Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 04.12.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Dezember 1990 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger, der 1945 eine Hepatitis hatte, als er im Lazarett wegen eines Steckschusses behandelt wurde, und bei dem 1949 die Gallenblase entfernt wurde, begehrt in diesem Verfahren die Anerkennung einer Leberschädigung als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Entgegenstehende Feststellungen aus dem Jahr 1954 sollen für nichtig erklärt oder zurückgenommen werden. Als Schädigungsfolgen wurden anfangs „Leberschädigung und Entfernung der Gallenblase … sowie Stecksplitter vor dem Kreuzbein rechts” anerkannt; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde mit 30 vH bemessen (vorläufige Benachrichtigung vom 14. Dezember 1949, Bescheide vom 10. März 1950, 24. April 1951 und 2. Mai 1952). Im anschließenden Streitverfahren wegen der Höhe der schädigungsbedingten MdE schlossen die Beteiligten am 26. Mai 1954 in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) einen Teilvergleich über die Bezeichnung der Schädigungsfolgen mit „erworbene blutlösende Gelbsucht nach Leberentzündung ohne Leberschaden; Verlust der Gallenblase und Stecksplitter vor dem Kreuzbein rechts”. Am 13. August 1954 erließ das Versorgungsamt zwei Ausführungsbescheide zu dem Urteil mit einer Bezeichnung der Schädigungsfolgen wie im Teilvergleich und über die entsprechenden Versorgungsrenten.
Im Juli 1986 beantragte der Kläger unter Bezug auf eine Eingabe an das Sozialministerium vom April 1986 erneut, durch Zugunstenbescheid einen Leberschaden als Schädigungsfolge anzuerkennen. Nach seiner Ansicht ist am 26. Mai 1954 kein Prozeßvergleich wirksam abgeschlossen worden. Nach dem Protokoll sei der Vergleich weder vorgelesen noch genehmigt worden. Der Kläger habe den Vergleichsvorschlag des Beklagten nie angenommen. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil früher unter der Bezeichnung „Leberschädigung” kein Leberschaden anerkannt worden sei (Bescheid vom 26. Februar 1988, Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 1988). Der Antrag des Klägers vom Februar 1988, die Bescheide vom 13. August 1954 für nichtig zu erklären, blieb ebenfalls erfolglos (Bescheid vom 11. März 1988, Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1988). Das SG hat die gegen diese Entscheidungen erhobenen Klagen, die es verbunden hat, abgewiesen (Urteil vom 6. Dezember 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 4. Dezember 1990). Nach seiner Rechtsauffassung sind die Ausführungsbescheide vom 13. August 1954 nicht nichtig iS des § 40 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X). Der Kläger könne auch nicht die Rücknahme der Feststellung „ohne Leberschaden” nach § 44 SGB X verlangen; denn die Ausführungsbescheide mit der Verneinung eines Leberschadens seien keine Verwaltungsakte iS dieser Vorschrift gewesen. Sie hätten keine eigenständige Regelung gegenüber dem Teilvergleich enthalten. Dessen Regelung könne aber nicht nach § 44 SGB X zurückgenommen werden. Die abweichende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei nach Inkrafttreten der Vorschriften der §§ 53 ff SGB X über den Vergleichsvertrag nicht mehr zu beachten. Der öffentlich-rechtliche Vergleich sei nicht nach § 58 Abs 1 SGB X nichtig. Nach Ablauf von 30 Jahren könne der Kläger seine Zustimmungserklärung nicht mehr anfechten.
Der Kläger beanstandet mit seiner vom LSG zugelassenen Revision die Entscheidung, daß ein wirksamer Vergleich zustande gekommen ist. Die Niederschrift darüber sei nicht, wie vorgeschrieben vorgelesen und genehmigt worden (§ 162 Abs 1 Satz 1, § 160 Abs 3 Nr 1 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫). Den Vergleichsvorschlag habe er auch nicht angenommen, so daß kein außergerichtlicher Vergleich zustande gekommen sei. Die Bezeichnung der Schädigungsfolgen in den Bescheiden von 1950 bis 1952 sei durch das Urteil des SG vom 26. Mai 1954 nicht geändert worden, weil es allein den Grad der MdE betroffen habe. Die Ausführungsbescheide vom 13. August 1954 seien wegen eines besonders schweren und offenkundigen Fehlers nichtig, weil der Vergleich nicht zustande gekommen sei. Nach wie vor müsse von der ursprünglich bindend anerkannten Leberschädigung ausgegangen werden.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und die angefochtenen Bescheide aufzuheben sowie festzustellen, daß die Bescheide vom 13. August 1954 nichtig sind,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, die Bescheide vom 13. August 1954 teilweise zurückzunehmen und die vorher anerkannte Leberschädigung wieder als Schädigungsfolge festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Das LSG hat mit Recht die Klageabweisung bestätigt. Die 1954 im Prozeßvergleich getroffene Regelung, daß Schädigungsfolgen iS des § 1 BVG „ohne Leberschädigung” bestehen, ist nicht zu ändern.
Für die neben der Anfechtungsklage erhobene Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des genannten verneinenden Zusatzes in der Bezeichnung der Schädigungsfolgen (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫, § 40 Abs 5 SGB X oder § 55 Abs 1 Nr 4 SGG; BSG SozR 1500 § 55 Nr 35) fehlt es an einem selbständigen Verwaltungsakt, der für nichtig erklärt werden könnte. Die beiden Ausführungsbescheide vom 13. August 1954, auf die sich die Klage bezieht, enthielten nicht eine selbständige Regelung der Schädigungsfolgen, die als Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) nachträglich für nichtig erklärt werden könnte. Diese Entscheidung war schon in der Selbstverpflichtung der Verwaltung enthalten, die der Kläger als Angebot im Teilvergleich annahm (§ 101 Abs 1 SGG).
Der Prozeßvergleich ist durch die protokollierten Erklärungen der beiden Beteiligten wirksam zustande gekommen (§ 101 Abs 1 SGG). Nach damaligen Prozeßrecht war die Niederschrift nicht den Beteiligten vorzulesen und war nicht im Protokoll zu vermerken, daß dies geschehen sei und daß die Beteiligten es genehmigten (§ 122 SGG idF vom 3. September 1953 – BGBl I 1239, 1321 –; BSG SozR Nr 3 zu § 122 SGG; anders erst § 122 SGG idF vom 20. Dezember 1974 – BGBl I 3651 – iVm § 162 Abs 1 Satz 1 und 3, § 160 Abs 3 Nr 1 ZPO).
Die vom Kläger in diesem Verfahren abgegebenen Erklärungen vermögen die Bestandskraft des Prozeßvergleichs nicht zu beseitigen.
Eine Unwirksamkeit des materiell-rechtlichen Vergleichsvertrages, der im Prozeßvergleich enthalten ist (§ 779 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫, jetzt §§ 54, 58 Abs 1 und 2 SGB X; Urteil des Senats vom 1. April 1981 – 9 RV 43/80 – in Sozialversicherung 1981, 243), kann nicht einmal wegen arglistiger Täuschung iS des § 123 Abs 1 BGB geltend gemacht werden, wenn – wie hier – seit der Abgabe der Willenserklärung 30 Jahre verstrichen sind (§ 124 Abs 3 BGB).
Ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt des Prozeßvergleichs wäre auch nicht nach § 40 Abs 1 SGB X nichtig. Die vom Kläger behauptete Unrichtigkeit der Anerkennung von Schädigungsfolgen soll darauf beruhen, daß das zugrundeliegende Gutachten falsch war. Solche Bewertungsfehler werden von § 40 Abs 1 SGB X nicht erfaßt. Sie können allenfalls zur einfachen Rechtswidrigkeit (iS des § 54 Abs 2 Satz 1 SGG und des § 44 Abs 1 SGB X; vgl dazu BSGE 45, 1, 7 ff = SozR 3900 § 40 Nr 9) führen.
Der Beklagte hat auch nicht nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X oder entsprechend dieser Vorschrift eine Verwaltungsentscheidung darüber, daß die Schädigungsfolgen keinen Leberschaden umfassen, als unrichtig zurückzunehmen und durch eine gegenteilige Entscheidung zu ersetzen.
Falls die dem Vergleich zugrundeliegende Verwaltungsentscheidung überhaupt analog § 44 SGB X zugunsten des Betroffenen berichtigt werden könnte, hätte die Verwaltung die Prüfung auf eine Unrichtigkeit, von vornherein deshalb ablehnen dürfen, weil der Kläger, nichts Neues vorgebracht hat (BSGE 45, 1, 4 ff; BSGE 63, 33, 35 f = SozR 1300 § 44 Nr 33).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen