Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsabgrenzung zwischen Rentenversicherungsträger und Unfallversicherungsträger nach § 1244a Abs 7 RVO bei Verdacht auf Tuberkulose im Zusammenhang mit einer Berufskrankheit
Orientierungssatz
Führt der Rentenversicherungsträger zunächst nur aufgrund eines Verdachtes auf aktive Tuberkulose und damit als zuständiger Versicherungsträger eine stationäre Behandlung durch und wird erst während der stationären Behandlung ein Zusammenhang mit einer Berufskrankheit angenommen, der sich nicht als begründet erweist, ergibt sich deshalb keine Ersatzpflicht des Unfallversicherungsträgers, weil dieser auf die Behandlung des Versicherten keinerlei Einfluß hat nehmen und insbesondere nicht selbst hat prüfen können, ob überhaupt ein die stationäre Behandlung begründeter Verdacht auf aktive Tuberkulose und ein Kausalzusammenhang mit der Silikose vorliegt (vgl BSG 1982-11-30 4 RJ 95/81 = SozR 2200 § 1244a Nr 24).
Normenkette
RVO § 1244a Abs 7
Verfahrensgang
SG Bayreuth (Entscheidung vom 21.01.1982; Aktenzeichen S 7 U 103/81) |
Tatbestand
Die Klägerin (Landesversicherungsanstalt -LVA-) gewährte dem bei ihr in der Rentenversicherung der Arbeiter versicherten R. R. (geboren 1924, gestorben am 17. März 1983) auf dessen Antrag in ihrer R.-F. A. vom 23. Oktober 1979 bis zum 29. Januar 1980 gemäß § 1244a der Reichsversicherungsordnung (RVO) als medizinische Leistung zur Rehabilitation stationäre Behandlung wegen einer am 15. Oktober 1979 vom Gesundheitsamt B. diagnostizierten aktiven behandlungsbedürftigen Lungentuberkulose (Bescheid vom 15. November 1979), vorbehaltlich der Leistungspflicht dritter Stellen. Sie verlangt von der Beklagten (Berufsgenossenschaft -BG-) Ersatz ihrer Aufwendungen in Höhe von 15.224,92 DM mit der Begründung, gemäß § 1244a Abs 7 Satz 1 RVO sei die Beklagte zur Durchführung der Tbc-Maßnahme verpflichtet gewesen.
Während der stationären Behandlung des Versicherten äußerten die Ärzte der R.-F. am 13. November 1979 in einer der Beklagten erstatteten ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit den Verdacht auf Siliko-Tbc. Mit Schreiben vom 5. Dezember 1979 teilte die Klägerin der Beklagten mit, der Versicherte befinde sich seit dem 23. Oktober 1979 auf ihre Kosten wegen Tbc in stationärer Behandlung; für den Fall, daß es sich bei der Erkrankung um eine Berufskrankheit (BK) handele, werde Ersatzanspruch in Höhe der bisher entstandenen und weiterhin entstehenden Aufwendungen geltend gemacht.
Am 29. Januar 1980 wurde der Versicherte mit der Diagnose Quarzstaublungenerkrankung ohne aktive Begleittuberkulose aus der stationären Behandlung entlassen.
Die Beklagte gewährte dem Versicherten durch Bescheid vom 28. Januar 1981 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH vom 21. September 1979 an wegen einer BK nach Nr 4101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung -BKVO- (Quarzstaublungenerkrankung-Silikose). Den Ersatzanspruch der Klägerin lehnte sie ab, weil eine Tbc nicht bestätigt worden sei und die stationäre Behandlung nur ein Beobachtungsheilverfahren gewesen sei, für das ausschließlich der Rentenversicherungsträger zuständig sei (Schreiben vom 12. November 1980 und 9. Februar 1981).
Mit der Klage auf Ersatz ihrer Aufwendungen hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Unzuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für die Tbc-Behandlung aufgrund des § 1244a Abs 7 Satz 1 RVO, wenn die Erkrankung auf einer BK beruhe, sei auch dann gegeben, wenn die stationäre Behandlung zunächst nur infolge Tbc-Verdachts erforderlich geworden, während der Behandlung jedoch auch der Verdacht auf eine Silikose-Tbc (BK) aufgetreten sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Januar 1982). Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Ersatzpflicht der Beklagten nach § 1504 RVO scheide aus, weil nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (s BSGE 35, 285; 43, 279) allein der Verdacht, es liege keine behandlungsbedürftige Tbc vor, die Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers zur Kostentragung nach § 1244a RVO in einem Fall der vorliegenden Art nicht berühre. Da die Kostentragungspflicht in § 1244a RVO ausdrücklich geregelt sei, könnten allgemeine Rechtsgrundsätze über eine Ersatzleistung nicht angewendet werden.
Die Klägerin hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt und trägt vor: Als Anspruchsgrundlagen kämen zwar weder der irrtümlich vom SG angeführte § 1504 RVO noch die §§ 1524, 1525 RVO in Betracht. Sie habe die Tbc-Maßnahmen nicht, wie die §§ 1524, 1525 RVO voraussetzten, als eigene Leistung erbracht. Die Beklagte sei jedoch nach dem allgemeinen Grundsatz, daß ohne rechtlichen Grund bewirkte Leistungen von dem zur Leistung Verpflichteten zu ersetzen seien, zum Ersatz der Aufwendungen verpflichtet. Eine sinnvolle Anwendung des § 1244a Abs 7 Satz 1 RVO gebiete es, daß mit der Bekämpfung der Tbc durch den Unfallversicherungsträger nicht erst begonnen werde, wenn jeder Zweifel hinsichtlich der Diagnose ausgeschlossen sei, sondern schon dann, wenn der Befund auf eine Erkrankung schließen lasse, die auf einer BK beruhen könnte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Bayreuth vom 21. Januar 1982 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den Betrag von 15.224,92 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG im Ergebnis für zutreffend und verweist insbesondere auch auf das Urteil des BSG vom 30. November 1982 - 4 RJ 95/81 -, aus dem sich nach ihrer Auffassung ergibt, daß der Rentenversicherungsträger die Kosten für eine von ihm durchgeführte Heilbehandlung wegen aktiver behandlungsbedürftiger Tbc endgültig tragen muß, wenn die Einweisungsdiagnose durch den Amtsarzt oder den vom Rentenversicherungsträger bestellten Arzt gestellt worden ist, selbst wenn sich die Diagnose als unrichtig erweist.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Beklagte nicht zum Ersatz der Aufwendungen für das in der R.-F. der Klägerin zugunsten des Versicherten R. durchgeführte Heilverfahren verpflichtet ist.
Die Beziehungen zwischen den Trägern der Unfallversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter war in dem hier maßgebenden Zeitraum bis zum 30. Juni 1983 (s SGB X - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - vom 4. November 1982 - BGBl I 1450 - Art II § 3 Nr 1, § 25 Abs 1) in den §§ 1524, 1525 RVO aF - nicht, wie das SG angenommen hat, in dem allein das Verhältnis zwischen Kranken- und Unfallversicherungsträgern betreffenden § 1504 RVO - geregelt. Nach § 1524 Abs 1 Satz 1 RVO aF war der Unfallversicherungsträger ersatzpflichtig, wenn der Träger der Rentenversicherung der Arbeiter wegen einer Krankheit, die Folge eines entschädigungspflichtigen Unfalls war, ein Heilverfahren gewährte, das den Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit verhinderte oder beseitigte, und auch der Unfallversicherungsträger dadurch entlastet worden war. Hiernach kommt eine Ersatzpflicht der Beklagten schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nicht verhindert oder beseitigt worden ist. Die Klägerin hat vielmehr, wie sie mit der Revision vorträgt, dem Versicherten im Anschluß an die stationäre Heilbehandlung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt. § 1524 RVO aF galt zwar gemäß § 1525 RVO aF auch, wenn das vom Rentenversicherungsträger gewährte Heilverfahren Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nicht verhinderte oder beseitigte, jedoch den Träger der Unfallversicherung entlastete. Auch diese Voraussetzung ist aber nicht gegeben. Es besteht kein Anhalt dafür, daß die Beklagte, die dem Kläger nach Abschluß der stationären Behandlung rückwirkend eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH wegen einer Quarzstaublungenerkrankung (BK) gewährte, aufgrund der von der Klägerin durchgeführten Heilbehandlung eine geringere Rente gewähren mußte oder eine sonstige Entlastung erfuhr (s BSGE 28, 107, 110, 111; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 968 k, l mwN). Davon geht auch die Klägerin aus, nach deren zutreffender Auffassung darüber hinaus dahingestellt bleiben kann, ob die §§ 1524, 1525 RVO aF in einem Fall der vorliegenden Art überhaupt Rechtsgrundlage für den von ihr erhobenen Ersatzanspruch sein könnten (s Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 1524 Anm 3).
Entgegen ihrer Auffassung kann die Klägerin ihre Aufwendungen auch nicht nach den Grundsätzen des allgemeinen öffentlich- rechtlichen Ersatzanspruchs mit Erfolg geltend machen. Dieser setzt voraus, daß die Klägerin ohne Rechtsgrund, dh ohne einen Anspruch des Versicherten, Leistungen erbracht hat oder daß sie im Verhältnis zur Beklagten nur nachrangig leistungsverpflichtet war (BSGE 52, 206, 208 mwN; s auch § 6 Abs 2 und Abs 3 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG - vom 7. August 1974, BGBl I 1881; § 43 SGB I). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.
Versicherte der Rentenversicherung haben gemäß § 1244a Abs 1 RVO Anspruch auf Maßnahmen nach den §§ 1236 ff gegen den Träger der Rentenversicherung, wenn sie an aktiver behandlungsbedürftiger Tbc erkrankt sind. Die Klägerin hat für ihren Versicherten R. aufgrund dieser Vorschriften vom 23. Oktober 1979 an in ihrer Fachklinik stationäre Behandlung wegen einer vom Gesundheitsamt diagnostizierten aktiven behandlungsbedürftigen Lungen-Tbc durchgeführt. Sie ist somit in Erfüllung eines gegen sie selbst gerichteten Anspruchs des Leistungsempfängers tätig geworden. Die Verpflichtung der Klägerin zur Behandlung und Kostentragung ist nicht dadurch entfallen, daß sich die Einweisungsdiagnose des Gesundheitsamts - aktive behandlungsbedürftige Tbc - nicht bestätigt hat und - erst - während der Behandlung von den Ärzten der Klägerin, ebenfalls unbestätigt, der Verdacht auf eine Siliko-Tbc (Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose, Nr 4102 der Anlage 1 zur BKVO) geäußert worden ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG wird die Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers zur Behandlung und zur endgültigen Kostentragung schon durch die Diagnose des Amtsarztes oder des ärztlichen Dienstes des Rentenversicherungsträgers auf Verdacht einer die stationäre Behandlung erfordernden aktiven Tbc begründet, unabhängig davon, ob sich der Verdacht später bestätigt oder nicht (s BSGE 33, 225; 35, 285; 43, 279; SozR 2200 § 1244a Nr 22; Urteil vom 30. November 1982 - 4 RJ 95/81 -). Das BSG hat aus dem Grundgedanken des Gesetzgebers, die Kompetenz, Entschließungsmöglichkeit, Verantwortlichkeit und Kostenlast zusammenfallen zu lassen, gefolgert, daß grundsätzlich nur derjenige Leistungsträger zur Gewährung und Kostentragung der Tbc-Behandlung verpflichtet ist, dem die Möglichkeit einer unmittelbaren Einflußnahme auf die Erkrankung bzw deren Behandlung und insoweit eine gewisse Gestaltungsfreiheit zu Gebote steht. Besteht eine solche Möglichkeit hingegen nicht, soll der von der Verantwortung für die Tuberkulosebehandlung ausgeschlossene Leistungsträger im allgemeinen auch zu den Kosten nichts beizutragen haben (BSGE 47, 7, 10).
Die Erkrankung an nicht aktiver Tbc beruhte nicht auf einem Arbeitsunfall oder einer BK (§§ 1244a Abs 7 Satz 1, 556 Abs 2 RVO). Zwar greift die Abgrenzung zwischen Rentenversicherungs- und Unfallversicherungsträger nach § 1244a Abs 7 RVO auch schon dann ein, wenn der Verdacht auf Tbc im Zusammenhang mit einer BK steht, da auch die Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers bei dem bloßen Verdacht auf das Vorliegen einer aktiven Tbc besteht, ungeachtet der Frage, ob sich dieser Verdacht später bestätigt (BSG Urteil vom 30. November 1982 aaO). Daraus folgt aber nicht, daß der Rentenversicherungsträger stets dann einen Ersatzanspruch gegen den Unfallversicherungsträger hat, wenn er zunächst nur aufgrund eines Verdachtes auf aktive Tbc und damit als zuständiger Versicherungsträger eine stationäre Behandlung durchführt und erst während der stationären Behandlung ein Zusammenhang mit einer BK angenommen wird, der sich nicht als begründet erweist.
Aufgrund des von den Ärzten der Klägerin während der stationären Behandlung geäußerten - und später nicht bestätigten - Verdachtes auf einen Zusammenhang zwischen der Tbc und einer BK ergibt sich deshalb keine Ersatzpflicht der Beklagten, weil diese auf die Behandlung des Versicherten keinerlei Einfluß hat nehmen (s BSGE aaO; Urteil vom 30. November 1982 aaO) und insbesondere nicht selbst hat prüfen können, ob überhaupt ein die stationäre Behandlung begründender Verdacht auf aktive Tbc und ein Kausalzusammenhang mit der Silikose vorliegt.
Die Revision ist danach zurückzuweisen. Eine Kostenentscheidung entfällt (§ 193 Abs 4 SGG).
Fundstellen