Leitsatz (redaktionell)

1. Der Ersatzanspruch des Fürsorgeverbandes gegenüber der KK erstreckt sich bei Unterbringung von geisteskranken Familienangehörigen bis zur Aussteuerung nicht nur auf die Hälfte der Aufwendungen für die Krankenpflege, sondern auch auf die der Kosten des Unterhalts im Krankenhause, sofern die KK bei pflichtmäßiger Ausübung ihres Ermessens die Krankenhauspflege nicht hätte verweigern dürfen. Die Abgeltungsbestimmungen in Abschnitt 3 des RAM-Erl 1943-11-02 sind für die Zeit bis zur Aussteuerung nicht anwendbar.

2. Zu den Aufwendungen für Krankenpflege gehören auch Transportkosten in das Krankenhaus, soweit sie zur Ermöglichung der Krankenhauspflege erforderlich sind.

3. Der RAM/RMdIErl 1942-09-05 ist wirksam zustande gekommen und weiterhin gültig.

 

Normenkette

RVO § 184 Fassung: 1924-12-15, § 1531 Fassung: 1931-06-05; RAMErl 1943-11-02 Abschn. 3; RAM/RMdIErl 1942-09-05

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 4. November 1955 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der klagende Fürsorgeverband fordert von der beklagten Krankenkasse die Erstattung von Fürsorgekosten, die er in den Jahren 1954 und 1955 für die Unterbringung einer Geisteskranken im Landeskrankenhaus N... aufgewendet hat. Die Kranke, Ehefrau des bei der beklagten Kasse gesetzlich gegen Krankheit versicherten Beigeladenen H... hat sich in der Zeit vom 17. Mai 1954 bis zum 5. September 1954 und vom 2. Dezember 1954 bis zum 30. April 1955 auf Grund richterlicher, mit polizeilicher Hilfe durchgeführter Unterbringungsbeschlüsse im Landeskrankenhaus N... aufgehalten. In beiden Fällen ist die Unterbringung wegen einer geistigen Erkrankung (Schizophrenie) in erster Linie zum Schutz der Öffentlichkeit - vor allem der Hausbewohner - und zur Abwendung der Gefahr einer Selbsttötung angeordnet worden. Neben den Unterbringungskosten in Höhe von 560 und 750 DM hat der Fürsorgeverband die Überführungskosten von je 121 DM getragen. Er ist der Ansicht, daß die Beklagte auf Grund des gemeinsamen Erlasses des Reichsarbeitsministers und des Reichsministers des Innern vom 5. September 1942 (sog. Halbierungserlaß) verpflichtet sei, die Hälfte der Transportkosten (242 DM: 2 = 121 DM) und der bis zum Tage der Aussteuerung (10.2.1955) entstandenen Unterbringungskosten von 560 DM + 355 DM: 2 = 457,50 DM, insgesamt also 121 DM + 457,50 DM = 578,50 DM zu erstatten.

Die Beklagte ist nur bereit, die Hälfte der nach §§ 1531 ff. RVO erstattungsfähigen Kosten zu ersetzen. Erstattungsfähig seien aber bei der Unterbringung von mitversicherten Familienangehörigen in einer Heilanstalt allein die Kosten der Krankenpflege, nicht dagegen die Kosten für den Unterhalt in der Anstalt. Außerdem sei für die Berechnung der Erstattungssumme nicht von den tatsächlich entstandenen Pflegekosten auszugehen, sondern nach Abschnitt III des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 (sog. Verbesserungserlaß) ein pauschaler Abgeltungsbetrag von 1 DM je Pflegetag zugrunde zu legen. Da die Kranke sich bis zu ihrer Aussteuerung 183 Tage in der Anstalt befunden habe, ergebe sich mithin ein Erstattungsbetrag von 183 x 1 DM: 2 = 91,50 DM. Die Beklagte hat diesen Betrag an den Kläger gezahlt.

Das Sozialgericht hat die Rechtsauffassung der Beklagten gebilligt und diese daher nur in Höhe des von ihr gezahlten Betrages als ersatzpflichtig angesehen. Das Berufungsgericht ist demgegenüber dem Kläger beigetreten. Es hat angenommen, daß die Beklagte dem Kläger nicht nur die Hälfte der von ihm aufgewendeten Kosten für Krankenpflege, sondern auch die Hälfte der Unterhalts- und Transportkosten, und zwar in der tatsächlich entstandenen Höhe erstatten müsse. Es hat die Beklagte demgemäß unter Anrechnung des bereits gezahlten Betrages von 91,50 DM zur Zahlung weiterer 487 DM verurteilt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom Landessozialgericht zugelassene - Revision der beklagten Kasse. Die Revisionsklägerin ist der Ansicht, der Ersatzanspruch des Fürsorgeträgers nach § 1531 RVO sei begrenzt durch den Anspruch des Versicherten gegen seine Kasse. Da der Versicherte aber keinen Rechtsanspruch auf Gewährung von Krankenhauspflege für seine Familienangehörigen habe, sondern insoweit auf einen Krankenpflegeanspruch beschränkt sei, könne sich auch der klagende Fürsorgeverband wegen des Ersatzes seiner Aufwendungen allein an diesen Anspruch halten. Im übrigen müsse er sich wegen des Ersatzes der Krankenpflegekosten auf den Abgeltungsbetrag von 1 DM je Pflegetag verweisen lassen.

Der Kläger und der Beigeladene beantragen Zurückweisung der Revision.

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist nicht begründet.

Wie der Senat in der Sache 3 RK 71/55 (Urteil vom 29.1.1959) entschieden hat, ist der gemeinsame Erlaß des Reichsarbeitsministers und des Reichsministers des Innern vom 5. September 1942 betr. die Beziehungen der Fürsorgeverbände zu den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Unterbringung von Geisteskranken - sog. Halbierungserlaß - (AN. 1942 S. 490) wirksam zustande gekommen und weiterhin gültig. Danach kann der klagende Fürsorgeverband, der die Kosten der Unterbringung der Ehefrau des Beigeladenen im Landeskrankenhaus N... und die Kosten ihres Transportes dorthin getragen hat, von der beklagten Kasse die Hälfte seiner Aufwendungen im Rahmen der §§ 1531 ff. RVO erstattet verlangen. Als erstattungsfähig sind dabei nach der genannten Entscheidung des Senates nicht nur die Aufwendungen für die (stationäre) Krankenpflege, sondern auch die Kosten des Unterhalts im Krankenhaus anzusehen, sofern die Krankenkasse bei pflichtmäßiger Ausübung ihres Ermessens die Krankenhauspflege nicht hätte verweigern dürfen. Im vorliegenden Falle sind keine Gründe ersichtlich, die die Krankenkasse zur Verweigerung der Krankenhauspflege hätten berechtigen können. Die Beklagte hat daher dem Kläger, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, die Hälfte seiner Aufwendungen für Krankenpflege und Unterhalt im Krankenhaus bis zum Tage der Aussteuerung zu ersetzen. Ob und ggf. in welchem Umfange dem Kläger auch für die Zeit nach der Aussteuerung ein Erstattungsanspruch gegen die beklagte Kasse zusteht, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da der Kläger einen solchen Anspruch nicht geltend gemacht hat.

Zu den Aufwendungen für Krankenpflege, die die Beklagte dem Kläger zu ersetzen hat, gehören auch die Kosten des Transportes der Ehefrau des Beigeladenen in das Krankenhaus, soweit sie - wie hier - zur Ermöglichung der Krankenpflege erforderlich waren, das Maß des Notwendigen im Sinne des § 182 Abs. 2 RVO also nicht überschritten (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 16. Aufl., § 182 Anm. 4c, S. 124; RVA. in EuM. Bd. 51 S. 116 [117 unten] mit weiteren Nachweisen).

Die beklagte Kasse hat daher auch die genannten Transportkosten dem Kläger zur Hälfte zu erstatten.

Eine Pauschalabgeltung der hiernach insgesamt zu ersetzenden Aufwendungen gemäß § 1533 Nr. 2 oder Nr. 3 RVO kommt nicht in Betracht, da es sich hier nicht um die Unterbringung eines Versicherten, sondern eines mitversicherten Familienangehörigen handelt (in der angeführten Entscheidung des RVA. in EuM. Bd. 51 S. 116 hatte der Fürsorgeverband die Erstattung von Unterbringungskosten eines Versicherten gefordert; das RVA. hatte daher § 1533 Nr. 2 RVO angewendet und mit der Zahlung des dort vorgesehenen Pauschalbetrages für Krankenpflege auch die Transportkosten als abgegolten angesehen). Schließlich sind auch die Abgeltungsbestimmungen in Abschnitt III des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 - sog. Verbesserungserlaß - (AN. 1943 S. 485) entgegen der Ansicht der beklagten Kasse hier für die Zeit bis zur Aussteuerung der Kranken nicht anwendbar (vgl. das eingangs genannte Urteil des Senats vom 29.1.1959). Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist demnach nicht zu beanstanden, die Revision der Beklagten mithin als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324473

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