Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 37c AVG verfassungsmäßig
Orientierungssatz
§ 37c AVG (§ 1260c RVO) ist mit dem GG vereinbar (vgl BSG vom 28.8.84 - 11 RA 4/84).
Normenkette
AVG § 37c Fassung: 1977-06-27; RVO § 1260c Fassung: 1977-06-27; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 3 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 05.08.1983; Aktenzeichen L 1 An 48/82) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 24.03.1982; Aktenzeichen S 9 An 33/81) |
Tatbestand
Streitig ist bei der Berechnung des Altersruhegeldes die Behandlung der Ersatzzeiten im Rahmen des § 37c des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und des Art 2 § 14 Abs 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG).
Der 1921 geborene Kläger ist seit April 1981 Richter am Sozialgericht (SG) im Ruhestand. Für seine Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften sind die Zeiten des Kriegsdienstes und der Gefangenschaft vom 1. Mai 1945 bis zum 31. Juli 1946 als ruhegehaltsfähig angerechnet worden. Bei der Berechnung des ab April 1981 gemäß § 25 Abs 1 AVG wegen anerkannter Schwerbehinderung gewährten Altersruhegeldes aus der Angestelltenversicherung berücksichtigte die Beklagte diese Zeiten deswegen nicht rentensteigernd; bei der Ermittlung der pauschalen Ausfallzeit ging sie aber davon aus, daß sie als Ersatzzeiten eine Versicherungszeit sind (Bescheid vom 3. März 1981).
Die Klage hiergegen war in den Vorinstanzen erfolglos. Nach Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) im Urteil vom 5. August 1983 hat aufgrund von § 37c AVG die Ersatzzeit bei der Rentenberechnung unberücksichtigt zu bleiben, da sie der Versorgung aus dem vor 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zugrundegelegt worden sei. Diese Regelung sei mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar; weder seien die Eigentumsgarantie, das Rechtsstaatsprinzip noch der Gleichheitssatz verletzt. Auch sei es nicht widersprüchlich, daß die Ersatzzeit in ihrer Eigenschaft als Versicherungszeit bei der Ermittlung der pauschalen Ausfallzeit nach Art 2 § 14 Abs 1 AnVNG einbezogen worden sei; der Gleichheitssatz bleibe insoweit unberührt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß), die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, den Bescheid vom 3. März 1981 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ab April 1981 ein höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 1. Mai 1945 bis zum 31. Juli 1946, hilfsweise einer pauschalen Ausfallzeit von 25 Monaten zu gewähren.
Zur Begründung meint er, die Nichtberücksichtigung der Ersatzzeiten aufgrund von § 37c AVG stelle eine Enteignung dar; ihm sei eine unwiderrufliche Rechtsposition eingeräumt worden, die der eines Eigentümers gleichstehe. Das Rechtsstaatsprinzip sei deshalb verletzt, weil er im Hinblick auf die Erwartung, die Ersatzzeiten würden berücksichtigt, vor Inkrafttreten des § 37c AVG freiwillige Beiträge entrichtet habe; diese eigenen Leistungen seien nun erheblich geschmälert. Hinsichtlich des Hilfsantrages verweise er vollinhaltlich auf sein Vorbringen in beiden Instanzen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist im Hauptantrag zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 37c AVG idF des 20. Rentenanpassungsgesetzes -RAG- (seit 1. Januar 1983 § 37c Abs 1) bleiben ua Ersatzzeiten bei der Rentenberechnung unberücksichtigt, soweit sie bei einer Versorgung aus einem vor dem 1. Januar 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt sind. Daß die Beklagte hierauf gestützt die Ersatzzeiten des Klägers als Soldat und Kriegsgefangener (§ 28 Abs 1 Nr 1 AVG) vom 1. Mai 1945 bis 31. Juli 1946, dh 15 Monate, nicht berücksichtigen durfte, ist weder streitig noch zweifelhaft (s hierzu SozR 2200 § 1260c Nr 4 und Urteil vom 12. April 1984, 1 RA 85/82, zumal die betreffende Zeit in die ersten 35 ruhegehaltsfähigen Jahre fällt); zu beurteilen ist allein, ob § 37c AVG mit dem GG vereinbar ist. Diese Frage ist zu bejahen.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mehrfach die Annahme von Verfassungsbeschwerden gegen § 37c AVG abgelehnt (Beschlüsse vom 14. Oktober 1980 in SozR 2200 § 1260c Nr 1 und in MittLVA Oberfranken 1981, 402), da die Vorschrift nicht gegen die Art 14 Abs 1 und 3 Abs 1 GG verstoße; dieser Auffassung ist der erkennende Senat bereits im Urteil vom 17. März 1983 in SozR 2200 § 1260c Nr 3 und wieder im Urteil vom heutigen Tage (11 RA 4/84, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) grundsätzlich gefolgt (im Ergebnis für den vorliegenden Fall ebenso der 1. Senat im Urteil vom 12. April 1984, 1 RA 85/82). Von der dabei dargelegten Beurteilung des § 37c AVG als verfassungskonform abzugehen, besteht auch nach der hier gegebenen Sachlage kein Anlaß.
Das BVerfG hat wiederholt ausgesprochen (BVerfGE 53, 257 ff = SozR 7610 § 1587 Nr 1; BVerfGE 58, 81 ff = SozR 2200 § 1255a Nr 7 sowie ferner BVerfGE 64, 87 ff), der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes für die vermögenswerten Güter (und damit auch für Renten und Rentenanwartschaften) habe in Art 14 Abs 1 GG eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren; eines Rückgriffs auf Art 20 Abs 3 GG bedürfe es daher nicht. Auch dem ist der erkennende Senat beigetreten (Urteil vom 18. August 1983 - 11 RA 39/82; Urteil vom heutigen Tage aaO; ebenso der 1. Senat in BSGE 53, 86, 89 = SozR 5121 Art 1 § 4 Nr 1).
Die hiernach unter dem Blickwinkel der Eigentumsgarantie zu betrachtenden Argumente des Klägers vermögen eine Verfassungswidrigkeit nicht zu belegen; die Regelung des § 37c AVG wird durch Art 14 Abs 1 Satz 2 GG gerechtfertigt. Da - auch - den Ersatzzeiten des Kriegsdienstes und der Gefangenschaft keine eigenen Leistungen im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, zu denen nur Beitragsleistungen an Versicherungsträger rechnen, zugrunde liegen, sie vielmehr - worauf im übrigen der Kläger selbst hingewiesen hat - überwiegend auf staatlicher Gewährung beruhen, besteht eine weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers für ihre Ausprägung und den Umfang ihrer Anrechnung (s hierzu im einzelnen den erkennenden Senat im Urteil vom heutigen Tage - 11 RA 4/84 -). Eine schon erworbene Rechtsposition im Hinblick auf Ersatzzeiten ist sonach gerade nicht unwiderruflich (s BVerfG im Beschluß vom 1. Juli 1981, SozR 2200 § 1255a Nr 7, zu den - entsprechend zu behandelnden - Ausbildungs-Ausfallzeiten); späteren Einschränkungen in der Gewährung kann mit Beharren auf einer "gesicherten Eigentumsgarantie" nicht mit Erfolg begegnet werden.
Allerdings darf ein Eingriff in aufgrund solcher Zeiten bereits bestehende günstige Positionen nicht unverhältnismäßig sein, doch ist die Grenze hierfür eingehalten. Es ist nicht unverhältnismäßig, daß der Gesetzgeber die Ersatzzeiten sowie andere beitragslose Zeiten, die in der Rentenversicherung aus Mitteln der Versichertengemeinschaft und in der Beamtenversorgung aus Mitteln der Allgemeinheit honoriert werden müßten, in beiden Systemen nicht doppelt berücksichtigen will. Wie sich dies im Einzelfall in der Höhe auswirkt, kann dabei nicht von Bedeutung sein. Zur Vermeidung der unerwünschten Doppelversorgung ist eine Nichtberücksichtigung sogar um so gebotener, je mehr an solchen Zeiten der Berechnung zugrunde zu legen wären (Urteil vom heutigen Tage aaO).
Der vom Kläger erwähnte negative Kumulierungseffekt aufgrund der durch das Zweite Haushaltsstrukturgesetz erweiterten Ruhensregelung in § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) vermag sich in verfassungsmäßiger Hinsicht auf § 37c AVG nicht auszuwirken. Beide Vorschriften wollen zwar "Überversorgungen" begegnen; sie haben dabei jedoch unterschiedliche Zielrichtungen. Die begrenzten Ziele des § 37c AVG, Doppelleistungen für beitragslose Zeiten zu verhindern und die Rentenversicherung von der Honorierung dieser Zeiten zu entlasten, bleiben insoweit durch § 55 BeamtVG unangetastet; auch wird die Versichertenrente ungeachtet der Ruhensregelung ungekürzt gezahlt. Soweit es bei der Abgrenzung zu Unbilligkeiten kommt, liegen sie außerhalb des § 37c AVG; sie können, wie der Senat heute in der Sache 11 RA 4/84 dargelegt hat, dessen Verfassungsmäßigkeit nicht berühren.
Soweit der Kläger einen gesteigerten Vertrauensschutz beanspruchen will, weil er - ausschließlich - im Vertrauen auf den Rechtszustand, wie er bis zum Inkrafttreten des 20. RAG gegeben war, freiwillige Beiträge entrichtet habe, muß er sich entgegenhalten lassen, daß er die für die Jahre 1956 bis 1973 nachentrichteten und die für die Monate Januar bis September 1977 entrichteten freiwilligen Beiträge erst im Dezember 1979 bei der Beklagten eingezahlt hat, dh zu einem Zeitpunkt, zu dem das 20. RAG (vom 27. Juni 1977) schon längst verkündet war und § 37c AVG unmittelbar vor dem Inkrafttreten stand (1. Januar 1980). Bei dieser Fallgestaltung kann davon ausgegangen werden, daß er sich der Konsequenzen im Hinblick auf § 37c AVG bewußt war und sie bei der Vermögensdisposition in Kauf genommen hat; in jedem Falle ist ein verfassungsrechtlich relevanter Vertrauens- bzw Dispositionsschutz auch dann nicht zuzugestehen, wenn vier Beiträge für 1969 schon vor Verkündung des § 37c AVG entrichtet worden sind. Im übrigen überwiegen beim Kläger die Vorteile der Beitragsentrichtung vor Inkrafttreten des § 37c AVG immer noch die Nachteile, welche diese Gesetzesänderung ihm gebracht hat. Denn er hat mit freiwilligen Mindestbeiträgen die für das Altersruhegeld nach § 25 Abs 1 und 7 AVG erforderlichen 35 Versicherungsjahre erreichen können und so ein Altersruhegeld schon ab dem 60. Lebensjahr erlangt.
Kann nach alledem dem Hauptantrag der Revision in der Sache kein Erfolg beschieden sein, so ist der Hilfsantrag als unzulässig zu verwerfen, weil seine Begründung den gesetzlichen Formerfordernissen nicht entspricht (§ 164 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Denn nach feststehender Rechtsprechung (BSGE 6, 269; SozR Nr 53 zu § 164 SGG; BVerwG DÖV 78, 814; Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 32) kann die erforderliche Revisionsbegründung nicht durch die Verweisung auf das Vorbringen in den Vorinstanzen ersetzt werden.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen