Leitsatz (amtlich)

Ist eine Ehefrau, nachdem ihr zweiter Mann einen Lebensversicherungsvertrag zu ihren Gunsten abgeschlossen hatte, selbst Versicherungsnehmerin geworden, so können die ihr nach dem Tod des Versicherten zurückerstatteten Beiträge nicht nach AVG § 68 Abs 2 auf die wiederaufgelebte Witwenrente angerechnet werden, wenn (und soweit) sie diese aus eigenen Mitteln aufgebracht hatte.

 

Normenkette

AVG § 68 Abs. 2 S. 1 Hs. 2; RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 2

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1973 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Leistungen aus einem Versicherungsvertrag nach dem 2. Halbsatz von § 68 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) auf eine wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen sind.

Die Klägerin hatte aus der Versicherung ihres 1950 gestorbenen ersten Ehemannes von der Beklagten eine Witwenrente bezogen, die infolge ihrer Wiederheirat (Juli 1960) weggefallen war. Die zweite Ehe wurde durch den Tod des zweiten Mannes im April 1970 aufgelöst. Im Mai 1970 beantragte die Klägerin die Wiedergewährung der Witwenrente. Die Beklagte entsprach diesem Antrag durch Bescheid vom 11. Mai 1971; sie rechnete jedoch aus der während der zweiten Ehe zugunsten der Klägerin abgeschlossenen Lebensversicherung monatlich 231,- DM als Ertragswert des ausgezahlten Betrages auf die Rente an. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der zweite Ehemann der Klägerin hatte im Juli 1965 mit einer Versicherungsgesellschaft einen Leibrentenversicherungsvertrag abgeschlossen. Als Rentenbeginn war der 1. Juni 1970 vereinbart. Der Versicherungsnehmer konnte im Erlebensfall anstelle der Rente eine Kapitalleistung verlangen. Bei seinem Ableben vor Rentenbeginn sollten die gezahlten Beiträge zurückgezahlt werden. Nach seinem Tode sollte die Rente (für eine vereinbarte Mindestdauer von fünf Jahren) bzw. der Rückgewährbetrag (vorrangig) der Klägerin zufließen.

Im Januar 1966 war die Klägerin Versicherungsnehmerin geworden. Sie hatte mit ihrem Manne einen - von der Versicherungsgesellschaft genehmigten - Abtretungs- und Schuldübernahmevertrag geschlossen. Darin hatte der zweite Mann sämtliche Rechte aus der Versicherung an sie abgetreten; gleichzeitig hatte sie alle Pflichten und Obliegenheiten übernommen.

Auf Grund dieser Regelung zahlte die Versicherungsgesellschaft an die Klägerin nach dem Tode des zweiten Mannes die von Juni 1965 bis Mai 1970 geleisteten Beiträge in Höhe von insgesamt 50.220,- DM und zusätzlich ein Dividendenguthaben von 2.006,74 DM.

Die Klägerin erstrebt die Zahlung der ungekürzten Witwenrente. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) verurteilte die Beklagte, der Klägerin die wiederaufgelebte Witwenrente in voller Höhe zu zahlen. Zu den anrechenbaren Ansprüchen - so führte das LSG aus - zählten grundsätzlich alle diejenigen, die der Ehefrau nach Auflösung der zweiten Ehe die Bestreitung des Lebensunterhaltes ermöglichen oder erleichtern sollten. Darunter fielen die Leistungen aus einem vom zweiten Ehemann zugunsten der Witwe geschlossenen Lebensversicherungsvertrag. Nicht anrechenbar seien aber Ansprüche, die auf eigenen Leistungen der Frau beruhten, selbst wenn sie ihre Unterhaltssicherung bezweckten. Solchen Ansprüchen fehle die erforderliche Beziehung zur Person des zweiten Ehemannes; sie entstünden nicht aus seinen Arbeits- oder Beitragsleistungen oder seiner Zugehörigkeit zu einer Versorgungseinrichtung. Im Hinblick hierauf werde die Rechtmäßigkeit der Anrechnung dadurch schon "in Frage gestellt", daß die Klägerin vor dem Tode ihres zweiten Mannes die Versicherungsnehmerin geworden sei. Es könne aber letztlich dahinstehen, welche Motive dem zugrunde gelegen hätten, ebenso aus wessen Vermögen die Versicherungsbeiträge aufgewendet worden seien. Von entscheidender Bedeutung sei nämlich, daß nur ein Anspruch auf Beitragsrückgewähr entstanden sei. Ansprüche auf Beitragsrückgewähr gehörten aber nicht zu den nach § 68 Abs. 2 Satz 1 AVG auf die wiederaufgelebte Witwenrente anrechenbaren Ansprüchen, gleichgültig aus wessen Vermögen die Beiträge stammten. Die Beiträge hätten zu keiner Zeit die Funktion gehabt, der Klägerin als Unterhalt oder als Unterhaltsersatz zu dienen. Bei der Art des Versicherungsvertrages seien sie Rücklagen zur Vermögensbildung gewesen. Sie hätten zur Ansammlung der Prämienreserve geführt und so einen Vermögenswert des Versicherungsnehmers gebildet. Wirtschaftlich bestehe kein Unterschied zu einem auf gewöhnliche Weise ersparten Kapital (Sparguthaben).

Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Sie rügt eine Verletzung des § 68 Abs. 2 AVG. Die Auffassung des LSG widerspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Die Beitragsrückgewähr sei eine echte versicherungsrechtliche Leistung mit Versorgungscharakter. Daß die Klägerin vor dem Tode des zweiten Mannes Versicherungsnehmerin geworden sei, sei bedeutungslos.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision; sie verteidigt die Rechtsauffassung des LSG.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob und inwieweit es sich bei dem der Klägerin zugeflossenen Auszahlungsbetrag von rd. 52.000,- DM um einen infolge Auflösung ihrer zweiten Ehe erworbenen neuen Anspruch im Sinne des 2. Halbsatzes von § 68 Abs. 2 Satz 1 AVG handelt.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 24. Oktober 1974 - 11 RA 8/74 - (nocht nicht veröffentlicht) übereinstimmend mit der Rechtsprechung anderer Senate des BSG entschieden hat und wie auch das LSG annimmt, rechnen zu den "Versorgungs-, Unterhalts- und Rentenansprüchen", die auf eine wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen sind, die Ansprüche aus Lebensversicherungsverträgen, die der zweite Ehemann zugunsten der Witwe geschlossen hat. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Danach ist für das Wiederaufleben einer Witwenrente nur insoweit Raum, als nach dem Ende der Zweitehe eine Versorgungslücke besteht. Eine solche Lücke ist nicht gegeben, wenn und soweit die Auflösung der Zweitehe einen Anspruch entstehen läßt, der bestimmt und geeignet ist, den ehelichen Unterhaltsanspruch zu ersetzen. Diese Funktion haben auch Ansprüche aus den genannten Lebensversicherungsverträgen.

Entgegen der Auffassung des LSG können dabei die Ansprüche einer mitversicherten Ehefrau auf Prämienrückgewähr für den Fall, daß der hauptversicherte Ehemann den Zeitpunkt des Rentenbeginns nicht erlebt, nicht ausgenommen werden. Das hat bereits der 1. Senat im Urteil vom 16. Juli 1974 (SozR 2200 § 1291 RVO Nr. 1) entschieden. Er hat darauf hingewiesen, daß es sich auch insoweit um eine echte Versicherungsleistung handele, und es für entscheidend angesehen, daß der Rückgewährbetrag jedenfalls teilweise der Sicherung des Lebensunterhaltes diene. Es bestehe kein Grund, einen solchen Vermögensvorteil nicht anzurechnen, zumal wirtschaftlich das Ergebnis das gleiche sei wie bei den anderen anrechnungspflichtigen Versicherungsleistungen. Dem schließt sich der 11. Senat im wesentlichen an. Er hält mit dem 1. Senat die Anrechnung für gerechtfertigt, weil auch die Ansprüche einer Frau aus der Mitversicherung einer Prämienrückgewähr zu ihren Gunsten für den Fall des Todes des zweiten Ehemannes in der Regel - und das genügt - dazu bestimmt und geeignet sind, ihren Unterhalt nach dessen Tode zu bestreiten oder mindestens zu erleichtern.

Die bisherigen Entscheidungen haben jedoch, soweit erkennbar, nur Sachverhalte betroffen, in denen der zweite Ehemann Versicherungsnehmer bis zu seinem Tode war und selbst die Prämien gezahlt hat. Es fragt sich daher, ob etwas anderes gilt, wenn die Frau Versicherungsnehmerin gewesen ist und sie möglicherweise auch selbst die Prämien entrichtet hat Dem LSG schwebt nach seinen nicht abgeschlossenen Hilfserwägungen wohl eine Lösung vor, die in diesem Falle zur Nichtanrechnung der Versicherungsleistung kommt. Der Umstand, daß die Frau Versicherungsnehmerin ist oder nach Vertragsschluß wird, muß eine Absicht der Gesetzesumgehung (Verhinderung der Rechtsfolge nach § 68 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs.) allerdings selbst dann nicht vermuten lassen, wenn der Mann die Prämien aus seinen Mitteln der Frau zur Verfügung stellt. Denn mangels rechtlicher Sicherung geht der Mann ein nicht unbeträchtliches Risiko ein, wenn er den Beginn der Rentenzahlungen erlebt; dann muß er darauf vertrauen, daß er durch Fortbestehen der Ehe mit in den Genuß der Leistungen kommt. Dennoch kann nicht allein maßgebend sein, wer Versicherungsnehmer ist. Der Senat hält es vielmehr für entscheidend, aus welchen Mitteln in einem solchen Falle die Prämien gezahlt werden. Er stimmt dem LSG darin zu, daß Ansprüche, die auf eigenen Geldleistungen der Frau beruhen, nicht angerechnet werden dürfen. Das Gesetz mutet der Frau nicht zu, eine nach dem Tode des zweiten Mannes entstehende Versorgungslücke durch eigene Mittel aus eigener Erwerbstätigkeit oder aus eigenem Vermögen zu schließen, bevor sie durch die wiederauflebende Witwenrente geschlossen wird. Die anrechenbaren Ansprüche müssen vielmehr, wie das LSG richtig erkannt hat, ihre Wurzel in persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des zweiten Ehemannes haben, etwa in seinen früheren Beitragsleistungen, seiner früheren beruflichen Tätigkeit usw., wenn Ansprüche nach seinem Tode angerechnet werden, oder in seiner Unterhaltsverpflichtung, wenn Ansprüche nach sonstiger Eheauflösung anzurechnen sind. Allein darauf, ob die Ansprüche mit dem Tode des zweiten Ehemannes entstehen, kann es dagegen nicht ankommen. Auch der 1. Senat hat in seiner genannten Entscheidung festgestellt, daß sich die Frau nicht alle aus der Auflösung der zweiten Ehe erworbenen Vorteile anrechnen lassen muß. Er hatte dabei vor allem Vorteile aus der Erbschaft im Auge, die keinen Versorgungscharakter tragen. Das gleiche muß aber auch für Vorteile gelten, die Ausfluß eigener früherer Leistungen der Frau sind.

Im vorliegenden Falle war die Klägerin im Einvernehmen aller Beteiligten schon wenige Monate nach Abschluß des Leibrentenversicherungsvertrages die Versicherungsnehmerin geworden; sie war im Januar 1966 in sämtliche Rechte und Pflichten aus diesem Versicherungsvertrag eingetreten. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß sie jedenfalls einen Teil der zurückgezahlten Beiträge, vielleicht sogar alle nach der Vertragsübernahme bis zum Tode des Mannes (April 1970) gezahlten Beiträge (im Jahr jeweils rd. 10.000,- DM) aus eigenen Mitteln aufgebracht hat. In einem solchen Falle wäre es nicht gerechtfertigt, auch die von ihr selbst aufgebrachten und an sie zurückgezahlten Beiträge auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen. Das LSG hatte von seiner Rechtsauffassung her keinen Anlaß, diese Fragen zu klären; dahingehende Ermittlungen sind jedoch unerläßlich.

Somit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Bei seinem abschließenden Urteil wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1649342

BSGE, 101

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