Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff des beruflichen Betroffenseins im Falle des BVG § 30 Abs 2 S 2 Buchst c.
Orientierungssatz
Zur Frage des beruflichen Betroffenseins bei einem Beamten.
Mit der Behandlung und Ausheilung einer Tbc-Erkrankung als Schädigungsfolge sind je nach der Schwere der Erkrankung - diese ist nach BVG § 30 Abs 1 zu berücksichtigen - längere Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses und im Gefolge davon unvermeidbare Nachteile im Berufsleben verbunden, die darum in der Regel eine besondere berufliche Betroffenheit nicht begründen können, sondern in die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben einbezogen sind.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 2 S. 2 Buchst. c Fassung: 1960-06-27; BVG § 30 Abs. 2 S. 2 Buchst. c Fassung: 1964-02-21
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 1. März 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der 1915 geborene Kläger, jetzt von Beruf Verwaltungsoberinspektor, bezieht wegen Lungentuberkulose Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), die bis Ende Oktober 1963 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H., seitdem um 30 v. H. bemessen wurde.
Im September 1961 beantragte er, die MdE gem. § 30 Abs. 2 c des BVG höher zu bewerten, weil er infolge wiederholter Erkrankung an dem Wehrdienstleiden die Prüfung für den gehobenen Dienst nicht, wie vorgesehen, im Frühjahr 1948, sondern erst im Oktober 1957 habe ablegen können. Dadurch habe sich sein beruflicher Werdegang verzögert. Somit sei er am Aufstieg in seinem Beruf gehindert. Er wäre inzwischen zum Oberinspektor aufgerückt, wie die anderen Prüflinge von 1948. Ferner hätte die erneute Erkrankung seine Übernahme in eine ab 1. September 1961 freie Amtsmannsstelle als Verwaltungsleiter verhindert. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 16. Februar 1962 abgelehnt. Der Widerspruch, mit dem der Kläger mitteilte, er sei ab 1. Februar 1962 zum Verwaltungs-Oberinspektor befördert worden und verdiene gegenüber einem Amtmann 176,27 DM monatlich weniger, blieb erfolglos. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage mit Urteil vom 1. März 1963 ab und ließ die Berufung zu. Der Kläger sei nicht im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 2 c BVG am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert. Wie der medizinische Sachverständige dargelegt habe, schließe eine Lungen-Tbc im allgemeinen ein Fortkommen im Verwaltungsdienst nicht aus und stehe auch einer weiteren Beförderung nicht im Wege. Der Kläger sei vor der Wehrdienstbeschädigung zu Beginn seiner Laufbahn Landesassistent gewesen und habe nunmehr den Rang eines Oberinspektors erreicht. Sonach sei er nach der Schädigung in seinem Beruf aufgestiegen. Er sei auch nach der Auskunft seines Arbeitgebers von weiteren Beförderungen nicht ausgeschlossen. 1962 sei er zum Oberinspektor befördert worden. Eine vorübergehende Behinderung im Beruf erfülle nicht die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 Satz 2 c BVG, vielmehr liege eine besondere berufliche Betroffenheit nur dann vor, wenn dem Beschädigten in seinem derzeitigen Beruf weitere Aufstiegsmöglichkeiten versperrt seien.
Dieses Urteil wurde dem Kläger am 25. März 1963 zugestellt. Am 8. April 1963 - dem Kläger zugestellt am 14. April 1963 - wurde die Rechtsmittelbelehrung dahin richtiggestellt, daß die Berufung nicht nach § 150 Ziff. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig ist, sondern nach § 150 Ziff. 1 SGG zugelassen wird, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Am 30. April 1963 hat der Kläger Sprungrevision eingelegt. Am 4. Mai 1963 hat er die Revision begründet und am 8. Mai 1963 die Einwilligungserklärung des Beklagten zur Sprungrevision vorgelegt.
Der Kläger rügt Verletzung des § 30 Abs. 2 c BVG. Er sei vom Assistenten zum Oberinspektor aufgestiegen. An dem weiteren Aufstieg zum Amtmann sei er durch die Folgen der Schädigung gehindert. Daher sei die Voraussetzung des § 30 Abs. 2 c BVG erfüllt. Die Ansicht des SG, daß die weiteren Aufstiegsmöglichkeiten versperrt sein müßten, finde im Gesetz keine Stütze. Eine besondere berufliche Schädigung sei schon dann gegeben, wenn eine erhebliche wirtschaftliche Einbuße eintrete, insbesondere die Altersversorgung durch die spätere Erreichung eines Berufszieles möglicherweise schlechter geworden sei. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Wenn das SG der Meinung sei, eine Lungen-Tbc schließe im allgemeinen ein Fortkommen im Verwaltungsdienst und eine weitere Beförderung nicht aus, so stehe doch hier fest, daß der Kläger Amtmann wäre, wenn die Schädigungsfolgen seiner Verwendung als Verwaltungsleiter ab 1. September 1961 nicht entgegengestanden hätten. Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der Bescheide des Beklagten, diesen zu verurteilen, dem Kläger unter Anwendung des § 30 Abs. 2 c BVG die bisher gewährte Rente in angemessener Weise zu erhöhen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, die Sprungrevision zurückzuweisen. Er hält das Urteil für zutreffend.
Die Sprungrevision ist mit Rücksicht auf die zunächst unrichtige Rechtsmittelbelehrung form- und fristgerecht eingelegt und begründet, somit zulässig (§§ 161, 164, 166 SGG), sachlich aber nicht begründet.
Die Revision hat die tatsächlichen Feststellungen des SG mit Verfahrensrügen nicht angegriffen, weshalb das Bundessozialgericht (BSG) gem. § 163 SGG an sie gebunden ist. Hiernach war der Kläger vor der Schädigung zu Beginn seiner Laufbahn Assistent und ist nach der Schädigung in seinem Beruf bis zum Oberinspektor aufgestiegen. Von weiteren Beförderungen ist er nicht ausgeschlossen. Das SG hat hieraus geschlossen, daß der Kläger durch die Schädigungsfolgen am weiteren Aufstieg in seinem Beruf nicht gehindert ist, es hat lediglich eine vorübergehende Behinderung des beruflichen Werdegangs für möglich gehalten. Wenn es unter den gegebenen Umständen den im September 1961 gestellten Rentenerhöhungsantrag nicht für gerechtfertigt gehalten hat, so ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden.
§ 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c BVG in der Fassung des 1. und der etwas anders formulierten Fassung des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) bestimmt, daß die MdE höher zu bewerten ist, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen, derzeitigen oder angestrebten Beruf besonders betroffen ist. Das ist der Fall, wenn er infolge der Schädigung nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist. Durch § 30 Abs. 2 BVG sollen die über die Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben hinausgehenden besonderen Nachteile ausgeglichen werden (BSG 12, 212; 15, 226). Daraus ergibt sich, daß nicht alle Nachteile, die der Versorgungsberechtigte in seinem beruflichen Fortkommen erleidet, bereits ein besonderes berufliches Betroffensein begründen. Wenn nach der Art der Schädigung die Nachteile ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des einzelnen Berufs eine annähernd gleichmäßige Bedeutung haben, geht die Beeinträchtigung nicht über die MdE im allgemeinen Erwerbsleben hinaus und stellt keine besondere berufliche Betroffenheit dar. Mit der Behandlung und Ausheilung einer Tbc-Erkrankung als Schädigungsfolge sind je nach der Schwere der Erkrankung - diese ist nach § 30 Abs. 1 BVG zu berücksichtigen - längere Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses und im Gefolge davon unvermeidbare Nachteile im Berufsleben verbunden, die darum in der Regel eine besondere berufliche Betroffenheit nicht begründen können, sondern in die Bewertung der MdE im allgemeinen Erwerbsleben einbezogen sind. Wenn daher § 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c BVG die berufliche Betroffenheit von dem Nachweis abhängig macht, daß der Beschädigte infolge der Schädigung am weiteren Aufstieg in seinem Beruf "gehindert" ist, so ist aus den dargelegten Gründen eine eher enge als weite Auslegung dieser Vorschrift geboten. Zumindest wird gefordert werden müssen, daß, wenn eine "Behinderung" als ausreichend angesehen werden soll, sie nachhaltig, d. h. von einer erheblichen Dauer sein muß.
Der Dauercharakter der einmal festgestellten beruflichen Betroffenheit ist auch in BSG 14, 175 zum Ausdruck gekommen, wenn dort gesagt ist, an der Feststellung, daß ein Beschädigter beruflich besonders betroffen ist, werde sich in aller Regel später nichts mehr ändern, soweit nicht im Einzelfall die zunächst eingetretenen Nachteile der beruflichen Schädigung wieder ausgeglichen werden.
Das SG hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzung des § 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c BVG sei nur dann erfüllt, wenn dem Beschädigten in seinem derzeitigen Beruf weitere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten versperrt seien. Trotz der gebotenen engen Auslegung dieser Vorschrift kann es zweifelhaft sein, ob eine besondere berufliche Betroffenheit auch dann zu verneinen ist, wenn die Schädigungsfolgen einen nach den Besonderheiten der Laufbahn im Beruf, zB eines Beamten, hinreichend sicheren Aufstieg Jahre lang vereitelt haben und der Beschädigte dadurch längere Zeit hindurch eine über die Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben (§ 30 Abs. 1 BVG) hinausgehende erhebliche wirtschaftliche Einbuße (vgl. BSG 12, 212, 213) hinnehmen muß. Diese Frage konnte der Senat hier jedoch unentschieden lassen, ebenso brauchte auch nicht darauf eingegangen zu werden, inwieweit in einem solchen Fall die durch die Schädigung entstandenen Nachteile der Einstufung und der Altersversorgung eines Beamten oder ihm gleichgestellten öffentlichen Bediensteten gegen die Vorteile abzuwägen sind, die er durch seinen Beruf dadurch erfährt, daß ihm auch bei langdauernder Erkrankung das Gehalt ungeschmälert weitergezahlt wird. Denn im vorliegenden Fall hat der Kläger erst im September 1961 einen Erhöhungsantrag gestellt, weshalb gem. § 60 Abs. 1 und 2 BVG erst ab September 1961 eine höhere Leistung in Betracht käme. Zu dieser Zeit war er aber bereits Verwaltungsinspektor.
Er ist kurze Zeit darauf, nämlich am 1. Februar 1962, zum Verwaltungsoberinspektor befördert worden. Es war somit nicht darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzung des § 30 Abs. 2 Satz 2 c BVG in der Zeit von 1948 bis 1957 erfüllt war, als der Kläger nach seinem Vorbringen wegen der Schädigungsfolgen die Prüfung für den gehobenen Dienst nicht ablegen konnte. Es war nur zu prüfen, ob der Kläger ab September 1961 als besonders beruflich betroffen anzusehen ist. Dies war zu verneinen.
Mit Recht hat das SG die Voraussetzung des § 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c BVG nicht als erfüllt angesehen, weil es jedenfalls für die hier maßgebende Zeit ab September 1961 an dem Nachweis fehlt, daß der Kläger am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist. Diese Voraussetzung kann nicht schon durch die Behauptung des Klägers als nachgewiesen angesehen werden, daß er am 1. September 1961 oder einige Zeit danach, als die Stelle eines Verwaltungsleiters (Amtmanns) frei geworden war, nicht in diese Stelle eingewiesen wurde oder werden konnte. Denn der Kläger war damals nicht Oberinspektor, sondern nur Inspektor und konnte somit schon nach allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht mit einer Beförderung vom Inspektor zum Amtmann rechnen. Wäre ihm die Stelle des Verwaltungsleiters ab 1. September 1961 übertragen worden, so hätte er zunächst nur mit einer Beförderung zum Oberinspektor rechnen können. Eine solche Beförderung ist aber kurze Zeit darauf, nämlich ab 1. Februar 1962, ohnedies ausgesprochen worden. Mit diesen Erwägungen steht der in den Versorgungsakten enthaltene Aktenvermerk vom 30. November 1961 in Einklang, wonach der Kläger damals selbst geäußert hat, ihm sei jetzt die Stelle des Verwaltungsleiters entgangen, würde er zum Oberinspektor späterhin befördert werden, so würde "die MdE wieder normal" zu beurteilen sein.
Daß der Kläger ab September 1961 nicht am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert war, konnte das SG zutreffend daraus schließen, daß der Arbeitgeber am 18. Dezember 1961 ohne Einschränkung erklärt hatte, der Kläger sei von einer weiteren Beförderung nicht ausgeschlossen und daß der Kläger tatsächlich noch vor Klageerhebung vom Inspektor zum Oberinspektor befördert worden ist. Schließlich ist auch kein hinreichender Anhalt dafür ersichtlich, daß dies die letztmögliche Beförderung des Klägers gewesen ist. Das SG konnte sonach ohne Gesetzesverstoß die Voraussetzung einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c BVG verneinen. Es ist auch nicht erkennbar, daß außer der vorerwähnten, von der Revision allein als verletzt bezeichneten Vorschrift, andere Bestimmungen über die besondere berufliche Betroffenheit des § 30 Abs. 2 BVG nicht beachtet oder falsch angewandt worden wären. Der Kläger, der vor der Schädigung nur Assistent war und nach der Schädigung zum Oberinspektor aufgestiegen ist, mußte weder seinen begonnenen oder angestrebten Beruf aufgeben (§ 30 Abs. 2 Buchst. a BVG), noch ist ersichtlich, daß er gerade in seinem Verwaltungsberuf durch die Art der Schädigungsfolge in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert und deshalb besonders beruflich betroffen wäre (§ 30 Abs. 2 Buchst b BVG).
Nach alledem war das angefochtene Urteil im Ergebnis nicht zu beanstanden, weshalb die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden mußte (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen