Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche RV-Leistungen der CARCOM
Orientierungssatz
Nach G345 SL § 5 Abs 2 sind bei der Berechnung der Fürsorgeleistung nur Renten aus der gesetzlichen RV, nicht aber andere Leistungen zu berücksichtigen. Die Leistungen der CARCOM sind nicht Leistungen der gesetzlichen RV, sondern Zusatzleistungen, die neben die Leistungen der gesetzlichen RV treten und auf zusätzlichen Beiträgen beruhen. Die Existenz dieser Zusatzversicherung (CARCOM) beruht nicht auf einem Gesetzgebungsakt des Staates, sondern auf einer Vereinbarung der Tarifpartner - wenn auch mit ministerieller Genehmigung -. An dem Charakter als Zusatzversicherung neben der gesetzlichen RV ändert der Umstand nichts, daß es sich um eine Zwangsversicherung handelt.
Normenkette
SVSaarAnglG § 27 Abs. 1; VersFürsG SL § 5 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 12.11.1975; Aktenzeichen L 2 Kn 31/74) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 14.11.1973; Aktenzeichen S 8 Kn 114/71) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 12. November 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte eine französische Zusatzrente bei der Errechnung der nach § 27 des Sozialversicherungsangleichungsgesetzes Saar (SVAG-Saar) weitergewährten Fürsorgeleistung rückwirkend berücksichtigen und die errechnete Überzahlung zurückfordern darf.
Der Kläger bezieht von der Beklagten das Knappschaftsruhegeld und daneben wegen der in Frankreich zurückgelegten Versicherungszeiten die Fürsorgeleistung nach § 27 des SVAG-Saar iVm dem saarländischen Gesetz Nr 345. Außerdem erhält er von dem französischen Versicherungsträger (CAN) eine Rente. Nachdem der französische Versicherungsträger CARCOM dem Kläger rückwirkend vom 1. Januar 1967 an ebenfalls eine Rente gewährt hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Januar 1971 die Fürsorgeleistung unter Berücksichtigung dieser Rente für die Zeit vom 1. Januar 1967 an neu und niedriger fest. Sie errechnete für die Zeit vom 1. Januar 1967 bis 28. Februar 1971 eine Überzahlung von 1.974,94 DM, die sie vom Kläger zurückforderte und mit Bescheid vom 9. Juli 1971 mit monatlich 100,- DM von den laufenden Bezügen einbehielt. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 12. November 1975 auf die Berufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts (SG) sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 1971 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1971 aufgehoben. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, die von der CARCOM gewährte Rente könne nicht bei der Berechnung der Fürsorgeleistung berücksichtigt werden, denn es handele sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern um eine auf einer Vereinbarung der Tarifpartner beruhenden Zusatzleistung. Daran ändere die ministerielle Genehmigung und auch der Zwangscharakter der Zusatzversicherung nichts. Die vom Kläger am 10. September 1955 und 26. August 1957 unterschriebenen Abtretungserklärungen berechtigten die Beklagte weder zur Kürzung der Fürsorgeleistung noch zu einer Rückforderung. Diese Abtretungserklärungen bezögen sich nur auf Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung, erfaßten aber nicht die Leistungen der CARCOM, die zur Zeit der Abtretungserklärung noch gar nicht errichtet gewesen sei.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, die Leistungen der CARCOM seien bei der Berechnung der Fürsorgeleistung zu berücksichtigen. Der Fürsorgeanspruch nach dem saarländischen Gesetz Nr 345 sei subsidiär, was insbesondere daraus hervorgehe, daß nach § 18 dieses Gesetzes auch Fürsorgeunterstützungen aus Staats- oder Gemeindemitteln anzurechnen seien. Dem Sinn des Gesetzes werde man daher nur dann gerecht, wenn man an alle aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung außerhalb des Saarlandes zustehenden ausländischen Leistungen anknüpfe. Im übrigen habe das LSG sowohl den Charakter der CARCOM als auch den der von ihr gewährten Leistungen verkannt.
Bei der CARCOM handele es sich um eine Zusatzpensionskasse für die im französischen Kohlenbergbau beschäftigten Arbeiter, die mit ministerieller Genehmigung am 1. Januar 1960 errichtet worden sei. Die Aufnahme einer Beschäftigung eines Arbeiters im französischen Bergbau habe neben der Pflichtversicherung in der französischen knappschaftlichen Pensionsversicherung automatisch die Mitgliedschaft bei der CARCOM zur Folge. Die Zusatzleistung dieser Versicherung sei von der Erfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen abhängig. Es handele sich also nicht um ein privates Versicherungsverhältnis. Die Zusatzleistung sei daher bei der Berechnung der Fürsorgeleistung zu berücksichtigen. Der Kläger sei auch zur Rückzahlung des überzahlten Betrages verpflichtet, denn er habe aufgrund der Mitteilungen der Beklagten wissen müssen, daß eine Zusatzleistung der CARCOM die Höhe der Fürsorgeleistung beeinflußt.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 14. November 1973 zurückzuweisen;
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 12. November 1975 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
Das LSG hat mit Recht die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Fürsorgeleistung neu und niedriger festzustellen und den Betrag von 1.974,94 DM vom Kläger zurückzufordern.
Das nicht revisible saarländische Gesetz Nr 345 über eine besondere Fürsorge für Versicherte im Zusammenhang mit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung außerhalb des Saarlandes in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juli 1953 (Amtsblatt für das Saarland S 520) kann nicht mehr unmittelbare Anspruchsgrundlage für die Fürsorgeleistung sein, denn dieses Gesetz ist gemäß § 35 Abs 2 b SVAG-Saar mit Wirkung vom 1. Januar 1959 außer Kraft getreten (vgl BSG in SozR Nr 1 zu § 27 SVAG-Saar). Nach § 27 Abs 1 SVAG-Saar wird jedoch eine Leistung, auf die im Zeitpunkt der Verkündung dieses Gesetzes ein Anspruch bestand und auf welche die §§ 18 und 19 keine Anwendung finden, auch für Zeiten nach Verkündung dieses Gesetzes gewährt, soweit die Leistungsvoraussetzungen nach dem im Zeitpunkt der Verkündung dieses Gesetzes im Saarland geltenden Recht erfüllt sind und solange der Berechtigte sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhält. Damit hat das SVAG-Saar eine neue, im gesamten Bundesgebiet geltende Anspruchsgrundlage für die Fürsorgeleistung geschaffen, deren Verletzung nach § 162 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - mit der Revision geltend gemacht werden kann.
Es ist nicht zweifelhaft und auch nicht streitig, daß der Kläger nach § 27 Abs 1 SVAG-Saar einen Anspruch auf Weiterzahlung der nach dem saarländischen Gesetz Nr 345 gewährten Fürsorgeleistung hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Anspruch nach dieser Vorschrift in der bei Inkrafttreten des SVAG-Saar bestehenden Höhe unverändert erhalten bleibt oder ob er unter den Voraussetzungen des saarländischen Gesetzes Nr 345 Veränderungen unterliegt. Für ein in der Höhe unveränderliches Fortbestehen des Anspruchs auf Fürsorgeleistung könnte der Zweck des § 27 Abs 1 SVAG-Saar sprechen, den bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Besitzstand zu erhalten (vgl BSG in SozR Nr 1 § 27 SVAG-Saar). Andererseits sollte die Leistung entsprechend den Grundsätzen des bisher im Saarland geltenden Rechts weitergewährt werden (vgl Bundestagsdrucksache IV/474 S 25 Begründung § 27 des Entwurfs der Bundesregierung zum SVAG-Saar), woraus geschlossen werden könnte, daß eine Veränderung der weitergewährten Leistung möglich ist, wenn in der Person des Berechtigten Umstände eintreten, die nach dem bisherigen saarländischen Recht zu einer Veränderung der Leistung geführt hätten (vgl Bundestagsdrucksache IV/1243 S 5 schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zu § 27 des Entwurfes zum SVAG-Saar). Diese Frage braucht aber nicht vertieft und entschieden zu werden, weil die Beklagte auch unter den Voraussetzungen des saarländischen Gesetzes Nr 345 nicht berechtigt war, die Fürsorgeleistung des Klägers neu und niedriger festzustellen.
Nach § 5 Abs 2 des saarländischen Gesetzes Nr 345 ergibt sich die Höhe der Fürsorgeleistung aus der Differenz der Summe aus saarländischer und nichtsaarländischer Rente einerseits und andererseits der hypothetischen Rente, die der Versicherte nach saarländischem Recht erhalten würde, wenn die Gesamtheit der Versicherungszeiten nur im Saarland zurückgelegt worden wäre. Bei dieser Vergleichsberechnung sind aber nur solche nichtsaarländischen Versicherungsleistungen zu berücksichtigen, die der Berechtigte aus den in § 7 genannten Versicherungszeiten zu einem Zweig der nichtsaarländischen gesetzlichen Rentenversicherung erhält. Zwar sprechen sowohl § 5 Abs 2 als auch § 7 nur von "Rentenversicherung"; aus § 1, der Überschrift des Abschnitts IV des Gesetzes und dem Gesamtzusammenhang ergibt aber, daß damit nur die gesetzliche Rentenversicherung, nicht aber andere Rentenversicherungen gemeint sein können. Die CARCOM gehört nicht zur gesetzlichen Rentenversicherung in diesem Sinne. Es handelt sich vielmehr um eine Zusatzversicherung zur gesetzlichen Rentenversicherung, die auf einer Vereinbarung der Tarifpartner beruht. Daran ändert der Umstand nichts, daß es sich aufgrund ministerieller Genehmigung um eine Zwangsversicherung handelt. Ob diese Versicherung öffentlichen oder privaten Charakter hat, ist unerheblich. Jedenfalls handelt es sich um eine Versicherung, die neben der gesetzlichen Rentenversicherung besteht, diese unberührt läßt und also nicht selbst dazugehört. Die von ihr gewährten Leistungen sind nicht Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern haben auf diese keinen Einfluß und treten zu ihnen hinzu. Zwar beruhen die Zusatzleistungen der CARCOM auf denselben Beschäftigungszeiten wie die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Gleichwohl sind die Versicherungszeiten zur französischen gesetzlichen Rentenversicherung und zur französischen Zusatzversicherung der CARCOM trotz dieser Zeitgleichheit nicht identisch, weil sie auf verschiedenen Beiträgen beruhen. Die in der CARCOM zurückgelegte Versicherungszeit wirkt sich bei der Feststellung der hypothetischen saarländischen Rente gemäß § 5 Abs 2 nicht aus. Der Gesetzeszweck gebietet es daher auch nicht, auf der anderen Seite der Vergleichsberechnung gemäß § 5 Abs 2 die nichtsaarländischen Leistungen zu berücksichtigen, die auf solchen Versicherungszeiten beruhen, die sich bei der Feststellung der hypothetischen saarländischen Rente nicht ausgewirkt haben.
Der Beklagten ist zwar zuzugeben, daß die Fürsorgeleistung nach § 5 des saarländischen Gesetzes Nr 345 subsidiär ist und nur die Differenz zwischen der Summe der tatsächlichen Renten und der hypothetischen saarländischen Rente decken soll. Diese Subsidiarität, die sowohl in der Berechnungsvorschrift des § 5 als auch in der Kürzungsvorschrift des § 9 zum Ausdruck kommt, besteht aber grundsätzlich nur gegenüber Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, nicht aber gegenüber anderen Leistungen. Wenn nach § 9 Leistungen aus der Unfallversicherung zur Kürzung der Fürsorgeleistung in der gesetzlichen Rentenversicherung führen, so kann daraus nicht hergeleitet werden, daß die Fürsorgeleistung allen anderen Rentenleistungen gegenüber subsidiär ist. Die Anrechenbarkeit der Renten aus der Unfallversicherung gemäß § 9 dient ähnlich wie die Ruhensvorschrift des § 1278 RVO der Vermeidung von unerwünschten Doppelleistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung. Daraus kann nicht hergeleitet werden, daß auch andere Leistungen, die nicht zur gesetzlichen Sozialversicherung im Sinne des § 1 des Gesetzes Nr 345 gehören, ebenfalls auf die Höhe der Fürsorgeleistung Einfluß haben können. Das ergibt sich auch nicht aus § 18 des Gesetzes Nr 345, der die Anrechnungsmöglichkeiten der §§ 5 und 9 begrenzt erweitert. Diese Vorschrift will Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln des Saarlandes für denselben Zweck verhindern, nicht aber Leistungen aus anderen Mitteln, insbesondere wenn diese Leistungen auf zusätzlichen eigenen Beiträgen beruhen. Keinesfalls kann aus dieser Vorschrift der Wille des Gesetzgebers abgelesen werden, alle Einkünfte ohne Rücksicht auf ihren Charakter auf die Fürsorgeleistung anzurechnen. Die §§ 5 und 9 des Gesetzes Nr 345 haben die Anrechenbarkeit mit gutem Grund ausdrücklich auf die Leistungen der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung beschränkt. Die Fürsorgeleistung nach dem saarländischen Gesetz Nr 345 soll wegen der damals bestehenden wirtschaftlichen Verbindungen zwischen dem Saarland und Frankreich die Nachteile ausgleichen, die den saarländischen Versicherten - insbesondere den Grenzgängern - dadurch entstanden sind, daß sie während ihrer Arbeit in Frankreich nach französischem Recht versichert gewesen sind und aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine geringere Rente erhalten, als sie sie bei gleicher Beschäftigung im Saarland erhalten haben würden. Das Gesetz stellt es also nicht nur nach seinem Wortlaut, sondern auch nach seinem Sinn auf die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung und unter IV. in der Überschrift auf die Rentenversicherung (Invaliden-, Angestellten-, knappschaftliche Renten-, hüttenknappschaftliche Pensionsversicherung) ab, nicht aber auf Rentenversicherungen anderer Art, insbesondere nicht auf Zusatzversicherungen zu den genannten Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung. Etwas anderes kann auch nicht aus § 28 Abs 1 Satz 3 SVAG-Saar hergeleitet werden. Wenn dort die von "ausländischen Trägern" gewährten Leistungen genannt sind, so bezieht sich das selbstverständlich nur auf solche Versicherungsträger, deren Versicherungszeiten nach Satz 1 aaO und dem saarländischen Gesetz Nr 345 zu berücksichtigen sind. Keinesfalls soll damit die Anrechenbarkeit von Leistungen über den § 5 Abs 2 des Gesetzes Nr 345 hinaus erweitert werden.
Auch die vom Kläger abgegebenen Abtretungserklärungen rechtfertigen die Berücksichtigung der von der CARCOM gezahlten Zusatzrente bei der Feststellung der Fürsorgeleistung nicht. Abgesehen davon, daß die Abtretung nicht die gesetzliche Höhe der Fürsorgeleistung beeinflußt, sondern allenfalls die Beklagte berechtigen könnte, die Auszahlung der dem Kläger zustehenden französischen Zusatzrente an sich zu verlangen, bezieht sie sich ihrem Inhalt nach auch nur auf französische Rentenleistungen, die nach dem saarländischen Gesetz Nr 345 ohnehin Einfluß auf die Höhe der Fürsorgeleistung haben, nicht aber auf Leistungen anderer Art, von denen die Höhe der Fürsorgeleistung unabhängig ist. Durfte die Beklagte danach die Fürsorgeleistung nicht niedriger feststellen, so ist auch keine Überzahlung eingetreten, die die Beklagte nach § 93 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) oder nach sonstigen Vorschriften zurückfordern könnte.
Das LSG hat danach die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Recht aufgehoben. Der Senat hat daher die unbegründete Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen