Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung der MdE bei Hauterkrankung
Orientierungssatz
1. Auch ein medizinischer Sachverständiger kann in der Lage sein, Aussagen darüber zu machen, in welchen Berufszweigen der Umgang mit Chromaten erforderlich ist und in denen daher der Versicherte, ohne gesundheitlich gefährdet oder beeinträchtigt zu werden, nicht arbeiten kann.
2. Daß nach BKVO 7 Anl 1 Nr 46 die Hauterkrankung "zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit" gezwungen haben muß, um entschädigt zu werden, ist lediglich Voraussetzung für die Anerkennung als Berufskrankheit. Hieraus herzuleiten, daß es bei einer Hautkrankheit als Berufskrankheit anders als bei Arbeitsunfällen für die Bemessung des Grades der MdE auch auf das Ausmaß der durch die Berufskrankheit bedingten konkreten Einkommensverluste ankomme, läßt sich weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus dem Zweck der Regelung herleiten (Festhaltung BSG 1978-01-26 2 RU 27/77 = SozR 2200 § 551 Nr 10; BSG 1978-04-20 2 RU 79/77 = SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8).
3. Zur Prüfung der Frage, ob die neue Tätigkeit des Versicherten als Verwaltungsangestellter seiner früheren Tätigkeit als Maurer wirtschaftlich gleichwertig ist, müssen die Verdienstmöglichkeiten (einschließlich übertariflicher Lohn, Akkordlohn), die der Versicherte gehabt haben würde, wenn er seine frühere berufliche Beschäftigung als Maurer wegen seiner Hauterkrankung nicht hätte aufgeben müssen, mit dem Verdienst verglichen werden, den er zum selben Zeitpunkt tatsächlich gehabt hat. Auf die angeblich soziale Höherstellung im späteren Beruf als Verwaltungsangestellter kommt es nicht an.
4. Die Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft für die Einschätzung der MdE bei beruflichen Hauterkrankungen sind nur als Hilfsmittel gedacht. Aus ihnen geht deutlich hervor, daß das Lebensalter von 40 Jahren keine starre Grenze ist, unterhalb der in jedem Fall bei der MdE ein Abzug von 5 vH und oberhalb der in jedem Fall ein Zuschlag von 5 vH vorgenommen werden soll. Vielmehr gibt es unterhalb und oberhalb von 40 Jahren einen Bereich, in dem auch nach den Empfehlungen kein Abzug und auch kein Zuschlag angebracht ist.
Normenkette
BKVO 7 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1968-06-20; RVO § 551 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 581 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 25.04.1978; Aktenzeichen I UBf 23/77) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 25.02.1977; Aktenzeichen 24 U 300/75) |
Tatbestand
I.
Der am 3. Mai 1938 geborene Kläger war Maurer. Wegen einer Hautallergie der Hände gegen Chromate bei herabgesetzter Alkaliresistenz gab er seine berufliche Beschäftigung im April 1973 auf. Durch Bescheid vom 18. März 1974 gewährte ihm die Beklagte wegen einer Berufskrankheit nach Nr 46 der Anlage 1 zur Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung - 7. BKVO - vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) ab 3. Januar 1974 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vH. Als Folgen der Berufskrankheit erkannte sie ein rezidivierendes Handekzem beiderseits bei Allergie gegen Kaliumdichromat an. Dem Bescheid lag ein Gutachten von Prof. Dr. S /Dr. F der Hautklinik des Universitäts-Krankenhauses F in H vom 3. Oktober 1973 zugrunde. Damals bestand im Bereich der linken Hand noch ein Restekzem. Ab 1. April 1974 gewährte die Landesversicherungsanstalt (LVA) der Freien und Hansestadt Hamburg dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 23. November 1973). Vom 3. Januar bis 30. April 1975 wurde der Kläger auf Kosten der Beklagten zum Büropraktiker ausgebildet. Durch Bescheid vom 24. Februar 1975 stelle die Beklagte ab 1. April 1975 die Dauerrente nach einer MdE von 20 vH fest und erkannte als Folgen der Berufskrankheit eine Chromatallergie sowie eine herabgesetzte Alkaliresistenz des Hautorganes an. Dem Bescheid lag ein Gutachten des Facharztes für Hautkrankheiten Dr. I in H vom 10. Februar 1975 zugrunde. Den gegen den Bescheid vom 24. Februar 1975 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 17. April 1975 zurück.
Vom 2. Mai 1975 bis 4. Juni 1976 wurde der Kläger auf Kosten der Beklagten zum Bürokaufmann ausgebildet. Seit dem 1. August 1976 ist er bei der B für G und W in H beschäftigt. Er ist in die Gehaltsstufe VIII Bundesangestelltentarif (BAT) eingestuft und verdient monatlich 1.700,-- DM netto; er erhält ein 13. Monatsgehalt. Die LVA Hamburg hat die Berufsunfähigkeitsrente mit Ablauf des Monats Oktober 1976 entzogen (Bescheid vom 7. September 1976).
Gegen den Bescheid vom 24. Februar 1975 hat der Kläger bei dem Sozialgericht (SG) Hamburg Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Dauerrente nach einer MdE von mindestens 50 vH zu gewähren. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Februar 1977). Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg zurückgewiesen (Urteil vom 25. April 1978). Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger sei durch die Folgen der anerkannten Berufskrankheit nur um 20 vH in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Nach dem für die Beklagte erstatteten Gutachten des Dr. I vom 10. Februar 1975 und des vom SG eingeholten Gutachtens des Doz. Dr. W /Dr. W in H vom 23. April 1976 seien beim Kläger keine pathologischen Hautveränderungen vorhanden gewesen; lediglich in den Fingerzwischenräumen seien bei Nässe vereinzelt juckende Bläschen aufgetreten. Nach dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Facharztes für Hautkrankheiten Prof. Dr. H in H vom 19. April 1978 und dessen Vernehmung in der mündlichen Verhandlung am 25. April 1978 seien an beiden Händen des Klägers Hautveränderungen im Sinne einer leichten ekzematösen Reizung festgestellt worden. Die Finger seien geschwollen gewesen; im Zwischenfingerbereich hätten sich Rötungen, Schuppen und stellenweise leichte Bläschenbildung gezeigt. Es habe das Bild einer wechselnd stark in Erscheinung tretenden beruflich bedingten Chromatallergie bestanden. Damit stehe aufgrund des objektiven Befundes fest, daß gegenüber der Befunderhebung durch Dr. I und Doz. Dr. W /Dr. W eine Verschlechterung eingetreten ist, von der sich nicht feststellen lasse, seit wann sie bestehe. Außerdem sei beim Kläger eine verminderte Alkaliresistenz vorhanden. Diese sowie die Chromatallergie seien von Dr. I und von dem in der mündlichen Verhandlung des SG gehörten Prof. Dr. R bei sonst negativem Hautbefund mit einer MdE von 20 vH bewertet worden. Dies entspreche der üblichen Bewertung bei einer blanden Allergie. Doz. Dr. W / Dr. Weinssen seien demgegenüber unter Hinweis auf die dem Kläger verschlossenen Arbeitsgebiete zu einer MdE von 30 vH gekommen, Prof. Dr. H bewerte die MdE ebenfalls mit einer MdE von 30 vH. Die Bewertung der MdE bei berufsbedingten Hauterkrankungen habe seit jeher Schwierigkeiten bereitet und sei in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) habe entschieden, daß eine auch ohne Auswirkungen auf die Haut gesteigerte Empfindlichkeit gegen bestimmte Schadstoffe den Arbeitsmarkt für den Betroffenen einschränken könne (EuM 43, 102). Diese Auffassung habe das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 29. November 1973 (SozR Nr 15 zu § 622 Reichsversicherungsordnung -RVO-) dahin bestätigt, daß bei fortbestehender Überempfindlichkeit eine gewisse Schonzeit einzuhalten sei, die in der Regel ein bis zwei Jahre betrage. Erst danach könne, wenn keine besonderen Umstände vorlägen, eine Rentenentziehung in Betracht kommen. Dabei sei zu berücksichtigen, in welchem Maße die latente Allergie den Arbeitsmarkt für den Betroffenen einschränke und in welchem Alter dieser stehe, denn ein älterer und länger im Beruf tätig gewesener Versicherter könne seine Arbeitskraft auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur schwieriger verwerten als ein jüngerer Versicherter. In seiner Entscheidung vom 19. Dezember 1974 (BSGE 39, 49) habe das BSG ausgeführt, daß die MdE einerseits nach der Schwere des akuten Krankheitszustandes und andererseits nach dem Umfang des dem Erkrankten verschlossenen allgemeinen Arbeitsmarktes zu bewerten sei. Dabei seien die nach Aufgabe des früheren Berufes erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten zu berücksichtigen (BSG aaO; SozR 2200 § 622 Nr 7 und 10), wobei es nicht darauf ankomme, ob diese auf Kosten des Versicherungsträgers (BSGE 44, 274) oder auf eigene Initiative des Versicherten (SozR 2200 § 622 Nr 10) erworben worden sind. Nach den Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft sei die MdE bei Allergien der Haut unter Berücksichtigung der Hauterscheinungen sowie der Stärke und der Häufigkeit des Allergens zu schätzen. Davon seien Vomhundertsätze in Abzug zu bringen für die Einordnung und die Aussichten in einem anderen gleichwertigen Beruf sowie für das Alter und die Anpassungsfähigkeit des Versicherten. Im einzelnen sei den verschiedenen Faktoren wie folgt Rechnung zu tragen: Hauterscheinungen, gering bis mittelgradig 5 vH, starke bzw schwere Veränderungen 10 bis 15 vH; Sensibilisierungsgrad, dh Stärke der Reaktion, gering 5 vH, stark 10 bis 15 vH; Häufigkeit des Allergens, selten O vH, mittel 5 vH, häufig 10 vH. Nach Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten werde je nach den Umständen des Einzelfalles ein Abzug von 5 bis 10 vH vorgenommen. Ferner werde das Alter des Versicherten berücksichtigt, und zwar bei einem unter 40jährigen Versicherten wegen seiner besseren Anpassungsfähigkeit mit einem Abzug von 5 vH und bei einem über 40jährigen Versicherten mit einem Zuschlag von 5 vH. Diese Empfehlungen seien ein brauchbarer Versuch, um zu einer besser begründbaren Bewertung der MdE zu kommen. Die Berücksichtigung der einzelnen Faktoren führe im vorliegenden Fall zu folgendem Ergebnis: Der Kläger leide an einer Dichromat-Dermatitis, der ein im Berufsleben weit verbreitetes Allergen zugrunde liege. Im Gutachten von Doz. Dr. W / Dr. W sei im einzelnen dargelegt, welche Berufsgruppen der Kläger vermeiden müsse. Nach der Verbreitung des Allergens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei eine MdE von 20 vH anzusetzen. Die Hautaktivität sei unter Berücksichtigung der offenbar stark wechselnden Hauterscheinungen mit einer MdE von 15 vH zu bewerten. Mit der neu erschlossenen Tätigkeit als Verwaltungsangestellter übe der Kläger einen gegenüber seiner früheren Beschäftigung als Maurer wirtschaftlich gleichwertigen Beruf aus. Der tarifliche Stundenlohn als Maurer habe betragen: ab 1. Mai 1975 9,05 DM, ab 1. Mai 1976 9,25 DM und ab 1. Mai 1977 10,27 DM. Als Verwaltungsangestellter sei der Kläger in die Vergütungsgruppe VIII BAT eingestuft. Wie Prof. Dr. H ausgeführt habe, sei die Einordnung des Klägers in seiner neuen Tätigkeit jedoch unvollkommen. Durch die Schwellung der Finger sei er im Umgang mit Feininstrumenten, mit Schreibwerkzeug, Papier und Schreibmaschine bei seiner Arbeit erheblich eingeschränkt. Aufgrund seiner Schulbildung werde ihm auch ein Aufstieg verschlossen sein; dies dürfte auch für den Maurerberuf gegolten haben. Insgesamt gesehen könne die Umschulung bei der Bewertung der MdE jedoch nicht außer acht gelassen werden. Sie sei unter den dargelegten besonderen Umständen des Falles mit 5 vH in Abzug zu bringen. Da der Kläger seinen Maurerberuf aufgegeben habe, als er noch nicht 40 Jahre alt gewesen sei, sei ein weiterer Abzug von 5 vH vorzunehmen. Der Senat komme somit zu dem Ergebnis, daß die MdE ab 1. April 1975 mit 25 vH zu bewerten sei. Die Beklagte könne aber nicht zur Gewährung einer Rente nach einer MdE von 25 vH verurteilt werden, weil nur eine Abweichung von 5 vH von der Schätzung der Beklagten vorliege. Prof. Dr. H, der eine MdE von 30 vH angenommen habe, könne nicht gefolgt werden, weil er das Alter des Klägers unberücksichtigt gelassen habe. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Der vom LSG vorgenommenen Einschätzung der MdE könne nicht gefolgt werden. Die Bewertung des Ausmaßes der Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes könne von einem medizinischen Sachverständigen nicht vorgenommen werden. Dieser sei lediglich dazu berufen, Angaben über die Verbreitung bestimmter Schadstoffe zu machen, die eine Allergie auslösen und unterhalten könnten. Die rechtlichen Schlüsse daraus für die MdE habe das Gericht zu ziehen. Es sei daher unerheblich, welche Empfehlungen die Deutsche Dermatologische Gesellschaft den Hautärzten zur Beurteilung des Grades der MdE infolge allergischer Hautkrankheiten gegeben habe. Es sei Sache der Gerichte, vor allem des BSG, verbindliche Bewertungsmaßstäbe über entscheidungserhebliche Sachverhalte aufzustellen, um die gleichmäßige Behandlung aller Betroffenen sicherzustellen. Die entscheidende Frage sei daher, wie hoch, ausgedrückt in Prozenten, ein krankheitsbedingtes Berufsverbot und Beschäftigungsverbot einzuschätzen ist. Der Zwang zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung sei ein Kennzeichen der Schwere der Erkrankung (SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8). Wer infolge einer berufsbedingten Hauterkrankung gezwungen worden sei, die bisherige berufliche Beschäftigung oder jede Erwerbsarbeit aufzugeben, leide an einer schweren Erkrankung. Dies müsse in dem Grad der MdE einen angemessenen Niederschlag finden. Eine schwere Erkrankung bedinge immer eine MdE in einem rentenberechtigendem Grad. Würde keine Entschädigungspflicht des Unfallversicherungsträgers bestehen, könnte dieser den Erkrankten nicht wirksam anhalten, den gefährdenden Beruf aufzugeben. Die Aufforderung zur Berufsaufgabe, die einem Berufsverbot gleichkomme, sei ein so schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsentfaltung und die freie Berufsausübung, daß sie billigerweise ohne angemessene wirtschaftliche Gegenleistung nicht geltend gemacht werden könne. Eine berufsbedingte Hauterkrankung bleibe solange eine schwere Erkrankung, wie der Betroffene gezwungen sei, den schädigenden Schadstoff zu meiden; die berufskrankheitsbedingte MdE könne nicht unter 20 vH herabsinken, auch wenn keinerlei Hauterscheinungen mehr festzustellen seien. Zusätzlich werde der Grad der MdE vom Umfang der Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes bestimmt. Wer durch eine Hauterkrankung gezwungen sei, jede Erwerbsarbeit aufzugeben, sei zweifellos erwerbsunfähig. Somit stehe eine Skala von 20 vH bis 100 vH zur Bewertung der Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes zur Verfügung, wobei jeweils nur der Arbeitsmarkt in Betracht zu ziehen sei, der dem Erkrankten nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten ohne die Berufskrankheit offenstehe. In seinem Fall handele es sich nach dem Gutachten des Doz. Dr. W / Dr. W vom 23. April 1976 um ein weit verbreitetes Allergen. Selbst in der zur Zeit verrichteten Bürotätigkeit bestehe die Möglichkeit zu Kontakten mit Chromaten. Hinzu komme eine verminderte Alkaliresistenz. Ihm seien mehr Erwerbstätigkeiten verschlossen als ihm offen stehen. Es erscheine daher gerechtfertigt, die Gesamt-MdE für die Berufskrankheit mit 50 vH zu veranschlagen. Die LVA Hamburg habe ihm wegen der Hautallergie auch Berufsunfähigkeitsrente zuerkannt. Dahingestellt könne bleiben, ob die Erlangung neuer beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Einschätzung der MdE zu berücksichtigen seien, da er im Zeitpunkt der Festsetzung der ersten Dauerrente durch Bescheid vom 24. Februar 1975 über neue Kenntnisse und Fähigkeiten noch nicht verfügt habe. Die Umschulung zum Bürokaufmann sei erst am 30. April 1976 erfolgreich beendet worden; lediglich die Ausbildung zum Büropraktiker sei am 30. April 1975 beendet gewesen. Eine Tätigkeit im Umschulungsberuf übe er erst seit dem 1. August 1976 aus. Es sei unzulässig, auf Verhältnisse abzustellen, die erst nach Festsetzung der Dauerrente eingetreten seien. Das LSG hätte die Umschulung bei der Festsetzung der MdE außer acht lassen müssen. Überdies sei seine neue Tätigkeit als Verwaltungsangestellter gegenüber dem Beruf als Maurer wirtschaftlich nicht gleichwertig. Das LSG habe lediglich den Tariflohn eines Maurers seinem jetzigen Gehalt nach der Gehaltsgruppe VIII BAT gegenübergestellt. Demgegenüber hätte es feststellen müssen, was ein voll leistungsfähiger Maurer üblicherweise tatsächlich verdiene. Der Tariflohn sei im Baugewerbe nur der Mindestlohn. Es herrsche Akkordarbeit vor, wie auch er sie ausgeübt habe. Der von der Beklagten der Rentenberechnung zugrunde gelegte Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 31.786,05 DM entspreche einem durchschnittlichen Monatslohn von 2.648,84 DM. Dieses Einkommen habe er bereits 1972/73 erzielt. Damals sei das Gehalt nach der Gehaltsgruppe VIII BAT nur halb so hoch gewesen. Das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, die tatsächlichen Arbeitseinkünfte eines gesunden Maurers durch Befragen von Sachverständigen zu ermitteln. Das sei nicht geschehen, worin ein Verstoß gegen § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liege. Ein Altersabschlag sei ebenfalls nicht gerechtfertigt. Nach der Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 19. Dezember 1974 - 8 RU 116/74 - könne das Lebensalter bei der Bemessung der MdE nicht schlechthin unberücksichtigt bleiben, weil ein älterer und längere Zeit im Beruf tätiger Versicherter seine verbliebene Arbeitskraft auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur schwieriger verwerten könne als ein jüngerer Versicherter. Ein höheres Lebensalter bei Aufgabe der beruflichen Beschäftigung könne zu einer Erhöhung des Grades der MdE führen, aber nicht umgekehrt.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Hamburg vom 25. April 1978 und des SG Hamburg vom 25. Februar 1977 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Februar 1975 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. April 1975 zu verurteilen, ihm ab 1. April 1975 eine Dauerrente nach einer MdE von 50 vH zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß gegen die Heranziehung der Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft für die Einschätzung des Grades der MdE nichts einzuwenden sei, da die möglichst einheitliche Bewertung von Hautleiden auch eines der wichtigsten Ziele der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei. Die vom Kläger vertretene Auffassung, daß die berufskrankheitsbedingte MdE solange nicht unter 20 vH herabsinken könne, wie der unter einer Allergie Leidende die diese Allergie hervorrufenden Schadstoffe meiden müsse, sei nicht zutreffend. Sofern bei der vom Kläger zur Zeit ausgeübten Bürotätigkeit die Möglichkeit eines Kontaktes mit Chromaten bestehe, werde dadurch noch keine MdE von 50 vH bedingt. Die verminderte Alkaliresistenz spiele überhaupt keine entscheidende Rolle, da der Kläger keine schmutzige Tätigkeit ausübe. Die Dauerrente sei zwar schon ab 1. April 1975 nach einer MdE von 20 vH festgesetzt worden, obwohl die Umschulung des Klägers erst am 30. April 1975 abgeschlossen gewesen sei und er seine Tätigkeit erst ab 1. August 1976 aufgenommen habe. Jedoch habe sie dem Kläger während der Umschulungsmaßnahmen die Teilrente auf die Vollrente erhöht und ihm darüber hinaus auch nach Beendigung der Umschulung den Lebensunterhalt für die Dauer von sechs Wochen durch Zahlung von Übergangsgeld sichergestellt. Für die Gleichwertigkeit des Berufs als Verwaltungsangestellter mit dem erlernten Maurerberuf sprächen neben den vom LSG angeführten Gründen auch die zu berücksichtigende soziale Höherstellung, die nach herrschender Auffassung in dem Aufstieg vom Arbeiter zum Angestellten liege. Es sei daher nicht richtig, daß die Arbeitseinkünfte eines gesunden Maurers dem Verdienst des Klägers nach der Gehaltsgruppe VIII BAT hätten gegenübergestellt werden müssen. Der Kläger habe, wie es dem System der Ordnung und der Struktur der Bediensteten der Berufsgenossenschaften entspreche, die Möglichkeit des Aufstiegs, wie sie in anderen Bereichen der Wirtschaft nicht vorhanden sei. Deshalb sei es auch gerechtfertigt, bei dem gerade erst 40 Jahre alten Kläger einen Altersabschlag vorzunehmen. Er habe noch 25 Berufsjahre vor sich, in denen er bessere Aufstiegsmöglichkeiten habe als in seinem erlernten Maurerberuf. Die Bewertung des Grades der MdE durch das LSG sei nicht zu beanstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zum Teil begründet.
Der Kläger hat vom 1. April 1975 an Anspruch auf eine Dauerrente nach einer MdE von 35 vH.
Die nach § 1585 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) festzustellende Dauerrente setzt eine Änderung gegenüber den für die Feststellung der vorläufigen Rente maßgebend gewesenen Verhältnissen nicht voraus. Da eine Berufskrankheit nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO als Arbeitsunfall "gilt", ist auch bei der Berufskrankheit die Rente gemäß § 581 Abs 1 Nr 2 RVO entsprechend dem Grad der durch die Berufskrankheit bedingten MdE zu gewähren. Dabei richtet sich die MdE einerseits nach der Schwere des noch vorhandenen akuten Krankheitszustandes (BSGE 39, 49, 50; 44, 274, 277; 47, 249, 252) sowie andererseits nach dem Umfang der dem Erkrankten verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8; Urteil vom 22. Februar 1979 - 8a RU 32/78), wie dies allgemein bei Unfallfolgen gilt (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 568 f ff, 566 y I ff; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 581 Anm 5a, jeweils mit Nachweisen).
Beides hat das LSG im wesentlichen berücksichtigt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG wird der Kläger infolge der stark wechselnden Hauterscheinungen und wegen der weiten Verbreitung der Allergene auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt um 35 vH in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Dabei hat das LSG, gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. H vom 19. April 1978 und der Aussage des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 25. April 1978 wegen der wechselnd stark in Erscheinung tretenden Chromat-Allergie eine MdE von 15 vH und gestützt auf das Gutachten des Doz. Dr. W / Dr. W vom 23. April 1976 wegen der dort aufgeführten zahlreichen Berufszweige, in denen der Kläger nicht mehr tätig sein kann, eine MdE von 20 vH angenommen. Die tatsächlichen Grundlagen, von denen das LSG in Ausübung seines Rechts der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) bei der Schätzung insoweit ausgegangen ist, hat die Revision mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffen; sie sind für das Revisionsgericht daher bindend (§ 163 SGG). Die Schätzung des LSG kann bei der Ausübung des Rechts der freien Beweiswürdigung nur noch daraufhin nachgeprüft werden, ob von ihm die gesetzlichen Grenzen dieses Rechts überschritten worden sind (BSGE 4, 147, 149). Eine solche Überschreitung liegt jedoch nicht vor. Nach Auffassung des Senats kann auch ein medizinischer Sachverständiger in der Lage sein, Aussagen darüber zu machen, in welchen Berufszweigen der Umgang mit Chromaten erforderlich ist und in denen daher der Kläger, ohne gesundheitlich gefährdet oder beeinträchtigt zu werden, nicht arbeiten kann. Die Revision trägt auch nicht vor, welche sonstigen, von den Sachverständigen Doz. Dr. W Dr. W nicht angeführten Berufszweige dem Kläger noch verschlossen sind. Die Behauptung, ihm seien mehr Erwerbstätigkeiten verschlossen als ihm offen stehen, reicht für eine Revisionsrüge nicht aus. Zudem ist zu berücksichtigen, daß der Kläger im wesentlichen auch nur von der handwerklichen Tätigkeit in den von den Sachverständigen angeführten Berufszweigen ausgeschlossen ist, dagegen nicht auch in jedem Fall von den verwaltenden und kaufmännischen Tätigkeiten in ihnen.
Dem LSG kann jedoch insoweit nicht gefolgt werden, als es im Hinblick auf die Umschulung des Klägers den Grad der MdE um 5 vH niedriger angenommen hat. In der gesetzlichen Unfallversicherung hängt die Entschädigung von einer abstrakten Schadensbemessung ab, und zwar sowohl bei Arbeitsunfällen als auch bei Berufskrankheiten, da diese, wie bereits ausgeführt worden ist, als Arbeitsunfälle "gelten" (BSGE 39, 49, 50; 47, 249, 252; SozR 2200 § 622 Nr 10; SozR 5677 Anl 1 Nr 8). Abstrakt erfolgt die Entschädigung insofern, als sie sich nicht nach dem jeweils tatsächlich eingetretenen Personenschaden oder Vermögensschaden richtet, sondern losgelöst davon nach einem Vomhundertsatz der MdE. Hierin drückt sich das Verhältnis aus, in dem die durch die Persönlichkeit des Versicherten individuell geprägte Arbeitsmöglichkeit, bezogen auf das Gesamtgebiet des Erwerbslebens, eingeschränkt ist (BSG aaO; Brackmann aaO S 566 y I ff, 568b und f bis h). Daß nach Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO die Hauterkrankung "zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit" gezwungen haben muß, um entschädigt zu werden, ist lediglich Voraussetzung für die Anerkennung als Berufskrankheit. Hieraus herzuleiten, daß es bei einer Hautkrankheit als Berufskrankheit anders als bei Arbeitsunfällen für die Bemessung des Grades der MdE auch auf das Ausmaß der durch die Berufskrankheit bedingten konkreten Einkommensverluste ankomme, läßt sich weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus dem Zweck der Regelung herleiten. Eine derartige Auffassung wäre auch mit dem höherrangigen Recht der Verordnungsermächtigung in § 551 Abs 1 Satz 3 RVO sowie dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar. Der Senat hat dies in seinen Urteilen vom 26. Januar und 20. April 1978 (SozR 2200 § 551 Nr 10 und SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8) eingehend dargelegt. Er hält daran fest. Da der Kläger am 1. April 1975, dem Tag, von dem an erstmalig die Dauerrente festgestellt wurde, im Hinblick auf seinen Krankheitszustand und auf die ihm verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten um 35 vH in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert war, ist ihm nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO von diesem Zeitpunkt an eine entsprechende Rente zu gewähren.
Die Rechtsprechung des 8. Senats (BSGE 39, 49; 44, 274; 47, 249; SozR 2200 § 622 Nr 7 und 10; SozR 5677 Anl 1 Nr 41 Nr 2; Urteil vom 22. Februar 1979 - 8a RU 32/78; Urteil vom 26. Juli 1979 - 8a RU 58/78) steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Der 8. Senat hat bei beruflich bedingten Hauterkrankungen und Bronchialasthma die Entziehung einer deswegen gewährten Rente bejaht, wenn sich dem Versicherten infolge neu erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten ein erweitertes Arbeitsfeld mit gleichwertigen Verdienstmöglichkeiten oder Erwerbsmöglichkeiten eröffnet hat. Aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG im vorliegenden Fall lassen sich keine Schlüsse auf eine wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit des Klägers ziehen. Nach der Rechtsprechung des 8. Senats (SozR 2200 § 622 Nr 7; Urteil vom 22. Februar 1979 - 8a RU 32/78; Urteil vom 26. Juli 1979 - 8a RU 58/78) hätten die Verdienstmöglichkeiten (einschl. übertariflicher Lohn, Akkordlohn), die der Kläger am 1. April 1975 gehabt haben würde, wenn er seine frühere berufliche Beschäftigung als Maurer wegen seiner Hauterkrankung nicht hätte aufgeben müssen, mit dem Verdienst verglichen werden müssen, den er zum selben Zeitpunkt tatsächlich gehabt hat. Der Kläger befand sich aber am 1. April 1975 und noch bis zum 30. April 1975 in der Ausbildung zum Büropraktiker, an die sich vom 2. Mai 1975 bis zum 4. Juni 1976 die Ausbildung zum Bürokaufmann anschloß. Er hatte mithin am 1. April 1975 überhaupt noch keine entgeltliche Tätigkeit ausgeübt. Daß ihm die Beklagte, wie sie vorträgt, bis zum Abschluß der Ausbildung die Teilrente auf die Vollrente erhöht hat, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Auch auf die angeblich soziale Höherstellung im späteren Beruf als Verwaltungsangestellter kommt es nicht an.
Nicht gerechtfertigt ist auch der vom LSG vorgenommene weitere Abzug von 5 vH von dem Grad der MdE wegen des Alters des Klägers. Prof. Dr. H hat im Gutachten vom 19. April 1978 einen Altersabzug nicht vorgenommen, weil der Kläger nur wenig unter 40 Jahre alt war. Nach den Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft für die Einschätzung der MdE bei beruflichen Hauterkrankungen (Der Hautarzt 1977, 33), auf die das LSG Bezug nimmt, soll bei einem Lebensalter bis ca 40 Jahre ein Abzug von 0 bis 5 vH und bei einem Lebensalter über 40 Jahre ein Zuschlag von 0 bis 5 vH gemacht werden. Die Empfehlungen begründen dies damit, daß erfahrungsgemäß die Arbeitsangelegenheiten jenseits des 40. Lebensjahres deutlich abnehmen. Abgesehen davon, daß die Empfehlungen nur als Hilfsmittel gedacht sind, geht aus ihnen deutlich hervor, daß das Lebensalter von 40 Jahren keine starre Grenze ist, unterhalb der in jedem Fall ein Abzug von 5 vH und oberhalb der in jedem Fall ein Zuschlag von 5 vH vorgenommen werden soll. Vielmehr gibt es unterhalb und oberhalb von 40 Jahren einen Bereich, in dem auch nach den Empfehlungen kein Abzug und auch kein Zuschlag angebracht ist. Der am 3. Mai 1938 geborene Kläger hatte am 1. April 1975, dem Tag des Beginns der Dauerrente, das 37. Lebensjahr fast vollendet. Der medizinische Sachverständige Prof. Dr. H hatte einen Abzug wegen des Alters des Klägers nicht für erforderlich gehalten. Das LSG hat ihn vorgenommen, jedoch nicht dargelegt, weshalb seiner Meinung nach ein solcher Abzug angebracht ist; insoweit fehlt es an tatsächlichen Feststellungen.
Da der Grad der durch die anerkannte Berufskrankheit bedingten MdE ab 1. April 1975 zwar 35 vH, nicht aber 50 vH beträgt, mußten die Urteile des LSG und des SG Hamburg sowie die Bescheide der Beklagten entsprechend geändert und die Revision im übrigen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen