Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Streitig ist, ob dem Kläger Witwerrente zusteht (§ 1266 Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Der Kläger und die Versicherte waren seit 1935 kinderlos verheiratet. Die Versicherte, von Beruf Näherin, ist am 28. Mai 1967 - etwa einen Monat nach Vollendung des 60. Lebensjahres - verstorben. Sie war von Januar bis November 1966 arbeitsunfähig krank und bezog Kranken- sowie Hausgeld. Danach verrichtete sie Heimarbeit, bis sie am 11. April 1967 wegen Arbeitsmangels entlassen wurde. Mit Wirkung vom 1. April 1967 bewilligte ihr die Beklagte vorgezogenes Altersruhegeld in Höhe von monatlich 205,80 DM (Bescheid vom 18. Mai 1967).
Der Kläger betrieb bis August 1966 ein Briefmarkenversandgeschäft von der ca. 113,5 qm großen Wohnung aus; seitdem besitzt er ein Ladengeschäft. Nach seiner Steuererklärung hatte er aus dem Geschäft 1966 einen Reingewinn von 4.293,-- M; der Steuerbescheid für 1967 weist einen Reingewinn von 5.855,-- DM aus.
Mit Bescheid vom 21. März 1968 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Witwerrente ab, weil die Versicherte den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten habe. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. Dezember 1969), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung durch Urteil vom 19. November 1976 zurückgewiesen und ausgeführt:
Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand habe am 1. April 1967 begonnen und am 9. bzw. 12. Mai 1967 (Auftreten der akuten Erkrankung der Versicherten und Einweisung in das Krankenhaus) geendet. Für die Versicherte sei im Hinblick auf den noch zu deren Lebzeiten ergangenen Bescheid vom 18. Mai 1967 der Betrag des Altersruhegeldes sowie der wirtschaftliche Wert der von ihr geleisteten Hausarbeit in Ansatz zu bringen. Bei der Bemessung könne nicht der Stellungnahme des Deutschen Hausfrauenbundes gefolgt werden, wonach die Arbeitszeit im Haushalt hier mit wöchentlich ca. 42 Stunden angenommen worden sei. Realistischer erscheine das Gutachten der Sachverständigen K., die 36 Stunden pro Woche angesetzt habe. Abweichend von diesem Gutachten sei aber nicht vom Höchstgehalt einer Wirtschafterin (Vergütungsgruppe VIII BAT), sondern im Einblick auf den einfachen Lebenszuschnitt vom Bruttotariflohn einer vergleichbaren Hausangestellten auszugehen. Das ergebe bei einem Bruttostundenlohn von damals 2,84 DM unter Zugrundelegung von 36 Wochenstunden 443,-- DM im Monat. Da vom Kläger monatlich 487,-- DM aufgebracht worden seien, hätte in diesem Fall die Versicherte den Gesamtunterhalt von 1.135,-- DM überwiegend bestritten. Die fiktiven Aufwendungen für eine fremde Hilfskraft müßten jedoch einer dem Lebenszuschnitt der Familie angemessenen Korrektur unterworfen werden. Im Hinblick auf das Gesamteinkommen der Eheleute von 692,-- DM erscheine eine Reduzierung des Wertes der geleisteten Hausarbeit auf höchstens ein Drittel (ca. 230,-- DM monatlich) angemessen. Danach sei auf die Versicherte nicht der überwiegende Unterhalt entfallen. Die Tätigkeit der Versicherten im Ladengeschäft des Klägers habe den Rahmen der nach § 1356 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) üblichen Mithilfe nicht überschritten und sich gegen den Wert der Mithilfe des Klägers im Haushalt aufgehoben.
Der Kläger hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt, daß die Arbeit seiner verstorbenen Ehefrau im Haushalt und im Geschäft nicht entsprechend dem tatsächlichen Wert in Ansatz gebracht worden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. März 1968 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Witwerrente vom Zeitpunkt des Todes der Versicherten an zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß kein Anspruch auf Witwerrente besteht.
§ 1266 Abs. 1 RVO setzt für die Gewährung der Witwerrente voraus, daß die Verstorbene (Versicherte) den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Daran fehlt es hier, wie das LSG im Ergebnis zu Recht festgestellt hat.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß vorliegend der von der Rechtsprechung als Anknüpfungspunkt herausgearbeitete letzte wirtschaftliche Dauerzustand mit April 1967 eingesetzt habe, also von dieser Zeit an die wirtschaftlichen Verhältnisse der aus dem Kläger und der Versicherten bestehenden "Familie" der Beurteilung, wessen Unterhaltsbeitrag überwog, zugrundezulegen seien. Der Senat hält dies für zutreffend. Er sieht den Grund hierfür - entgegen der Ansicht des LSG - allerdings nicht in dem mit (Rück-) Wirkung auf den 1. April 1967 der Versicherten bewilligten vorgezogenen Altersruhegeld, sondern hält in diesem Zusammenhang vielmehr für entscheidend, daß die Versicherte mit dem 11. April 1967 aus ihrem Arbeitsverhältnis entlassen wurde. Das war gleichbedeutend mit dem Verlust einer Unterhaltsquelle; damit trat letztmals in den Einkommensverhältnissen der Ehegatten eine wesentliche, ihrer Natur nach auf Dauer gerichtete Änderung ein.
Demgegenüber läßt sich nicht mit Erfolg einwenden, das (vorgezogene) Altersruhegeld habe sich hier insofern nahtlos an das letzte Arbeitseinkommen der Versicherten angeschlossen, als der Anspruch auf diese Rente bereits mit Wirkung vom 1. April 1967 entstanden und der das Altersruhegeld feststellende Bescheid noch zu Lebzeiten der Versicherten ergangen sei. Soweit das LSG auf BSGE 22, 44, 46 hingewiesen hat, wo darauf abgehoben wurde, daß ein (gesetzlicher) Anspruch zum maßgebenden (Todes-) Zeitpunkt genüge, um für den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand Berücksichtigung finden zu müssen, fehlt es an einer vergleichbaren Sach- und Rechtslage. Dort ging es um die "Geschiedenenwitwenrente" (§ 1265 RVO), und zwar konkret darum, ob für den Unterhaltsanspruch der Frau gegen den geschiedenen Mann dessen durch ein Rentenanpassungsgesetz begründeter Anspruch auf eine höhere Rente zu berücksichtigen sei. Hier dagegen kommt es, wie schon der Wortlaut des § 1266 RVO deutlich macht ("… überwiegend bestritten hat"), nicht auf die Unterhaltsberechtigung oder Unterhaltspflicht, sondern darauf an, ob und in welcher Höhe tatsächlich ein Unterhaltsbeitrag beigesteuert wurde. Die Rechtsprechung hat bei insoweit ähnlichen Gesetzestatbeständen stets auf das Verhältnis zwischen dem tatsächlich Gegebenen und Empfangenen abgestellt (vgl. SozR Nr. 14 zu § 2 BKGG und die dort Seite Aa 16 zitierte Rechtsprechung) und das auch bereits im Rahmen des § 1266 zum Ausdruck gebracht (vgl. SozR Nr. 4, 7 zu § 1266 RVO). So ist insbesondere im Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. April 1971 (SozR Nr. 9 zu § 1266 RVO) der Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente unberücksichtigt geblieben mit dem Hinweis, die Rente sei erst nach dem Tode rückwirkend festgestellt und ausgezahlt worden. Allerdings war im vorliegenden Fall bereits vor dem Tode der Versicherten das förmliche Feststellungsverfahren nach §§ 1630, 1631 RVO durchgeführt, nämlich der Bescheid der Versicherten zugestellt und damit rechtswirksam erteilt worden. Das bedeutet, daß diese noch einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte erworben hatte (vgl. § 1631 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 RVO sowie BSG in SozR Nr. 7 zu § 1288 RVO Seite Aa 9 und die dort zitierte Rechtsprechung und Literatur). Auch darauf kann es indessen hier nicht ankommen; die Befugnis, über den gegen einen Rentenversicherungsträger bestehenden Zahlungsanspruch Verfügungen treffen zu können, ist - da an das wirklich Geschehene angeknüpft und nur daraus eine Rechtsfolge hergeleitet wird - dem tatsächlichen Unterhaltsbeitrag nicht gleichzusetzen. Wesentlich bleibt hiernach, daß die Eheleute ihren Lebensunterhalt zu Lebzeiten der Versicherten nicht (auch) aus deren Altersruhegeld bestritten haben. Der Erfahrungssatz (oder die tatsächliche Vermutung), namentlich bei verhältnismäßig geringem Einkommen sei davon auszugehen, alle finanziellen Mittel hätten für den Lebensunterhalt Verwendung gefunden (z.B. SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO), kann sich nur auf das wirklich Vorhandene beziehen. Der Betrag des Altersruhegeldes von monatlich 205,80 DM muß also außer Ansatz bleiben.
Im Hinblick auf die dargelegte Rechtsansicht des Senats ist es unerheblich, ob der Rentenzahlungsanspruch schon um deswillen als Unterhaltsquelle unberücksichtigt bleiben müßte, weil er der Versicherten erst nach Beendigung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes (wofür das LSG den 9. bzw. 12. Mai 1967 angenommen hat) zugewachsen sei, oder ob es näher liegt, nicht die Zeit, sondern die wirtschaftlichen Folgen der zum Tode führenden Krankheit "auszuklammern" (vgl. hierzu SozR Nr. 1, 2, 6, 7 und 13 zu § 1266 RVO).
Obgleich in die Gegenüberstellung der beiderseitigen Unterhaltsbeiträge der Wert der von der Versicherten geleisteten Hausarbeit einzubeziehen ist, hat diese den Unterhalt des Ehepaares nicht überwiegend getragen. Das LSG hat bei der Ermittlung des Wertes der Hausarbeit zunächst untersucht, welcher Zeitaufwand ihm angemessen erschien, und den fiktiven Tariflohn für eine entsprechende Ersatzkraft in Ansatz gebracht. Es ist dabei im Anschluß an die gutachtlich gehörte Sachverständige K. von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden ausgegangen, hat aber - insofern abweichend von der gutachtlichen Stellungnahme - nicht das Höchstgehalt einer Wirtschafterin nach Vergütungsgruppe VIII MT zugrundegelegt, sondern "mit Rücksicht auf den einfachen Lebenszuschnitt und die einfache Ausstattung der Wohnung" den Lohn einer Hausangestellten mit abgeschlossener Lehre und mehr als zwölf Berufsjahren entsprechend der damals in Berlin geltenden tariflichen Regelung. In dieser Beweiswürdigung kann keine Verletzung "tatrichterlichen Ermessens" gesehen, werden (vgl. BSGE 31, 90, 97; BGH in NJW 1974, 1238).
Da, wie dargelegt, bei der Feststellung der Unterhaltsbeiträge der Ehegatten das Altersruhegeld der Versicherten von monatlich 205,80 DM nicht berücksichtigt werden kann, stand an finanziellen Mitteln dem Eheaar während des maßgebenden Zeitraums nur das Erwerbseinkommen des Klägers (487,-- DM monatlich) zur Verfügung. Der mit monatlich 443,-- DM festgestellte Wert der Hausarbeit erreicht diesen Betrag nicht, so daß schon deshalb der "Familienunterhalt" nicht von der Versicherten überwiegend bestritten wurde. Abgesehen davon ist der Wert des Unterhalts entgegen der in der Revisionsschrift vertretenen Ansicht nicht danach zu bemessen, wie fremde Arbeitskräfte entlohnt werden müssen, sondern es sind die durch den finanziellen Rahmen der Familie vorgegebenen Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, in die sich die Haushaltsführung einordnen muß und von denen losgelöst sie nicht bewertet werden kann (BSGE 31, 90, 97 und SozR Nr. 9 zu § 1266 RVO Seite Aa 17). Die Rechtsprechung des BSG hat bisher (BSGE 31, 90, 97, SozR Nr. 9 zu § 1266 RVO Seite Aa 17 sowie Urteil des 1. Senats vom 30. Mai 1978 --1 RA 71/77 -) in Fällen, in denen nur der Ehemann Arbeitseinkommen einbrachte, als Obergrenze für die Bewertung der Haushaltsführung die Höhe dieses Arbeitseinkommens angesehen. Diese Begrenzung muß erst recht denn gelten, wenn es sich - wie hier und anders als in den bisher entschiedenen Fällen - um einen Zweipersonenhaushalt handelt, also der im allgemeinen als wesentlich anzusehende Faktor der Kindererziehung und -betreuung nicht in Betracht kommt.
Die Mithilfe der Versicherten im Geschäft des Klägers führt zu keiner für die Revision günstigeren Beurteilung. Das LSG hat hierzu festgestellt, diese Mithilfe habe sich im Rahmen des § 1356 Abs. 2 BGB (hier i.d.F. das Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957) gehalten, so daß schon deshalb die vorerwähnte Obergrenze auch insoweit beachtlich ist. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch die Mitarbeitspflicht des Klägers im Haushalt untersucht und ist zu der Würdigung gelangt, die für die Mithilfe der Versicherten im Ladengeschäft sowie des Klägers im Haushalt anzunehmenden (wirtschaftlichen) Werte höben sich gegenseitig auf. Aufgrunddessen ist die Schlußfolgerung des LSG, es sei kein zusätzlicher Unterhaltsbeitrag der Versicherten zu berücksichtigen, nicht zu beanstanden, zumal sich beide "Mithilfen" ersichtlich in engen, im Verhältnis zum Gesamtaufwand nicht ins Gewicht fallenden Grenzen gehalten haben.
Aufgrund der vom Senat vorgenommenen rechtlichen Würdigung brauchte nicht dazu Stellung genommen zu werden, ob das Berufungsgericht den Wert der Hausarbeit ohne nähere Begründung gerade auf ein Drittel der als verfügbar angenommenen finanziellen Mittel reduzieren durfte, insbesondere, ob es seine ihm dafür maßgebend gewesenen Erwägungen für das Revisionsgericht nachprüfbar offengelegt hat (vgl. SozR Nr. 9 zu § 1266 RVO Seite Aa 14 Rs).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.4/5 RJ 16/77
Bundessozialgericht
Fundstellen