Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zu AVAVG 1927 § 99 Abs 1 S 3 fest (Vergleiche BSG 1955-08-30 7 RAr 17/54 = BSG 1, 126).
2. Auch unverschuldete Krankheit zwischen zwei versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ist eine Unterbrechung im Sinne des AVAVG 1927 § 99 Abs 1 S 3.
Normenkette
AVAVG § 99 Abs. 1 S. 3; AVAVG 1927 § 99 Abs. 1 S. 3
Tenor
Auf die Revision wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. November 1955 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der Kläger war vom 14. Februar 1949 bis zum 30. September 1951 bei der Firma P in S als Einkäufer beschäftigt. Am 15. August 1951 wurde ihm gekündigt. Mitte September 1951 trat er seinen Resturlaub von 14 Tagen an, erkrankte aber drei Tage später und konnte erst am 1. November 1951 wieder Arbeit aufnehmen, und zwar als Geschäftsführer der Firma A Sch in S. Nach seiner Darstellung sollte er dort bereits am 1. Oktober 1951 antreten. Am 31. März 1953 wurde er fristlos entlassen. Durch Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg wurde die fristlose Kündigung für unwirksam erklärt, worauf ihm das Gehalt für die Monate April bis Juni 1953 in Höhe von 1.500.- DM nachgezahlt wurde.
Am 16. April 1953 hatte er Antrag auf Arbeitslosenunterstützung (Alu) gestellt. Sie wurde ihm vom Arbeitsamt N auf Grund einer Anwartschaftszeit von 364 Tagen vom 10. April 1953 ab gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) für 156 Tage bewilligt. Wegen der Gehaltsnachzahlung wurde sie bis zum 3. Juli entzogen (§ 113 Abs. 1 Nr. 1 AVAVG) und ab 4. Juli wieder gewährt. Ab 2. Januar 1954 erhielt er Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu).
Mit Arbeitsbescheinigung von der Firma P beantragte der Kläger im Januar 1954 Verlängerung der Alu-Bezugsdauer auf Grund des Änderungsgesetzes vom 24. August 1953. Durch Bescheid des Arbeitsamts vom 5. März 1954 wurde der Antrag abgelehnt, da die versicherungspflichtige Beschäftigung durch die Krankheit vom 1. bis 31. Oktober 1951 unterbrochen worden sei. Der Widerspruch hiergegen wurde mit Bescheid vom 17. März 1954 als unbegründet zurückgewiesen.
II. Auf Klage verurteilte das Sozialgericht (SG.) Nürnberg die Bundesanstalt am 21. Juli 1954, dem Kläger Alu über die 26. Woche hinaus auf die Gesamtdauer von 45 Wochen zu gewähren. Da der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben seine neue Arbeitsstelle nur wegen Erkrankung nicht früher angetreten habe, könne in entsprechender Anwendung der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 4008 des Reichsversicherungsamts (RVA.) eine Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers nicht angenommen werden. Im Urteil wurde die Berufung als zulässig bezeichnet.
Auf die Berufung hob das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) am 11. November 1955 das Urteil des SG. Nürnberg auf und wies die Klage ab. Angesichts der Erkrankung des Klägers könne schon rein wörtlich eine ununterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung nicht unterstellt werden. Als zutreffend sei allerdings anzusehen, daß der Kläger nur infolge der Krankheit, also ohne sein Verschulden, das Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Sch nicht schon am 1. Oktober 1951 habe antreten können. Deshalb sei die Vernehmung der angebotenen Zeugen nicht erforderlich. Die Grunds. Entsch. Nr. 4008 könne nicht angewandt werden, da sie zu § 110 a Abs. 2 AVAVG ergangen sei.
III. Gegen dieses dem Kläger am 8. Februar 1956 zugestellte Urteil hat er mit Schriftsatz vom 20. Februar 1956 - beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangen am 21. Februar - Revision eingelegt und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Nürnberg zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 4. April 1956 - beim BSG. eingegangen am 5. April - hat er sie unter Hinweis auf das Urteil des 7. Senats vom 30. August 1955 - 7 RAr 17/54 - damit begründet, daß die wörtliche Auslegung des § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG zu einer außer gewöhnlichen Härte führen würde.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 4. Mai 1956 beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 15. Mai 1956 erwidert. Im einzelnen wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem BSG. hat der Kläger den Hilfsantrag gestellt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Bei zugelassener Revision könne eine Verfahrensrüge wegen mangelnder Sachaufklärung bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erhoben werden. Im vorliegenden Falle sei es zweifelhaft, ob der Arbeitsvertrag nicht schon ab 1. Oktober 1951 abgeschlossen sei. Nehme man eine Ausstrahlung der arbeitsrechtlichen Seite auf die sozialrechtliche an, dann müsse vom Vertragsabschluß an ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen haben und damit hier ein nahtloser Zusammenhang gegeben sein.
Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Hilfsantrags bestritten, da er nur innerhalb der Revisionsfrist hätte gestellt werden können und gemäß § 164 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Tatsachen und Beweismittel hätten bezeichnet werden müssen, die den Mangel ergeben.
IV. Die Revision ist zulässig. Sie mußte auch Erfolg haben.
Das Gericht hatte zunächst zu prüfen, ob seinerzeit die Berufung zulässig gewesen ist. Nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist sie es nicht bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (drei Monaten). Doch kann das SG. sie ausdrücklich zulassen (§ 150 Nr. 1 SGG). Von dieser Möglichkeit hat es keinen Gebrauch gemacht. Der Hinweis im Urteil, daß die Berufung zulässig sei, würde dafür nach der ständigen Rechtsprechung des BSG. nicht ausreichend sein. Das SG. hat sich mit der Zulassungsfrage auch gar nicht befaßt, da es davon ausging, der Kläger begehre für die nach seiner Auffassung durch die Krankheit im Oktober 1951 nicht unterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung vom 14. Februar 1949 bis zum 30. Juni 1953 Alu nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG für 45 Wochen.
Demgegenüber hat das LSG. die Auffassung vertreten, daß die Dauer des noch streitigen Teils des Gesamtanspruchs die Zulässigkeit der Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG bestimme, hier also der Anspruch auf 19 Wochen. Obwohl der Kläger bereits am 31. März 1954 wieder eine Beschäftigung aufgenommen hatte und die vom 2. Januar bis zum 31. März 1954 gegebenenfalls in Frage kommende Unterstützung nur einen Zeitraum von unter 13 Wochen umfaßte, hat es deshalb die Berufung für zulässig angesehen.
Die Auffassung des LSG. ist unzutreffend. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil 7 RAr 17/54 vom 30. August 1955 (BSG. 1 S. 126 (129)) ausgeführt, daß in den Fällen des § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG in der Fassung nach § 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge vom 24. August 1953 (BGBl. I S. 1022) der Gesamt anspruch der Unterstützung im Streit befangen ist, nicht lediglich die über § 99 Abs. 1 Satz 2 AVAVG hinausgehende Verlängerungszeit. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist deshalb nicht anwendbar.
Die Berufung war demnach zulässig.
V. Mit der materiell-rechtlichen Frage, wann eine Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung vorliegt, hat sich der erkennende Senat eingehend ebenfalls in dem oben erwähnten Urteil befaßt. Danach setzt der Begriff "ununterbrochen" im § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG zwar nicht voraus, daß die Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber abgeleistet sein muß. Die Beschäftigungen müssen jedoch grundsätzlich kalendermäßig aneinander anschließen, also in "nahtlosem" Zusammenhang stehen. Im vorliegenden Falle hat der Kläger sein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma P am 30. September 1951 beendet und das neue, wie es zunächst den Anschein hat, erst am 1. November 1951 bei der Firma Sch begonnen. Daß hier kein nahtloser Zusammenhang mehr bestehen kann, erscheint - jedenfalls vorläufig - unzweifelhaft. Jedoch konnte der Senat hierzu nicht endgültig Stellung nehmen; denn er ist an die tatsächlichen Feststellungen des LSG. gebunden, die insoweit aber nicht ausreichen. Aus ihnen ist, selbst wenn man die Verweisungen auf den Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Parteien berücksichtigt, nicht ersichtlich, wann und wie das zweite Beschäftigungsverhältnis zustande gekommen ist. Hierauf könnte es aber maßgeblich ankommen.
Das LSG. sieht "auf Grund der gesamten Sachlage" das Vorbringen des Klägers als zutreffend an, daß er bei der Firma Sch am 1. Oktober 1951 eintreten wollte , aber durch Erkrankung verhindert war. Es hat deshalb die Vernehmung der vom Kläger angebotenen Zeugen nicht für erforderlich gehalten. Ob gerade diese Wesentliches hätten aussagen können, kann hier dahingestellt bleiben. Auf Grund der Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) wäre es aber geboten gewesen, weitere Ermittlungen anzustellen. Da dem Kläger von der Firma P bereits Mitte August zum 30. September 1951 gekündigt worden war, ist anzunehmen, daß er mindestens schon zu dieser Zeit, und zwar spätestens bis zum Beginn seiner Erkrankung, mit der Firma Sch über seine Einstellung verhandelt hat. Über diese Verhandlungen und ihr Ergebnis ist keine Klarheit geschaffen worden. Das wäre aber notwendig gewesen; denn wie der erkennende Senat in seinem Urteil 7 RAr 40/55 vom 30. August 1955 (BSG. 1 S. 115 Nr. IV ff.) eingehend dargelegt hat, ist für die im § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG geforderte versicherungspflichtige Beschäftigung entscheidend, aber auch genügend, daß sie grundsätzlich tatsächlich ausgeübt wird und Verfügungsmacht des Arbeitgebers sowie Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers bestehen. Deshalb wäre - gleichgültig, ob der Arbeitsvertrag bereits abgeschlossen war oder nicht - zu prüfen gewesen, ob der Kläger vielleicht trotz seiner Erkrankung tatsächlich schon ab 1. Oktober 1951 in den Betrieb eingegliedert und etwa in seinen Arbeitsplatz eingewiesen worden ist, aber dann infolge seiner Erkrankung ausgesetzt hat (vgl. dazu auch die Grunds. Entsch. des RVA. Nr. 1933, AN. 1914 S. 813). In einem solchen Falle könnte unter Umständen noch ein nahtloser Zusammenhang der beiden Beschäftigungsverhältnisse angenommen werden.
Sollte diese Untersuchung jedoch negativ verlaufen und damit eine Lücke zwischen den versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bejaht werden müssen, so wäre, da ein Verschulden des Klägers an der Unterbrechung nicht anzunehmen ist, weiter zu prüfen, ob etwa ein außer gewöhnlicher Härtefall im Sinne des Urteils 7 RAr 17/54 (BSG. 1 S. 133) vorliegt. Der Senat hat darin gewisse Ausnahmen im Rahmen des Nichtverschuldens nicht für völlig ausgeschlossen gehalten, und zwar in Fällen, in denen eine wörtliche Auslegung den Sinn des § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG in sein Gegenteil verkehren und die Annahme einer Unterbrechung zu einer außer gewöhnlichen Härte führen würde. Der Kläger hält eine solche für gegeben, da er nach seiner Meinung nicht arbeitslos, sondern krank und nur dadurch gehindert gewesen sei, das neue Beschäftigungsverhältnis schon am 1. Oktober 1951 anzutreten. Die Beklagte weist demgegenüber darauf hin, der erkennende Senat habe eine außergewöhnliche Härte nur für den Fall angenommen, daß der Anspruch auf die erhöhte Unterstützungsdauer durch entsprechend lange ununterbrochene Beschäftigung bereits erworben war, die Alu aber erst nach einer weiteren, nicht unmittelbar anschließenden versicherungspflichtigen Beschäftigung begehrt wurde. Dieser Einwand der Beklagten ist insofern nicht zutreffend, als der Senat den erwähnten Fall tatsächlich nur als ein - wenn auch besonders hervorstechendes - Beispiel angeführt hat. Er war und ist der Meinung, daß es - unter besonderen Umständen - noch andere außergewöhnliche Härtefälle geben kann, vertritt allerdings andererseits die Auffassung, daß die bloße unverschuldete Behinderung durch Krankheit dazu nicht ausreicht. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG. lassen nicht erkennen, ob weitere Gesichtspunkte die Annahme eines außer gewöhnlichen Härtefalles rechtfertigen könnten.
Die Meinung des Klägers, er sei krank, aber nicht arbeitslos gewesen, und deshalb sei eine Unterbrechung nicht eingetreten, ist abwegig; denn zur Frage, ob die Beschäftigung unterbrochen war, kommt es nicht darauf an, ob dies durch Arbeitslosigkeit, gegebenenfalls mit Unterstützungsbezug, oder durch außerhalb der versicherungspflichtigen Beschäftigung liegende Krankheit geschehen ist.
Wegen der Nichtanwendbarkeit der Grunds. Entsch. des RVA. Nr. 4008 vom 31. Oktober 1930 (AN. 1931 S. 91) wird auf das oben erwähnte Urteil des Senats und die zutreffenden Ausführungen im Urteil des LSG. verwiesen.
VI. Da weitere Feststellungen notwendig sind, mußte das Urteil des LSG. aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Unter diesen Umständen konnte dahingestellt bleiben, ob der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Hilfsantrag des Klägers als noch rechtzeitig gestellt anzusehen war.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen