Leitsatz (amtlich)
Nach dem bis zum Inkrafttreten des RRG vom 1972-10-16 geltenden Recht erhöhte sich das Altersruhegeld, das nur auf Beiträgen der Höherversicherung beruhte, nicht um den Kinderzuschuß.
Normenkette
RVO § 1262 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1234 Fassung: 1957-02-23, § 1248 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Oktober 1975 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die am 10. September 1907 geborene Klägerin war von August bis Dezember 1972 als Schwesternhelferin beschäftigt; für diese Zeit wurden Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Für August und September 1972 zahlte sie je einen Monatsbeitrag der Höherversicherung nach Klasse 1 in Höhe von je 17,- DM. Im November 1972 beantragte sie Altersruhegeld einschließlich des Kinderzuschusses für einen im Jahr 1950 geborenen Sohn, der Medizin studiert. Mit Bescheid vom 3. Januar 1974 bewilligte die Beklagte - unter der Annahme eines am 10. September 1972 eingetretenen Versicherungsfalles - für die Zeit vom 1. Oktober 1972 an Altersruhegeld aus Beiträgen der Höherversicherung in Höhe von 0,30 DM monatlich. Den Kinderzuschuß verweigerte sie, weil dieser nach "der für die Berechnung der Rente maßgebenden allgemeinen Bemessungsgrundlage" berechnet werde, für eine Höherversicherungsrente aber die allgemeine Bemessungsgrundlage nicht maßgebend sei.
Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) ist der rechtlichen Beurteilung der Beklagten beigetreten.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin die falsche Anwendung des materiellen Rechts, insbesondere des § 1262 der Reichsversicherungsordnung (RVO), und beanstandet, daß das LSG davon ausgegangen ist, die Beiträge der Höherversicherung seien für die Monate September und Oktober 1972 entrichtet worden.
Sie beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 1974 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Oktober 1972 an den Kinderzuschuß für ein Kind zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, rechtmäßig. Der Klägerin steht der beantragte Kinderzuschuß nicht zu.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist es ohne Bedeutung, ob die Beiträge der Höherversicherung für die Monate August und September 1972 oder die Monate September und Oktober 1972 entrichtet worden sind.
Der Versicherungsfall ist im September 1972 eingetreten. In diesem Monat hat die Klägerin das 65. Lebensjahr vollendet und damit die Altersvoraussetzung des § 1248 Abs. 1 RVO i. d. F. des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) erfüllt. Eine Bestimmung, daß ein späterer Zeitpunkt maßgebend sein soll (§ 1248 Abs. 7 RVO i. d. F. des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - RVÄndG -), hat sie nicht getroffen. Der etwaige Anspruch der Klägerin beurteilt sich also nach dem im September 1972 geltenden Recht; die Änderungen durch das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) - RRG -, das sich insoweit keine rückwirkende Kraft beilegt, sind hier ohne Bedeutung.
Nach § 1262 Abs. 1 RVO i. d. F. des ArVNG (jetzt § 1262 Abs. 1 Satz 1 RVO) erhöht sich das Altersruhegeld für jedes Kind um den Kinderzuschuß. Die der Klägerin gewährte Rentenleistung, die nur auf Beiträgen der Höherversicherung beruht, ist jedoch kein Altersruhegeld im Sinn dieser Bestimmung.
Zwischen der Grundversicherung (Pflichtversicherung oder freiwillige Versicherung) und der Höherversicherung (§ 1234 RVO i. d. F. des ArVNG) bestanden im September 1972 wesentliche Unterschiede. Die Beiträge der Höherversicherung waren nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet und so bemessen, daß sich die Höherversicherung selbst finanzierte, ohne die Versichertengemeinschaft zu belasten (Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, I. Band, S. 359). Die Leistungen waren von der Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung ausgeschlossen (§ 1272 Abs. 3 RVO i. d. F. des ArVNG). Ein Beitrag zur Höherversicherung durfte nur neben einem Pflicht- oder freiwilligen Beitrag entrichtet werden (§§ 1234 Abs. 1, 1408 Abs. 2 RVO). Für die Beiträge wurden lediglich Steigerungsbeträge gewährt, die in einem festen Prozentsatz des Nennwertes des Beitrages bestanden (§ 1261 RVO). Die Leistungen aus der Höherversicherung wurden bei Eintritt des Versicherungsfalles gewährt, die Erfüllung der Wartezeit wurde nicht verlangt (§§ 1246 Abs. 4, 1247 Abs. 4 und 1248 Abs. 5 RVO i. d. F. des ArVNG). Ruhensvorschriften fanden keine Anwendung (§ 1285 RVO i. d. F. des Finanzänderungsgesetzes - FinÄndG - 1967). Ein Anspruch auf Leistungen aus der Höherversicherung bestand auch, wenn kein Rentenanspruch aus Grundbeiträgen gegeben war (eine dem § 1295 Satz 1 RVO i. d. F. des RRG entsprechende Bestimmung fehlte). Für kleine Höherversicherungsrenten war eine Kapitalabfindung vorgesehen (§ 1295 RVO i. d. F. des ArVNG).
Das Bundessozialgericht (BSG) hat in BSG 37, 124 und in den Urteilen vom 31. Juli 1975 - 5 RJ 91/74 - (SGb 1976, 99 mit Anm. von Bley; Deutsche Rentenversicherung 1976, 61 mit Anm. von Tannen) und vom 29. Oktober 1975 - 12 RJ 192/74 - zwar einen Rentenanspruch aus nur einem wirksam entrichteten Höherversicherungsbeitrag bejaht, aber im Urteil BSG 37, 124, 127 gefragt, "ob der Kläger rechtsmißbräuchlich handelt, wenn er aufgrund des Altersruhegeldes aus dem einzigen Beitrag zur Höherversicherung die Rentnerkrankenversicherung ... beanspruchen will" und im Urteil vom 29. Oktober 1975, wenn auch nur beiläufig, ohne daß die Entscheidung darauf beruht, bezweifelt, daß "die Rente aus der Höherversicherung, die als Zusatzversicherung gegenüber der eigentlichen Rentenversicherung eine Sonderstellung einnimmt und mehr privatrechtliche Züge einer Lebensversicherung aufweist, überhaupt eine 'Rente' im Sinn des § 381 Abs. 4 RVO darstellt", die einen Anspruch auf Beitragszuschuß auslösen kann.
Das Altersruhegeld, das nur auf Beiträgen der Höherversicherung beruht, hat sich in der Zeit vor dem Inkrafttreten des RRG nicht um den Kinderzuschuß erhöht. Das folgt aus dem Charakter des Kinderzuschusses und dem grundsätzlichen Unterschied zwischen Grund- und Höherversicherung.
Der Kinderzuschuß, eine beitragsunabhängige Leistung, ist Teil des sozialen Ausgleichs, den die gesetzliche Rentenversicherung bezweckt (Sozialenquete 1966, Randziffern 141 und 143) und der an sich dem reinen Versicherungsprinzip nicht entspricht; er ist eine dem Versicherungsprinzip fremde und ihrer Art nach der darreichenden Verwaltung zuzurechnende Leistung (BVerfGE 6, 56, 77), die einem Familienlastenausgleich dient.
Das gilt aber nur für die eigentliche, ein Gemisch von Versicherung, Versorgung und Fürsorge (Sozialenquete Rz 139) darstellende, dem Versicherungs- und dem Sozialstaatsprinzip gleichermaßen verpflichtete Grundversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese dient einer Gruppe schutzbedürftiger oder vom Gesetz als schutzbedürftig angesehener Personen, die im Versicherungsfall aufgrund einer engen und meist langdauernden Verbindung mit der Versichertengemeinschaft nicht nur einen - gewissermaßen versicherungsmathematisch gerechten - Gegenwert für ihre Versicherungsprämien, die Beiträge, sondern darüber hinaus gegebenenfalls auch andere, durch risikogerechte Beiträge nicht gedeckte, unter Umständen durch einen Staatszuschuß finanzierte Sonderleistungen wie Kinderzuschuß, Rentner-Krankenversicherung, Rentenerhöhungen infolge von Ersatz- und Ausfallzeiten u. ä., erhalten können.
Die Höherversicherung ist dagegen als reine Privatversicherung im öffentlich-rechtlichen Gewand konstruiert worden, bei der es nicht um sozialen Ausgleich, sondern um ein unter dem Versicherungsprinzip stehendes Verhältnis von Beitrag und Leistung, von Prämie und Rente geht.
Einem solchen Versicherungsinstitut sind aber - wie auch der Privatversicherung - Sonderleistungen fremd, die nicht der Deckung des Versicherungsrisikos, sondern dem sozialen Ausgleich dienen. Der vorliegende Fall zeigt die Grenzen des Versicherungsprinzips deutlich. Die Klägerin hat mit ihren Beiträgen eine Rente von 0,30 DM monatlich "erworben", diese Rente bekommt sie aus der Höherversicherung; sie würde sie auch von einer privaten Lebensversicherung in etwa der gleichen Höhe erhalten. Der Kinderzuschuß hätte nach der allgemeinen Bemessungsgrundlage für 1972 monatlich 100,10 DM ausgemacht, wäre weiterhin angepaßt worden und hätte entweder von der Versichertengemeinschaft oder - durch den Bundeszuschuß - vom Staat vollständig aufgebracht werden müssen. Das wäre bei einer Versicherung tragbar, die unter der Herrschaft des Sozialstaatsprinzips auch den sozialen Ausgleich bezweckt, nicht aber bei einem der Privatversicherung nachgebildeten Sonderfonds.
Auch andere Umstände, die gegen die Zahlung des Kinderzuschusses bei reinen Höherversicherungsrenten vorgebracht werden, zeigen, daß der Gesetzgeber allgemein beitragsunabhängige Leistungen bei dieser Versicherungsform ausschließen wollte:
§ 1262 Abs. 4 RVO knüpft den Kinderzuschuß an die für die Berechnung der Rente maßgebende allgemeine Bemessungsgrundlage. Die reine Höherversicherungsrente wird aber ohne Anlehnung an die Bemessungsgrundlage, sondern nach den Steigerungsbeträgen des § 1261 RVO berechnet.
Nach § 1318 Abs. 1 Satz 2 RVO i. d. F. des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes ruht, solange der Empfänger sich im Ausland aufhält, der auf den Kinderzuschuß entfallende Teil der Rente in einem bestimmten Ausmaß. Nach § 1285 Satz 2 RVO werden die Steigerungsbeträge für Beiträge der Höherversicherung auch in den Fällen gezahlt, in denen die Rente ganz oder zum Teil wegen des Aufenthalts im Ausland ruht. Da es keinen Sinn hätte, die Höherversicherungsrente ohne einen dazu bewilligten Kinderzuschuß ins Ausland zu zahlen, ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Zahlung eines Kinderzuschusses zur Höherversicherungsrente als ausgeschlossen und eine Regelung für diesen Fall als unnötig angesehen hat.
Nach § 1269 Abs. 1 Satz 2 RVO i. d. F. des ArVNG erhöht sich die Waisenrente aus Grundbeiträgen um den Kinderzuschuß; bei der Waisenrente aus Beiträgen der Höherversicherung (§ 1269 Abs. 2 RVO) fehlt eine entsprechende Regelung. Auch das deutet auf die Absicht des Gesetzgebers hin, allgemein die Höherversicherungsrente ohne Kinderzuschuß zahlen zu lassen.
Die Revision der Klägerin war als unbegründet zurückzuweisen. Dabei brauchte der Senat nicht zu untersuchen, wie die Rechtslage seit dem Inkrafttreten des - das Recht der Höherversicherung verändernden - RRG ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen