Entscheidungsstichwort (Thema)
freiwillige Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Krankenversicherung nach § 314 RVO
Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin in der knappschaftlichen Krankenversicherung nach § 314 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erloschen ist.
Die Klägerin hat sich nach Ausscheiden aus der Pflichtversicherung in der knappschaftlichen Krankenversicherung freiwillig weiterversichert. Die Beklagte errechnete für die Zeit bis 30. Juni 1971 einen Beitragsrückstand von 335,72 DM und wies die Klägerin am 9. Juli 1971 darauf hin, daß die Mitgliedschaft zum 20. Juli erlöschen werde, wenn der Beitragsrückstand nicht bis zu diesem Zeitpunkt beglichen würde. Nachdem keine Zahlung der Klägerin eingegangen war, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juli 1971 das Erlöschen der Mitgliedschaft zu diesem Zeitpunkt fest. Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin mit Schriftsatz vom 20. August 1971 auf das Bestehen eines nicht befriedigten und rechtshängigen Barleistungsanspruchs gegen die Beklagte und darauf hin, daß die Beklagte damit bereits im Besitz der rückständigen Beiträge sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Nach Erteilung des Widerspruchsbescheides und vor Erhebung der Klage erkannte die Beklagte den in einem anderen Verfahren rechtshängigen Barleistunganspruch für die Zeit vom 7. November 1966 bis 4. Mai 1967 an. Der entsprechende Betrag wurde an die Klägerin ausgezahlt.
Die Klägerin machte mit der Klage geltend, sie habe bereits im Widerspruchsverfahren mit ihrer Forderung auf Barleistungen gegen die Beitragsschuld aufgerechnet. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 26. Juli 1972 den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 1971 und den ihn bestätigenden Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1972 aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin freiwillig weiterversichertes Mitglied der Krankenkasse der Beklagten geblieben sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 10. Mai 19973 das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Mitgliedschaft der Klägerin in der knappschaftlichen Krankenversicherung sei wegen nicht rechtzeitiger Zahlung der Beitragsrückstände erloschen. Daran ändere die erklärte Aufrechnung nichts. Zwar wirke nach § 389 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage zurück. Im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung sei die Mitgliedschaft der Klägerin aber bereits nach § 314 RVO erloschen gewesen, so daß die Aufrechnung darauf keinen Einfluß mehr gehabt haben könne. Darüber hinaus könne nicht angenommen werden, daß die Klägerin die Aufrechnungserklärung ernstlich mit dem Willen hat abgeben wollen, die Beklagte solle sich hinsichtlich der von ihr ab Mai 1971 geschuldeten Beiträge aus einem Teilbetrag der ihr zustehenden Forderung auf Kranken- und Hausgeld befriedigen können. Die Klägerin habe die Barleistungen im März/April 1972 entgegengenommen, ohne einen Teilbetrag davon der Beklagten zur Befriedigung der aufgelaufenen Beitragsrückstände anzubieten. Darüber hinaus ergebe sich aber auch aus den Schriftsätzen der Klägerin vom 18. Februar 1972 und 11. März 1972 in den Akten des Rechtsstreits L 2 Kn 103/69, daß die Klägerin die dort erstrittenen Beträge unbedingt und eilbedürftig zur Rückzahlung eines Darlehns verwenden wollte und mußte. Daraus gehe mit hinreichender Deutlichkeit hervor, daß die Klägerin im August 1971 nicht die Absicht gehabt habe, ihre Beitragsschuld bei der Beklagten durch Aufrechnung zu tilgen.
Eine Aufrechnungserklärung, die mit diesem inneren Vorbehalt abgegeben werde, könne aber nicht ernsthaft gemeint sein und infolgedessen keine Wirkungen haben.
Die Klägerin, der mit dem am 5. Oktober 1973 zugestellten Beschluß des erkennenden Senats vom 1. Oktober 1973 das Armenrecht bewilligt worden ist, hat das Berufungsurteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision am 29. Oktober 1973 angefochten. Sie bittet hinsichtlich der Fristversäumung um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Klägerin ist der Ansicht, ihre freiwillige Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Krankenversicherung sei nicht erloschen. Sie habe in ihrem Schreiben vom 20. August 1971 mit ihrer Forderung auf Barleistungen gegen die Beitragsforderung der Beklagten aufgerechnet. Die Feststellung des LSG, sie habe nicht den ernstlichen Aufrechnungswillen gehabt, sei unzutreffend. Sie habe vielmehr persönlich bei den zuständigen Sachbearbeitern der Beklagten vorgesprochen und um eine Stundung gebeten. Dabei sei es auch zu einer Rücksprache über eine teilweise Befriedigung der Forderung der Beklagten gekommen. Die Beklagte habe über den im Schriftsatz vom 20. August 1971 enthaltenen Stundungsantrag nicht entschieden. Darin liege ein wesentlicher Mangel des Verfahrens. Sie - die Klägerin - habe davon ausgehen dürfen, daß die Beklagte ihrem Antrag auf Stundung der Beiträge nachkomme und daher ein Erlöschen der Mitgliedschaft nicht eintrete.
Die Klägerin beantragt,unter Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß den in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht gestellten Anträgen zugunsten der Revisionsklägerin zu entscheiden, hilfsweise,die Sache zur erneuten mündlichen Verhandlung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der in der Berufungsinstanz gestellte Antrag lautete:
Die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Klägerin sei unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
Der erkennende Senat hat der Klägerin hinsichtlich der versäumten Fristen für die Einlegung und Begründung der Revision gemäß § 67 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die zulässige Revision der Klägerin hat jedoch keinen Erfolg. Das LSG hat die Klage mit Recht abgewiesen. Die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin in der knappschaftlichen Krankenversicherung ist nach den §§ 15, 20 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) i.V.m. § 314 RVO am 20. Juli 1971 erloschen.
Nach den genannten Vorschriften erlischt die Mitgliedschaft Versicherungsberechtigter, wenn sie zweimal nacheinander am Zahltage die Beiträge nicht entrichtet haben und seit dem ersten dieser Tage mindestens vier Wochen vergangen sind. Diese Voraussetzungen lagen am 20. Juli 1971 vor. Zahltag oder Fälligkeitstag ist nach § 148 Abs. 1 der Satzung der Bundesknappschaft der 20. des Monats, der dem Monat folgt, für den der Beitrag bestimmt ist. Da die Klägerin weder am 20. Juni 1971 noch am 20. Juli 1971 den jeweils fälligen Beitrag gezahlt hat, war die Mitgliedschaft spätestens am 20. Juli 1971 erloschen, es sei denn, daß die von der Klägerin erklärte Aufrechnung das Erlöschen der Mitgliedschaft verhindert hat.
Es mag dahingestellt bleiben, ob der vom LSG festgestellte innere Vorbehalt der Klägerin bei der Aufrechnungserklärung und das Fehlen des ernstlichen Aufrechnungswillens die Unwirksamkeit der Aufrechnung zur Folge haben (vgl. hierzu §§ 116, 118 BGB). Ebenso kann unentschieden bleiben, ob eine Aufrechnung des Versicherten mit seinem Anspruch auf Barleistungen gegen eine Beitragsforderung des Versicherungsträgers überhaupt zulässig ist. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin von der Zulässigkeit und der Wirksamkeit ihrer Aufrechnungserklärung ausgeht, so hat die Aufrechnung doch weder das Erlöschen der Mitgliedschaft verhindert noch das eingetretene Erlöschen wieder beseitigt. Bis zum 20. Juli 1971 hatte die Klägerin die Beiträge weder gezahlt noch hatte sie bis dahin die Aufrechnung erklärt, so daß an diesem Tage nach § 314 RVO die freiwillige Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Krankenversicherung erlosch. Damit war die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin endgültig beendet. Daran hat die später erklärte Aufrechnung nichts geändert. Zwar wirkt nach § 389 BGB die Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage zurück, d.h. auf den Zeitpunkt, zu dem sich Forderung und Gegenforderung erstmalig aufrechenbar gegenüberstanden. Das wäre im vorliegenden Fall - da der Barleistungsanspruch der Klägerin bereits früher fällig geworden war - der Zeitpunkt der Fälligkeit der Beitragsforderung. Die Aufrechnung der Klägerin - ihre Zulässigkeit und Wirksamkeit unterstellt - bewirkte also, daß die Beitragsforderung der Beklagten bereits im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit erloschen war. Gleichwohl hat diese Rückwirkung der Aufrechnung nicht zur Folge, daß das bereits eingetretene Erlöschen der Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Krankenversicherung als nicht eingetreten gilt. Da am 20. Juli 1971 der Beitrag weder gezahlt noch die Aufrechnung erklärt war, endete die Mitgliedschaft der Klägerin zu diesem Zeitpunkt kraft Gesetzes. Die Rückwirkung der Aufrechnung macht die Tatsache der ausgebliebenen Erfüllung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht ungeschehen. Deshalb können die an die rechtzeitige Zahlung geknüpften Folgen nur durch die Erklärung der Aufrechnung vor Ablauf der Zahlungsfrist vermieden werden (vgl. Soergel-Siebert, Kommentar der Rechtsgerichtsräte und Bundesrichter zum BGB, 11. Aufl. 1960, Anm. 3 zu § 389 mit Hinweis auf RG LZ 1908, 867 Nr. 7). Hat ein freiwillig Versicherter wegen nicht rechtzeitiger Zahlung der Beiträge kraft Gesetzes nicht mehr den Status eines Mitgliedes, so kann sich an seinem Status durch eine spätere Aufrechnung ebensowenig ändern wie durch eine spätere Zahlung der Beiträge. Das Bestehen einer Mitgliedschaft und der daraus folgenden Rechte und Pflichten muß jederzeit klar erkennbar sein. Die Krankenkasse muß im Interesse einer geordneten Finanzplanung Klarheit darüber haben, mit welchen Beiträgen und Leistungsverpflichtungen sie rechnen muß. Der Mitgliedschaftstatus kann daher nicht nachträglich und rückwirkend durch eine Aufrechnung verändert werden.
Peters (Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Anm. 2 zu § 314 RVO) vertritt zwar die Ansicht, eine Zahlungssäumnis im Sinne des § 314 RVO liege nicht vor, wenn sich die Kasse wegen der Beiträge durch Aufrechnung habe befriedigen können. Der Kommentar stellt es also nicht darauf ab, ob und wann die Beitragsforderung durch Aufrechnung erloschen ist, sondern läßt es genügen, wenn der Versicherungsträger die Möglichkeit zur Aufrechnung hat. Er stellt den Versicherungsträger also so, als habe er aufgerechnet. Es mach dahingestellt bleiben, ob man diese Ansicht mit Rücksicht auf die aus dem Versicherungsverhältnis folgende Fürsorgepflicht
des Versicherungsträgers für den Fall folgen kann, daß einander unbestritten bestehende Forderungen gegenüberstehen. Solange aber die Forderung des Versicherten gegen die Versicherungsträger noch zweifelhaft ist und vom Versicherungsträger bestritten wird, kann man nicht davon ausgehen, daß der Versicherungsträger aus dem Versicherungsverhältnis zur Aufrechnung verpflichtet ist.
Die Klägerin hat zwar in ihrem Schreiben vom 20. August 1971 um Stundung des gesamten Beitragsrückstandes gebeten, jedoch war zu diesem Zeitpunkt die Mitgliedschaft bereits erloschen. Im übrigen hat die Beklagte aber auch in ihrem Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1972 die Stundung abgelehnt.
Der Senat hat die danach unbegründete Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen