf die körperlich gleichbelastenden Tätigkeiten als Hauer und als Lehrhauer bringt das LSG zum Ausdruck, daß die Folgen des im Jahre 1949 erlittenen doppelten Unterarmbruchs dann auch schon bei der vorhergehenden Tätigkeit als Lehrhauer eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit des Klägers dargestellt haben müßten und dann schon diese Tätigkeit "auf Kosten der Gesundheit" ausgeübt sein müßte, so daß die Beklagte auch die Tätigkeit des Lehrhauers nicht als Hauptberuf ansehen könnte.
Geht man von der Tätigkeit eines Hauer aus, die der Kläger zuletzt vor Inkrafttreten der Lohnordnung vom 1. Juni 1971 ausgeübt hat, so ist bei der Prüfung der im wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von der Lohngruppe 10 der neuen Lohnordnung auszugehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats in SozR 2600 § 45 Nr. 4).
Bis zu seinem Urteil vom 30. März 1977 - 5 RKn 13/76 - ging der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß bei Hauern und gelernten Handwerkern andere Tätigkeiten dann noch wirtschaftlich im wesentlichen gleichwertig i.S. des § 45 Abs. 2 RKG waren, wenn die Lohndifferenz nicht mehr als 20 % betrug. Diese Rechtsprechung bedurfte aber wegen der im Laufe der Jahre eingetretenen Verringerung der tariflichen Lohndifferenz zwischen den einzelnen bergmännischen Tätigkeiten, der Aufspaltung der Hauertätigkeit in drei verschiedene Hauertätigkeiten mit unterschiedlichen Lohngruppen, der Ausweitung des von der Knappschaftsversicherungspflicht erfaßten Personenkreises, vor allem aber wegen des Erfordernisses einer deutlicheren Abgrenzung der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit von der Rente wegen Berufsunfähigkeit, einer Korrektur. In dem Urteil vom 30. März 1977 hat der Senat daher entschieden, daß bei der Prüfung, ob ein Versicherter nach § 45 Abs. 2 RKG vermindert bergmännisch berufsfähig ist, im Verhältnis zum Hauptberuf des Versicherten Tätigkeiten nur dann noch als wirtschaftlich im wesentlichen gleichwertig anzusehen sind, wenn die Differenz zwischen der tariflichen Einstufung des Hauerberufs des Versicherten und der tariflichen Einstufung des in Betracht gezogenen Verweisungsberufs nicht größer als etwa 12,5 % ist. Diese Rechtsprechung ist bei den am 30. März 1977 noch nicht bindend abgeschlossen gewesenen Verfahren jedenfalls auch dann anzuwenden, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine Bergmannsrente für die Zeit ab 1. September 1972 streitig ist. Hiernach sind der Hauertätigkeit die Lohngruppen 01 - 06 nicht mehr im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig, so daß der Kläger auf Tätigkeiten dieser Lohngruppen im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG nicht verwiesen werden kann. Ausgehend von der Feststellung, daß der Kläger nur noch leichte Arbeiten, unter Schutz vor gröberen Witterungseinflüssen oder nur noch in geschlossenen Räumen, wenn in diesen die Luft nicht stärker durch Rauch, Gase und Staub verunreinigt ist, verrichten kann, hat das LSG für die einzelnen im Tarifvertrag unter den Lohngruppen von 07 an aufwärts aufgeführten Tätigkeiten dargelegt, warum der Kläger auf diese Tätigkeiten nicht verwiesen werden kann. Auch bei den hierbei getroffenen Feststellungen sind keine Verfahrensfehler erkennbar. Wenn es aber für einen Hauer mit dem Gesundheitszustand des Klägers keine Verweisungstätigkeiten gibt, die der von ihm früher ausgeübten Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind und die von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben ausgeübt werden, hat das LSG dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zu Recht zugesprochen, so daß die Revision der Beklagten zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen