Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Beitragserstattung. Ausfallzeit. Halbbelegung. Unterbrechung. Zurechnungszeit. Vergleichsberechnung
Leitsatz (amtlich)
Rentenversicherungsbeiträge, die vor 1992 für eine Ausfallzeit des Krankengeldbezuges gezahlt wurden, sind auch dann zu Recht entrichtet worden und von einer späteren Erstattung ausgeschlossen, wenn sich die Ausfallzeit auf die Rentenhöhe nicht ausgewirkt hat, weil dieselbe Zeit als günstiger bewertete Zurechnungszeit berücksichtigt worden ist.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB IV § 26 Abs. 2-3; AVG § 30 Abs. 2, § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 37 Abs. 1, § 112b Abs. 1; RVO § 1253 Abs. 2, § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 1385b Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 1997 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Beiträgen.
Der im Juni 1935 geborene Kläger wurde nach langjähriger versicherungspflichtiger Beschäftigung als Angestellter am 18. Februar 1986 wegen Krankheit arbeitsunfähig. Er erhielt vom 23. August 1986 an Krankengeld. Davon wurden nach § 112b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG, § 1385b der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Im März 1987 bewilligte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit. Ihr lag ein Versicherungsfall vom 18. Februar 1986 (Beginn der Arbeitsunfähigkeit) zugrunde. Die Rente begann am 24. März 1986. Bei ihrer Berechnung wurde die Zeit von März 1986 bis Juni 1990 (Vollendung des 55. Lebensjahres) als Zurechnungszeit berücksichtigt. Die Beklagte erstattete der Krankenkasse für die Zeit vom 23. August 1986 bis zum 3. April 1987 das Krankengeld in Höhe der Rente. Später erstattete die Krankenkasse dem Kläger den Beitragsanteil, den er aus dem erstatteten Krankengeld getragen hatte (824,15 DM); in der Rentenversicherung verblieben damit nur die Beiträge auf das die Rente übersteigende Krankengeld (Krankengeld-Spitzbetrag). Nur in diesem Umfang waren in der Zeit vom 4. April 1987 an Beiträge auf das Krankengeld entrichtet worden, nachdem die Krankenkasse von diesem Zeitpunkt an das Krankengeld um die Rente gekürzt und nur noch den Spitzbetrag ausgezahlt hatte.
Im Mai 1989 wandelte die Beklagte die Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit um. Ihr lag ein Versicherungsfall vom 25. Juli 1988 zugrunde; sie begann am 1. August 1988. Bei der Berechnung dieser Rente wurde wiederum die Zurechnungszeit berücksichtigt. Zwar waren auch die Voraussetzungen für die Anrechnung der Ausfallzeit des Krankengeldbezuges (ua die Halbbelegung) erfüllt. Doch ergab die Berücksichtigung der Zurechnungszeit eine höhere Rente.
Nachdem die Krankenkasse dem Kläger wegen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit im Juli 1988 den von ihm aus dem Krankengeld getragenen Beitragsanteil für die Zeit vom 1. Juli 1988 bis zum 21. August 1988 in Höhe von 217,26 DM erstattet hatte, beantragte der Kläger im Januar 1990 bei der Beklagten die Erstattung dieser Beitragsanteile für die Zeit vom 23. August 1986 bis zum 30. Juni 1988. Diese Beiträge seien zu Unrecht entrichtet worden, weil sich die Ausfallzeit wegen der Berücksichtigung der Zurechnungszeit auf die Rentenhöhe nicht ausgewirkt habe. Mit Bescheid vom 19. Februar 1990 und Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1990 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beiträge seien zu Recht entrichtet. Dem stehe nicht entgegen, daß die Ausfallzeit des Krankengeldbezuges die Rentenhöhe nicht beeinflußt habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 7. April 1994 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 22. Januar 1997 zurückgewiesen. Eine Erstattung nach § 26 Abs 2 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) scheide aus, weil die Beiträge vom 23. August 1986 bis zum 30. Juni 1988 zu Recht entrichtet worden seien.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 26 Abs 2 SGB IV iVm § 30 Abs 2 Satz 3, § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b und § 112b Abs 1 AVG.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 22. Januar 1997, das Urteil des SG vom 7. April 1994 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Februar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den vom Kläger geleisteten Eigenanteil an den vom Krankengeld abgeführten Rentenversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 23. August 1986 bis 30. Juni 1988 abzüglich des bereits erstatteten Betrages von 824,15 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm getragenen Anteile an den Beiträgen auf das Krankengeld.
Im Streit ist nur noch die Erstattung der vom Kläger für die Zeit vom 23. August 1986 bis zum 30. Juni 1988 aus dem Krankengeld-Spitzbetrag getragenen Beitragsanteile. Im übrigen sind ihm die in dieser Zeit von ihm getragenen Beitragsanteile aus dem Krankengeld (824,15 DM) bereits erstattet worden (vgl hierzu BSG SozR 3-2400 § 26 Nr 4; zu dem seit 1992 geltenden Recht jedoch BSGE 75, 298 = SozR 3-2400 § 26 Nr 6).
Als Rechtsgrundlage für die Erstattung kommt nur § 26 Abs 2, Abs 3 Satz 1 SGB IV in der seit 1. Januar 1989 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2330) in Betracht. Nach Maßgabe dieser Vorschrift sind Beiträge, wenn sie zu Unrecht entrichtet worden sind, demjenigen zu erstatten, der sie getragen hat. Die Beitragsanteile, deren Erstattung der Kläger verlangt, sind zwar von ihm getragen, jedoch nicht zu Unrecht, sondern zu Recht entrichtet worden. Das folgt aus Abs 1 des § 112b AVG (§ 1385b RVO), der bis zum 31. Dezember 1991 galt und auf die Beitragsentrichtung vom 23. August 1986 bis 30. Juni 1988 noch anzuwenden ist. Danach zahlten die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung für Ausfallzeiten von Personen, die von ihnen Krankengeld bezogen, für die Zeit des Bezugs dieser Leistung Beiträge, wenn die Personen vor Beginn dieser Leistung zuletzt nach dem AVG (nach der RVO) pflichtversichert waren (Satz 1). Die Beiträge waren von den Beziehern von Krankengeld sowie von den Krankenkassen als Leistungsträgern je zur Hälfte zu tragen (Satz 2 Halbsatz 1).
Für den Kläger waren nach dieser Regelung Beiträge zu entrichteten. Er hat in der Zeit vom 23. August 1986 bis 30. Juni 1988 Krankengeld bezogen. Er war vor dem Bezug des Krankengeldes in der Rentenversicherung pflichtversichert. Die genannte Zeit war eine Ausfallzeit. Insbesondere war eine versicherungspflichtige Beschäftigung durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen (§ 36 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b AVG; § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b RVO). Der Kläger hat allerdings nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr aufgenommen. Aus diesem Grunde war jedoch die Beschäftigung während der Zeit vom 23. August 1986 bis zum 30. Juni 1988 nicht schon beendet. Eine solche Beendigung, die den bei der Ausfallzeit erforderlichen Unterbrechungstatbestand ausschließt, kommt erst ab Eintritt von Erwerbsunfähigkeit auf Dauer in Betracht (BSG SozR 2200 § 1385b Nrn 2, 3). Beim Kläger ist dieser Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit erst am 25. Juli 1988, also nach dem 30. Juni 1988 eingetreten. Damit stand während des Bezuges von Krankengeld und einer Rente wegen Berufsunfähigkeit in der Zeit vom 23. August 1986 bis zum 30. Juni 1988 die endgültige Beendigung des Erwerbslebens noch nicht fest. Für diese Zeit ist vielmehr noch von einer Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen, die eine Ausfallzeit begründet.
Die Beitragspflicht für die Ausfallzeit vom 23. August 1986 bis zum 30. Juni 1988 scheitert nicht daran, daß sich die Ausfallzeit als solche beim Kläger nicht rentensteigernd ausgewirkt hat. Eine Rentensteigerung durch eine Ausfallzeit war grundsätzlich möglich, zumal wenn der Versicherte wie der Kläger die Halbbelegung (§ 36 Abs 3 AVG, § 1259 Abs 3 RVO) erfüllte. Diese grundsätzliche (abstrakte) Eignung zur Rentensteigerung reicht aus, um die Beitragspflicht zu rechtfertigen. Nicht erforderlich ist, daß sich die Ausfallzeit später in jedem Fall tatsächlich rentensteigernd auswirkt. Diese Wirkung trat beim Kläger lediglich deswegen nicht ein, weil bei der Umwandlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit in die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 30 Abs 2 Satz 3, 4 AVG (§ 1253 Abs 2 Satz 3, 4 RVO) eine Vergleichsberechnung anzustellen und dabei für den Kläger die aus der früheren Rente übernommene Zurechnungszeit höher als die Ausfallzeit bewertet wurde. Mit der entsprechenden Regelung sollte lediglich die Minderung einer schon erreichten Rentenanwartschaft verhindert werden (vgl BT-Drucks IV/3233 S 9 mit der Begründung zu BT-Drucks IV/3233 S 4 zu § 1253 und § 1255 RVO). Ihr Sinn bestand nicht darin, Versicherungszeiten wie Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Ausfallzeiten, die bei der späteren Vergleichsberechnung hinter einer gleichzeitigen Zurechnungszeit zurücktraten, rückwirkend beitragsfrei zu stellen. Vielmehr müssen Versicherte, bei denen die beitragsfreie Zurechnungszeit besitzstandswahrend erhalten bleibt, Beiträge wenigstens insoweit entrichten, wie sie auf einen gleichzeitig verwirklichten beitragspflichtigen Tatbestand (hier eine Ausfallzeit) entfallen. Im übrigen würde die Ansicht der Revision dazu führen, daß die Beitragspflicht während der beitragsbegründenden Tatbestände nicht zuverlässig beurteilt werden könnte, weil sie vom Ergebnis einer Vergleichsberechnung abhinge, die erst bei der späteren Rentenberechnung erfolgt.
Ein weitergehender Vorrang der bestandsgeschützten Zurechnungszeit vor einer gleichzeitig zurückgelegten Ausfallzeit kann entgegen der Ansicht der Revision dem Urteil des Senats vom 19. Juni 1986 (12 RK 63/85, USK 8687) nicht entnommen werden. In dieser zurückverweisenden Entscheidung hat der Senat dem LSG aufgetragen zu prüfen, ob ein Monat noch als Ausfallzeit in Betracht komme, nachdem er bei der Rentenberechnung als Zurechnungszeit berücksichtigt worden sei; sollte dieser Monat keine Ausfallzeit sein, würde eine Beitragspflicht schon aus diesem Grunde entfallen. Demnach bestanden Zweifel an der Beitragspflicht, weil möglicherweise keine Ausfallzeit vorlag. Solche Zweifel bestehen hier nicht. Im übrigen hätte es damals einer Zurückverweisung nicht bedurft, wenn der Senat eine Beitragspflicht für die Ausfallzeit schon wegen der Berücksichtigung als Zurechnungszeit hätte verneinen wollen.
Aus der Rechtsprechung des Senats zum früheren Erfordernis der Halbbelegung bei der Beitragserhebung für Ausfallzeiten kann die Revision ebenfalls nichts herleiten. Der Senat hat die Beitragspflicht von Ausfallzeiten mit Urteil vom 19. Juni 1986 (BSGE 60, 134 = SozR 2200 § 1385b Nr 1) bei Versicherten für verfassungsmäßig gehalten, sofern wie beim Kläger des vorliegenden Verfahrens die Halbbelegung erfüllt war. Demgegenüber hat er die Regelung mit Beschluß vom 24. Juni 1987 (12 RK 57/85) dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, weil er die Tragung von Beiträgen für verfassungswidrig gehalten hat, wenn die spätere Berücksichtigung der Ausfallzeit wegen Verfehlens der Halbbelegung gefährdet war. Dieser Vorlagebeschluß ist jedoch am 21. Juni 1990 (12 RK 25/90) aufgehoben worden, nachdem der Gesetzgeber das Halbbelegungs-Erfordernis im Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) abgeschafft hatte. Hiervon abgesehen macht es rechtlich einen wesentlichen Unterschied aus, ob sich die Ausfallzeit nicht rentensteigernd auswirkt, weil ihre Berücksichtigung an der fehlenden Halbbelegung scheitert oder weil sie bei der Rentenberechnung hinter einer höher bewerteten Zurechnungszeit zurücktritt. Im ersten Fall wurden Beiträge für eine Ausfallzeit verlangt, wenn deren Anrechnung an dem Halbbelegungs-Erfordernis zu scheitern drohte, so daß sie bei der Rentenberechnung überhaupt nicht berücksichtigt wurde und selbst für eine Vergleichsberechnung nicht zur Verfügung stand. Im zweiten Fall wurden demgegenüber Beiträge für eine Ausfallzeit verlangt, die anrechenbar war und nur deswegen nicht zu einer höheren Rente führte, weil sie hinter einer günstiger bewerteten beitragslosen Zurechnungszeit zurücktrat. Hier bestehen gegen die Beitragspflicht keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hiernach war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
SozR 3-2200 § 1385b, Nr.2 |