Leitsatz (amtlich)
Haben beide Ehegatten Altersruhegeld in verschiedener Höhe bezogen und nur davon gelebt, so hat der Ehegatte mit dem höheren Renteneinkommen den Unterhalt der - 2köpfigen - Familie auch dann "überwiegend bestritten", wenn Gütergemeinschaft (BGB §§ 1415 ff) bestanden hat.
Normenkette
RVO § 1266 Fassung: 1957-02-23; BGB § 1415 Fassung: 1957-06-18, § 1417 Abs. 2 Fassung: 1957-06-18, § 1416 Fassung: 1957-06-18
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. August 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Es ist streitig, ob die im Februar 1964 gestorbene - in der Arbeiterrentenversicherung versichert gewesene - Ehefrau des Klägers den Unterhalt der nur aus den Ehegatten bestehenden Familie "überwiegend bestritten" und damit die Voraussetzung für einen Witwerrentenanspruch des Klägers geschaffen hat (§ 1266 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Der im Jahre 1883 geborene Kläger hatte die - um 14 Jahre jüngere - Versicherte im Jahre 1921 geheiratet. Seit 1925 lebte er mit ihr im Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft (§ 1437 ff des Bürgerliches Gesetzbuches - BGB - idF vor dem Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 - GleichberG - BGB aF); Vorbehaltsgut (§ 1440 BGB aF) war nicht vereinbart worden. Die Versicherte bezog seit 1946 Invalidenrente von der beklagten Landesversicherungsanstalt. Nach Umwandlung der Rente in das Altersruhegeld betrug die Versicherungsleistung von Juli 1963 an 267,10 DM und von Januar 1964 an 289 DM monatlich. Der Kläger erhielt von 1949 an Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung; es belief sich im Jahre 1963 auf monatlich 197,30 DM und von Januar 1964 an auf 213,50 DM. Grundbesitz oder sonstiges nennenswertes Vermögen hatten die Ehegatten nicht. Sie bestritten ihren Lebensunterhalt gemeinsam aus den Renteneinkommen. Die Ehe ist kinderlos geblieben.
Den Antrag des Klägers auf Gewährung der Witwerrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. August 1964 mit der Begründung ab, die versicherte Ehefrau habe trotz ihres höheren Renteneinkommens den Unterhalt der zweiköpfigen Familie nicht überwiegend bestritten, weil ihr Einkommen - ebenso wie das des Klägers - in das Gesamtgut gefallen sei und dieses in gleichen Maße dem einen wie dem anderen Ehegatten gehört habe. In dem Bescheid ist weiter ausgeführt, daß auch die Bewertung der Haushaltsführung durch die Versicherte kein anderes Ergebnis rechtfertige, weil diese in ihrer Erwerbsfähigkeit erheblich gemindert und deshalb zu einer nennenswerten Arbeitsleistung nicht mehr in der Lage gewesen sei.
Auf die Klage hin hat das Sozialgericht durch Urteil vom 15. Dezember 1965 den Ablehnungsbescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Witwerrente vom 1. März 1964 an zu gewähren. Die Berufung der Beklagten ist durch Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 8. August 1967 mit folgender Begründung zurückgewiesen worden: Die Versicherte habe während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor ihrem Tode, nämlich im Jahre 1963 und bis Mitte Januar 1964, den Unterhalt der Ehegatten überwiegend bestritten, weil sie mehr Geld zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft und damit zum Familienunterhalt beigesteuert habe als der Kläger. Dem stehe der besondere Güterstand der Ehegatten nicht entgegen. An gegenteiligen Entscheidungen des Reichsversicherungsamts (EuM 42, 187) und des Bayerischen Landesversicherungsamts (Breith. 1950, 154) könne jedenfalls für die Zeit nach dem Inkrafttreten des GleichberG (1. Juli 1958) nicht festgehalten werden. Schon der Wortlaut des § 1266 Abs. 1 RVO nF "... wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat" weise darauf hin, daß - ebenso wie bei der 3. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO - die rechtlichen (= bürgerlich-rechtlichen) Verhältnisse gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen zurückzutreten hätten. Zu dieser Betrachtungsweise dränge auch die Notwendigkeit, den Wert der Hausarbeit der Ehegatten als Beitrag zum Familienunterhalt zu berücksichtigen (vgl. BVerfG v. 24. Juli 1963 - SozR Nr. 52 zu Art. 3 GG, Bl. A b 23 -; BSG Urt. v. 28. August 1963 und 14. Februar 1964 - SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO). Dafür spreche ferner, daß sich im bürgerlichen Recht die Auffassung durchgesetzt habe, sogar die Vorschriften der §§ 1360 ff BGB idF des GleichberG über die gegenseitige Unterhaltspflicht der Ehegatten müßten bei jedem Güterstand gelten. Die Versicherte und der Kläger hätten nicht etwa aus gemeinsamen "Vermögensmassen" - wie aus einem Betriebsunternehmen mit Arbeitskräften, Miethäusern, Aktien usw. - ihren Unterhalt bestritten, sondern allein aus den Altersruhegeldern sowie durch ihre Tätigkeiten im gemeinsamen Haushalt. Nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Ehegatten könne davon ausgegangen werden, daß diese Einnahmen insgesamt zum Unterhalt der Familie benötigt worden seien und dafür auch Verwendung gefunden hätten. Die Rente der Versicherten sei nun vom 1. Juli 1963 an um 70 DM und vom 1. Januar 1964 an um rd. 76 DM monatlich höher gewesen als die des Klägers. Sogar dann, wenn die Ehegatten die Haushaltsarbeiten wertmäßig zu gleichen Teilen verrichtet hätten, hätte die Versicherte den Familienunterhalt überwiegend bestritten. Um so mehr aber sei dies der Fall, als die Versicherte bis zum Beginn ihrer Bettlägerigkeit Mitte Januar 1964 - von kleinen Handreichungen des Klägers abgesehen - die Hausarbeiten allein verrichtet habe. - Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat das Rechtsmittel eingelegt und zur Begründung einer Verletzung des § 1266 RVO im wesentlichen ausgeführt: Für die Frage nach dem überwiegenden Unterhalt sei allein das durch den Ehevertrag begründete Rechtsverhältnis maßgebend. Nach § 1416 BGB nF würden die Einkünfte jedes Ehegatten unmittelbar Gesamtgut, so daß eine überwiegende Unterhaltsleistung des einen oder des anderen Ehegatten begrifflich nicht möglich sei. Aus dem Wortlaut des § 1266 RVO könne nicht gefolgert werden, daß der Gesetzgeber es nur auf die tatsächlichen Verhältnisse unter Außerachtlassung etwa bestehender anderweitiger Rechtsverhältnisse habe abstellen wollen. Bei der Abfassung des § 1266 RVO habe der Gesetzgeber nur den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft im Auge gehabt; den Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft habe er übersehen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Die Vorinstanzen haben dem Kläger mit Recht einen Anspruch auf Witwerrente aus der Versicherung seiner Ehefrau zuerkannt, weil die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat (§ 1266 RVO). Diese Voraussetzung erfüllt bei einer nur aus Mann und Frau bestehenden Familie mit gemeinsamer Haushaltsführung derjenige Ehegatte, der vor seinem Tode zum ehelichen Aufwand mehr als die Hälfte beigesteuert hat (vgl. BSG SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO). Nach den vom LSG getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen trifft dies auf die Ehefrau des Klägers schon deshalb zu, weil die Geldmittel, die dem Lebensunterhalt der Ehegatten dienten, zu mehr als der Hälfte aus ihrem Altersruhegeld stammten.
Dieses Ergebnis wird entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten durch die güterrechtlichen Verhältnisse, in denen die Ehegatten gelebt haben, nicht zum Nachteil des Klägers beeinflußt. Der im Jahre 1925 begründete Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft ist durch Art. 8 I Nr. 6 GleichberG in die Gütergemeinschaft des neuen Rechts (§§ 1415 ff BGB nF) übergeleitet worden. In diesem Güterstand gehörten zwar die Rentenansprüche der Ehegatten - als durch Rechtsgeschäft grundsätzlich nicht übertragbare Rechte - zu ihrem Sondergut (§ 1417 Abs. 2 BGB, § 119 RVO), die einzelnen Rentenzahlungen fielen jedoch - als Rechtsfrüchte des Rentenstammrechts - in das gemeinschaftliche Vermögen beider Ehegatten (so schon RVA in EuM 42, 187, 190). Hiernach ist der Beklagten zuzugeben, daß der eheliche Aufwand aus Mitteln bestritten worden ist, die zwar mittelbar aus dem beiderseitigen Altersruhegeld, also dem Sondergut der Ehegatten stammten, die aber den rechtlichen Weg über das - den Ehegatten in gleichem Maße zuzurechnende - Gesamtgut genommen hatten, ehe sie zum Lebensbedarf verwendet wurden. Eine solche formal-juristische Betrachtungsweise mag allenfalls mit dem Wortlaut des § 1266 RVO vereinbar sein, sie wird aber dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Die Witwerrente soll - wie jede Hinterbliebenenrente - eine durch den Tod des Versicherten verursachte Einbuße an tatsächlichen Unterhaltsleistungen ersetzen (vgl. BSG, SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO; BVerfG, SozR Nr. 52 zu Art. 3 GG, Bl. A b 25). Es darf deshalb bei der Beurteilung, welcher Ehegatte eine Unterhaltsleistung erbracht hat, nicht auf die in den güterrechtlichen Verhältnissen wurzelnde rechtliche Gestaltung der Leistung ankommen, sondern es ist darauf abzustellen, wer sie tatsächlich bewirkt hat. Dies tritt besonders deutlich dann hervor, wenn ein in Gütergemeinschaft lebendes Ehepaar seinen Unterhalt ausschließlich aus dem Renteneinkommen der Ehefrau bestreiten muß. In einem solchen Fall verliert der Ehemann beim Tode der Frau ebensowohl seinen Unterhalt, wie wenn er in Gütertrennung gelebt hätte. Für die Auslegung des Begriffs "Unterhalt bestreiten" in § 1266 RVO hat es daher, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, mehr auf die tatsächliche Lebensgestaltung als auf die rechtlichen Verhältnisse anzukommen (vgl. hierzu auch RVA, EuM 22, 146, 147 und AN 1937, 81 Nr. 5057).
Dieser Rechtsauffassung stehen die vom LSG angeführten Entscheidungen des Reichsversicherungsamts und des Bayerischen Landesversicherungsamts (EuM 42, 187; Breith. 1950, 154 und 1952, 674) jedenfalls in ihren entscheidungserheblichen Ausführungen nicht entgegen. In ihnen ging es um die Frage, ob die Erträgnisse einer gütergemeinschaftlichen Landwirtschaft bzw. eines gütergemeinschaftlichen Eisenwarengeschäfts als Unterhaltsleistungen eines der Ehegatten (i. S. des § 1271 Abs. 2 Halbs. 2 RVO idF von 1937 bzw. des § 1257 RVO idF von 1956) anzusehen oder den Ehegatten je zur Hälfte zuzurechnen waren. Diese Sachverhalte unterscheiden sich von dem hier zu beurteilenden dadurch, daß die landwirtschaftlichen bzw. gewerblichen Vermögensmassen, welche Erträgnisse abwarfen, zum Gesamtgut gehörten, so daß auch die Erträgnisse schon ihrem Ursprung nach dem Gesamtgut zuzurechnen waren; demgegenüber war das Rentenstammrecht der Ehefrau des Klägers nicht Gesamtgut, sondern Sondergut der Versicherten. Es war untrennbar mit ihrer Person verbunden, fiel mit ihrem Tode weg und ist, weil die monatlichen Rentenzahlungen daraus den überwiegenden Teil des Familienunterhalts ausgemacht haben, nach dem Sinn des Gesetzes durch eine Hinterbliebenenrente zu ersetzen.
Die Verstorbene hat den Unterhalt der Familie aber auch des wegen überwiegend bestritten, weil sie - nach den Feststellungen des LSG - umfangreichere und in ihrem Geldwert höher zu veranschlagende Hausarbeiten verrichtet hat als der seinerzeit bereits über 80 Jahre alte Kläger. Diese Arbeiten sind in ihrem Geldwert, wie das Bundesverfassungsgericht für die Zeit nach dem 31. März 1953 durch Urteil vom 24. Juli 1963 entschieden (SozR Nr. 52 zu Art. 3 GG) und danach auch das Bundessozialgericht wiederholt ausgesprochen hat (SozR Nrn. 3 und 4 zu § 1266 RVO), bei der Beurteilung der Unterhaltsleistungen der Ehegatten mit einzubeziehen. Selbst wenn man also- entgegen der vom Senat vertretenen Auffassung - wegen der zwischen den Ehegatten vereinbarten Gütergemeinschaft die beiderseitigen Renteneinkommen jedem zur Hälfte zurechnen wollte, würde sich unter Bewertung der Hausarbeiten ein Übergewicht in der Unterhaltsleistung zugunsten der Versicherten ergeben.
Nach alledem hat die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten und somit der Kläger Anspruch auf Witwerrente. Die Revision der Beklagten ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen