Entscheidungsstichwort (Thema)

Kriegsopferversorgung. Ausgleichsrente. Gesetzesänderung. Behandlung von zuvor festgesetzten Ausgleichsrenten als vorläufig gezahlte Ausgleichsrenten. Ausnahme bei Ablauf des Feststellungszeitraums vor Inkrafttreten der Neuregelung

 

Orientierungssatz

Eine nach altem Recht festgestellte Ausgleichsrente ist dann nicht in entsprechender Anwendung des § 60a Abs 2 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27.6.1960 (juris: KOVNOG 1) wie eine "vorläufig gezahlte" Ausgleichsrente abzurechnen, wenn die Zahlung der Ausgleichsrente nach § 60a Abs 1 S 7 BVG idF vom 27.6.1960 infolge einer Einkommenserhöhung für mindestens drei zusammenhängende Monate ausgeschlossen war und der Feststellungszeitraum deshalb bereits vor dem Inkrafttreten des KOVNOG 1 am 1.6.1960 geendet hatte (Abgrenzung zu BSG vom 13.4.1961 - 10 RV 171/61 = BSGE 14, 148 = SozR Nr 1 zu § 60a BVG).

 

Normenkette

BVG § 60a Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-06-27, S. 7 Fassung: 1960-06-27, Abs. 2 Fassung: 1960-06-27, Abs. 4 Fassung: 1960-06-27; KOVNOG 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.08.1963)

SG Freiburg i. Br. (Urteil vom 31.01.1962)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. August 1963 und das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 31. Januar 1962 aufgehoben; die Klage gegen den Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamtes F vom 29. März 1961 und gegen den Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg vom 27. Juni 1961 wird als unbegründet abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin bezieht Witwengrundrente und Witwenausgleichsrente. Nach Inkrafttreten des 1. Neuordnungsgesetzes (NOG) wies das Versorgungsamt das Zahlpostamt an, der Klägerin ab 1. Juni 1960 monatlich eine Grundrente von 100,- DM und eine Ausgleichsrente von 2,- DM zu zahlen. Mit Neufeststellungsbescheid vom 29. März 1961 entzog der Beklagte die bisher gewährte Ausgleichsrente (rückwirkend ab 1. Juni 1960), da sich das Einkommen der Klägerin aus Witwenrente und Witwenzusatzrente von der Bundesbahnversicherungsanstalt erhöht hatte. Er stellte die sich für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis zum 30. April 1961 (= 11 Monate) ergebende Überzahlung von monatlich 2,- DM auf 22,- DM fest und forderte diesen Betrag gemäß § 47 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) zurück. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 1961). Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 31. Januar 1962 den angefochtenen Bescheid vom 29. März 1961 insoweit auf, als eine Rückforderung festgestellt worden war. Die nach dem 31. Mai 1960 nach bisherigem Recht gezahlte Ausgleichsrente habe bis zur Umstellung mit Bescheid vom 29. März 1961 als vorläufig gezahlte Rente im Sinne des § 60a Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu gelten, die Rückforderung sei daher ausgeschlossen. Im Berufungsverfahren wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 9. August 1963 die Berufung des Beklagten als unbegründet zurück. Nach § 60a Abs. 2 BVG gelte als Überzahlung nur der Betrag, der 60,- DM (im Jahr) übersteige, wenn die endgültig festgestellte Ausgleichsrente niedriger sei als die vorläufig gezahlte Rente. Die Neufeststellung vom 15. Juni 1960 (Anweisung an das Zahlpostamt) sei die vorläufige Festsetzung der Ausgleichsrente, der Bescheid vom 29. März 1961 enthalte die endgültige Feststellung, wobei die Überzahlung von 22,- DM den in § 60a Abs. 2 BVG genannten Grenzbetrag von 60,- DM nicht erreiche. Im übrigen seien auch die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 VerwVG nicht gegeben, weil die Klägerin nicht wußte und nicht wissen mußte, daß ihr die Ausgleichsrente nicht mehr zustünde. Auch sei es fraglich, ob die Rückforderung wirtschaftlich vertretbar sei. Das LSG ließ die Revision zu.

Der Beklagte legte gegen das ihm am 9. September 1963 zugestellte Urteil am 27. September 1963 Revision ein mit dem Antrag,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 9. August 1963 und das Urteil des SG Freiburg vom 21. Januar 1962 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts F vom 29. März 1961 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 1961 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision des Beklagten rügt, das LSG habe § 60a BVG in der Fassung des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) und § 47 Abs. 2 VerwVG verletzt.

Das LSG habe den Begriff des Feststellungszeitraumes im Sinne des § 60a BVG verkannt, die Klägerin habe nicht Anspruch auf Leistungen gehabt, welche der vorläufigen Festsetzung und Zahlung fähig gewesen wären; da die Klägerin schon seit dem 1. Juni 1960 keinen Anspruch auf Ausgleichsrente gehabt habe, habe ein Feststellungszeitraum nicht entstehen können; denn die Voraussetzung des § 60a BVG, wonach mindestens für drei aufeinanderfolgende Monate eine vorläufige Rente ausbezahlt werden müsse, habe nicht vorgelegen. In diesem Sinne sei auch das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit vom 29. Mai 1961 (BVBl 5/61 S. 59) zu verstehen. § 60a Abs. 2 BVG sei nur anwendbar, wenn innerhalb des Feststellungszeitraumes das Einkommen des Rentenberechtigten niedriger wäre, also der Rentenberechtigte immer noch Anspruch auf Ausgleichsrente habe; denn die endgültig festgestellte Ausgleichsrente müsse niedriger sein als die vorläufig festgestellte Ausgleichsrente. Diese Vorschrift sei aber nicht anzuwenden, wenn eine Ausgleichsrente überhaupt nicht mehr zustehe.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die vom 1. Juni 1960 bis zum 30. April 1961 gewährte Ausgleichsrente von monatlich 2,- DM, zusammen 22,- DM, erreiche in dem fraglichen Feststellungszeitraum nicht den monatlichen Grenzbetrag von 5,- DM oder den Jahresgrenzbetrag von 60,- DM, so daß Beträge nicht überzahlt seien und eine Rückforderung entfallen müsse. Die Überzahlung hätte überdies auch vom Versorgungsamt vermieden werden können.

Die Revision des Beklagten ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist form- und fristgerecht erhoben und auch begründet.

§ 60a BVG in der Fassung des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) ist am 1. Juni 1960 in Kraft getreten. Diese Vorschrift ist für den angefochtenen Neufeststellungsbescheid vom 29. März 1961 maßgebend; denn der Neufeststellungsbescheid betraf den Zeitraum vom 1. Juni 1960 bis zum 30. April 1961. Da die Ausgleichsrente von monatlich 2,- DM an sich nicht vorläufig festgesetzt worden ist, ist der Revision zuzugeben, daß § 60a Abs. 1 BVG nicht unmittelbar angewendet werden kann. Für die Übergangszeit, welche mit dem 1. Juni 1960 beginnt, kann sonach streitig sein, ob die bisher festgestellte Rente einer im Sinne des § 60a BVG vorläufig zu zahlenden Rente gleichgestellt werden darf. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in dieser Richtung auch mit Urteil vom 13. April 1961 - 10 RV 171/61 - (BSG 14, 148) ausgesprochen: Eine nach altem Recht festgestellte Ausgleichsrente, die von der Versorgungsbehörde mit Wirkung vom 1. Juni 1960 als "endgültige Ausgleichsrente" festgesetzt wird, ist unter entsprechender Anwendung des § 60a Abs. 2 BVG wie eine "vorläufig gezahlte Ausgleichsrente" abzurechnen. Diese Entscheidung greift vorliegend jedoch nicht Platz. Denn der Gesetzgeber hat von der in § 60a BVG grundsätzlich getroffenen Regelung in § 60a Abs. 1 letzter Satz BVG eine Ausnahme für den Fall vorgesehen, daß eine Einkommenserhöhung die Zahlung von Ausgleichsrente für mindestens drei zusammenhängende Monate ausschließt. In diesem besonderen Fall endet der Feststellungszeitraum mit dem der Einkommenserhöhung vorhergehenden Monat (§ 60a Abs. 1 letzter Satz BVG in der Fassung des 1. NOG vom 27. Juni 1960 - BGBl I 453 -). Die Klägerin hatte vom 1. Juni 1960 an wegen der Höhe ihres Einkommens keinen Anspruch auf Ausgleichsrente mehr. Damit war vom 1. Juni 1960 an die Bildung eines Feststellungszeitraumes für die Zeit nach dem 31. Mai 1960 ausgeschlossen, die von diesem Zeitpunkt an gezahlte Ausgleichsrente konnte daher nicht mehr als vorläufig gezahlte Rente angesehen und als solche endgültig abgerechnet werden. Die bisher gezahlte Rente war vielmehr mit diesem Zeitpunkt in eine endgültig festgesetzte Rente umgewandelt worden. Somit entfällt die für den Regelfall in § 60a BVG eingeführte Vergünstigung. Die Einkommenserhöhung ist daher vom 1. Juni 1960 an nach § 60a Abs. 1 letzter Satz BVG und damit nach § 62 Abs. 3 Satz 1 BVG zu behandeln. Bei dieser Sach- und Rechtslage hat die Klägerin den Betrag zurückzuzahlen, der durch die Einkommenserhöhung und den dadurch bedingten Wegfall der Ausgleichsrente vom 1. Juni 1960 ihr zu Unrecht zugekommen ist (ebenso Urteile des BSG vom 6. Oktober 1964 - 10 RV 1059/62 und vom 18. Februar 1965 - 10 RV 299/62 -).

SG und LSG haben mithin § 60a Abs. 1 Satz 7 BVG in der Fassung des 1. NOG nicht beachtet. Die Revision ist daher begründet. Die angefochtenen Urteile des ersten und zweiten Rechtszuges waren sonach aufzuheben. Die unangegriffenen Feststellungen des LSG reichen auch aus, in der Sache selbst zu entscheiden.

Die Überzahlung von 22,- DM (2,- DM monatlich vom 1.6.1960 bis 30.4.1961) ist auf eine Erhöhung des Einkommens der Klägerin zurückzuführen. Sie hat am 20. März 1961 angezeigt, daß die von der Bundesbahnversicherungsanstalt K gewährte Witwenrente sich von 122,70 DM vom 1. Januar 1960 an auf 130,- DM und die Zusatzrente von 15,- DM auf 21,- DM vom 1. Juni 1960 an erhöht hat. Diese Einkommenserhöhung von monatlich 13,30 DM hat die Ausgleichsrente kraft Gesetzes zum Wegfall gebracht (§ 60a Abs. 1 letzter Satz BVG idF vom 27. Juni 1960 - BGBl I 453 -). Der Klägerin war mit Bescheid vom 1. März 1952 mitgeteilt worden, daß sie verpflichtet sei, dem Versorgungsamt unverzüglich anzuzeigen: jede Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere den Beginn und die Änderung eines Einkommens jeder Art, auch von Renten aus der Invalidenversicherung. Das Versorgungsamt F hat diese Belehrung mit Bescheiden vom 23. Juni 1953, 24. Januar 1956 und vom 24. Mai 1957 wiederholt. Die Klägerin ist dieser Verpflichtung auch nachgekommen. Sie mußte daher wissen, daß ihr die gezahlten Bezüge an Ausgleichsrente nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden. Da die Einkommenserhöhung monatlich 13,- DM (abgerundet) und die vom Zeitpunkt der Einkommenserhöhung nicht mehr zustehende Ausgleichsrente monatlich 2,- DM betragen, ist die Erstattung durch Einbehaltung von Teilen der Versorgungsbezüge auch wirtschaftlich vertretbar (§ 47 Abs. 2 VerwVG).

Die Klage gegen die Bescheide vom 29. März und 27. Juni 1961 war daher als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2719980

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge