Leitsatz (amtlich)

Die örtliche Bindung des Altenteilers an den Betrieb, aus dem ihm Versorgungsleistungen des Übernehmers zufließen, muß auch bei der Auslegung des Begriffes der "Erwerbstätigkeiten" iS von GAL 1965 § 2 Abs 2 (= GAL 1961 § 2 Abs 1 Buchst a idF des ÄndG vom 1963-05-23 iVm RVO § 1247 Abs 2 beachtet werden. Erwerbsmöglichkeiten, die nur bei einem Umzug in die Stadt, selbst nur bei "Wochenendpendeln", verrichtet werden können, dürfen deshalb für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit früherer landwirtschaftlicher Unternehmer in aller Regel nicht in Betracht gezogen werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Trotz der Verweisung in § 2 Abs 2 GAL 1965 auf § 1247 Abs 2 RVO deckt der Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Recht der Altershilfe für Landwirte sich mit dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit in der Arbeiterrentenversicherung nicht in jeder Hinsicht. Er unterliegt Einschränkungen, die sich aus dem Zweck des Altersgeldes ergeben.

2. Das Altersgeld soll nur eine zusätzliche Hilfe neben den Versorgungsleistungen sein, es soll nur den im Zug der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung gestiegenen Bargeldbedarf des Altenteilers decken.

 

Normenkette

RVO § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; GAL § 2 Abs. 2 Fassung: 1965-09-14, Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1963-05-23

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. April 1965 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Streitig ist der Anspruch der Klägerin (geboren am 16. September 1907) auf vorzeitiges Altersgeld nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL).

Der Ehemann der Klägerin ist im Juli 1944 gefallen. Er war Eigentümer eines 15,92 ha großen Hofes in S; Hoferbe ist der 1937 geborene Sohn. Der Hof wurde nach dem Tod des Ehemannes von der Klägerin in Ausübung des ihr zustehenden Verwaltungs- und Nießbrauchrechts bewirtschaftet. Durch notariell beurkundeten "Auseinandersetzungsvertrag und Altenteilvertrag" vom 7. Dezember 1963 verzichtete die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1964 auf das Verwaltungs- und Nießbrauchrecht und übergab den Hof dem Sohn; der Klägerin wurde in diesem Vertrag ein lebenslängliches Altenteil (Wohnrecht, Gartenland, Naturalleistungen ua) eingeräumt. Die Klägerin selbst ist Eigentümerin eines Hofes in B, den sie verpachtet hat.

Am 11. Dezember 1963 beantragte die Klägerin das vorzeitige Altersgeld wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. April 1964 ab, weil die Klägerin nach den ärztlichen Befunden noch nicht erwerbsunfähig sei. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Lübeck vom 2. Oktober 1964; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 8. April 1965). Das LSG führte aus: Die Klägerin leide nach den ärztlichen Gutachten an einer Reihe von Gesundheitsstörungen, insbesondere einer dem Alter entsprechenden Arteriosklerose, an Folgen der Wechseljahre, an Abbauerscheinungen der Wirbelsäule, die teilweise über das altersübliche Ausmaß hinausgingen und zu Kopf-, Nacken-, Rückenbeschwerden (gleichzeitig auch muskelrheumatischer Art) führten, an arthrotischen Veränderungen der Schulter- und Kniegelenke und an Streckbehinderungen einzelner Finger rechts und links. Der Klägerin könnten nur noch leichte körperliche Arbeiten einfacher Art im Sitzen und Stehen täglich, am besten im Wechselrhythmus, und mittelschwere einfache Arbeiten im Sitzen mit Unterbrechungen zugemutet werden, und zwar in geschlossenen trockenen Räumen unter Schutz vor Nässe- und Kälteeinwirkungen. Der Weg von und zur Arbeitsstätte, soweit er nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden könne, dürfe höchstens 1500 m betragen. Es stehe außer Zweifel, daß die Klägerin die normalen landwirtschaftlichen Arbeiten weiblicher Arbeitskräfte nicht mehr verrichten könne; ob andere ihrem noch vorhandenen Leistungsvermögen entsprechende Erwerbsmöglichkeiten in Seefeld oder in dessen näherer Umgebung vorhanden seien und ob es auf dem Lande überhaupt echte Arbeitsverhältnisse für beschränkt arbeitsfähige Frauen in landwirtschaftlichen Haushalten, Küchen oder bei der Beaufsichtigung von Kindern gebe, sei zweifelhaft. In dem kleinen Dorf S gebe es nur Arbeitsmöglichkeiten in der Landwirtschaft. Auf Arbeiten in dem 9 bis 10 km entfernten Bad O im täglichen Pendelverkehr könne die Klägerin nicht verwiesen werden, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel dorthin gebe und sie durch den Anmarschweg, auch nur zu der 3 km entfernten nächsten Bahnstation, nach ihrem körperlichen Zustand überfordert werde. Die Klägerin könne jedoch auf Arbeiten in Fabriken, im Gewerbe und im Handel "verwiesen" werden, obgleich dazu ein Umzug in die Stadt oder wenigstens ein Wochenendpendeln erforderlich wäre. In größeren Städten sei ein ausreichendes Arbeitsfeld für solche Arbeiten vorhanden, die die Klägerin nach ihrem körperlichen und geistigen Zustand auch in gewisser Regelmäßigkeit verrichten und mit denen sie mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen könne. Darauf, ob Erwerbstätigkeiten im Sinne von § 1247 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) mit einem wesentlichen sozialen Abstieg verbunden seien, komme es nicht an; die äußerste Grenze der "Verweisbarkeit", die durch den Ausschluß sozial besonders gering bewerteter Tätigkeiten gezogen sei, werde mit den erwähnten Arbeiten nicht überschritten.

Die Klägerin legte die vom LSG zugelassene Revision ein; sie beantragte,

die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung des vorzeitigen Altersgeldes an die Klägerin vom 1. Januar 1964 an zu verurteilen,

hilfsweise,

die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sie trug vor, das LSG habe den rechtlichen Zweck des vorzeitigen Altersgeldes für Landwirte und den Begriff der Erwerbsunfähigkeit in § 1247 Abs 2 RVO verkannt, die Rechte der Klägerin bei der Bestimmung der Grenzen für die Verweisbarkeit auf das "allgemeine Arbeitsfeld" verletzt, wesentlichen Streitstoff außer Acht gelassen und den Sachverhalt unter Verstoß gegen allgemeine Beurteilungsmaßstäbe, Erfahrungssätze und Denkgesetze beurteilt. Der Klägerin, die jahrzehntelang den ihr selbst gehörenden Hof und nach dem Tode ihres Mannes dessen Hof bewirtschaftet habe, seien einfache Arbeiten in Fabriken, Gewerbe und Handel nicht zuzumuten, sie brauche eine soziale Deklassierung nicht hinzunehmen. Die Zumutbarkeitserwägungen des LSG verletzten das Recht der Klägerin "auf Freiheit von unzumutbarem Zwang bei der Gestaltung ihres ferneren Lebensschicksals". Das LSG habe auch nicht geprüft, ob es im "Gerichtsbezirk" überhaupt Einsatzmöglichkeiten für so weitgehend in ihrem Leistungsvermögen beschränkte weibliche Arbeitnehmer gebe; auf bloße Vermutungen könne ein Urteil nicht gegründet werden. Bei weiteren Feststellungen hätte das LSG zu der Überzeugung kommen müssen, daß die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen auch in einer größeren Stadt nicht mehr in der Lage wäre, mehr als nur geringfügige Einkünfte zu erzielen, zumal dabei auch die erheblich größeren Lebenshaltungskosten von den Einkünften abgezogen werden müßten.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trug vor, aufgrund des "unstreitigen" Sachverhalts müßten die Voraussetzungen der ersten Alternative des § 1247 Abs. 2 RVO verneint werden. Im Streit sei nur, ob die Klägerin die Voraussetzungen der zweiten Alternative erfülle, also nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen könne. Dies sei hier nicht der Fall. Die Klägerin müsse sich bei der Beurteilung der Erwerbs(un)fähigkeit auf das "allgemeine Arbeitsfeld" verweisen lassen, für das GAL gelte der gleiche Erwerbsunfähigkeitsbegriff wie in der Rentenversicherung der Arbeiter. Im übrigen sei jedoch im vorliegenden Falle der Lebensunterhalt der Klägerin durch die Altenteilleistungen aus dem abgegebenen Betrieb und weiter durch die Pachteinnahmen aus ihrem eigenen Betrieb durchaus sichergestellt. Sie könne auch in dem an ihren Sohn übergebenen Betrieb noch zahlreiche Arbeiten verrichten und damit, falls es zu einer Entlohnung dieser Dienste käme, mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen. Das LSG habe auch nicht gegen die §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie ist auch begründet.

Maßgebend für den Anspruch der Klägerin auf vorzeitiges Altersgeld ist im vorliegenden Falle § 2 Abs. 2 GAL idF vom 14. September 1965 - GAL 1965 - (BGBl I 1449) = § 2 Abs. 1 a GAL 1963). Da die Voraussetzungen der Buchstaben b) und c) dieser Vorschrift (Beitragsentrichtung für mindestens 60 Kalendermonate und Abgabe des Unternehmens) unstreitig vorliegen, kommt es allein darauf an, ob die Klägerin erwerbsunfähig im Sinne von § 1247 Abs. 2 RVO ist (Buchst. a).

Das LSG hat dies aus den von ihm dargelegten Gründen nicht verneinen dürfen.

Nach den für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG), scheiden für die Klägerin wegen ihres Gesundheitszustandes als "Erwerbstätigkeiten" im Sinne von § 1247 Abs. 2 RVO alle landwirtschaftlichen Frauenarbeiten aus; ebenso alle Erwerbstätigkeiten, die die Klägerin nur im täglichen Pendelverkehr nach dem 9 bis 10 km entfernten Bad Oldesloe erreichen könnte. Das LSG hat die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin allein deshalb verneint, weil die Klägerin nach ihrem körperlichen und geistigen Zustand noch in der Lage sei, einfache Arbeiten in gewisser Regelmäßigkeit in Fabriken, im Gewerbe und im Handel zu verrichten und dadurch mehr als nur geringfügige Einkünfte zu erzielen, obgleich dazu ein Umzug in eine größere Stadt oder wenigstens ein "Wochenendpendeln" erforderlich wäre. Das LSG hat also, entgegen der Meinung der Beklagten, nicht nur die Voraussetzungen der zweiten, sondern auch der ersten Alternative des § 1247 Abs. 2 RVO verneint. Gegen die ihren Gesundheitszustand betreffenden Feststellungen hat die Klägerin mit der Revision keine substantiierten Verfahrensrügen geltend gemacht; sie hat nicht die Tatsachen und Beweismittel bezeichnet (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG), die den von ihr behaupteten Verstoß des LSG gegen seine Pflicht, den Sachverhalt - in medizinischer Hinsicht - weiter aufzuklären (§ 103 SGG), oder einen Verstoß gegen Erfahrungssätze und Denkgesetze (§ 128 SGG) erkennen lassen. Ob das LSG insoweit, als es das Vorhandensein eines "ausreichenden Arbeitsfeldes" in größeren Städten für die bei der Klägerin in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten bejaht hat, von einem Erfahrungssatz ausgegangen ist und ob es diesen Erfahrungssatz gibt, kann dahingestellt bleiben. Das LSG ist nämlich, wie die Klägerin zu Recht geltend macht, sachlich-rechtlich von einem Begriff der Erwerbsunfähigkeit ausgegangen, der mit dem gesetzlichen Zweck des Altersgeldes nicht zu vereinbaren ist. Es hat nicht beachtet, daß trotz der Verweisung in § 2 Abs. 2 GAL 1965 (§ 2 Abs. 1 a GAL 1963) auf § 1247 Abs. 2 RVO der Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Recht der Altershilfe für Landwirte sich mit dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit in der Arbeiterrentenversicherung nicht in jeder Hinsicht deckt, sondern Einschränkungen unterliegt, die sich aus dem Zweck des Altersgeldes ergeben. Das Altersgeld hat nicht - wie dies der grundsätzlichen "Lohnersatzfunktion" der Rente aus der Arbeiterrentenversicherung (und der Rentenversicherung der Angestellten) entspricht - die "Funktion", die bisherigen Einkünfte eines landwirtschaftlichen Unternehmers aus dem Betrieb zu "ersetzen"; es soll nicht den vollen Lebensunterhalt des alten oder erwerbsunfähigen Landwirts decken. Vielmehr läßt schon die geringe Höhe des einheitlich festgelegten Altersgeldes erkennen, daß es nur eine zusätzliche Hilfe neben den Versorgungsleistungen (Wohnrecht, Naturalbezüge, mitunter auch Geldleistungen) sein soll, die dem landwirtschaftlichen Unternehmer, der seinen Betrieb abgegeben hat, von dem Übernehmer in aller Regel gewährt werden; es soll nur den im Zuge der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung gestiegenen Bargeld bedarf des Altenteilers decken (vgl. z. B. Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, Sitzungsprotokolle S. 13061, Berichterstatter Abgeordneter Klausner; 3. Wahlperiode 1957, Sitzungsprotokolle S. 9086, Abgeordneter Frehsee; ferner Schewe-Zöllner, Kommentar zum GAL, Stand 1958 E 3; Noel-Rüller, Die Altershilfe für Landwirte, Vorwort S. 5 zur 4. Aufl.). Das bedeutet aber, daß die örtliche Bindung des Altenteilers an den Betrieb, aus dem ihm Versorgungsleistungen des Übernehmers zufließen, auch bei der Auslegung des Begriffs der "Erwerbstätigkeiten" im Sinne von § 2 Abs. 2 (bzw. früher Abs. 1 a) GAL iVm § 1247 Abs. 2 RVO beachtet werden muß. Erwerbsmöglichkeiten, die nur bei einem Umzug in die Stadt, selbst nur bei "Wochenendpendeln", verrichtet werden können, dürfen für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit der früheren landwirtschaftlichen Unternehmer in aller Regel nicht in Betracht gezogen werden. Jedenfalls scheiden solche Erwerbstätigkeiten dann aus, wenn es sich - wie bei der Klägerin - um eine Frau in vorgerücktem Alter handelt (die Klägerin ist bei der Antragstellung über 56 Jahre, zur Zeit der Entscheidung des LSG 57 1/2 Jahre alt gewesen), die - wie die Klägerin - jahrzehntelang, jedenfalls seit ihrer Heirat und bis zur Abgabe des Betriebs ausschließlich in der Landwirtschaft tätig gewesen ist (möglicherweise überhaupt stets nur in der Landwirtschaft gearbeitet hat) und körperlich erheblich behindert ist. Damit kommt es hier auch nicht darauf an, ob es sich bei den vom LSG genannten Tätigkeiten einfacher Art um sozial besonders gering bewertete Tätigkeiten handelt, auf die die Klägerin nach Treu und Glauben nicht "verwiesen" werden könnte (vgl. Urteil des BSG vom 28. Mai 1963, BSG 19, 147, 149, 150).

Diese Auffassung des Senats steht nicht im Widerspruch zu den Ausführungen in seinem Urteil vom 19. Juni 1969 - 11/7 RLw 24/66 -, in dem gesagt ist, daß ehemalige landwirtschaftliche Unternehmer auch auf selbständige und unselbständige Tätigkeiten außerhalb des (ganz oder teilweise) abgegebenen Betriebs "verwiesen" werden können. Der Senat hält an dieser Auffassung auch deshalb fest, weil das "Schutzbedürfnis" ebenso wie in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten auch im Recht der Altershilfe für Landwirte und z. B. auch in der Handwerkerversicherung nicht durch den Gedanken eines "Gruppenschutzes" (Arbeiter-Angestellte-Selbständige) bestimmt wird und weil auch im Bereich des GAL der zunehmenden Tendenz zu einer "Mobilität" aller Arbeitenden Rechnung zu tragen ist (vgl. Urteil des Senats vom 28. Mai 1968, SozR Nr. 69 zu § 1246 RVO, und. Gitter in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1969, 62). Diese Erwägungen schließen es jedoch nicht aus, den Begriff der "Erwerbstätigkeiten", die bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach den Vorschriften des GAL heranzuziehen sind, durch die Berücksichtigung der an den Wohnort des alten Landwirts "gebundenen" Versorgungsleistungen, die nach dem Grundgedanken des GAL bei der Bemessung der Höhe des Altersgeldes von vornherein "einkalkuliert" sind, einzuschränken.

Ebenso wie die Erwerbstätigkeiten, die einen Umzug in die Stadt erfordern würden, kommen für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit ehemaliger Landwirte - was das LSG nicht erörtert hat - entgegen der von der Beklagten im Revisionsverfahren vertretenen Auffassung in der Regel aber auch solche Arbeiten nicht in Betracht, die ein Altenteiler in dem nunmehr vom Übernehmer bewirtschafteten Betrieb noch verrichten kann, bei Frauen insbesondere also auch nicht Arbeiten im Haushalt oder in der Familie des Übernehmers. Der Senat hat in dem Urteil vom 19. Juni 1969 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG auch dargelegt, daß § 1247 Abs. 2 RVO in beiden Alternativen auf "Erwerbstätigkeiten" abstellt. Erwerbstätigkeiten sind aber nur solche Tätigkeiten (Arbeiten), durch die sich Einkünfte (Arbeitsentgelt oder sonstiger "Gewinn") erzielen lassen; eine unentgeltlich verrichtete Arbeit ist keine Erwerbstätigkeit (BSG aaO; weiter Urteil des BSG vom 19. Juli 1963, SozR Nr. 27 zu § 1246 RVO). Die Beklagte selbst hat die von ihr aufgeführten, für die Klägerin im Betrieb oder Haushalt des Sohnes in Betracht kommenden Arbeiten auch nur unter der Voraussetzung als "Erwerbstätigkeiten" angesehen, daß "es zu einer Entlohnung dieser Dienste käme". Der Senat hat in dem erwähnten Urteil darauf hingewiesen, daß eine Vergütung der von einem Austrägler (Altenteiler) im abgegebenen Betrieb noch verrichteten Arbeiten im Regelfall nicht üblich sein wird; bei den von der Beklagten erwähnten häuslichen Frauenarbeiten dürfte dies nach der Lebenserfahrung noch weniger zutreffen. Unerheblich ist auch, ob der Lebensunterhalt des Altenteilers im Einzelfall auch ohne das Altersgeld durch Einkünfte aus seinem Vermögen (Kapitalzinsen oder wie hier Pachteinnahmen), durch Sach- und Geldleistungen aufgrund des Altenteilvertrags, durch Leistungen aus einer Lebensversicherung sichergestellt wäre. Der Anspruch auf das Altersgeld ist nicht von der "Bedürftigkeit" abhängig.

Als Erwerbstätigkeiten kommen nach den dargelegten grundsätzlichen Erwägungen und nach den vom LSG für den vorliegenden Fall festgelegten Tatsachen sonach nur solche Frauenarbeiten nichtlandwirtschaftlicher Art in Betracht, die die Klägerin am Wohnort oder in dessen näherer Umgebung verrichten könnte. Das LSG hat festgestellt, in dem kleinen Dorf S, dem Wohnort der Klägerin, gebe es keine anderen Arbeitsmöglichkeiten als in der Landwirtschaft. Die "nähere Umgebung" ist hier durch die vom LSG weiter festgestellte Tatsache abgegrenzt, daß der Weg zur Arbeitsstätte für die Klägerin wegen ihres Gesundheitszustandes nicht mehr als höchstens 1500 m betragen dürfe. Ob es auf dem Lande "nunmehr" - etwa bedingt durch den Personalmangel - "echte Arbeitsverhältnisse" (womit Arbeitsleistung gegen Entgelt gemeint ist) für beschränkt arbeitsfähige Frauen in landwirtschaftlichen Haushalten, Küchen oder Familien überhaupt gibt, hat das LSG ebenso in Zweifel gezogen, wie es als zweifelhaft bezeichnet hat, ob die Klägerin in der "näheren Umgebung" mit dem ihr verbleibenden Leistungsvermögen Erwerbstätigkeiten in gewisser Regelmäßigkeit ausüben oder durch sie mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen könne. Diese Zweifel lassen sich nur durch weitere Tatsachenfeststellungen ausräumen, die der Senat nicht selbst treffen kann. Das LSG wird daher insoweit noch Ermittlungen anstellen müssen, die sich auch auf die Vergütung der für die Klägerin etwa noch in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten zu erstrecken haben. Der Stellungnahme der Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit kommt insoweit besondere Bedeutung zu (vgl. § 6 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969, BGBl I 582). Sind entsprechende Erwerbsmöglichkeiten auch in der "näheren Umgebung" nicht vorhanden, so liegen unter den hier gegebenen Umständen die Voraussetzungen für den Anspruch der Klägerin auf das vorzeitige Altersgeld vor.

Da eine abschließende Beurteilung aufgrund der bisher festgestellten Tatsachen nicht möglich ist, ist auf die Revision der Klägerin das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2000629

BSGE, 71

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