Leitsatz (amtlich)
Unter den Voraussetzungen des RVO § 1244a Abs 7 S 2 ist der Ehegatte eines versicherungsfreien Beamten auch dann von der Tuberkulosehilfe des Trägers der Rentenversicherung ausgeschlossen, wenn er selbst Versicherter ist (Anschluß an BSG 1966-02-15 11 RA 337/63 = BSGE 24, 230 und SozR Nr 2 zu § 1244a RVO).
Normenkette
RVO § 1244a Abs. 7 S. 2 Fassung: 1959-07-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Juli 1963 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 1963 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin war bis zum Jahre 1958 versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Oktober 1960 bezieht sie von der Beklagten Versichertenrente, nachdem sich im Februar 1960 ergeben hatte, daß ein Lungenprozeß, dessentwegen sie bereits in den Jahren 1951/52 wegen Tuberkulose stationär behandelt worden war, sich verschlechtert hatte. Die Klägerin unterzog sich deshalb vom 23. Februar bis 1. Dezember 1960 einer Tuberkulosebehandlung im Ev. Waldkrankenhaus Spandau. Einen Teil der dadurch entstandenen Kosten trug die Postbeamtenkrankenkasse, bei welcher der Ehemann der Klägerin als Postbeamter (Postoberschaffner) gegen Krankheit versichert ist. Nachdem diese Krankenkasse noch während der Behandlung mitgeteilt hatte, daß ihre Leistungspflicht abgelaufen sei, beantragte die Klägerin bei der Beklagten, die Kosten der Heilbehandlung zu übernehmen und ihr für diese Zeit Taschengeld zu gewähren. Den Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 4. April 1962 ab, weil die Klägerin nach § 1244 a Abs. 7 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als zu Beginn der Behandlungsbedürftigkeit nicht versicherungspflichtig beschäftigte Ehefrau eines - versicherungsfreien - Beamten von Leistungen der Tuberkulosehilfe aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen sei.
Mit der Klage hat die Klägerin beantragt, den Ablehnungsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung zu übernehmen und für diese Zeit Übergangsgeld zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat der Klage durch Urteil vom 8. Mai 1963 stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat durch Urteil vom 8. Juli 1963 die Berufung der Beklagten im wesentlichen zurückgewiesen; es hat lediglich die Verurteilung zur Zahlung von Übergangsgeld - entsprechend dem im Berufungsverfahren eingeschränkten Klageantrag - auf die Zeit vor dem 1. Oktober 1960 (Rentenbeginn) begrenzt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Der Klageanspruch sei nach § 1244 a Abs. 1 und 2 RVO gerechtfertigt. Die Ausnahmebestimmung des Abs. 7 beziehe sich nur auf die nichtversicherten Ehegatten. Für diese Lösung sei der Gesichtspunkt der verfassungskonformen Auslegung entscheidend. Folge man nämlich der Auffassung der Beklagten, so werde eine Versicherte unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob sie mit einem Beamten verheiratet sei oder nicht. Das Motiv für diese unterschiedliche Behandlung sei allein in dem fiskalischen Interesse der Versicherungsträger zu suchen. Sie sei mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 des Grundgesetzes - GG -) nicht vereinbar. - Die Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme erläuterte das Berufungsgericht dahin, daß die Beklagte der Klägerin nur die tatsächlich entstandenen Aufwendungen in Höhe von 114,- DM zu ersetzen brauche. Im übrigen gehe es um die Freistellung der Klägerin von möglichen Verbindlichkeiten; solche Verbindlichkeiten könnten der Klägerin erwachsen, wenn die Postbeamtenkrankenkasse und der Dienstherr ihres Ehemannes die aus Anlaß der Erkrankung der Klägerin gewährten Leistungen zurückfordern sollten.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat das Rechtsmittel eingelegt und beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Beklagte hält ein Rechtschutzbedürfnis nicht für gegeben, soweit die Klage auf Kostenübernahme gerichtet ist. Die Klägerin habe - so führt die Revision aus - für ihre gesundheitliche Wiederherstellung selbst überhaupt keine finanziellen Mittel aufgewendet. Lediglich für ihren Ehemann treffe dies in Höhe von 114,- DM zu. Dieser habe aber einen etwaigen Anspruch gegen die Beklagte nicht an die Klägerin abgetreten. Die Postbeamtenkrankenkasse und die Landespostdirektion Berlin hätten der Klägerin entweder zu Recht geholfen, dann könnten sie auch nichts zurückfordern; oder diese Stellen seien vorläufig für den Rentenversicherungsträger eingesprungen, dann sei unmittelbar zwischen ihnen und der Beklagten ein Ausgleich herbeizuführen. In jedem Falle habe aber die Klägerin keine Inanspruchnahme zu befürchten und von der Beklagten auch nichts zu verlangen. - In der Sache selbst habe das LSG Abs. 7 Satz 2 des § 1244 a RVO falsch verstanden. Diese Vorschrift sei aus sich heraus auszulegen. Wer Ehegatte im Sinne dieser Vorschrift sei, dürfe nicht dem Abs. 2 Satz 2 aaO entnommen werden. Dort sei nur an die Ehegatten von Versicherten und Rentnern gedacht. Hier werde dagegen in einer allgemeineren Bedeutung von den Ehegatten solcher Personen gesprochen, die ihrerseits wegen anderweitiger Versorgung versicherungsfrei oder von der Versicherung freigestellt seien. Daß Abs. 7 Satz 2 eine für sich stehende Regelung betreffe, werde aus folgender Gegenüberstellung erhellt: Durch Abs. 2 Satz 2 des § 1244 a RVO würden solche Ehegatten in den Zuständigkeitsbereich der Rentenversicherung einbezogen, die selbst nicht versichert und außerdem von dem Versicherten oder Rentner überwiegend unterhalten worden seien. Abs. 7 Satz 2 ziehe dagegen eine engere Tatbestandsgrenze und fordere, daß der Ehegatte bei Feststellung seiner Behandlungsbedürftigkeit in keinem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Wenn nun aber mit Abs. 7 Satz 2 ohnehin nur die in Abs. 2 Satz 2 aufgeführten - "nichtversicherten" - Ehegatten erfaßt sein sollten, dann sei es überflüssig gewesen, in Abs. 7 Satz 2 die Worte "in keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung stand" aufzunehmen. Mithin könne der Begriff des Ehegatten in beiden Absätzen nicht übereinstimmen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen und die Beklagte zusätzlich zur Zahlung von Verzugszinsen zu verurteilen; vorsorglich beantragt sie, dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage der Grundrechtsverletzungen vorzulegen. Sie erblickt eine Schlechterstellung der Beamtenfrauen darin, daß ihnen die intensive und planmäßige Tbc-Versorgung der Rentenversicherung entgehe, und ferner darin, daß sie während der Heilbehandlung nicht in den Genuß des Übergangsgeldes und Taschengeldes gelangten, ja sich sogar an dem Kostenaufwand zu beteiligen hätten. Das verwirkliche den Tatbestand der Enteignung (Art. 14 Abs.1 GG) und verletze wohlerworbene Beamtenrechte. Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist begründet.
Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin ist entgegen der Meinung der Beklagten auch hinsichtlich des Anspruchs auf Kostenerstattung zu bejahen. Geht es - wie hier - um die Entscheidung, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs gegeben sind - darunter fällt auch die Frage der Sachberechtigung der Klägerin -, dann braucht das Bedürfnis für eine Rechtsverfolgung nicht besonders dargetan zu sein. Es ist daher auch insoweit über die Begründetheit der Klage zu befinden.
Die Klage ist jedoch unbegründet, weil auf den Fall der Klägerin § 1244 a Abs. 7 Satz 2 RVO anwendbar ist. Danach hat der Ehegatte eines versicherungsfreien oder von der Versicherung befreiten Beamten keinen Anspruch auf Tbc-Hilfe aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das gilt auch dann, wenn der Ehegatte selbst versichert, aber zur Zeit der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit nicht versicherungspflichtig beschäftigt ist. Diese Deutung hat das Bundessozialgericht (BSG) der angeführten Gesetzesbestimmung in seinem Urteil vom 15. Februar 1966 (11 RA 337/63 - BSG 24, 230) gegeben. Der erkennende Senat hält sie für richtig.
Diese Auffassung widerspricht nicht Abs. 2 des § 1244 a RVO. Dort wird in Ergänzung zu Abs. 1 erläutert, welchen Personen die Wohltaten der Tbc-Hilfe aus der gesetzlichen Rentenversicherung zugute kommen sollen. Zu diesen Leistungsempfängern zählen Ehegatten, die nicht versichert, aber von den Versicherten oder Rentnern überwiegend unterhalten worden sind. Daß das Gesetz an dieser Stelle bloß von den nichtversicherten Ehegatten spricht, Leuchtet ein; denn Ehegatten, die aus eigener Versicherung Ansprüche auf Tbc-Hilfe herzuleiten vermögen, fallen - wie die Klägerin - bereits unter den Begriff des Versicherten oder Rentners. Während somit in den Absätzen 1 und 2 des § 1244 a RVO der Personenkreis der durch das Gesetz Bedachten umschrieben wird, ist in Abs. 7 die Kompetenz der Rentenversicherung auf dem Gebiet der Tbc-Hilfe eingegrenzt und im Verhältnis zu dem Wirkungsbereich anderer Leistungsträger abgesteckt. Abs. 7 handelt von einer Rangordnung. Hier werden die Tatbestände oder diejenigen Personen aufgeführt, für die bereits anderweit Vorsorge getroffen ist und bei denen deshalb die Rentenversicherung keine Leistungen zu erbringen hat. Dabei hebt sich die Formulierung des Abs. 7 Satz 2 in § 1244 a RVO bemerkenswert von der Fassung des Abs. 2 Satz 2 ab. So wie in Abs. 2 Satz 2 die nichtversicherten Ehegatten der Versicherten in den Verantwortungsbereich der Versicherung eingereiht werden, so hätte man in Erwägung ziehen können, in Abs. 7 Satz 2 - nur - die nichtversicherten Ehegatten der versicherungsfreien oder von der Versicherung befreiten Personen aus dieser Zuständigkeit herauszunehmen. So geht das Gesetz aber nicht vor. Abs. 7 Satz 2 besagt mehr. Sogar versicherte Ehegatten sind aus dem Aufgabengebiet der Rentenversicherung ausgeschieden, wenn ihnen im Falle der Erkrankung an Tuberkulose von dem Dienstherrn des anderen Ehepartners zu helfen ist. Anders ist es lediglich dann, wenn die Verbindung zur Rentenversicherung besonders eng ist, nämlich wenn noch bis zur Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung fortdauert. Es läßt sich mithin nicht sagen, daß Versicherte oder Rentner, denen nach den Absätzen 1 und 2 des § 1244 a RVO originär ein Anspruch auf Tbc-Hilfe aus der Rentenversicherung zustünde, nicht vorrangig von einem anderen Leistungsträger zu betreuen wären. Gegenteiliges - für einige Gruppen von Fällen - anzuordnen, ist gerade der Sinn des Abs. 7 der genannten Vorschrift.
Die auf Rechtssätze des Grundgesetzes gestützten Revisionsangriffe sind zum größten Teil bereits von dem in BSG 24, 230 veröffentlichten Urteil widerlegt worden. Hier sei wiederholt, daß Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt sind, weil § 1244 a Abs. 7 Satz 2 RVO sich nicht willkürlich gegen Verheiratete in ihrer Gesamtheit oder gegen eine bestimmte Gruppe von Verheirateten richtet, sondern an die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn anknüpft und dabei in Rechnung stellt, daß diese Fürsorgepflicht sich auch auf das Wohl der Familie des Beamten erstreckt.
Der Revision kann auch nicht zugegeben werden, daß es für Ehefrauen von Beamten eine Enteignung bedeute, wenn sie von dem Dienstherrn ihres Mannes und nicht von dem Träger der Rentenversicherung betreut werden. Richtig ist, daß ihnen die Vorteile des Übergangsgeldes und - für den Fall eines Krankenhaus- oder Heilstättenaufenthalts - des Taschengeldes entgehen. Es trifft ferner zu, daß ihnen oder ihrem Ehemann eine Kostenbeteiligung abverlangt werden kann (§ 127 Abs. 4 iVm §§ 79 ff des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -), von der sie bei der Hilfe durch die Rentenversicherung verschon blieben. Gleichwohl wird Art. 14 GG durch § 1244 a Abs. 7 Satz 2 RVO in der Auslegung, die das BSG dieser Vorschrift gibt, nicht berührt. Es mag auf sich beruhen, ob und inwieweit subjektive öffentliche Rechte dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff des Art. 14 GG einzuordnen sind (vgl. BVerfG 16, 94, 111 ff; BSG 5, 40, 44). Hier braucht auch nicht abschließend darüber entschieden zu werden, ob Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, die zum Unterschied von Renten nicht Gegenleistung für Beiträge des Versicherten sind, überhaupt Gegenstand verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes sein können. Aus verfassungsrechtlicher Sicht genügt es, daß dem Versicherten ein Kernbestand an Schutz und Hilfe für den Fall der Erkrankung an Tuberkulose gewährleistet ist. Dabei wird durch eine Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung zwischen mehreren öffentlichen Leistungsträgern der Wesensgehalt des Eigentums nicht angetastet. Ferner kann von verfassungswegen nicht ein nach Ausmaß und Modalitäten fest eingegrenztes Recht oder gar ein Höchstmaß an Leistungen garantiert sein. Die Konkretisierung der zu erbringenden Hilfe muß dem Gesetzgeber überlassen bleiben, so wie es ihm unbenommen ist, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Den grundgesetzlichen Mindestanforderungen ist auch genügt, wenn die Rentenversicherung eine ihr vorgehende - dem Ziel der Tbc-Bekämpfung gerecht werdende - Leistungsverpflichtung in Rechnung stellt, dies jedenfalls deshalb, weil der Rentenanspruch, wenn die Voraussetzungen für seine Entstehung erfüllt sind, unberührt bleibt.
Schließlich ist nicht zu erkennen, wieso hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) mißachtet sein könnten. Zu den überkommenen und von der Verfassung gestützten Rechten der Beamten gehört freilich die angemessene Sicherung des Lebensunterhalts durch den Dienstherrn. Darunter fällt die Fürsorge in Notfällen. Diese Pflicht ist für den Fall, daß der Beamte oder einer seiner Angehörigen an Tbc erkrankt, sogar konkretisiert (§§ 127 ff BSHG). Diese Rechtstellung wird durch § 1244 a Abs. 7 Satz 2 RVO nicht beeinträchtigt, sondern gerade als gegeben vorausgesetzt.
Hiernach besteht kein Anlaß, das BVerfG mit den Fragen zu befassen, welche die Revision in der Sache aufgeworfen hat.
Nach allem haben die Vorinstanzen zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Erstattung von Kosten der Heilbehandlung sowie zur Gewährung von Übergangsgeld verurteilt. Die Klage ist unbegründet. Es bedarf deshalb - ebenso wenig wie in BSG 24, 230, 235 - nicht der Erörterung, ob eine Umwandlung des Sachleistungsanspruchs nach § 1244 a RVO in einen Geldanspruch überhaupt möglich ist (vgl. auch § 59 BSHG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Fundstellen