Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Übergangsvorschriften des SGB 10. Erstattungsanspruch des Krankenversicherungsträgers. Maßgeblichkeit der Feststellung des Rentenversicherungsträgers für den Krankenversicherungsträger
Leitsatz (redaktionell)
Aufgrund Art 2 § 21 SGB 10 vom 4.11.1982 sind die Erstattungsregelungen des SGB 10, Drittes Kapitel (§§ 102 bis 114), ohne zeitliche Beschränkung auf Fälle anzuwenden, die am 1.7.1983 noch nicht abgeschlossen waren; hiervon werden auch noch nicht zu Ende geführte Gerichtsverfahren erfaßt, in denen Leistungsträger Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff SGB 10 geltend machen.
Orientierungssatz
1. Der Krankenversicherungsträger muß die Entscheidung des Trägers der Rentenversicherung über den Beginn der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw des Übergangsgeldes grundsätzlich hinnehmen; er kann sie nicht anfechten und hat nicht das Recht, auf sie einzuwirken, soweit nicht das Gesetz in § 183 Abs 7 und 8 RVO Ausnahmen zuläßt (vgl BSG 14.5.1985 4a RJ 79/84).
2. Aus der Verpflichtung der Leistungsträger, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eng zusammenzuarbeiten (§ 86 SGB 10), ergibt sich, daß dem Rentenversicherungsträger ein Beharren auf dem Rentenbescheid versagt ist, wenn sich seine frühere Entscheidung als offensichtlich fehlerhaft erweist und dem Krankenversicherungsträger zum Nachteil gereicht. Eine solche offensichtliche Fehlerhaftigkeit ist aber nicht schon dann anzunehmen, wenn nach den bereits getroffenen Feststellungen lediglich die Möglichkeit einer Unrichtigkeit besteht und sich deren tatsächliches Vorliegen nur aus weiteren Ermittlungen ergeben kann; in einem solchen Fall fehlt es jedenfalls an der Offensichtlichkeit, denn was offensichtlich ist, bedarf keiner weiteren Klärung (vgl BSG 14.5.1985 4a RJ 79/84).
Normenkette
SGB 10 § 103 Abs. 1 Fassung: 1982-11-04; RVO § 1241d Abs. 1 S. 2 Fassung: 1974-08-07, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 183 Abs. 7-8; SGB 10 § 86; SGB 10 Art. 2 § 21 Fassung: 1982-11-04
Verfahrensgang
Tatbestand
Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) nimmt die Beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) wegen eines angeblich dem beigeladenen Versicherten für die Zeit vom 26. August 1975 bis 9. Februar 1976 zustehenden Anspruchs auf Übergangsgeld in Anspruch.
Der seit 14. Juli 1975 arbeitsunfähige Beigeladene hatte im August 1975 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit beantragt. Darauf veranlaßte die Beklagte zunächst eine Heilbehandlung in der Kurklinik T. in der Zeit vom 10. Februar bis 23. März 1976. Im Entlassungsbericht diagnostizierten die behandelnden Ärzte Gesundheitsstörungen, durch die nach ihrer Ansicht seit dem 10. Februar 1976 das Leistungsvermögen des Versicherten derart eingeschränkt sei, daß er nennenswerte Arbeiten nur auf Kosten seiner Restgesundheit verrichten könne. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen mit bindend gewordenem Bescheid vom 26. August 1976 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) ab 24. März 1976, also im Anschluß an die Heilbehandlung, wobei sie den Eintritt des Versicherungsfalles mit dem 10. Februar 1976 annahm; für die Zeit vom 10. Februar (Eintritt der EU) bis 23. März 1976 (Rentenbeginn) zahlte sie dem Beigeladenen Übergangsgeld.
Die Klägerin, die dem Beigeladenen vom 26. August 1975 bis 9. Februar 1976 Krankengeld in Höhe von 8.296,20 DM gewährt hatte, nahm die Beklagte unter Berufung auf §§ 183, 1241d Reichsversicherungsordnung (RVO) auf Zahlung dieses Betrages in Anspruch.
Ihre im Oktober 1979 erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Nach Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) hat dem Beigeladenen kein Anspruch gegen die Beklagte auf Rente oder Übergangsgeld für die streitige Zeit zugestanden, der in entsprechender Anwendung des § 183 Abs 3 Satz 2 RVO in der bis zum 30. Juni 1983 gültig gewesenen Fassung (aF) auf die Klägerin hätte übergehen können. Die Beklagte habe, was entscheidend sei, als Zeitpunkt des "fiktiven" (§ 1241d Abs 1 Satz 2 RVO) Rentenbeginns den 10. Februar 1976 festgestellt. Die Klägerin habe keine rechtliche Möglichkeit, auf diese Feststellung Einfluß zu nehmen. Auch die Voraussetzungen eines etwaigen Erstattungsanspruchs aus § 103 Abs 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB 10) seien nicht erfüllt, da auch diese Vorschrift den Krankenversicherungsträgern keine Einflußmöglichkeiten auf die Feststellung des Versicherungsfalles in der Rentenversicherung eingeräumt habe; es könne daher dahingestellt bleiben, ob § 103 Abs 1 SGB 10 überhaupt Fälle erfasse, in denen ein Anspruch nur vor dem 1. Juli 1983 entstanden sein könne.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine unrichtige Anwendung von § 183 Abs 3 Satz 2 RVO aF iVm §§ 183 Abs 6, 1241d Abs 1 RVO. Das LSG habe es verabsäumt zu prüfen, ob der Beigeladene nicht bereits im Zeitpunkt der Stellung des Rentenantrages erwerbsunfähig gewesen sei; die Beklagte habe den Zeitpunkt des Versicherungsfalles offensichtlich nur deshalb auf den 10. Februar 1976 festgesetzt, weil erst zu diesem Zeitpunkt der medizinische Sachverhalt den behandelnden Ärzten zur Beurteilung vorgelegen habe. In Fällen dieser Art müsse dem Krankenversicherungsträger die Möglichkeit eingeräumt werden, den Anspruch des Versicherten auf vorgezogenes Übergangsgeld zur Geltung zu bringen; der Krankenversicherungsträger müsse so gestellt werden, wie er bei richtiger Zubilligung des Übergangsgeldes gestanden hätte.
Die Klägerin beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.296,20 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß allein § 103 SGB 10 als Grundlage des Anspruchs der Klägerin in Betracht komme. Der Anspruch der Krankenkasse sei abhängig von den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers; die Krankenkassen hätten diesem gegenüber kein Überprüfungsrecht.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet; die Entscheidung des LSG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Entgegen der Ansicht des LSG richtet sich der geltend gemachte Anspruch allerdings allein nach den Vorschriften des 3. Kapitels des SGB 10 vom 4. November 1982 (BGBl I 1450), insbesondere nach den §§ 102 ff. Dies ergibt sich aus Art II § 21 des genannten Gesetzes. Danach sind bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende zu führen, wobei diese Vorschrift auch noch nicht zu Ende geführte Gerichtsverfahren erfaßt, in denen Leistungsträger gegeneinander Erstattungsgründe geltend machen, wie der erkennende Senat bereits wiederholt entschieden hat (SozR 1300 Art 2 § 21 Nr 1; 1300 § 103 Nr 23; zuletzt Urteil vom 14. Mai 1985 - 4a RJ 79/84). Den vom LSG in diesem Punkt offenbar unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung gehegten Bedenken könnte allenfalls dann Gewicht beigemessen werden, wenn durch die Neuregelung die Lage eines der Beteiligten verschlechtert worden sein kann; ein solcher Fall liegt aber, wie das LSG zutreffend erkannt hat, hier nicht vor.
Die Klägerin stützt ihr Begehren darauf, daß sie Krankengeld für einen Zeitraum gezahlt habe, für den die Beklagte Übergangsgeld hätte zahlen müssen. Damit macht die Klägerin einen Anspruch nach § 103 Abs 1 SGB 10 geltend (SozR 1300 § 103 Nr 3). Diese Vorschrift setzt voraus, daß durch die Erbringung eines Leistungsanspruchs ein anderer Leistungsanspruch entfällt. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn Krankengeld für einen Zeitraum gezahlt worden ist, für den der Berechtigte Anspruch auf Übergangsgeld nach §§ 1240, 1241d Abs 1 Satz 2 RVO hatte und deshalb der Anspruch auf Krankengeld nach § 183 Abs 6 RVO "ruhte". Dies hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 13. September 1984 (BSGE 57, 146 = SozR 1300 § 103 Nr 2) näher ausgeführt.
Nach § 1241 Abs 1 Satz 2 RVO beginnt das Übergangsgeld, wenn bereits vor Beginn einer Maßnahme Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gestellt worden ist, in dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre. Nach § 1290 Abs 1 Satz 1 RVO hat der Rentenversicherungsträger durch den Rentenbescheid nach § 1631 RVO die Rente grundsätzlich vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind; das ist im Falle einer Rente nach § 1247 Abs 1 RVO ua der Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit. Der Krankenversicherungsträger muß diese Entscheidung des Trägers der Rentenversicherung - Verwaltungsakt (§ 31 SGB 10) - grundsätzlich hinnehmen; er kann sie nicht anfechten und hat auch nicht das Recht, auf sie einzuwirken, soweit nicht das Gesetz in § 183 Abs 7, 8 RVO Ausnahmen zuläßt (BSG in SozR 1300 § 103 Nr 3; Urteil vom 14. Mai 1985 - 4a RJ 79/85).
Schon aus der Verpflichtung der Leistungsträger, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eng zusammenzuarbeiten (§ 86 SGB 10), ergibt sich freilich, daß dem Rentenversicherungsträger ein Beharren auf dem Rentenbescheid versagt ist, wenn sich seine frühere Entscheidung als offensichtlich fehlerhaft erweist und dem Krankenversicherungsträger zum Nachteil gereicht. Eine solche offensichtliche Fehlerhaftigkeit ist aber nicht schon dann anzunehmen, wenn nach den bereits getroffenen Feststellungen lediglich die Möglichkeit einer Unrichtigkeit besteht und sich deren tatsächliches Vorliegen nur aus weiteren Ermittlungen ergeben kann; in einem solchen Fall fehlt es jedenfalls an der Offensichtlichkeit, denn was offensichtlich ist, bedarf keiner weiteren Klärung (vgl Urteil vom 14. Mai 1985 - 4a RJ 79/84). Ein derartiger Fall ist hier gegeben. Es mag zwar nicht auszuschließen sein, daß die Klinikärzte zu der dem Rentenbescheid der Beklagten zugrundegelegten Ansicht, der Beigeladene sei seit dem 10. Februar 1976 nicht mehr in der Lage, ohne Gefährdung seiner verbliebenen Gesundheit noch nennenswerte Arbeiten zu verrichten, nur deswegen gelangt sind, weil sie sich erst für diesen Zeitpunkt ein Urteil über den Gesundheitszustand des Beigeladenen hatten bilden können; daraus folgt jedoch nicht, daß diese Beurteilung unrichtig sein muß, und es gereicht der Beklagten nicht zum Vorwurf, wenn sie sich der Ansicht der Ärzte angeschlossen hat und daran festhält. Mit Recht hat damit auch das LSG keinen Anlaß zu weiteren Ermittlungen gesehen.
Soweit sich die Klägerin zur Stützung ihrer Ansicht auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) berufen zu können glaubt, verkennt sie, daß keine dieser Entscheidungen die Frage der Bindung des Krankenversicherungsträgers an die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers betrifft. Bei ihrer Kritik an dem Urteil des erkennenden Senats vom 14. Mai 1985 - 4a RJ 79/84 übersieht sie, daß der Rentenversicherungsträger den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles nur aufgrund von Feststellungen befinden darf, die in einem gesetzlich geordneten Verwaltungsverfahren unter Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes) getroffen sind; gegen willkürliche oder somit offensichtlich fehlerhafte Entscheidungen zu seinem Nachteil ist der Krankenversicherungsträger damit hinreichend geschützt. Daß dem Krankenversicherungsträger eine weitere Nachprüfung versagt bleibt, ist eine notwendige Konsequenz der Aufgabenverteilung unter verschiedene Leistungsträger einer gegliederten Sozialversicherung.
Nach alledem war die Revision in der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).
Fundstellen