Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechterhaltung der Hochschulausbildung während eines Auslandsaufenthaltes
Orientierungssatz
Die bloße Aufrechterhaltung der Immatrikulation an der Universität (hier: München), die "Belegung" von Vorlesungen sowie die Zahlung des Unterrichtsgeldes während eines Auslandsaufenthaltes - ohne das Studium dort fortzusetzen - können nicht zur Vormerkung dieser Zeit als Ausfallzeit wegen Hochschulausbildung führen.
Normenkette
AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b; RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 13.03.1990; Aktenzeichen L 11 An 23/89) |
SG München (Entscheidung vom 26.10.1988; Aktenzeichen S 16 An 965/86) |
Tatbestand
Streitig ist die Vormerkung einer Ausfallzeit vom 21. Februar 1952 bis zum 19. April 1953.
Die 1931 geborene Klägerin war von November 1951 bis April 1956 an der Universität München als ordentlich Studierende eingeschrieben. Am 18. Juli 1956 legte sie dort die Prüfung zum Diplom-Kaufmann ab. Für die Zeiten bis zum 15. November 1951, vom 16. Oktober 1953 bis zum 31. Dezember 1953 und ab dem 15. Juli 1956 sind für sie Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (AV) entrichtet.
Als die Klägerin 1983 bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) den Antrag auf Kontenklärung stellte, legte sie auch ein Zeugnis der Universal Oil Products Company in Riverside, Illinois/USA, vor, demzufolge sie dort vom 21. Februar 1952 bis zum 29. Mai 1953 beschäftigt war.
Mit dem streitigen Bescheid vom 27. März 1984 anerkannte die Beklagte neben vorangegangenen Schul- und Fachschulzeiten Zeiten der Hochschulausbildung lediglich als Ausfallzeiten vom 16. November 1951 bis zum 20. Februar 1952 und vom 1. Januar 1954 bis zum 14. Juli 1956. Den Widerspruch mit dem Antrag, ua auch die Zeit von Februar 1952 bis Dezember 1953 als Ausfallzeit (Hochschulausbildung) anzuerkennen, wies die Beklagte mit Bescheid vom 1. Oktober 1986 zurück, weil das Hochschulstudium damals Zeit und Arbeitskraft der Klägerin nicht überwiegend in Anspruch genommen habe.
Entsprechend dem (begrenzten) Klageantrag hat das Sozialgericht München (SG) durch Urteil vom 26. Oktober 1988 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. März 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1986 verpflichtet, die Zeit vom 21. Februar 1952 bis zum 19. April 1953 (Ende des Wintersemesters) als Ausfallzeit vorzumerken. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage mit der angefochtenen Entscheidung vom 13. März 1990 abgewiesen: Das Bundessozialgericht (BSG) habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß Hochschulausbildung als Ausfallzeit iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nach Zweck- und Zielsetzung dieses Begriffes nur anerkannt werden könne, wenn das Studium die Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nehme und der Studierende deshalb außerstande sei, eine versicherungspflichtige Halbtagstätigkeit auszuüben. Hier sei die Klägerin während der streitigen Zeit bei einer amerikanischen Firma ganztags beschäftigt und damit nachweislich auch nicht gehindert gewesen, eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufzunehmen. Es komme nicht darauf an, daß die Klägerin während dieser Zeit an der Universität München als Vollstudentin eingeschrieben und dies zum Nachweis der Mindeststudienzeit notwendig gewesen sei, daß die Tätigkeit in den USA zu dem für die Prüfung erforderlichen Halbjahres-Praktikum geeignet gewesen sei und ob die Klägerin nach amerikanischem Recht der Versicherungspflicht unterlegen habe.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht setze das Hochschulstudium als Ausfallzeit nicht voraus, daß die Ausbildung die Arbeitskraft des Studierenden überwiegend in Anspruch genommen haben müsse. Dieses Erfordernis habe das BSG lediglich als Abgrenzungskriterium gegenüber Ausbildungsformen aufgestellt, die nicht durch eine Ausfallzeit "honoriert" werden sollten. Es komme nur auf den Status der Bildungseinrichtung und darauf an, daß der Student die durch die Studienordnung festgelegten Erfordernisse erfülle. Hier habe sie - die Klägerin - den Status einer immatrikulierten Studentin während des Auslandsaufenthaltes nicht verloren und ihr Studium in der Mindeststudienzeit abgeschlossen. Soweit das BSG verlangt habe, daß der Student an universitäts-spezifischen Lehrveranstaltungen teilnehme, sei auch dies nur zur Abgrenzung gegenüber anderen Ausbildungsarten geschehen, etwa hinsichtlich der Betätigung an einem angegliederten Institut (Hinweis auf BSG, Urteil vom 29. März 1990 - 4 RA 37/89 mwN).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. März 1990 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Oktober 1988 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist darauf, daß nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zu § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG die Teilnahme an universitäts-spezifischen Lehrveranstaltungen verlangt werde; etwas anderes gelte naturgemäß nur für die Semesterferien.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Mit Recht hat das Berufungsgericht die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vormerkung der streitigen Zeit als Ausfallzeit wegen Hochschulausbildung.
Gemäß § 104 Abs 3 Satz 1 AVG in der am 1. Januar 1987 in Kraft getretenen Fassung des Siebten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (7. RVÄndG) vom 19. Dezember 1986 (BGBl I 2586) stellt der Versicherungsträger, wenn er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest, soweit sie nicht bereits festgestellt sind. Daß hier während des verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahrens die Frage aufgeworfen, allerdings letztlich offengelassen wurde, ob die Klägerin während der streitigen Zeit eine Versicherungszeit nach US-amerikanischem Recht zurückgelegt hat, berührt die Vormerkung (Feststellung, Anerkennung) eines Ausfallzeittatbestandes nicht; denn nach Abs 3 Satz 2 aaO wird erst bei Feststellung einer Leistung über die Anrechung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten entschieden. Die Klägerin hat sich indessen in der Zeit, deren (zusätzliche) Vormerkung sie begehrt, nicht in Hochschulausbildung befunden.
Nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b) AVG sind Ausfallzeiten iS des § 35 AVG ua Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden abgeschlossenen Hochschulausbildung bis zur Höchstdauer von fünf Jahren.
Der - im Gesetz nicht definierte - Begriff der Hochschulausbildung iS der genannten Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG gleichbedeutend mit dem des Hochschulstudiums in dem die Versicherungsfreiheit von Studenten regelnden § 4 Abs 1 Nr 4 AVG (so bereits BSGE 20, 35, 39 = SozR Nr 9 zu § 1259 Reichsversicherungsordnung - RVO, vgl auch BSGE 19, 239, 240 = SozR Nr 8 zu § 1259 RVO; in letzterer Zeit BSG SozR 2200 § 1259 Nr 58 S. 155 f). Demgemäß ist allein das Studium die für die Hochschule typische Ausbildung, woraus folgt, daß zur Hochschulausbildung grundsätzlich nur solche Ausbildungszeiten gehören, die ein immatrikulierter Student an der Hochschule "verbringt" (BSG SozR 2200 § 1256 Nr 58 S. 155 f mwN; Urteil des Senats vom 29. März 1990 - 4 RA 37/89 - S. 7). Dies wiederum schließt die Teilnahme an universitäts-spezifischen Lehrveranstaltungen (zB Vorlesungen, Übungen und Seminare) während der Vorlesungszeit ein, mit denen dem Studenten die Inhalte seines Studienfaches nahegebracht werden (Urteil des Senats aaO S. 7; im Zusammenhang gesehen auch SozR 2200 § 1256 Nr 58 aaO, wo dieses Erfordernis für die Zeit der Semesterferien verneint wird). Die Klägerin hat diese Voraussetzung - ohne daß die vorliegende Fallgestaltung es gebietet, Einzelheiten oder Mindestanforderungen festzulegen - während der streitigen Zeit schon deshalb nicht erfüllt und nicht erfüllen können, weil sie sich damals (und noch einige Zeit darüber hinaus) in den USA aufhielt und dort an keiner Hochschule ihr Studium fortsetzte. Die bloße Aufrechterhaltung der Immatrikulation an der Universität München, die "Belegung" von Vorlesungen sowie die Zahlung des Unterrichtsgeldes können dem vorgenannten Erfordernis weder genügen noch es gar ersetzen.
Die soeben vorgenommene Abgrenzung entspricht entgegen dem in der Revision angeklungenen Vorbringen keiner (zu) formalen Betrachtungsweise und beruht auch nicht auf einer Fehleinschätzung der dem Studium immanenten "akademischen Freiheit". Sie gebieten vielmehr Sinn und Zweck der Vorschrift. Ausfallzeiten, gleich welcher Art, sollen den Versicherten vor Nachteilen schützen, die dadurch eintreten können, daß er durch bestimmte, in seiner Person liegende Umstände unverschuldet gehindert war, Pflichtbeiträge zu leisten (BSGE 41, 41, 49 = SozR 2200 § 1259 Nr 13). Ein solcher "bestimmter Umstand" ist die in der Hochschule "verbrachte" Ausbildungszeit. Deshalb wird für die Zeit der Vorbereitung einer Dissertation (sofern das Studium damit abschließt) verlangt, daß sie die Arbeitskraft des Studenten überwiegend beansprucht hat und ihm deshalb die Ausübung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nicht möglich gewesen ist (BSGE 38, 116, 117 = SozR 2200 § 1259 Nr 5). Dieses Abstellen auf das Generell- Tatsächliche muß im Grundsatz auch für die "normale" Studienzeit gelten. Deswegen sind Semesterferien, obgleich während dieser vorlesungsfreien Zeit die Arbeitskraft des Studenten durch das Studium jedenfalls damals typischerweise nicht überwiegend in Anspruch genommen wurde, in die Ausbildungsausfallzeit einzubeziehen, eben weil hier generell unvermeidbar und relativ kurzfristig die Teilnahme an universitäts-spezifischen Veranstaltungen entfällt (BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 58, 81). Demgegenüber hat die Klägerin hier durch ihren fünfzehnmonatigen Aufenthalt in den USA individuell-konkret, aufgrund eigenen Entschlusses, also in diesem Sinne nicht unvermeidbar sowie längerfristig eine Lage geschaffen, die es ihr unmöglich machte, ihre Arbeitskraft überwiegend dem Studienbetrieb zu widmen. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, daß die Klägerin nach den Feststellungen des LSG, die von ihr erst mit dem am 25. Oktober 1990 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom 23. Oktober 1990, also nach Ablauf der bis zum 7. September 1990 verlängerten Revisionsbegründungsfrist angegriffen worden sind und somit den Senat binden (§§ 163, 164 Abs 2 SGG), in den USA eine Vollzeittätigkeit aufgenommen hatte. Dies unterstreicht aber noch, daß es der Klägerin unmöglich war, ihre Arbeitskraft überwiegend für das Studium einzusetzen.
Die von der Klägerin gegen das landessozialgerichtliche Urteil vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Soweit sie sich unter Hinweis auf eine Kommentarstelle darauf beruft, bei der Hochschulausbildung sei in erster Linie auf den Status der Bildungseinrichtung abzustellen, übersieht sie, daß dieses Kriterium nur dazu dienen kann, die - in der Praxis allerdings verhältnismäßig häufig auftretenden - Schwierigkeiten zu der Frage zu lösen, ob eine Bildungseinrichtung - was hier außer Zweifel steht - Hochschule im Sinn des Ausfallzeittatbestandes ist (insbesondere: BSGE 61, 35 = SozR 2200 § 1259 Nr 96 mwN); für die hier vorzunehmende Abgrenzung gibt dieses Kriterium aber nichts her. Die Befürchtung, das vom LSG für richtig befundene Ergebnis benachteilige Werkstudenten, ist ebenfalls nicht begründet; diese vergleichende Betrachtung stützt sogar die vom Senat vertretene Auffassung. Bereits dargelegt ist, daß Hochschulausbildung im Sinn des Ausfallzeittatbestandes gleichbedeutend ist mit Hochschulstudium iS von § 4 Abs 1 Nr 4 AVG. Auch dort setzt aber Versicherungsfreiheit als Werkstudent voraus, daß der Betreffende "seinem Erscheinungsbild nach" Student bleibt; daran fehlt es regelmäßig, wenn die Erwerbstätigkeit während des Semesters 20 Wochenstunden überschreitet oder, anders ausgedrückt, wenn das Studium - trotz aufrechterhaltener Immatrikulation - nur in einem praktisch nicht ins Gewicht fallenden Umfang betrieben wird (BSG SozR 2200 § 172 Nr 14; BSGE 33, 229 ff). Ebenfalls am Ergebnis nichts zu ändern vermag der Vortrag der Klägerin, sie habe das Studium nach der Mindeststudienzeit (von acht Semestern) abgeschlossen, so daß ihr diese Zeit voll als Ausfallzeit anerkannt werden müsse. Abgesehen davon, daß nach der von der Universität München im Verwaltungsverfahren übersandten Prüfungsordnung vom 20. Juni 1953 für Diplom-Kaufleute nur sechs Semester einschlägigen Studiums für die Zulassung zur Prüfung erforderlich waren (§ 2 Abs 2 der Prüfungsordnung), kann die bei der Klägerin möglicherweise zutreffende Besonderheit des Einzelfalles an den rentenrechtlich zu beachtenden generellen Gegebenheiten nichts ändern.
Schließlich ist ohne Belang, daß die Klägerin nach der genannten Prüfungsordnung (§ 2 Abs 3) bis zum Beginn des fünften Semesters, gleichgültig, ob in den Hochschulferien oder besonders, ein halbes Jahr kaufmännisch tätig gewesen sein mußte, um zur Prüfung zugelassen zu werden. Denn diese Tätigkeit (unterstellt, es habe sich während der streitigen Zeit in den USA überhaupt um eine kaufmännische Tätigkeit gehandelt) war, wie die Prüfungsordnung verdeutlicht, nicht in die Hochschulausbildung integriert und daher auch nicht Teil der Hochschulausbildung iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b) AVG (vgl SozR 2200 § 1259 Nr 69 mwN; SozR Nr 47 zu § 1259 RVO mwN).
Nach alledem konnte die Revision der Klägerin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen