Leitsatz (redaktionell)

Die Nichtzulassung der Revision durch das LSG ist kein Verfahrensmangel.

SGG § 162 Abs 1 Nr 1 enthält nur insoweit eine verfahrensrechtliche Vorschrift, als er dem LSG die Entscheidung über die Zulassung der Revision überträgt. Im übrigen regelt er die Voraussetzung für den Inhalt der zu treffenden Entscheidung. Die nur für die Zulassungsentscheidung bedeutsame Frage, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder nicht, berührt nicht das Verfahren des LSG, das zur Entscheidung des Rechtsstreits hinführte. Auch wenn das Berufungsgericht etwa die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache verkannt hat und deshalb seine Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung der Revision inhaltlich unrichtig ist, so liegt darin kein Mangel des Verfahrens des LSG iS des SGG § 162 Abs 1 Nr 2.

Die Nichtzulassung der Revision durch das LSG ist für das BSG bindend.

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, Nr. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 15. September 1954 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat am 15. Januar 1949 den im amerikanischen Militärgefängnis in Landsberg am Lech befindlichen Franz ... geheiratet. Ihr Antrag auf Gewährung von Unterhaltsbeihilfe wurde mit Bescheid des Stadtrates Nürnberg vom 10. Dezember 1951 abgelehnt. Die gegen diesen Bescheid eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Oberversicherungsamts Nürnberg vom 27. Mai 1953 zurückgewiesen. Der Rekurs der Klägerin ging mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Bayerische Landessozialgericht als Berufung über. Diese wurde mit Urteil vom 15. September 1954 zurückgewiesen. Nach der Auffassung des Landessozialgerichts ist der Anspruch der Klägerin nach dem Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen vom 13. Juni 1950 (BGBl. S. 204) in der Fassung des Gesetzes vom 30. April 1952 (BGBl. I S. 252) unbegründet, weil die Ehe erst nach der Verhaftung des Ehemannes geschlossen worden ist. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Gegen dieses am 21. Oktober 1954 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 9. November 1954, beim Bundessozialgericht eingegangen am 11. November 1954, Revision eingelegt und begründet. Sie beantragt dem Sinne nach,

unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. September 1954 festzustellen, daß ihr ein Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe "in dem beantragten Umfange" zusteht.

Zur Begründung, daß die Revision statthaft sei, macht die Klägerin geltend, daß das Landessozialgericht bei der grundsätzlichen Bedeutung der von ihm entschiedenen Rechtsfrage die Revision gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG hätte zulassen müssen.

Dieser wesentliche Mangel des Verfahrens mache die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Im übrigen rügt sie Verletzung des materiellen Rechts durch unrichtige Anwendung des § 1 des erwähnten Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zu verwerfen.

Nach seiner Ansicht liegt in der Nichtzulassung der Revision deshalb kein Verfahrensmangel, weil der vom Landessozialgericht für einen Einzelfall entschiedenen Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt worden, jedoch nicht statthaft.

Da die Revision vom Landessozialgericht nicht zugelassen worden ist, würde sie im gegebenen Falle nur gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft sein, d.h. dann, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vorliegt. Die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht ist aber kein Verfahrensmangel. In diesem Sinne haben bereits der 1., 5. und 7. Senat des Bundessozialgerichts mit ausführlicher Begründung diese Frage entschieden (Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54, Urteil vom 23.11.1955 - 7 RAr 30/55, Beschluß vom 11.6.1955 - 5 RKn 2/54). Der gleichen Auffassung ist der erkennende Senat. § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG enthält nur insoweit eine verfahrensrechtliche Vorschrift, als er dem Landessozialgericht die Entscheidung über die Zulassung der Revision überträgt. Im übrigen regelt er die Voraussetzung für den Inhalt der zu treffenden Entscheidung. Die nur für die Zulassungsentscheidung bedeutsame Frage, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder nicht, berührt nicht das Verfahren des Landessozialgerichts, das zur Entscheidung des Rechtsstreits hinführte. Auch wenn das Berufungsgericht etwa die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache verkannt hat und deshalb seine Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung der Revision inhaltlich unrichtig ist, so liegt darin kein Mangel des Verfahrens des Landessozialgerichts im Sinne des § 162 Abs.1 Nr. 2 SGG.

Die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht ist für das Bundessozialgericht bindend. Das Sozialgerichtsgesetz hat insoweit dieselbe Regelung übernommen, wie sie für den Zivilprozeß im § 546 ZPO getroffen worden ist. Es widerspricht dem Sinne des Gesetzes, die Entscheidung über die Zulassung der Revision, die nach dem Gesetz den Landessozialgerichten in eigener Verantwortung zufällt, auf dem Umweg über die Rüge eines Verfahrensmangels dem Bundessozialgericht zuzuschieben.

Hiernach ist die auf § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gestützte Revision nicht statthaft. Da andere Gründe für die Statthaftigkeit der Revision der Klägerin nicht geltend gemacht worden sind, ist die Revision unzulässig und mußte verworfen werden. Die Ausführungen in dem Schriftsatz der Klägerin vom 16. Februar 1955 konnten zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß geben.

Der Beschluß ergeht gemäß § 169 SGG, die Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2296962

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