Leitsatz (amtlich)
Die Berufung ist nicht nach SGG § 148 Nr 3 aF ausgeschlossen, wenn das SG bei der Prüfung, ob die Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse neu festzustellen sind, auch über eine Anspruchsvoraussetzung zu entscheiden hatte, die nicht Gegenstand der ersten Feststellung war (Anschluß BSG 1961-09-26 10 RV 1123/60 = SozR Nr 25 zu § 148/SGG und BSG 1962-01-24 7/9 RV 906/60).
Normenkette
SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. September 1960 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin und ihr Ehemann beantragten 1949 Elternrente nach ihrem seit 1945 vermißten Sohn S (S.). Ihren Antrag lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) mit Bescheid vom 6. November 1952 nach dem Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (BKBLG) und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab, weil ihr Einkommen aus dem Korbhausierhandel und der Landwirtschaft den für ein Elternpaar geltenden Fürsorgerichtsatz bzw. die vorgeschriebene Einkommensgrenze übersteige und deshalb die Voraussetzungen zur Gewährung einer Elternrente nach dem BKBLG und dem BVG nicht gegeben seien. Dieser Bescheid blieb unangefochten.
Im Dezember 1954 beantragten die Klägerin und ihr Ehemann erneut Elternrente. Sie gaben an, daß sie den Korbhausierhandel aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr betrieben. Diesen Antrag lehnte das VersorgA mit Bescheid vom 18. Januar 1956 ab weil der Sohn S. nicht der Ernährer seiner Eltern gewesen sei und es auch nicht geworden wäre und weil auch beim Wegfall der Einnahmen aus dem Korbwarenhandel die Einkommensgrenze über schritten werde und im übrigen auch keine Bedürftigkeit im Sinne des BVG vorliege. Der Widerspruch blieb erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) bejahte sowohl die Ernährereigenschaft des Sohnes S. als auch dem Sinne nach die Bedürftigkeit der Eltern und verurteilte mit Urteil vom 12. Februar 1957 den Beklagten, Elternrente für ein Elternpaar ab 1. Januar 1956 unter Zugrundelegung eines monatlichen Durchschnittseinkommens von 84,- DM zu gewähren. Die Berufung des Beklagten wurde durch Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 29. September 1960 als unzulässig verworfen. Die Berufung sei nach § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der Fassung vom 3. September 1953 (BGBl I 1239) - aF - ausgeschlossen, weil der ablehnende Bescheid und das Urteil des SG die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betroffen hätten. Das LSG ließ die Revision zu.
Mit der Revision beantragt der Beklagte, das Urteil des LSG vom 29. September 1960 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Revision rügt unrichtige Anwendung des § 148 Nr. 3 SGG. Aus den Gründen des Bescheides vom 18. Januar 1956 sei zu erkennen, daß sich die Prüfung der Versorgungsbehörde nicht auf die Frage beschränkt habe, ob seit der rechtsverbindlichen Ablehnung durch den Bescheid vom 6. November 1952 eine wesentliche Änderung der - wirtschaftlichen - Verhältnisse eingetreten sei. Der Anspruch auf Elternrente sei unbeschadet der früheren Ablehnung erneut einer sachlichen Prüfung unterzogen worden. Auch das Urteil des SG habe keine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse betroffen. Das SG habe den Beklagten nicht wegen einer solchen Änderung verurteilt, sondern weil es die Sach- und Rechtslage anders beurteilt habe. Um eine Neufeststellung könne es sich schon deshalb nicht gehandelt haben weil Versorgungsbezüge früher nicht gewährt worden seien. Eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge setze aber begrifflich voraus, daß früher bereits Versorgungsbezüge gewährt worden seien. Diese Auffassung werde auch vom Bundessozialgericht (BSG) in BSG 9, 295 vertreten. Das LSG habe deshalb die Berufung nicht verwerfen dürfen, sondern in eine Sachprüfung eintreten müssen.
Am 17. Dezember 1960 verstarb der bisherige Kläger. Das durch seinen Tod unterbrochene Revisionsverfahren (§ 68 SGG i. V. m. § 239 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung) hat die Klägerin durch Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 25. August 1961 aufgenommen bzw. fortgesetzt.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die Verwerfung der Berufung für gerechtfertigt, weil sich die Entscheidung des SG zweifellos auch mit ihren und den wirtschaftlichen Verhältnissen ihres Ehemannes auseinandergesetzt und eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse bestätigt habe. Damit habe das Urteil des SG aber die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betroffen. Die gegenteilige Rechtsauffassung des Beklagten werde auch nicht durch die Rechtsprechung (BSG 9, 295; 10, 202) gerechtfertigt, weil diesen Entscheidungen ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Möglichkeit, in dieser Weise zu verfahren, Gebrauch gemacht.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden §§ 164, 166 SGG) und damit zulässig. Sie ist auch begründet.
Der Beklagte rügt zu Recht. das LSG habe § 148 Nr. 3 SGG verletzt. Diese Vorschrift ist in der vor dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des SGG geltenden Fassung (aF) anzuwenden, weil die Berufung vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingelegt wurde (BSG 8, 135). Danach können u. a. in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden, wenn sie die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betreffen. Dieser Berufungsausschließungsgrund liegt hier nicht vor.
Für die Frage, was das Urteil des SG "betrifft", kommt es auf den Inhalt des Urteils des SG an (BSG 10, 203). Hier umfaßte der Streitgegenstand, über den das SG entschied, nicht nur eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse. Das SG prüfte dem Sinne nach sowohl die Frage der Bedürftigkeit als auch die weitere für die Gewährung der Elternrente erforderliche Voraussetzung ob der vermißte Sohn S. der Ernährer seiner Eltern geworden wäre (§ 50 Abs. 1 BVG). Damit erstreckte sich die Entscheidung des SG aber mit auf Umstände, die für die Ablehnung der Elternrente durch den Bescheid vom 6. November 1952 nicht maßgebend waren. In diesem Bescheid hatte das VersorgA die Elternrente allein deshalb abgelehnt, weil das Einkommen der Eltern die vorgeschriebene Einkommensgrenze überschritt. Erst im Bescheid vom 18. Januar 1956 erfolgte die Ablehnung der Elternrente sowohl wegen Überschreitens der Einkommensgrenze als auch wegen fehlender Ernährereigenschaft des Sohnes S. Auch wurde das Vorliegen von Bedürftigkeit verneint. Die Entscheidung des SG befaßte sich jedenfalls bei Prüfung der Ernährereigenschaft mit Verhältnissen, die im Bescheid vom 6. November 1952 überhaupt nicht gewürdigt wurden und die sich seitdem auch nicht geändert hatten. In einem solchen Falle findet § 148 Nr. 3 SGG (aF) keine Anwendung. Diese Vorschrift bedeutet nicht, daß die Berufung stets ausgeschlossen ist, wenn über die Frage der Änderung der Verhältnisse in dem angefochtenen Urteil auch nur mit entschieden ist (vgl. hierzu BSG 5, 225). Sinn und Zweck des § 148 Nr. 3 SGG (aF) zielen darauf ab, die gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides auf eine Instanz zu beschränken, wenn die Verhältnisse bei der Erstfeststellung und diejenigen bei der Neufeststellung vergleichbar sind (BSG, Urteil vom 24. Januar 1962 - 7/9 RV 906/60). Eine solche Vergleichsmöglichkeit besteht im vorliegenden Fall aber nur, soweit die Einkommensverhältnisse der Eltern, nicht aber soweit die Ernährereigenschaft des Sohnes S. Gegenstand der Prüfung waren. Da sich der Ausschließungsgrund des § 148 Nr. 3 SGG (aF) mithin nur auf einen der beiden vom SG entschiedenen Streitpunkte bezog, war die Berufung des Beklagten nicht schlechthin unzulässig. Sie war aber auch nicht teilweise ausgeschlossen, nämlich soweit das SG über den Elternrentenanspruch unter dem Gesichtspunkt der Änderung der Einkommensverhältnisse der Eltern entschieden hat. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels beim Zusammentreffen einer zulässigen und einer unzulässigen Berufung ist nur dann gesondert zu prüfen, wenn in einem Rechtsstreit mehrere selbständige prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden (BSG 5, 222, 225; 3 135, 139). Hier dagegen ist Gegenstand des Rechtsstreits nur ein einheitlicher prozessualer Anspruch, nämlich das Begehren der Klägerin auf Gewährung der Elternrente. Die Bedürftigkeit der Eltern und die Ernährereigenschaft des Sohnes S. treten hierbei lediglich als Voraussetzungen desselben Anspruchs in Erscheinung. Da das LSG demnach § 148 Nr. 3 SGG (aF) nicht richtig angewandt und ein Prozeßurteil statt eines Sachurteils erlassen hat, ist die Revision begründet.
Das Urteil des LSG unterliegt daher der Aufhebung. Da tatsächliche Feststellungen fehlen, die dem Senat eine eigene abschließende Entscheidung ermöglichen würden, mußte die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
Fundstellen