Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Besuchsreise zum im Ausland lebenden Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
Aufenthaltsrechtliche Hindernisse für den Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen im Bundesgebiet begründen keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zum Besuch der ausländischen Ehegatten im Ausland.
Normenkette
SGB II § 21 Abs. 6 Sätze 1-2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; SGB II § 20 Abs. 1; RBEG § 5 Abs. 1; RBEG 2017 § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten sind Kosten zum Besuch der in China lebenden Ehefrau des Klägers.
Der Kläger - ein deutscher Staatsangehöriger - war in Singapur berufstätig und heiratete dort eine chinesische Staatsangehörige. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 2007 bezieht er Alg II. Da er von seiner Ehefrau, die damals nach China gezogen sei, unfreiwillig getrennt lebe, weil ihrem Nachzug nach Deutschland aufenthaltsrechtliche Gründe entgegenständen, beantragte er 2011 beim beklagten Jobcenter Reisekosten zum Besuch der Ehefrau von etwa 950 Euro jährlich und die Zustimmung zu seiner Ortsabwesenheit. Der Beklagte lehnte die Gewährung von Reisekosten ab (Bescheid vom 14.9.2011; Widerspruchsbescheid vom 23.1.2012).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.10.2014). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers den ablehnenden Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil für den Erlass eines gesonderten Bescheids keine Rechtsgrundlage bestehe. Im Übrigen stehe dem Kläger der Anspruch materiell nicht zu (Urteil vom 20.5.2016): Ein unabweisbarer Bedarf nach § 21 Abs 6 SGB II liege nicht vor, da aus Art 6 Abs 1 GG nicht folge, dass jegliche eine Familie betreffende Belastung auszugleichen sei.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger als Verfahrensfehler, das LSG habe den Streitgegenstand unzutreffend erfasst und zu Unrecht seinen Willen zum Zusammenleben mit seiner Ehefrau angezweifelt. Materiell seien Art 6 Abs 1 GG und § 21 Abs 6 SGB II verkannt. Eheleute hätten ein Recht auf regelmäßigen Umgang. Sie anders als Kinder vom Anspruch nach § 21 Abs 6 SGB II auszunehmen, sei nicht gerechtfertigt.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2016 und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Oktober 2014 zu ändern und festzustellen, dass der Beklagte ihm, solange er Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hat, in jedem Kalenderjahr eine dreiwöchige Reise zu seiner Ehefrau nach G. in der VR China zu bezahlen und seiner Ortsabwesenheit für diese Zeit zuzustimmen hat.
Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG): Im Ergebnis zu Recht hat das LSG offengelassen, ob die räumliche Trennung von seiner in China lebenden Ehefrau unfreiwillig ist. Zwar war ungeachtet der Aufhebung des ursprünglich streitbefangenen Ablehnungsbescheids in der Sache über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Deckung der Kosten künftiger Reisen zum Besuch seiner Ehefrau zu entscheiden (dazu 2.). Ein dies tragender Härtefallmehrbedarf (dazu 4.) besteht jedoch hier nicht, weil der Kläger und seine Ehefrau existenzsicherungsrechtlich darauf verwiesen sind, zur Beendigung ihrer räumlichen Trennung das Verfahren zur Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zu betreiben (dazu 5.).
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Urteilen die Frage der Deckung der Kosten künftiger Besuche bei der Ehefrau des Klägers durch existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II. Nicht mehr Verfahrensgegenstand ist dagegen der Ablehnungsbescheid vom 14.9.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.1.2012; gegen dessen Aufhebung durch das LSG hat sich der Beklagte weder mit Revision noch im Wege einer Anschlussrevision gewandt und sie daher in Rechtskraft erwachsen lassen. Ebenso nicht Verfahrensgegenstand sind bereits angefallene Reisekosten; dass der Kläger Reisen nach China bereits durchgeführt hätte, hat das LSG nicht festgestellt, und es ist keine Entscheidung streitbefangen, in deren Rahmen im Verhältnis zum Beklagten über einen allein in Betracht zu ziehenden Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II (zur prozessualen Lage diesbezüglich vgl zuletzt nur BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - vorgesehen für SozR 4, RdNr 10 mwN) zu entscheiden wäre.
2. Der Sachentscheidung des Senats entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Zu Recht begehrt der Kläger insbesondere, dass über die Deckung künftiger Reisekosten durch existenzsichernde Leistungen ausnahmsweise vorab entschieden wird; sachdienlich und auch im Revisionsverfahren noch zulässig hat er dazu die Verpflichtungsklage in eine Feststellungsklage umgestellt.
a) Im Ausgangspunkt liegt der Entscheidung des LSG allerdings zutreffend zu Grunde, dass über die Deckung künftiger Bedarfslagen durch Leistungen nach dem SGB II nur ausnahmsweise im Vorhinein durch Verwaltungsakt zu befinden ist. Besteht keine Sonderregelung (vgl etwa § 22 Abs 4 SGB II), kommt eine das Jobcenter bindende Entscheidung über künftiges Handeln nur nach Maßgabe von § 34 SGB X in Betracht. Gegenstand einer Zusicherung kann danach nur der spätere Erlass oder die spätere Unterlassung eines "bestimmten Verwaltungsakt(s)" sein (§ 34 Abs 1 Satz 1 SGB X), was bezogen auf die Deckung einzelner Bedarfe für das SGB II verfahrensrechtlich nicht vorgesehen ist; ein Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II kann nicht Gegenstand isolierter Entscheidung sein (vgl zuletzt nur BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 8/14 R - BSGE 119, 7 = SozR 4-4200 § 21 Nr 22, RdNr 12 mwN).
b) Das schließt vorbeugende Klärungen allerdings nicht schlechterdings aus. Einzelne Elemente eines Leistungsanspruchs können Gegenstand einer (Elementen-)Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG sein, wenn anzunehmen ist, dass hierdurch der zukünftige Streit der Beteiligten insgesamt bereinigt wird (vgl nur BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 45/15 R - SozR 4-1500 § 55 Nr 16 RdNr 27 mwN), etwa bei der Leistungserheblichkeit künftigen Verhaltens (vgl BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 36/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 90 RdNr 18 ff ≪Bestehen einer Kostensenkungsobliegenheit≫) oder einer einzugehenden Verpflichtung (BSG vom 10.11.2005 - B 3 P 10/04 R - SozR 4-3300 § 40 Nr 2 RdNr 12 ≪Beschaffung eines Elektrorollstuhls≫; BSG vom 8.9.2015 - B 1 KR 27/14 R - SozR 4-2500 § 76 Nr 3 RdNr 24 f ≪Übernahme von Fahrkosten für Vertragsärzte mit entfernt gelegenen Praxissitzen≫; BSG vom 8.3.2017 - B 8 SO 2/16 R - SozR 4-1500 § 55 Nr 20 RdNr 13 f ≪Angewiesenheit auf noch zu beschaffendes Kfz mit Automatikgetriebe≫). So liegt es ungeachtet eines nicht auszuschließenden Streits über die Höhe entsprechender Aufwendungen auch hier, weil dem Kläger eine weitere Konkretisierung und vor allem ständige Aktualisierung seiner Reisepläne nicht abverlangt werden kann (ebenso BSG vom 8.3.2017 - B 8 SO 2/16 R - SozR 4-1500 § 55 Nr 20 RdNr 13 zu den Kosten eines noch zu beschaffenden Kfz) und er ein nach § 55 Abs 1 SGG vorausgesetztes berechtigtes Interesse daran hat, vor der Verauslagung nicht unbeträchtlicher Reisekosten ihre Deckungsfähigkeit durch existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II vorab klären zu lassen.
c) Der Umstellung des Klageantrags steht das Verbot einer im Revisionsverfahren unzulässigen Klageänderung (§ 168 Satz 1 SGG) nicht entgegen. Nach § 99 Abs 3 Nr 2 SGG ist es nicht als Klageänderung anzusehen, wenn der Klageantrag in der Hauptsache erweitert oder beschränkt wird. Diese Fiktion aus Gründen der Prozessökonomie (vgl Bieresborn in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 99 RdNr 55) setzt voraus, dass eine Umstellung der Anträge ohne Änderung des Klagegrunds erfolgt, dh der dem Verfahren zu Grunde liegende Lebenssachverhalt unverändert bleibt (vgl BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 28/09 R - SozR 4-4300 § 57 Nr 5 RdNr 10; Bieresborn in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 99 RdNr 52; B Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 99 RdNr 3). So liegt es hier, weil die Beschränkung des Verfahrens auf die Leistungserheblichkeit künftiger Reisen den zu beurteilenden Lebenssachverhalt unberührt lässt.
3. Als Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung, dass Aufwendungen zum Besuch der Ehefrau des Klägers durch zusätzliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu decken sein können, kommt im Zeitpunkt der Senatsentscheidung nur § 19 iVm § 21 Abs 6 SGB II (hierzu 4. b) idF des SGB II in Betracht, die es zuletzt vor der mündlichen Verhandlung des Senats durch Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17.7.2017 (BGBl I 2017, 2541) erhalten hat (vgl dagegen zur Maßgeblichkeit des zum damaligen Zeitpunkt geltenden Rechts in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeiträume - Geltungszeitraumprinzip - BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 15 mwN).
4. Anders nicht gedeckte und nicht nur einmalige Aufwendungen zum Besuch eines Ehepartners im Ausland können entgegen der Auffassung des LSG in einer Sondersituation einen Härtefallmehrbedarf begründen.
a) Im Ausgangspunkt liegt der Berufungsentscheidung allerdings zutreffend zu Grunde, dass Aufwendungen zur Kontaktpflege unter Angehörigen der Art nach grundsätzlich ausschließlich aus dem Regelbedarf nach § 20 SGB II zu bestreiten sind. Zur Deckung der vom Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums neben einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfassten Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen (vgl nur BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 223 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 135) hat der Gesetzgeber in den der Teilhabe zuzuordnenden regelbedarfsrelevanten Verbrauchsgruppen in den Abteilungen 7 (Verkehr mit 32,90 Euro), 8 (Nachrichtenübermittlung mit 35,31 Euro), 9 (Freizeit usw mit 37,88 Euro) und 11 (Beherbergung ua 9,82 Euro) einen Gesamtbetrag von 115,91 Euro eingestellt (§ 5 Abs 1 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016, BGBl I 3159). Darin waren Aufwendungen für Verwandtenbesuche eingeschlossen (vgl BT-Drucks 18/9984 S 48 zur Nichtberücksichtigung von Übernachtungskosten bei Verwandtenbesuchen). Verfassungsrechtlich im Grundsatz unbedenklich (vgl aber BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20, RdNr 117 ff) sind die Leistungsberechtigten danach zumutbar darauf verwiesen, punktuelle Unterdeckungen in der Regel intern auszugleichen und ihr Verbrauchsverhalten so zu gestalten, dass sie mit dem Festbetrag auskommen (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 238 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 172; BSG vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 60 mwN; zur Lage speziell beim "allgemeinen Verwandtenbesuch" vgl Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 73 RdNr 20, Stand 09/16; zur Konzeption der Regelbedarfsermittlung vgl zuletzt auch BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - vorgesehen für SozR 4, RdNr 16).
b) Lassen sich dem Regelbedarf zugeordnete und nicht nur einmalige Aufwendungen in einer Sondersituation mit zumutbarem internem Ausgleich (zu den Grenzen vgl BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20, RdNr 117) nicht bestreiten, können zu ihrer Deckung nach der im Anschluss an die Regelsatz-Entscheidung des BVerfG eingeführten Regelung des § 21 Abs 6 SGB II (zu den Motiven vgl BT-Drucks 17/1465, S 8 f) iVm § 19 Abs 1 Satz 3 SGB II zusätzliche existenzsichernde Leistungen zu erbringen sein. Danach gilt: Bei Leistungsberechtigten wird ein nach § 19 Abs 1 Satz 3 SGB II von den Leistungen umfasster Mehrbedarf ua anerkannt, "soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht".
c) Dem Grunde nach als besondere Bedarfslage in diesem Sinne anerkannt ist im familiären Kontext die Ausübung des Umgangsrechts getrennt lebender Elternteile mit ihren minderjährigen Kindern. Die Aufrechterhaltung dieser Eltern-Kind-Beziehung hat bereits das BVerwG der notfalls mit Mitteln der Sozialhilfe zu sichernden menschenwürdigen Lebensführung zugerechnet und als persönliches Bedürfnis des täglichen Lebens angesehen, das - anders als die Beziehungen zur sozialen Umwelt, die mit sachgerechten Maßstäben kaum einzugrenzen seien - nicht unter dem Vorbehalt des Vertretbaren stehe (BVerwG vom 18.2.1993 - 5 C 30.89 - BVerwGE 92, 97, 99). Dem Umfang nach sind die daraus sich ergebenden Ansprüche vorrangig an den Abreden der Eltern zu bemessen; auch existenzsicherungsrechtlich ist maßgebend, wie die Eltern ihre durch Art 6 Abs 2 Satz 1 GG geschützte Entscheidung über die Ausübung ihrer Elternverantwortung handhaben (BVerfG ≪Kammer≫ vom 25.10.1994 - 1 BvR 1197/93 - FamRZ 1995, 86, 87).
Dem hat sich das BSG für das SGB II angeschlossen, zunächst gestützt auf § 73 SGB XII (grundlegend BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 21 ff) und im Anschluss an die Regelsatz-Entscheidung des BVerfG auf § 21 Abs 6 SGB II (BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr 18, RdNr 20; BSG vom 18.11.2014 - B 4 AS 4/14 R - BSGE 117, 240 = SozR 4-4200 § 21 Nr 19, RdNr 15; ebenso etwa Behrend in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 21 RdNr 98 ff; von Boetticher in LPK-SGB II, 6. Aufl 2017, § 21 RdNr 43; S. Knickrehm/Hahn in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 21 RdNr 74; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II K § 21 RdNr 83 ff, Stand 05/2011). Härtefallmehrbedarfe wegen eines Umgangsrechts bestehen danach unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in Höhe der kostengünstigsten und gleichwohl bezogen auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Umgangsrechts verhältnismäßigen sowie zumutbaren Art der Bedarfsdeckung (BSG vom 18.11.2014 - B 4 AS 4/14 R - BSGE 117, 240 = SozR 4-4200 § 21 Nr 19, RdNr 21 ff), soweit wegen Getrenntlebens der Eltern oder - liegen besondere rechtfertigende Gründe dafür vor - bei getrennten Wohnsitzen (hierzu BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 4-4200 § 21 Nr 21, RdNr 27) eine grundsicherungsrechtlich beachtliche Trennungssituation besteht.
d) Entsprechendes gilt - unter Beachtung der Unterschiede zur Ausübung des Umgangsrechts - ebenso für intensive Familienbindungen jenseits der umgangsrechtlichen Eltern-Kind-Beziehung. Auch zwischen Erwachsenen oder im Großeltern-Kind-Verhältnis können verwandtschaftliche Bindungen für die personale Existenz von herausgehobener Bedeutung sein, wie deren besonderer Schutz durch Art 6 Abs 1 GG belegt (vgl dazu nur BVerfG vom 24.6.2014 - 1 BvR 2926/13 - BVerfGE 136, 382 RdNr 22). Dem ist bei der Auslegung der Härtefallklausel des § 21 Abs 6 SGB II Rechnung zu tragen. Das verfassungsrechtlich zu gewährleistende Existenzminimum hat außer der physischen Seite wegen der notwendigen Existenz des Menschen in sozialen Bezügen neben einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben auch die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen zu sichern (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 223 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 135; zum Verhältnis von Eltern und volljährigen Kindern vgl nur BVerfG vom 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81, 90 f; BVerfG ≪Kammer≫ vom 21.7.2005 - 1 BvR 817/05 - NVwZ-RR 2005, 825, 826). Hierbei kann verwandtschaftlichen Bindungen auch außerhalb des Schutzbereichs von Art 6 Abs 2 Satz 1 GG besonderer Stellenwert zukommen, wenn sie als tatsächlich gelebte Beziehung von besonderer Nähe, familiärer Verantwortlichkeit füreinander sowie Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft geprägt sind (vgl zu Art 6 Abs 1 GG und dem Kreis der davon umfassten Verwandtschaftsbeziehungen BVerfG vom 24.6.2014 - 1 BvR 2926/13 - BVerfGE 136, 382 RdNr 23 mwN) und deshalb für die individuelle personale Existenz herausgehobene Bedeutung haben. Unter Berücksichtigung dessen kann in Sondersituationen zur Ermöglichung der Begegnung naher Angehöriger ein Härtefallmehrbedarf nicht anders als beim Umgangsrecht anzuerkennen sein.
e) Eine solche Bedarfslage kommt in Betracht bei einer dem Einfluss des zu Besuchenden entzogenen außergewöhnlichen - bei der Bemessung des Regelbedarfs nicht berücksichtigten (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 254 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 207 f) - Situation, in der einem Leistungsberechtigten gemessen am personalen Sicherungszweck des verfassungsrechtlich zu gewährleistenden Existenzminimums unter Berücksichtigung der Intensität der konkreten verwandtschaftlichen Beziehung (vgl BVerfG vom 24.6.2014 - 1 BvR 2926/13 - BVerfGE 136, 382 RdNr 23 aE) sowie aller weiterer Umstände des Einzelfalls (zum Umgangsrecht vgl nur BSG vom 18.11.2014 - B 4 AS 4/14 R - BSGE 117, 240 = SozR 4-4200 § 21 Nr 19, RdNr 21, 23 mwN) ein Verzicht auf die Begegnung mit dem im Sinne von Art 6 Abs 1 GG nahen Angehörigen nicht zugemutet werden kann; sei es, um die Beziehung in einer ihrer Bedeutung gerecht werdenden Weise aufrechterhalten oder Beistand leisten zu können. Angenommen werden kann das insbesondere bei erheblichen Notlagen oder einer ungewollten - rechtlich oder tatsächlich nicht änderbaren - räumlichen Trennung familienrechtlich nicht getrennt lebender Eheleute, die über längere Zeit anhält und einen als erheblich anzusehenden Wunsch nach kontinuierlicher Begegnung begründet (vgl etwa LSG Sachsen-Anhalt vom 22.6.2016 - L 4 AS 196/15 - info also 2017, 30: Regelmäßige Besuche beim dauerhaft in einer stationären Einrichtung untergebrachten Ehemann). Ist eine Kommunikation über Brief, Telefon oder Internetdienste nicht möglich oder erscheint sie nachvollziehbar als nicht ausreichend (vgl zur Bedeutung der - allerdings durch Art 6 Abs 2 Satz 1 GG geschützten - elterlichen Umgangsentscheidung BVerfG ≪Kammer≫ vom 25.10.1994 - 1 BvR 1197/93 - FamRZ 1995, 86 f), können danach Notlagen von erheblichem Gewicht oder eine ungewollte und nicht behebbare Trennung naher Angehöriger (zu einem Sonderfall familienrechtlich nicht getrennt lebender Eheleute vgl BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 4-4200 § 21 Nr 21, RdNr 25 f) über einen längeren Zeitraum hinweg einen existenzsicherungsrechtlich beachtlichen Besuchsanlass bilden, wenn dies dem gelebten Verhältnis der Beteiligten und seiner Bedeutung für die personale Existenz des Leistungsberechtigten entspricht; das gilt auch bei Besuchen im Ausland (vgl BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 20 f).
5. Aufenthaltsrechtliche Hindernisse für den Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen im Bundesgebiet begründen keinen Anlass für Leistungen nach dem SGB II zum Besuch der ausländischen Ehegatten im Ausland.
a) Aufenthaltsrechtliche Nachzugsbegrenzungen für Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit zu deutschen Ehegatten dürfen nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG regelmäßig nicht zeitlich unbegrenzt sein: Auch wenn Art 6 GG grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt, sind bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren nach der Rechtsprechung des BVerfG bestehende eheliche Bindungen an berechtigterweise im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise zu berücksichtigen, die der Bedeutung entspricht, welche Art 6 GG dem Schutz von Ehe und Familie beimisst. Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dessen daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen; Eingriffe sind nur zulässig, soweit sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (grundlegend BVerfG vom 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 ua - BVerfGE 76, 1, 47 f, 49 ff; zuletzt etwa BVerfG ≪Kammer≫ vom 17.5.2011 - 2 BvR 1367/10 - BVerfGK 18, 436, 440). Hiervon ausgehend erachtet das BVerwG das von ihm grundsätzlich als verfassungsmäßig angesehene Spracherfordernis beim Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen dann als ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis, wenn es dem ausländischen Ehegatten aus besonderen persönlichen Gründen oder wegen der besonderen Umstände in seinem Heimatland nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die deutsche Sprache innerhalb angemessener Zeit zu erlernen. Die zeitliche Grenze hat es dabei bei einer Nachzugsverzögerung von einem Jahr gezogen (BVerwG vom 4.9.2012 - 10 C 12.12 - BVerwGE 144, 141 RdNr 25 ff; zum Ehegattennachzug zu Ausländern vgl BVerwG vom 30.3.2010 - 1 C 8.09 - BVerwGE 136, 231 RdNr 9 ff; nachfolgend BVerfG ≪Kammer≫ vom 25.3.2011 - 2 BvR 1413/10 - NVwZ 2011, 870).
b) Nach dieser Rechtslage sind der Kläger und seine Ehefrau darauf verwiesen, die räumliche Trennung zwischen ihnen durch Betreiben des gesetzlich vorgesehenen Visumverfahrens zu beenden. Können aufenthaltsrechtliche Hindernisse für ein eheliches Zusammenleben im Inland im Visumsverfahren ausgeräumt werden, besteht schon keine Sondersituation, in der zur Sicherung der personalen Existenz (vgl oben RdNr 20) von Verfassungs wegen mit (zusätzlichen) existenzsichernden Leistungen eine Begegnung von Eheleuten im Ausland zu ermöglichen ist. Der verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins "unbedingt erforderlich" sind (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 223 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 135). Dem entsprechend sind ungewollte räumliche Trennungen von Eheleuten nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II für einen Härtefallmehrbedarf unbeachtlich, soweit sie nicht alle ihnen zuzumutenden Möglichkeiten zu deren Beendigung ausgeschöpft haben (vgl BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 4-4200 § 21 Nr 21, RdNr 27), in Fällen wie hier also: Der ausländische Ehegatte die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug betrieben hat.
c) Dass nach diesen Maßstäben hier noch ein Härtefallmehrbedarf zur Deckung von nicht nur einmaligen Reiseaufwendungen des Klägers zum Besuch seiner Ehefrau in China bestehen könnte, ist nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass seine Ehefrau bei den zuständigen Behörden bereits erfolglos ein Visum zum Ehegattennachzug beantragt und im Versagensfall um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht hätte, sind weder den Feststellungen des LSG noch dem Vortrag des Klägers zu entnehmen. Sollte die Versagung eines beantragten Nachzugs aufenthaltsrechtlich nicht zu beanstanden sein, stünde auch dies einem Härtefallmehrbedarf entgegen: Soweit seiner Frau nach dem Vorbringen die notwendigen Mittel für den Sprachkundeerwerb fehlen, betrifft das die an Art 6 Abs 1 GG zu messenden Anforderungen an das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen und begründet keinen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen, um dem Kläger eine Begegnung mit seiner Frau in deren Heimatland zu ermöglichen. Soweit schließlich nach der Rechtsprechung des BVerwG das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug zu Deutschen dem Visumsbegehren von Sonderfällen abgesehen erst dann nicht mehr entgegengehalten werden darf, wenn zumutbare Bemühungen zum Erwerb der Sprachkenntnisse ein Jahr lang erfolglos geblieben sind (BVerwG vom 4.9.2012 - 10 C 12.12 - BVerwGE 144, 141 RdNr 28), beansprucht das auch Geltung für den hier geltend gemachten Anspruch zur Ermöglichung persönlicher Begegnungen der Eheleute bis zur Visumserteilung.
6. Offen bleiben kann hiernach, ob das LSG verfahrensfehlerhaft den Willen des Klägers zum Zusammenleben mit seiner Ehefrau angezweifelt und ob der Beklagte einer Ortsabwesenheit während eines Besuchs bei seiner Ehefrau zuzustimmen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 13194916 |
FEVS 2020, 55 |
InfAuslR 2019, 339 |
InfAuslR 2020, 114 |
SGb 2019, 101 |
ZfF 2019, 235 |
Breith. 2020, 611 |
JM 2020, 15 |
info-also 2019, 233 |