Leitsatz (amtlich)

Bei nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten braucht die Beitragsforderung gegenüber dem Bauherrn (§ 729 Abs 2 RVO) innerhalb der Ausschlußfrist von einem Jahr nicht klageweise geltend gemacht zu werden.

 

Normenkette

RVO § 729 Abs 2

 

Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 10.05.1982; Aktenzeichen S 69 U 242/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Bauherren für Beiträge in Anspruch, welche von einem Unternehmen für Bauarbeiten geschuldet werden.

Die Beklagten errichteten ab 1977 ein Wohngebäude in Berlin. Bauarbeiten wurden von der G. GmbH als Subunternehmerin ausgeführt; Zwischenunternehmerin war die D. GmbH. Beide Gesellschaften besaßen keine Gewerbeerlaubnis; sie sind in Liquidation geraten und inzwischen erloschen.

Mit ihrem Bescheid vom 22. Januar 1979 nahm die Klägerin die in Liquidation befindliche G. GmbH für Beiträge in Höhe von DM 4.855,20 in Anspruch. Der Widerspruch des Liquidators blieb erfolglos. In einer mündlichen Verhandlung am 2. Juni 1980 vor dem Sozialgericht (SG) Berlin nahm er die hiergegen erhobene Klage zurück.

Am 11. Juli 1980 forderte die Klägerin die Beklagten schriftlich auf, die von der G. GmbH geschuldeten und infolge der Klagerücknahme verbindlich festgestellten Beiträge umgehend zu zahlen. Am 29. Juni 1981 hat die Klägerin bei dem SG ihre auf die Zahlung der genannten Beiträge sowie anteilige Vollstreckungskosten in Höhe von DM 33,-- gerichtete Klage erhoben.

Das SG hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin die Forderungen nicht innerhalb der in § 729 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gegebenen Jahresfrist ordnungsgemäß geltend gemacht habe (Urteil vom 10. Mai 1982). Die Klägerin hätte, so heißt es in den Entscheidungsgründen ua, innerhalb der gesetzlichen Ausschlußfrist von einem Jahr ab endgültiger Feststellung der Beiträge ihre Klage erheben müssen. Die Beiträge seien infolge der Klagerücknahme durch den Liquidator am 2. Juni 1980 endgültig festgestellt gewesen. Die Klage sei erst am 29. Juni 1981 - also nach Ablauf der Jahresfrist - erhoben worden. Die Zahlungsaufforderung vom 11. Juli 1980 habe den Ablauf der Ausschlußfrist nicht gehindert.

Das SG hat die Sprungrevision zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel mit schriftlicher Zustimmung der Beklagten eingelegt. Nach ihrer Auffassung brauchte sie innerhalb der Frist des § 729 Abs 2 RVO ihre Beitragsforderung nicht durch Klageerhebung geltend zu machen; hierzu habe die rechtzeitige Zahlungsaufforderung vom 11. Juli 1980 ausgereicht. Das SG hat nach ihrer Meinung in unrichtiger Weise Verjährungsvorschriften auf die gegebene Ausschlußfrist angewendet und dabei § 45 Abs 3 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) übersehen, wonach auch ein schriftlicher auf Sozialleistungen gerichteter Antrag die Verjährung der Forderung unterbreche. Die Entscheidung des SG stehe auch in Widerspruch zur Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) und des Bundessozialgerichts (BSG). Infolge der rechtzeitigen Anmahnung der Beiträge durch Schreiben vom 11. Juli 1980 hätte nur der Eintritt der Verjährung der Durchsetzbarkeit der Beitragsforderung entgegenstehen können; Verjährung sei aber nicht eingetreten.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 1982 aufzuheben und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin DM 4.888,20 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie bestreiten, daß die Baufirmen keine Gewerbeerlaubnis gehabt hätten und die Zahlungsunfähigkeit festgestellt worden sei. Es werde ferner bestritten, daß ihnen ein den Streitgegenstand genau bezeichnendes Schreiben zugegangen sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen ist.

Bei nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten haftet der Bauherr unter den übrigen in § 729 Abs 2 RVO genannten Voraussetzungen für die Beiträge und die übrigen Leistungen zahlungsunfähiger Unternehmer. Das SG hat eine Haftung der Beklagten schon deshalb verneint, weil ihnen gegenüber die Beitragsforderung der Klägerin nicht innerhalb eines Jahres nach endgültiger Feststellung geltend gemacht worden sei. Es hat in dem angefochtenen Urteil die Rechtsauffassung vertreten, die Klägerin hätte innerhalb des Folgejahres die vorliegende Klage erheben müssen. Dieser Meinung vermag der Senat nicht zu folgen.

Das SG und die Beteiligten gehen zunächst zutreffend davon aus, daß das zwischen den Beteiligten gem § 729 Abs 2 RVO begründete gesetzliche Schuldverhältnis nur während der einjährigen Ausschlußfrist nach endgültiger Feststellung der Beiträge bestand und für den Fall der Nichtinanspruchnahme der Beklagten ohne sonstige Voraussetzungen allein infolge des Fristablaufs endete (vgl zB Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 542a/542b; Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 5. Aufl, S 212).

Die in § 729 Abs 2 RVO normierte einjährige Haftung des Bauherrn war bereits in § 29 Abs 1 des Bau-Unfallgesetzes vom 30. Juni 1900 (RGBl S 698) enthalten. In Abs 3 dieser Vorschrift war bestimmt, daß bei Streit über die Haftung eine Entscheidung des RVA herbeizuführen war. Damit war klargestellt, daß während des Bestehens des Schuldverhältnisses eine Entscheidung des RVA nicht herbeigeführt zu werden brauchte. Vielmehr hatte der Gläubiger seine Forderung gegenüber dem Bauherrn auf geeignete Weise geltend zu machen. Die dann etwa notwendig werdende Entscheidung des RVA diente lediglich der Durchsetzung der bereits rechtzeitig geltend gemachten Forderung (RVA AN 1916, 408; Handbuch der Unfallversicherung, dargestellt von Mitgliedern des RVA, 3. Aufl, Anm 6 zu § 29 Bau-Unfallgesetz). Nicht entscheidend anders war die Haftung des Bauherrn und die Durchsetzung der Beitragsforderung in den Nachfolgevorschriften der RVO (RVO aF) geregelt. Während § 819 RVO aF die dem nunmehr geltenden § 729 Abs 2 RVO entsprechende Vorschrift war, bestimmte § 821 RVO aF, daß das Oberversicherungsamt (OVA) bei Streit der Genossenschaft mit dem Bauherrn über die Haftung entschied. Demzufolge ging auch hier der Gesetzgeber davon aus, daß das Schuldverhältnis in der Regel ohne Streit - lediglich durch Geltendmachen der Forderung gegenüber dem Bauherrn und dessen Einstehen - abgewickelt werde (s hierzu RVA EuM 33, 20, 21; Reichsversicherungsordnung mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des RVA, 2. Aufl, Anm 6 zu § 819 iVm Anm 7 zu § 765). Der erkennende Senat (BSGE 30, 230, 238) hat eine Änderung dieser Rechtslage durch die Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu erkennen vermocht und angenommen, daß eine schriftliche Inanspruchnahme der Schuldner den Ablauf der Ausschlußfrist des § 729 Abs 2 RVO hindert. Von dieser Rechtsprechung abzugehen bietet weder das angefochtene Urteil noch das Beklagtenvorbringen Anlaß. Sie gewährleistet den in § 729 Abs 2 RVO dem Bauherren zugestandenen Vertrauensschutz, daß nach Ablauf einer bestimmten Zeit seine Haftung nicht mehr in Betracht kommt.

Die Annahme des SG, Ausschlußfristen könnten im bürgerlichen Recht nur durch Klageerhebung gewahrt werden, ist unrichtig. Demgemäß kommt auch eine Übertragung solcher Rechtsgrundsätze auf das dem bürgerlichen Recht (Bürgschaft - s BSGE 30, 230, 233; § 729 Abs 4 iVm § 393 Abs 3 RVO) stark angenäherte Haftungsschuldverhältnis des § 729 Abs 2 RVO nicht in Betracht. Richtig ist allerdings, daß im Zivilrecht beim Bestehen gewisser Rechtsbeziehungen der Ablauf einer Ausschlußfrist nur durch gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs verhindert werden kann. In diesen Fällen ist dann die gerichtliche Inanspruchnahme des Schuldners ausdrücklich vorgeschrieben (vgl zB §§ 561 Abs 2 Satz 2, 864 Abs 1, 977 Satz 2 und 1002 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). Auch ohne Inanspruchnahme des Gerichts können dagegen die in den §§ 121 Abs 1, 124, 148, 532, 626 Abs 2, 801 Abs 1 Satz 1 BGB normierten Ausschlußfristen gewahrt werden. Die unterschiedliche Regelung im bürgerlichen Recht spricht folglich eher dafür, daß ein gerichtliches Vorgehen zur Wahrnehmung von Ausschlußfristen nur geboten ist, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist.

Mit ihrer Zahlungsaufforderung gegenüber den Beklagten vom 11. Juli 1980, das den Beklagten auch nach ihrem eigenen Vorbringen in der Revisionserwiderung zugegangen ist, hat die Klägerin demgemäß ihre Forderung ihnen gegenüber in ausreichender Form und rechtzeitig geltend gemacht. Ob die Beklagten folglich für die Beiträge der G. GmbH in Höhe von DM 4.855,20 und die anteiligen Vollstreckungskosten als "übrige Leistungen" iS § 729 Abs 2 Satz 1 RVO (LSG Niedersachsen aaO S 790; Brackmann aaO S 542a; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 729 Anm 8, Buchst b; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Unfallversicherung, 4. Aufl, Anm 5 zu § 729) in Höhe von DM 33,-- haften, kann der Senat jedoch nicht abschließend entscheiden, da das Urteil - aufgrund der Rechtsauffassung des SG - keine tatsächlichen Feststellungen für die Entscheidung enthält, ob die G. GmbH nichtgewerbsmäßige Bauarbeiten iS des § 729 Abs 2 RVO verrichtet hat (s dazu ua BSG Urteil vom 15. Juni 1983 - 9b/8 RU 66/81; RVA EuM 21, 205). Diese Feststellungen kann das Revisionsgericht nicht selbst treffen, so daß das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen war, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden wird.

 

Fundstellen

Breith. 1984, 382

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