Orientierungssatz

Beiträge zur gesetzlichen RV, die fristgerecht nach einer Ersatzzeit gemäß RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 zwar aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichtet wurden, die aber nach G 131 § 74 Abs 3 als freiwillige Beiträge gelten, sind keine Grundlage für eine Anrechnung der Ersatzzeit gemäß RVO § 1251 Abs 2 S 2 Buchst a (Anschluß an BSG 1966-12-01 4 RJ 563/65 = SozR Nr 23 zu RVO § 1251).

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 S. 2 Buchst. a Fassung: 1965-06-09; G131 § 74 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Entscheidung vom 25.06.1976; Aktenzeichen L 1 J 25/75)

SG Bremen (Entscheidung vom 23.06.1975; Aktenzeichen S J 309/73)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 25. Juni 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht, insbesondere ob die Wartezeit erfüllt ist.

Der Kläger war zunächst Unteroffiziersvorschüler und anschließend bis zum 30. September 1932 Berufssoldat. Vom 1. November 1932 bis zum 31. Mai 1935 war er Angestellter im öffentlichen Dienst und anschließend Beamter in der Reichsfinanzverwaltung und später in der Bundeszollverwaltung. Nachdem er auf Anordnung der Militärregierung im Oktober 1945 aus dem Dienst entlassen worden war, arbeitete er bis März 1947 als Maurerumschüler; für ihn wurden während dieser Zeit Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet. Am 14. März 1947 wurde er entsprechend seiner früheren Dienststellung als Zollsekretär wieder eingestellt. Er ist mit Ablauf des Monats September 1968 in den Ruhestand getreten.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers vom 25. April 1973 mit Bescheid vom 8. November 1973 ab, weil die erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten nicht erfüllt sei. Nachgewiesen sei lediglich eine Beitragszeit von 18 Monaten für die Zeit von Oktober 1945 bis März 1947. Die Zeit der Zugehörigkeit zum Zollgrenzschutz während des 2. Weltkrieges könne nicht als Ersatzzeit berücksichtigt werden, weil es sich nicht um einen militärischen Dienst gehandelt habe.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 23. Juni 1975 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 8. November 1973 verurteilt, dem Kläger ab 1. Mai 1973 eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 25. Juni 1976 auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Versichertenrente, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Nachgewiesen sei lediglich eine Beitragszeit vom 25. Oktober 1945 bis zum 11. März 1947. Weitergehende Beitragszeiten mache der Kläger nicht mehr geltend. Nach den §§ 1249, 1250 RVO könne die Wartezeit von 60 Monaten nur dann erfüllt sein, wenn die Zeit des Einsatzes beim Zollgrenzschutz vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit im Sinne des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO anzurechnen wäre. Das sei jedoch nicht der Fall. Nach § 1251 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a RVO könne eine solche Ersatzzeit ohne vorhergehende Versicherung nur angerechnet werden, wenn innerhalb von 3 Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden sei und eine entsprechende Beitragsleistung vorliege. Diese Voraussetzung sei nicht gegeben. Bei den Beiträgen, die für den Kläger in der Zeit von Oktober 1945 bis März 1947 als Pflichtbeiträge entrichtet worden seien, handele es sich rechtlich um freiwillige Beiträge. Der Kläger gehöre zu dem in Art 131 des Grundgesetzes (GG) angesprochenen Personenkreis, denn er sei nach dem 8. Mai 1945 aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ohne Anspruch auf eine entsprechende Versorgung aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden. Nach § 74 Abs 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art 131 GG fallenden Personen (G 131) sei der Kläger während seiner Beschäftigung von Oktober 1945 bis März 1947 versicherungsfrei gewesen. Da er einen Antrag auf Erstattung der geleisteten Beiträge nicht gestellt habe, gälten sie nach § 74 Abs 3 G 131 als freiwillige Beiträge. Mangels einer der Ersatzzeit vorangehenden oder nachfolgenden Pflichtversicherungszeit könne die Zeit der Zugehörigkeit zum Zollgrenzschutz nicht als Ersatzzeit angerechnet werden, so daß die Wartezeit nicht erfüllt sei.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, die Zeit vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 sei nach § 1251 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 RVO als Ersatzzeit anzurechnen, so daß die Wartezeit erfüllt sei. Er habe während dieser Zeit militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 Abs 1 Buchstabe b des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) verrichtet. Die Voraussetzungen des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO seien daher erfüllt. Da er in der Zeit von Oktober 1945 bis März 1947 pflichtversichert beschäftigt gewesen sei und entsprechende Beiträge entrichtet habe, stehe auch § 1251 Abs 2 RVO der Anrechnung der Ersatzzeit nicht entgegen. Er gehöre nicht zu dem von G 131 erfaßten Personenkreis. Das Gesetz regele lediglich entsprechend dem grundgesetzlichen Auftrag die Rechtsverhältnisse von Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die bisher nicht oder nicht in ihrer früheren Dienststellung verwendet worden seien. Er sei aber bereits mit Wirkung vom 1. Februar 1948 in eine seiner früheren Dienststellung entsprechende Planstelle eingewiesen worden. Folge man der Ansicht des LSG, so führe § 74 Abs 3 G 131 zu einer Versagung des Rentenanspruchs und damit zu einer belastenden Rückwirkung des Gesetzes, die nach dem GG nicht zulässig sei. Im übrigen habe das LSG den § 1251 Abs 2 Satz 2 RVO unrichtig ausgelegt. Nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift komme es lediglich darauf an, daß innerhalb der dort genannten Frist nach Beendigung der Ersatzzeit eine an sich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen worden sei. Unerheblich sei es, ob dafür auch Beiträge entrichtet worden seien.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Mai 1973 eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist darüber hinaus der Ansicht, daß es sich bei der Zugehörigkeit des Klägers zum Zollgrenzschutz nicht um einen militärähnlichen Dienst im Sinne des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO gehandelt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der Kläger hat die Wartezeit des § 1247 Abs 3 RVO nicht erfüllt. Nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellungen des LSG sind für den Kläger lediglich in der Zeit von Oktober 1945 bis März 1947 für 18 Monate Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter nachgewiesen. Andere anrechnungsfähige Versicherungszeiten im Sinne des § 1250 Abs 1 RVO hat der Kläger nicht zurückgelegt. Insbesondere handelt es sich bei der Zeit der Zugehörigkeit zum Zollgrenzschutz in der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 nicht um eine anrechenbare Ersatzzeit im Sinne des § 1251 RVO. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Zugehörigkeit zum Zollgrenzschutz ein militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 BVG war (vgl hierzu die Urteile des BSG vom 20. Oktober 1977 - 11 RA 108/76 - und vom 26. Januar 1978 - 5 RJ 34/77 -). Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Tatbestand des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO erfüllt ist, so ist diese Zeit doch nach § 1251 Abs 2 RVO nicht anzurechnen. Vor dieser Zeit hat nach den bindenden Feststellungen des LSG eine Versicherung nicht bestanden, so daß die Zeit nach Buchstabe a des § 1251 Abs 2 Satz 2 RVO nur dann angerechnet werden könnte, wenn der Kläger innerhalb von 3 Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen hätte. Der Kläger hat zwar im Oktober 1945 eine Beschäftigung angenommen, die nach dem damaligen Recht grundsätzlich versicherungspflichtig war. Für ihn sind auch entsprechende Beiträge entrichtet worden. Gleichwohl sind die Voraussetzungen des § 1251 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a RVO nicht erfüllt.

Der Kläger gehört zu dem in § 1 Abs 1 Nr 1 Buchstabe b G 131 genannten Personenkreis, denn er stand am 8. Mai 1945 als Beamter in einem Dienstverhältnis bei einer Dienststelle des Reiches und war aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen gezwungen, seinen Dienst aufzugeben. Zwar war er bei Inkrafttreten des G 131 bereits wieder in einer entsprechenden Planstelle des Bundesdienstes übernommen worden, so daß er keinen Anspruch auf Unterbringung im Sinne der §§ 11 ff hatte. Das schließt aber nicht aus, daß die Übergangsvorschriften des Kapitel III, insbesondere § 74 auf ihn anzuwenden sind. Nach § 74 Abs 2 Satz 1 G 131 gilt dessen Abs 1 auch für die in § 3 Nr 1 genannten Personen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes endgültig übernommen waren und nach § 19 des Gesetzes idF vom 13. Oktober 1965 (BGBl I, 1686) nicht mehr den Status als Beamter zur Wiederverwendung hatten. Nach dem entsprechend anwendbaren § 74 Abs 1 sind auf Antrag die Arbeitnehmeranteile aus Beiträgen zu erstatten, die wegen einer Beschäftigung innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. März 1951 entrichtet worden sind. Einen solchen Antrag hat der Kläger allerdings nicht gestellt. Nach § 74 Abs 3 G 131 gelten in einem solchen Falle die in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. März 1951 entrichteten Beiträge als freiwillige Beiträge. Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß die für den Kläger in der Zeit von Oktober 1945 bis März 1947 als Pflichtbeiträge entrichteten Beiträge kraft Gesetzes als freiwillige Beiträge gelten, so daß für den Kläger keinerlei Pflichtbeiträge nachgewiesen sind. Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat bereits entschieden, daß Beiträge, die fristgerecht nach einer Ersatzzeit zwar aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichtet wurden, die aber nach § 74 Abs 3 G 131 als freiwillige Beiträge gelten, keine Grundlage für eine Anrechnung der Ersatzzeit gemäß § 1251 Abs 2 Satz 2 Buchstabe a RVO sind (vgl Sozialrecht Nr 23 zu § 1251 RVO). Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung an.

Der Einwand des Klägers, daß § 74 Abs 3 G 131 bei dieser Auslegung zu einer grundgesetzwidrigen belastenden Rückwirkung führe, überzeugt nicht. Nach § 1263 RVO in der vor dem 1. Januar 1957 gültig gewesenen Fassung, die bei Inkrafttreten des G 131 galt, setzte die Anrechnung einer Ersatzzeit voraus, daß eine Versicherung vorher bestanden hat. Da im Falle des Klägers nach den Feststellungen des LSG vor dem 1. September 1939 eine Versicherung nicht bestanden hatte, kam bei Inkrafttreten des G 131 die Anrechnung einer Ersatzzeit für den Kläger nicht in Betracht. Die Vorschrift des § 74 Abs 3 G 131 iVm § 1251 Abs 2 RVO nF führte also zu keiner Belastung des Klägers, weil dieser noch keine Rechtsposition erlangt hatte, auf die der Kläger hätte vertrauen können.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652487

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