Leitsatz (amtlich)

Bei der Erteilung eines Zugunstenbescheides nach KOV-VfG § 40 Abs 2 ist die Versorgungsverwaltung verpflichtet, die Neuregelung von dem Zeitpunkt an auszusprechen, der insoweit für die Regelung im früheren Bescheid maßgebend gewesen ist.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 16. Dezember 1959 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin bezog vom 1. Oktober 1950 an Elternrente nach ihrem einzigen Sohn Herbert, der im Februar 1945 gefallen ist. Das Einkommen ihres Ehemannes wurde hierbei als sonstiges Einkommen angerechnet. Mit dem gegen den Bescheid vom 30. Mai 1958 erhobenen Widerspruch vom 18. Juni 1958 begehrte die Klägerin rückwirkend die Neuberechnung der Elternrente ohne Berücksichtigung des Einkommens ihres Ehemannes. Hierauf hob das Versorgungsamt (VersorgA) mit Bescheid vom 12. Juli 1958 den Bescheid vom 30. Mai 1958 auf und erhöhte die Elternrente vom 1. Mai 1957 an auf 90,- DM, lehnte aber einen Zugunstenbescheid für die vorhergehende Zeit ab. Der Widerspruch, der vor allem darauf gestützt war, daß nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) die Elternrente zu Unrecht unter Berücksichtigung des Einkommens ihres Ehemannes berechnet worden sei, wurde durch Bescheid vom 17. Oktober 1958 zurückgewiesen, weil ein Zugunstenbescheid nur vom Antragsmonat an zulässig sei.

Das Sozialgericht (SG) Schleswig änderte durch Urteil vom 20. August 1959 die seit dem 12. September 1957 erlassenen Bescheide und verurteilte den Beklagten, der Klägerin über die Gewährung der Elternrente vom 1. April 1952 an einen neuen Bescheid zu erteilen. Das SG führte aus, der Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) müsse der richtigen Rechtslage rückwirkend Rechnung tragen. Danach habe aber vom 1. April 1952 an bei der Feststellung der Elternrente das Einkommen des Ehemannes, der keinen Antrag gestellt habe, nicht berücksichtigt werden dürfen. Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig wies durch Urteil vom 20. August 1959 die zugelassene Berufung des Beklagten zurück. Es führte aus, die Voraussetzungen für einen neuen Bescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG seien erfüllt. Das BSG habe mehrfach entschieden, daß, wenn von zwei Ehegatten einer Anspruch auf Elternrente habe, nur dessen Einkommen - einschließlich des Geldwertes seines Unterhaltsanspruchs gegen den anderen Ehegatten - und das für einen Elternteil festgesetzte Einkommen zu berücksichtigen sei (vgl. BSG 4, 165 und 5, 293). Dies seien Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 40 Abs. 2 VerwVG, was auch der Bundesminister für Arbeit (BMA) bestätigt habe (vgl. BVBl 1958, 62). Anders als in § 40 Abs. 1 VerwVG sei auf Antrag des Berechtigten die Erteilung eines neuen Bescheides nach § 40 Abs. 2 VerwVG nicht dem Ermessen der Verwaltung überlassen, sondern zwingend vorgeschrieben und bedürfe auch nicht der Zustimmung des Landesversorgungsamtes. Nach Wortlaut und Zweck dieser Vorschrift unterliege die zeitliche Rückwirkung dieses Bescheides keinen Einschränkungen, sonst müßte der Versorgungsberechtigte, wenn in einer gleichgelagerten Sache eine günstigere Entscheidung des BSG in Aussicht stehe, den ihn betreffenden Bescheid vorsorglich anfechten, was aber dem aus den Verfahrensordnungen erkennbaren Willen zur tunlichen Beschränkung von Rechtsmitteln widerspreche. Die Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 8 zu § 40 VerwVG, daß in dem neuen Bescheid für die rückliegende Zeit grundsätzlich an der Bindung oder an der Rechtskraft festzuhalten sei, gelte für die von dem Ermessen der Verwaltung abhängige Neuregelung nach Abs. 1 des § 40, aber nicht für Abs. 2. Eine VV, die in diesem Falle die Rückwirkung ausschlösse, widerspräche dem Gesetz und wäre unwirksam. Die entgegenstehende Auffassung des BMA in BVBl 1958, 134 sei daher rechtlich ohne Bedeutung. Schließlich entspreche § 40 Abs. 2 VerwVG der früheren Wiederaufnahmebestimmung des § 66 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen (VerfG) vom 10. Januar 1922 i. d. F. vom 2. November 1934 (RGBl. I 1113). Sie sei im VerwVG in eine Berichtigung zugunsten des Berechtigten verwandelt worden. Damit sollte sichergestellt werden, daß die Verwaltung eine spätere Rechtsauffassung des BSG, die für den Versorgungsberechtigten günstiger ist, auf alle gleichliegenden Versorgungsfälle anwendet, während im Gegensatz zu früher die gleichen Folgerungen für den Fall einer für den Berechtigten ungünstigeren Rechtsauffassung nicht zugelassen sein sollten. Diese im Entwurf des VerwVG zunächst in § 42 über die Wiederaufnahme des Verfahrens vorgesehene Regelung sei dann dem § 40 VerwVG als Abs. 2 angefügt worden. An ihrer Rechtsnatur als einer Wiederaufnahmevorschrift habe sich dadurch nichts geändert. In § 42 sei die Wiederaufnahme unter ähnlichen Voraussetzungen geregelt wie in den §§ 179 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), 579, 580 der Zivilprozeßordnung (ZPO), während § 40 Abs. 2 von der sachlichen Entscheidung ausgehe. Nach Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift müsse die Verwaltung die unrichtigen Bescheide von Anfang an ändern und dürfe die Rückwirkung nicht nach ihrem Ermessen beschränken. Auch der BMA habe in dem Erlaß vom 24. September 1958 (BVBl 1958, 136) unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 40 Abs. 2 VerwVG ausdrücklich erwähnt, daß diese Vorschrift mit der Einordnung in § 40 Sinn und Zweck einer Bestimmung über die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht verloren habe. Der Beklagte könne sich auch dann nicht auf § 40 Abs. 1 VerwVG berufen und die Rückwirkung des neuen Bescheides einschränken, wenn bei der Erteilung des ersten Bescheides eine grundsätzliche Entscheidung des BSG bereits vorgelegen habe, aber versehentlich nicht berücksichtigt worden sei. Die Revision ist zugelassen worden.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 9. Februar 1960 zugestellte Urteil am 16. Februar 1960 Revision eingelegt. Er beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Urteile des LSG und des SG Schleswig die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Revision am 23. März 1960 begründet. Er ist der Auffassung, nach dem Wortlaut des § 40 Abs. 2 VerwVG sei nur die Frage, ob ein Zugunstenbescheid zu erteilen sei, dem Ermessen der Verwaltung entzogen, nicht dagegen die Rückwirkung und deren Dauer. Die Zustimmung des Landesversorgungsamtes sei damals für entbehrlich erachtet worden, weil nach § 40 Abs. 2 der Erlaß eines Zugunstenbescheides zwingend vorgeschrieben und die Frage der Rückwirkung zweitrangig sei. Die VV Nr. 8 zu § 40 VerwVG unterscheide nicht zwischen Bescheiden nach § 40 Abs. 1 oder Abs. 2 und verstoße nach dem Rundschreiben des BMA vom 12. September 1958 (BVBl 1958, 134) auch nicht gegen das Gesetz. Wenn der Tatbestand des § 40 Abs. 2 VerwVG aus der die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens betreffenden Vorschrift des § 42 herausgenommen und aus systematischen Gründen als Unterfall des § 40 Abs. 1 geregelt worden sei, so müsse gerade auch aus den Erwägungen des LSG geschlossen werden, daß Gegenstand des § 40 Abs. 2 nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens zur rückwirkenden Beseitigung einer fehlerhaften Entscheidung, sondern ein "echter" Zugunstenbescheid ist, über dessen Rückwirkung die Verwaltung nach ihrem Ermessen entscheiden könne. Der vom LSG erwähnte Erlaß des BMA vom 24. September 1958 (BVBl 1958, 136) wolle nur klarstellen, daß § 40 Abs. 2 auch nach der Herausnahme aus § 42 lediglich die Beseitigung sachlich unrichtiger Bescheide durch gesetzesgerechte Entscheidungen bezwecke und überhaupt nur für Fälle gelte, in denen rechtliche Zweifelsfragen bisher abweichend von der Ansicht des BSG ausgelegt worden seien, aber nicht für "eklatante Fehlentscheidungen" der Versorgungsbehörden, die gebieterisch eine Berichtigung erfordern. Auch unter dem Gesichtspunkt der mit § 40 Abs. 2 bezweckten Anpassung an die Rechtsprechung des BSG und der einheitlichen Anwendung der Versorgungsgesetze erscheine es keineswegs dringlich und billig, dem Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 2 stets unbeschränkte Rückwirkung beizulegen und Leistungen u. U. vom 1. Oktober 1950 an nachzugewähren.

In einem weiteren Schriftsatz vom 19. März 1962 hat der Beklagte im Hinblick auf das Urteil des 7. Senats vom 28. September 1961 - 7/9 RV 1426/59 - (BSG 15, 137), daß der neue Bescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG auch zeitlich an die Stelle der früheren Entscheidung trete, noch ausgeführt, nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sei die rückwirkende Aufhebung der früheren Entscheidung keineswegs wesensnotwendig. Ein bloßer Wandel der Rechtsauffassung lasse nicht zu, anzunehmen, daß bindend gewordene und in Übereinstimmung mit der früher herrschenden Rechtsauffassung erlassene Bescheide "in fehlerhafter Auslegung" zustande gekommen und daher "rechtswidrig" seien. Auch nach der Entstehungsgeschichte betreffe § 40 Abs. 2 VerwVG keinen Wiederaufnahmefall, zumal der Versorgungsbescheid keine erstinstanzliche Entscheidung mehr sei und § 40 Abs. 2 VerwVG auch nach Auffassung des 7. Senats einen selbständigen Tatbestand bilde. Eine unbeschränkte Rückwirkung widerspreche ferner dem Gedanken der Rechtssicherheit, dessen Vorrang sich insbesondere aus § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 ergebe, wonach nicht mehr anfechtbare Entscheidungen selbst dann unberührt bleiben, wenn sie auf einer vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Norm beruhen. Schließlich sei der 7. Senat nicht darauf eingegangen, daß nach der Rechtsprechung des BSG die in dem Abschnitt "Berichtigung von Bescheiden" aufgeführten §§ 41 und 42 VerwVG nur für die Zeit nach ihrem Inkrafttreten am 1. April 1955 anwendbar seien. Auch § 40 Abs. 2 VerwVG sei eine neue Vorschrift und bestehe erst seit dem 1. April 1955. Für die vorhergehende Zeit habe die entsprechende Vorschrift des § 66 Abs. 1 Nr. 12 VerfG nur für gerichtsähnliche Entscheidungen der Verwaltung gegolten und sei im übrigen mit dem Wegfall ihrer Voraussetzungen schon vor Inkrafttreten des VerwVG gegenstandslos geworden.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich insbesondere auf das bereits erwähnte Urteil des 7. Senats.

Die zugelassene Revision ist statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG und, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, auch zulässig (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist aber nicht begründet.

Streitig ist die Frage, ob in dem auf Antrag der Klägerin vom Juni 1958 nach § 40 Abs. 2 VerwVG unter Beachtung der Rechtsauffassung des BSG zu erteilenden neuen Bescheide die Elternrente rückwirkend vom 1. April 1952 an neu festzustellen war. Nach dem Urteil des 7. Senats vom 28. September 1961 (BSG 15,137) tritt der neue Bescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG rückwirkend an die Stelle der früheren unrichtigen Entscheidung. Der erkennende Senat trägt keine Bedenken, sich dieser Auffassung im Ergebnis anzuschließen.

Nach § 40 Abs. 2 VerwVG i. d. F. bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (1. Neuordnungsgesetz - NOG -) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 435) war auf Antrag des Berechtigten ein neuer Bescheid zu erteilen, wenn das BSG in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegt worden war. der Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) bedurfte es in diesem Falle nicht. Erst in § 40 Abs. 2 VerwVG i. d. F. des ab 1. Juni 1960 geltenden 1. NOG sind die Worte "Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung" im Einklang mit der Regelung des Verfahrens im SGG durch die Worte" in ständiger Rechtsprechung" ersetzt und gleichzeitig ist in Absatz 3 bestimmt worden, daß das VersorgA zur Erteilung eines neuen Bescheides nunmehr in jedem Falle die Zustimmung des LVersorgA braucht. Die Voraussetzungen für die Erteilung des neuen Bescheides vom 12. Juli 1958 sind somit nach der damals geltenden Fassung des § 40 Abs. 2 VerwVG - unbeschadet der Frage der Verpflichtung zu einer rückwirkenden Regelung - erfüllt. Die Klägerin hat ihn beantragt und das BSG hat in Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung wie auch in ständiger Rechtsprechung in einer für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin entscheidenden Frage nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten, als den früheren Bescheiden der Verwaltung zugrunde gelegt worden war. Wie der 8., 9. und 10. Senat des BSG (BSG 4, 165; 5, 239 und 7, 79 sowie Urteil vom 27. Februar 1958 - 8 RV 381/58 -) ausgeführt haben, ist bei der Feststellung der Elternrente nach § 51 BVG nur das Einkommen des versorgungsberechtigten Elternteiles einschließlich des Geldwertes eines Unterhaltsanspruchs gegen den anderen Elternteil zu berücksichtigen. Von grundsätzlicher Bedeutung sind diese Entscheidungen, weil sie über den Einzelfall hinaus der Einheit und Fortentwicklung des Rechts dienen oder für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung bringen (vgl. BSG 2, 129, 131 und BSG in SozR VerwVG § 40 Bl. Ca 1 Nr. 2). Ständig ist die Rechtsprechung, weil an der in dieser Frage vertretenen Rechtsauffassung in wiederholten Entscheidungen festgehalten worden ist.

Zutreffend hat das LSG auch angenommen, daß der neue Bescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG rückwirkend zu erteilen ist. Zwar kann zweifelhaft sein, ob sich diese Auffassung, wie der 7. Senat meint (BSG 15, 137), eindeutig schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt, der nichts darüber aussagt, für welche Zeit die Versorgung neu zu regeln ist. Auf jeden Fall entspricht die Auslegung der systematischen Einordnung des § 40 Abs. 2 in das VerwVG, der Entstehungsgeschichte und dem Sinn dieser Vorschrift.

Der § 40 VerwVG gehört zu den Vorschriften des XI. Abschnitts des VerwVG mit der Überschrift "Berichtigung von Bescheiden". Er bildet wie die §§ 41 und 42 die Grundlage für die Änderung oder Aufhebung bindender Bescheide der Versorgungsverwaltung, die unrichtig oder fehlerhaft zustandegekommen sind. Grundsätzlich werden nicht oder erfolglos angefochtene Verwaltungsakte für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§§ 24 VerwVG, 77 SGG, wie auch die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts). Die Verwaltung darf daher ohne gesetzliche Ermächtigung solche Verwaltungsakte nicht zu Ungunsten des Berechtigten ändern und dieser hat keinen Anspruch auf eine Änderung zu seinen Gunsten. Auch soweit bindende Verwaltungsakte vorliegen, ist die Verwaltung aber nicht gehindert, eine neue, für den Berechtigten jedenfalls nicht ungünstigere Regelung zu treffen. Solche Ausnahmen sind schon nach allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts zulässig gewesen. Sie sind nunmehr in § 40 VerwVG ausdrücklich zugelassen (vgl. BSG 10, 249 und Knoll SGb 1956, 369 ff).

Nach § 40 Abs. 1 ist es dem Ermessen der Verwaltung überlassen, ob und in welchem Umfange sie von dem Recht, jederzeit einen neuen Bescheid zu Gunsten des Berechtigten zu erteilen, Gebrauch macht, nach Abs. 2 ist die Verwaltung dazu verpflichtet. Der Abs. 1 des § 40 VerwVG ist dem § 71 VerfG nachgebildet, Abs. 2 dagegen dem § 66 Abs. 1 Nr. 12. Der Sache nach enthält § 40 VerwVG zwei voneinander unabhängige selbständige Regelungen; Abs. 2 bildet nicht eine Ausnahme von Abs. 1 in dem Sinne, daß dadurch nur die Verpflichtung zur Erteilung eines neuen Bescheides hätte begründet werden, der Umfang, insbesondere die zeitliche Wirkung dieses Bescheides aber wie nach Abs. 1 dem Ermessen der Verwaltung hätte überlassen bleiben sollen. Der Antrag des Berechtigten nach § 40 Abs. 2 VerwVG ist vielmehr dahin zu verstehen, daß ihm die Versorgungsverwaltung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG einen günstigeren Bescheid erteilt. Sie darf diesen Antrag nur ablehnen, soweit die Rechtsauffassung des BSG den Sachverhalt nicht trifft oder soweit auch bei deren Berücksichtigung eine günstigere Entscheidung nicht möglich ist. Andernfalls muß sie den Versorgungsfall in vollem Umfange neu regeln. Sie muß ihn so prüfen, wie wenn der Sachverhalt zum ersten Male ihrer Beurteilung unterliegt. Die Versorgungsverwaltung ist insoweit an ihre frühere Entscheidung, obwohl sie rechtsverbindlich geworden ist, auf Grund der nach § 40 Abs. 2 VerwVG bestehenden Ausnahme nicht gebunden. Die Verpflichtung nach § 40 Abs. 2 VerwVG umfaßt nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit, soweit die Rechtsauffassung des BSG eine andere Beurteilung der der früheren Entscheidung zugrunde gelegten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse erfordert und zuläßt. Dies folgt aus dem Zusammenhang des § 40 Abs. 2 VerwVG mit den Vorschriften, die der Berichtigung - Änderung oder Aufhebung - unrichtiger Bescheide dienen. Nach § 41 VerwVG müssen Bescheide, deren tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit außer Zweifel steht, und nach § 42 VerwVG müssen Bescheide, die fehlerhaft zustande gekommen sind, auch für die Vergangenheit geändert oder aufgehoben werden, ohne daß dies in diesen Vorschriften ausdrücklich ausgesprochen ist. In diesen Fällen ist die unrichtige oder fehlerhaft zustande gekommene Entscheidung zu beseitigen und an deren Stelle eine neue Regelung zu treffen. Nicht anders verhält es sich bei § 40 Abs. 2 VerwVG. Auch diese Vorschrift bezweckt, eine unrichtige Regelung durch eine neue zu ersetzen. Diese ist aber insoweit erforderlich, als sich die frühere Regelung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BSG als unrichtig erweist, ohne daß sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse inzwischen geändert haben.

Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die VV Nr. 8 zu § 40 VerwVG für Zugunstenbescheide die Rückwirkung grundsätzlich ausschließt und mit dem Gesetz unvereinbar ist. Sie ist für die Gerichte nicht bindend, weil sie keine authentische Auslegung des Gesetzes, sondern nur die Auffassung der Verwaltung darstellt. Es ist daher auch nicht zu erörtern, welche Bedeutung es hat, daß diese VV nicht zwischen neuen Bescheiden nach § 40 Abs. 1 oder Abs. 2 unterscheidet. Der Hinweis in Ziff. II Abs. 1 des Rundschreibens des BMA vom 12. September 1958 (BVBl 1958, 134), daß der beantragte Zugunstenbescheid mit Wirkung vom Antragsmonat an zu erteilen ist, soweit die Elternrente nach den grundsätzlichen Entscheidungen des BSG günstiger festzusetzen ist, bedeutet nur eine Weisung für die Verwaltung, besagt aber nicht, daß die Rechtsverbindlichkeit der früheren Entscheidung eine Regelung für die vorhergehende Zeit hindern könnte, die gerade durch § 40 Abs. 2 VerwVG ermöglicht werden sollte.

Auch aus der Entstehungsgeschichte des § 40 Abs. 2 VerwVG folgt, daß ein neuer Bescheid nach dieser Vorschrift rückwirkend an die Stelle der früheren Entscheidung treten muß. Der Rechtsgedanke, der in § 40 Abs. 2 VerwVG zum Ausdruck gekommen ist, geht zurück auf § 66 Abs. 1 Nr. 12 VerfG. Nach dieser Vorschrift konnte ein durch rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenes Verfahren wieder aufgenommen werden, wenn das Reichsversorgungsgericht in einer veröffentlichten grundsätzlichen Entscheidung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertrat, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegt worden war. Die jetzt in § 40 Abs. 2 VerwVG bestimmte Regelung ist im Entwurf unter den Wiederaufnahmefällen des § 42 vorgesehen gewesen, dann aber dem § 40 VerwVG angefügt worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie trotzdem eine Wiederaufnahmevorschrift geblieben ist oder nicht. Auf jeden Fall hat sie das gleiche Ziel und die gleiche Wirkung wie § 42. Nach beiden Vorschriften ist der Versorgungsfall wieder aufzugreifen und über den Versorgungsanspruch neu zu entscheiden, wenn auch unter verschiedenen Voraussetzungen. Die Verpflichtung zur Neuregelung nach § 42 VerwVG umfaßt auch die Änderung und Aufhebung rechtswidriger Bescheide, soweit diese Voraussetzung der Neuregelung sind (vgl. BSG in SozR VerwVG § 41 Bl. Ca 5 Nr. 11 und § 42 Bl. Ca 1 Nr. 1). Auch nach § 40 Abs. 2 VerwVG hat die Versorgungsverwaltung die Verpflichtung, den Versorgungsfall im Einklang mit der Rechtsauffassung des BSG neu zu beurteilen und ihn entsprechend zu regeln. Dieser Verpflichtung ist nur genügt, wenn die neue Regelung rückwirkend an die Stelle der früheren Entscheidung tritt, soweit sie fehlerhaft ist, weil die einschlägige Rechtsvorschrift in einer Weise ausgelegt worden ist, die der vom BSG nachträglich vertretenen Rechtsauffassung nicht entspricht. Unrichtig ist die Auslegung und der darauf beruhende Bescheid aber nicht erst, seitdem das BSG eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat.

Die Rückwirkung der Bescheide nach § 40 Abs. 2 VerwVG widerspricht auch nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Diesem Grundsatz dient vor allem die Auslegung von Rechtsvorschriften durch die höchstrichterliche Rechtsprechung. Es kann nicht gegen dieses Prinzip verstoßen, wenn das Gesetz wie in § 40 Abs. 2 VerwVG ausdrücklich vorschreibt, daß frühere Entscheidungen, auch wenn sie rechtsverbindlich sind, nachgeprüft und durch einen neuen Bescheid ersetzt werden, welcher der Rechtsauffassung des BSG Rechnung trägt. Wenn höchstrichterliche Urteile Rechtsvorschriften nachträglich günstiger auslegen, so darf die Berücksichtigung der günstigeren Auslegung grundsätzlich nicht davon abhängen, ob die frühere Entscheidung angefochten oder bereits bindend geworden ist. Es dient der Rechtssicherheit, alle davon berührten früheren Entscheidungen nachzuprüfen und der neuen Beurteilung die nachträglich vertretene Rechtsauffassung zugrundezulegen. In § 40 Abs. 2 VerwVG ist dies ausdrücklich bestimmt. Die Verpflichtung, auf Antrag des Berechtigten einen neuen Bescheid zu erteilen, wenn das BSG nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, als der früheren Entscheidung zugrundegelegt worden war, erfordert die Nachprüfung aller davon betroffenen früheren Entscheidungen, auch soweit sie bindend geworden sind. Sie bezweckt eine neue Beurteilung entsprechend der vom BSG nachträglich vertretenen Rechtsauffassung. Dies schließt aber aus, daß sich die Verwaltung insoweit unter Berufung auf die Rechtsverbindlichkeit der früheren Entscheidung ihrer Verpflichtung entzieht, sie entsprechend der durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärten Rechtslage nachzuprüfen und einen neuen Bescheid zu erteilen.

Diese Auslegung kann auch durch die Ausführungen von Schwankhart (SGb 1962, I ff) nicht in Frage gestellt werden. Schwankhart meint, ein neuer Bescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG dürfe nur in den Fällen erteilt werden, in denen zu einer Rechtsfrage entweder eine Entscheidung des Großen Senats des BSG oder eine gleichlautende Rechtsprechung aller Fachsenate vorliege; daraus wie aus dem Antragserfordernis folge, daß die Verwaltung nicht verpflichtet sein könne, die frühere unrichtige Entscheidung für die Zeit vor dem Antragsmonat zu berichtigen. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil § 40 Abs. 2 VerwVG selbst nicht voraussetzt, daß eine Entscheidung des Großen Senats oder eine gleichlautende Rechtsprechung aller Fachsenate vorliegt, und der Antrag des Berechtigten lediglich eine Voraussetzung der der Verwaltung nach § 40 Abs. 2 auferlegten Verpflichtung ist.

Der vom 1. April 1952 an begehrten Neuregelung zu Gunsten des Berechtigten steht auch nicht entgegen, daß § 40 Abs. 2 VerwVG erst am 1. April 1955 in Kraft getreten ist. Nach der von dem Beklagten erwähnten Rechtsprechung des BSG über die zeitliche Anwendbarkeit des § 41 VerwVG (vgl. BSG in SozR VerwVG § 41 Bl. Ca 3 Nr. 9 und Bl. Ca 5 Nr. 11), ist die rückwirkende Neuregelung mindestens für die Zeit bis zum 1. April 1955 möglich gewesen. Im übrigen kann dahingestellt bleiben, ob diese Rechtsprechung, die die Rechtsgrundlage einer Berichtigung zu Ungunsten des Berechtigten betrifft und auf der Erwägung beruht, daß ausschließlich begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung zu Ungunsten des Berechtigten grundsätzlich nicht für die Vergangenheit geändert oder aufgehoben werden dürfen, auch für § 40 Abs. 2 VerwVG gilt, der die Versorgungsbehörde verpflichtet, die früher getroffene Regelung nachzuprüfen und mit der Rechtsauffassung des BSG in Einklang zu bringen. Hat die Klägerin 1958 unter Berufung auf die geänderte Rechtsauffassung des BSG einen neuen günstigeren Bescheid beantragt, so ist die in einem solchen Falle der Verwaltung nach § 40 Abs. 2 VerwVG auferlegte Nachprüfung und Neuregelung auch auf die Zeit vor dem 1. April 1955 zu erstrecken. Die Bescheide über die Elternrente der Klägerin waren auch in dieser Zeit nicht zu ihren Gunsten ausgefallen, weil das Einkommen ihres Ehemannes angerechnet worden war; insoweit war die Elternrente versagt worden und insoweit hatten die Bescheide in jener Zeit eine Belastung enthalten. Selbst wenn die Verpflichtung zur Neuregelung aus § 40 Abs. 2 erst mit dem 1. April 1955 einsetzen würde, so ist die Verwaltungsbehörde für die Zeit vorher jedenfalls nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts gehalten, belastende Verwaltungsakte, auch wenn sie unanfechtbar geworden oder erfolglos angefochten waren, auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und bei Unrichtigkeit neue Verwaltungsakte an deren Stelle - d. h. rückwirkend an Stelle der alten - zu erlassen, sofern die bisherige Belastung nicht erhöht würde. Diese Grundsätze haben schon früher im Recht der Kriegsopferversorgung, insbesondere in den Vorschriften der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 Ziff. 26, des Art. 30 Abs. 4 des Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes (KBLG) und des 66 VerfG ihren Ausdruck gefunden. Die Versorgungsbehörde war daher verpflichtet, die Nachprüfung und die Neuregelung entsprechend der vom BSG vertretenen Rechtsauffassung auch auf die Zeit vor dem 1. April 1955 zu erstrecken.

Das VersorgA hat daher die Neuregelung, zu der es auf Antrag der Klägerin nach § 40 Abs. 2 VerwVG verpflichtet war, für die Zeit vor dem 1. Mai 1957 nicht ablehnen dürfen. Das LSG hat deshalb mit Recht den Bescheid vom 12. Juli 1958 insoweit als rechtswidrig angesehen und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, durch das der Beklagte verurteilt wurde, der Klägerin über die Gewährung der Elternrente vom 1. April 1952 an einen neuen Bescheid zu erteilen.

Die Revision gegen das Urteil des LSG ist sonach nicht begründet; sie war daher nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324188

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