Leitsatz (amtlich)
1. Solange die Statistiken noch nicht das zahlenmäßige Verhältnis der Teilzeitarbeitsplätze zu den Interessenten für Teilzeitarbeitsplätze iS der Beschlüsse des GrS vom 1969-12-11 (GS 4/69 und GS 2/68) hinreichend genau erkennen lassen, kann die Entscheidung, daß der Arbeitsmarkt für den Versicherten offen oder verschlossen ist, auch ohne diese Kenntnis getroffen werden, wenn die Ermittlungen ergeben, daß der Versicherte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Gruppe derjenigen gehört, für die das Verhältnis dieser Zahlen günstiger als 75 : 100 ist (offener Teilzeitarbeitsmarkt), oder daß er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Gruppe derjenigen gehört, für die das Verhältnis dieser Zahlen ungünstiger als 75 : 100 ist (verschlossener Teilzeitarbeitsmarkt).
2. Solange die Statistiken noch keine hinreichende zahlenmäßige Grundlage für die Entscheidung ergeben, ob für eine Teilzeitarbeitskraft, die zusätzlich zu der zeitlichen Arbeitseinschränkung noch weiteren Arbeitseinschränkungen unterliegt, der Arbeitsmarkt iS der Beschlüsse des GrS des BSG vom 1969-12-11 (GS 4/69 und GS 2/68) "stark" eingeschränkt ist, kann dies angenommen werden, wenn die Ermittlungen ergeben, daß der Versicherte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht auf einen offenen Teilzeitarbeitsplatz vermittelt werden kann.
3. Ergeben die Ermittlungen, daß der Versicherte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen offenen Teilzeitarbeitsplatz des örtlichen Wirtschaftsgebietes vermittelt werden kann, ist der Teilzeitarbeitsmarkt als offen iS der Beschlüsse des GrS des BSG vom 1969-12-11 (GS 4/69 und GS 2/68) anzusehen.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 2. Juni 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
Die am 12. Mai 1915 geborene Klägerin, die mit ihrem 1904 geborenen Ehemann, der Altersrentner ist, seit 1948 in Berlin (West) lebt, begehrt von der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit.
Die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, war von Oktober 1955 bis Dezember 1960 als Arbeiterin, von Juli 1961 bis März 1966 als Verkäuferin, im Mai 1966 als Wäschereiarbeiterin und bis zum 17. September 1969 als Montiererin in einem Kabelwerk beschäftigt. Am 18. September 1969 ist sie arbeitsunfähig erkrankt und danach nicht wieder erwerbstätig gewesen. Für die Klägerin sind mehr als 60 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet worden.
Im Oktober 1969 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 19. Februar 1970 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil die Klägerin weder erwerbs- noch berufsunfähig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage blieb erfolglos.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des Sozialgerichts (SG) aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Februar 1970 verurteilt, der Klägerin vom 1. November 1969 an Erwerbsunfähigkeitsrente zu gewähren. Das LSG hat angenommen, die Klägerin sei erwerbsunfähig, obwohl ihr alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts zumutbar seien. Die Klägerin sei gesundheitlich nur noch in der Lage, halbschichtig tätig zu sein. Zusätzlich sei sie in zahlreichen - näher beschriebenen - körperlichen Funktionen behindert und dadurch in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Das LSG ist auf Grund dieser Feststellungen zu dem Ergebnis gekommen, der Klägerin sei der Arbeitsmarkt im Sinne der Beschlüsse des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Dezember 1969 - GS 4/69 und GS 2/68 - praktisch verschlossen. Das sei mindestens seit dem IV. Quartal 1971 der Fall gewesen, wenn man die Verhältnisse auf dem einheitlichen Teilzeitarbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland für Frauen zugrunde lege. Jedoch seien die Verhältnisse auf dem Teilzeitarbeitsmarkt in Berlin (West) maßgebend, zumal der Klägerin wegen des Alters ihres Ehemannes ein Umzug an einen anderen Ort nicht zugemutet werden könne. Dieser Teilzeitarbeitsmarkt sei für Frauen, die lediglich in ihrer zeitlichen Einsatzfähigkeit beschränkt seien, offen. Der Arbeitsmarkt sei aber speziell für die Klägerin verschlossen, weil zusätzlich zu den zeitlichen noch zahlreiche weitere Arbeitseinschränkungen vorlägen. Der Teilzeitarbeitsmarkt sei daher für die Klägerin "stark" eingeschränkt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision der Beklagten. Sie hält die Begründung des angefochtenen Urteils insoweit für unzutreffend, als sie die Frage betrifft, ob der Teilzeitarbeitsmarkt für die Klägerin offen oder verschlossen im Sinne der Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 11. Dezember 1969 ist. Nach diesen Beschlüssen sei es nicht allgemein zulässig, die Ermittlungen auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken. Solche Auskünfte könnten zwar ausreichend sein, doch komme die Beschränkung auf Auskünfte der Arbeitsverwaltung nur in Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall liege hier aber nicht vor. Im übrigen könne es auf die Auskünfte der Arbeitsverwaltung nicht entscheidend ankommen, weil diese ohnehin über die Zahl der vorhandenen Teilzeitarbeitsplätze keine Auskunft geben könne, da ihr solche von den Arbeitgebern nicht gemeldet würden. Im vorliegenden Fall sei eine Auskunft der Arbeitsverwaltung, die auf die bei der Klägerin bestehenden Leistungseinschränkungen abzustellen gewesen wäre, auch nicht eingeholt worden. Das LSG habe sich vielmehr damit begnügt, Auskünfte aus anderen Rechtsstreitigkeiten zu verwerten. Zumindest hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, die dort aufgezeigten anderweitigen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Keinesfalls aber reiche die Beschränkung auf nicht verwertbare Auskünfte der Arbeitsverwaltung, die auf Grund der Leistungsvermögen anderer Versicherter erteilt worden seien, aus, um den in der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast umzukehren. Die Annahme des LSG, es möge sein, daß vereinzelt Teilzeitarbeitsplätze, die dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprächen, vorkämen, stehe der Schlußfolgerung entgegen, daß der Klägerin der Teilzeitarbeitsmarkt in Berlin (West) praktisch verschlossen sei. Einmal handele es sich hinsichtlich der Zahl der Teilzeitarbeitsplätze ganz offenbar nur um eine Vermutung, zum anderen könnten weitere Ermittlungen gerade insoweit förderlich sein und zeigen, welche Anforderungen im einzelnen die vorhandenen Frauen-Teilzeitarbeitsplätze stellten bzw. in welchem tatsächlichen Ausmaß solche dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprächen. Die Feststellung des LSG, bis zum Ende des IV. Quartals 1971 seien nach den von der Bundesanstalt für Arbeit veröffentlichten Zahlen die Zahl der Teilzeitarbeit suchenden Frauen erheblich gestiegen, das Stellenangebot dagegen in etwa gleichem Umfang - also zu einem anderen Verhältnis als 75:100 - zurückgegangen, und diese Entwicklung habe auch noch am Ende des I. Quartals 1972 bestanden, halte zudem einer Nachprüfung nicht stand. Die Klägerin sei im übrigen mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen in der Lage, sowohl einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden als auch noch die sogenannte Lohnhälfte zu verdienen. Dafür, daß etwa nur vereinzelt dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprechende Teilzeitarbeitsplätze vorhanden sein könnten, fänden sich keine Anhaltspunkte. Es sei zuzugestehen, daß für die Klägerin nur ein eingeschränkter Teil des Arbeitsmarktes in Betracht komme, und zwar insofern, als sie nur für bestimmte manuelle Hilfsarbeiten geeignet sei. Ob hierdurch aber eine starke Einschränkung im Sinne des Großen Senats des BSG zutage trete, erscheine zweifelhaft. Auch insoweit könnten weitergehende Ermittlungen endgültige Klarheit bringen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Berlin zurückzuverweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt und zu der Revision der Beklagten nicht Stellung genommen.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet, denn das LSG hat die Beklagte mit Recht verurteilt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. November 1969 an zu gewähren. Die Klägerin ist nach der im Ergebnis zutreffenden Ansicht des LSG erwerbsunfähig.
Die Beklagte hat die Feststellungen des LSG über die Arbeitsfähigkeit der Klägerin nicht angegriffen, so daß der Senat von diesen auszugehen hat. Danach ist die Klägerin gesundheitlich nur noch in der Lage, halbschichtig tätig zu sein. Abgesehen von dieser zeitlichen Einschränkung kann die Klägerin Tätigkeiten, die überwiegend im Gehen und Stehen zu verrichten sind, ebensowenig verrichten wie Tätigkeiten, die den Rumpf durch Bücken, Knien oder Hocken beanspruchen. Ebenso kann die Klägerin keine Tätigkeiten ausüben, die ein Anheben oder Tragen von mehr als 2 kg schweren Lasten erfordern. Weitere Einschränkungen liegen darin, daß die Klägerin keine Tätigkeiten verrichten kann, die mit großräumigen Greif- und Haltevorgängen des Arms oder mit einem gleichmäßig wiederkehrenden Bewegungsablauf der Arme und Hände verbunden sind. Hinzu kommt, daß die Klägerin nach den Feststellungen des LSG keine Tätigkeiten ausführen kann, die ausschließlich im Sitzen auszuüben sind; sie muß vielmehr die Möglichkeit haben, zwischenzeitlich die sitzende Tätigkeit durch Aufstehen oder Gehen kleinerer Strecken zu unterbrechen. Weiterhin kann die Klägerin nur in geschlossenen, gut temperierten Räumen arbeiten. Akkord-, Fließband-, Nacht-und Schichtarbeiten sind ihr medizinisch nicht zuzumuten. Außerdem darf sie keine Arbeiten verrichten, die mit Treppensteigen verbunden sind oder auf Leitern ausgeübt werden. Ebenso soll sie an laufenden Maschinen, soweit es sich nicht um betont leicht zu bedienende Maschinen handelt, nicht eingesetzt werden. Streitig allein ist, ob der allgemeine Teilzeitarbeitsmarkt für die Klägerin im Sinne der Beschlüsse des Großen Senats vom 11. Dezember 1969 offen oder verschlossen ist. Die Revision der Beklagten wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des LSG, der Arbeitsmarkt sei für die Klägerin verschlossen. Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, die Klägerin sei ungelernte Arbeiterin, so daß ihr alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zumutbar seien.
Dem LSG kann allerdings nicht zugestimmt werden, wenn es den Arbeitsmarkt von Berlin (West) als maßgebend für die Entscheidung ansieht, ob der Arbeitsmarkt für die Klägerin offen oder verschlossen ist. Da die Klägerin zu der Gruppe derjenigen Teilzeitarbeiterinnen gehört, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig tätig sein können, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Gesamt-Teilzeitarbeitsmarkt des Bundesgebiets und nicht der örtliche Teilzeitarbeitsmarkt maßgebend. Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Ebensowenig wie es je zweifelhaft gewesen ist, daß bei vollschichtigen Tätigen der Gesamt Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland und nicht nur der örtliche Arbeitsmarkt für die Frage der Verweisung eines Versicherten maßgebend ist, kann dies bei Versicherten der Fall sein, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können. Nur dann ist eine einheitliche Rechtsanwendung für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für diese Gruppe von Teilzeitarbeitskräften sichergestellt. Anderenfalls würde eine Zersplitterung der Rechtsanwendung eintreten, da Versicherte mit denselben Berufen und den gleichen Leistungseinschränkungen je nach ihrem Wohnort Rente erhalten oder nicht erhalten würden. Manipulationen wären nicht auszuschließen. Von diesem Grundsatz kann freilich, wie bereits der Große Senat des BSG ausgeführt hat, in besonders gelagerten Ausnahmefällen abgewichen werden. Das LSG glaubt, den Grund für eine solche Ausnahme in dem Alter des Ehemannes der Klägerin sehen zu können. Es ist richtig, daß das Alter eines Versicherten ein solcher Grund sein könnte, weil es in aller Regel für einen Versicherten im höheren Alter ohnehin kaum noch möglich ist, einen Teilzeitarbeitsplatz zu finden. Auch das Alter des Ehegatten des Versicherten, der eine Berufstätigkeit ausübt, könnte zu demselben Ergebnis führen, wenn der Ehegatte durch seine Berufstätigkeit die Familie zumindest wesentlich unterhält. Doch trifft dieser Grund im vorliegenden Fall nicht zu, weil der Ehemann der Klägerin nicht mehr berufstätig ist, sondern eine Altersrente bezieht, die ihm an jedem Ort der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt würde. Es ist also im vorliegenden Fall allein der Gesamt-Teilzeitarbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland maßgebend.
Das LSG hat, obwohl es den Arbeitsmarkt von Berlin (West) als maßgebend ansieht, auch den Gesamt-Teilzeitarbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland dahin untersucht, ob er für eine ungelernte Arbeiterin, die lediglich zeitlich in ihrer Arbeitseinsatzmöglichkeiten beschränkt ist, offen oder verschlossen ist; es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß er verschlossen ist. Die Beklagte greift die dieser Annahme zugrunde liegenden Feststellungen an. Ihre Rüge, das LSG habe insoweit seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es weitere Ermittlungen unterlassen habe, greift jedoch nicht durch. In einem Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz muß das Tatsachengericht die Beweise erheben, die es für erforderlich hält. Es steht ihm also grundsätzlich selbst die Entscheidung zu, ob und welche Ermittlungen es anstellt. Das Revisionsgericht kann bei der Prüfung, ob das LSG gegen seine Amtsermittlungspflicht verstoßen hat, nicht an die Stelle des Tatsachengerichts treten, sondern kann lediglich prüfen, ob sich das Tatsachengericht von seinem Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen. Dem Tatsachengericht steht also insoweit ein Spielraum zu. Zwar würde ein Tatsachengericht seine Amtsermittlungspflicht verletzen, wenn es unterließe, bei der Klärung der hier maßgebenden Frage eine Auskunft der nach den Beschlüssen des Großen Senats zuständigen Arbeitsbehörde einzuholen. Die Arbeitsverwaltung ist nicht nur die gesetzlich für die Beobachtung des Arbeitsmarktes zuständige Stelle, sondern sie allein besitzt die Erfahrungen auf diesem Gebiet, die für die Erteilung von Auskünften dieser Art erforderlich sind. Zuständige Arbeitsbehörde ist bei Versicherten, die nur noch weniger als halbschichtig tätig sein können und deshalb nur auf den örtlichen Arbeitsmarkt verwiesen werden können, das zuständige Arbeitsamt. Bei Versicherten, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können, für die also der Gesamt-Teilzeitarbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland maßgebend ist, ist dies dagegen die Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. In geeigneten Fällen muß es allerdings als ausreichend angesehen werden, wenn das Tatsachengericht bereits vorliegende Auskünfte der zuständigen Arbeitsbehörde für vergleichbare Fälle, falls sie zeitlich noch nicht zu lange zurückliegen, verwertet. Diesen Anforderungen ist im vorliegenden Fall das LSG nachgekommen. Dem Tatsachengericht steht es natürlich frei, zusätzlich Auskünfte von anderen Stellen einzuholen. Als solche kommen, wenn - wie hier - der Gesamt-Teilzeitarbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland maßgebend ist, nur andere zentrale Stellen in Betracht. Nach allen bisherigen Erfahrungen sind diese Stellen jedoch nicht in der Lage, die Frage nach dem offenen oder verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Beschlüsse des Großen Senats, vor allem soweit es sich um die nach der Zahl derjenigen Arbeitnehmer handelt, die einen offenen Teilzeitarbeitsplatz suchen, hinreichend zu beantworten, weil es nicht zu ihren Aufgaben gehört, den Arbeitsmarkt zu beobachten. Deshalb verstößt ein Tatsachengericht nicht gegen seine Amtsermittlungspflicht, wenn es solche Ermittlungen unterläßt. Richtig ist zwar, daß auch die Arbeitsverwaltung nach den bisher vorliegenden Statistiken zur Zeit noch nicht in der Lage ist, die genaue Zahl der an einem Teilzeitarbeitsplatz interessierten Arbeitnehmer und die genaue Zahl der Teilzeitarbeitsplätze zu geben, doch besteht Aussicht, daß sie die Ergebnisse der zur Zeit im Aufbau begriffenen Betriebsstatistik, die voraussichtlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1974 erstmals zur Verfügung stehen werden, in die Lage versetzen werden, genauere Auskünfte über den Teilzeitarbeitsmarkt zu geben. Immerhin ist die Arbeitsverwaltung auch heute schon in der Lage, durch Verwertung eigener und fremder Statistiken, sonstiger Unterlagen und durch Verwertung ihrer besonderen Kenntnisse und Arbeitsmarkterfahrungen hinreichende Auskünfte für Fälle zu erteilen, die im Sinne der Beschlüsse des Großen Senats vom 11. Dezember 1969 deutlich in der einen oder der anderen Richtung liegen. Solange die Statistiken noch nicht das zahlenmäßige Verhältnis der Teilzeitarbeitsplätze zu den Interessenten für Teilzeitarbeitsplätze im Sinne der Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 11. Dezember 1969 (GS 4/69 und GS 2/68) hinreichend genau erkennen lassen, kann die Entscheidung, daß der Arbeitsmarkt für den Versicherten offen oder verschlossen ist, auch ohne diese Kenntnis getroffen werden, wenn die Ermittlungen ergeben, daß der Versicherte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Gruppe derjenigen gehört, für die das Verhältnis dieser Zahlen günstiger als 75:100 ist (offener Teilzeitarbeitsmarkt), oder daß er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Gruppe derjenigen gehört, für die das Verhältnis dieser Zahlen ungünstiger als 75:100 ist (verschlossener Arbeitsmarkt). Nach diesen Grundsätzen können in der Regel die Fälle entschieden werden, die deutlich in der einen oder in der anderen Richtung liegen. In den Fällen aber, in denen die zuständige Arbeitsbehörde eine solche Auskunft nicht geben kann, muß nach der Rechtsprechung des BSG der Arbeitsmarkt für den Versicherten als verschlossen angesehen werden. Wenn die Arbeitsverwaltung, die gesetzlich die Aufgabe hat, den Arbeitsmarkt zu beobachten, nicht in der Lage ist, einen ausreichenden Überblick über den Teilzeitarbeitsmarkt zu gewinnen, ist sie auch nicht in der Lage, insoweit der Aufgabe der Arbeitsvermittlung in hinreichendem Maße nachzukommen. Der Versicherte, der noch weit weniger als die Arbeitsverwaltung einen Überblick über den Arbeitsmarkt haben kann, wird also in diesen Fällen nur mehr oder weniger zufällig einen für ihn offenen Arbeitsplatz finden. Kann er ihn nicht finden, so muß in diesen Fällen der Arbeitsmarkt als verschlossen angesehen werden.
Die Beklagte greift zwar die Beweiswürdigung hinsichtlich der Frage an, ob der Gesamt-Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland für einen Versicherten verschlossen ist, der nur noch halbschichtig bis unter vollschichtig tätig sein kann. Ob diese Rüge durchgreift, kann letztlich dahingestellt bleiben. Dem LSG ist jedenfalls darin zuzustimmen, daß bei der Beurteilung des Arbeitsmarkts für einen nur zeitlich in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkten Versicherten diejenigen Teilzeitarbeitsplätze außer Betracht bleiben müssen, die nach allgemeiner Erfahrung nicht für Versicherte solcher Art in Betracht kommen, weil diese zu ihrer Verrichtung beruflich oder gesundheitlich nicht fähig sind oder weil diese Arbeitsplätze praktisch nur Betriebsangehörigen zur Verfügung stehen. Ob die Beweiswürdigung des LSG zu der genannten Frage im übrigen der Nachprüfung standhält, ist für den vorliegenden Fall nicht von entscheidender Bedeutung. Denn für die Klägerin ist der Arbeitsmarkt nach der zutreffenden Ansicht des LSG schon deshalb verschlossen, weil er für sie wegen der weiteren zahlreichen Arbeitseinschränkungen, denen sie zusätzlich zu der zeitlichen Arbeitseinschränkung unterliegt, als "stark" eingeschränkt im Sinne der o. a. Beschlüsse des Großen Senats angesehen werden muß. Auch soweit es sich um diese Frage handelt, ob für einen Versicherten, der zusätzlich zu der zeitlichen Arbeitseinschränkung weiteren Arbeitseinschränkungen unterliegt, der Arbeitsmarkt im Sinne der Beschlüsse des Großen Senats "stark" eingeschränkt ist (vgl. dazu SozR Nr. 93 zu § 1246 RVO), reichen die bisher vorliegenden Statistiken nicht aus, um eine hinreichende zahlenmäßige Grundlage für eine solche Entscheidung zu geben. Auch insoweit besteht die Hoffnung, daß die im Aufbau begriffene Betriebsstatistik für diese Entscheidung eine bessere zahlenmäßige Grundlage bringen wird. Solange dies jedoch noch nicht der Fall ist, kann der Arbeitsmarkt für einen Versicherten als "stark" eingeschränkt im Sinne dieser Beschlüsse angesehen werden, wenn die Ermittlungen ergeben, daß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht damit zu rechnen ist, daß der Versicherte auf einen offenen Teilzeitarbeitsplatz vermittelt werden kann. Die Frage, ob eine solche Vermittlungsmöglichkeit besteht, kann naturgemäß nur die Arbeitsverwaltung beantworten. Kann nicht festgestellt werden, daß der Arbeitsmarkt für einen Versicherten "stark" eingeschränkt ist, so geht dies nach den allgemeinen Beweislastregeln zu Lasten desjenigen, der seinen Anspruch hierauf stützt, d. h. zu Lasten der Kläger (vgl. SozR Nr. 93 zu § 1246 RVO).
Wenn auch die Frage, ob der Arbeitsmarkt für die Versicherte "stark" eingeschränkt ist, nach diesen Grundsätzen in erster Linie dann bejaht werden kann, wenn die Ermittlungen ergeben, daß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht damit gerechnet werden kann, daß der Versicherte noch auf einen offenen Teilzeitarbeitsplatz vermittelt werden kann, so bestehen doch im vorliegenden Fall angesichts des Alters und der zahlreichen zusätzlichen Funktionseinschränkungen der Klägerin keine Bedenken dagegen, daß das LSG ausnahmsweise bereits auf Grund dieser Tatsachen und unter Heranziehung von Auskünften der Arbeitsverwaltung in ähnlich gelagerten Fällen zur Annahme einer "starken" Einschränkung des Arbeitsmarktes gekommen ist. Die von der Beklagten insofern erhobenen Rügen greifen nicht durch. Für eine Versicherte dieses Alters, die nur noch halb- bis unter vollschichtig arbeiten kann und die durch so zahlreiche Behinderungen der körperlichen Funktionsfähigkeit in der Arbeitsfähigkeit beschränkt ist, kann das Gericht, gestützt auf die Auskünfte der Arbeitsbehörde zu dem Ergebnis kommen, daß der Arbeitsmarkt im Sinne der Beschlüsse des Großen Senats "stark" eingeschränkt ist, auch wenn die Auskünfte nur für ähnlich gelagerte Fälle zur Verfügung stehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es bei dieser Entscheidung nicht darauf an, ob es den einen oder anderen Teilzeitarbeitsplatz gibt, den die Klägerin, falls er offen wäre, ausfüllen könnte, sondern entscheidend ist allein eine Gesamtbetrachtung des maßgebenden Teilzeitarbeitsmarktes (vgl. SozR Nr. 93 zu § 1246 RVO).
Eine ganz andere Frage ist die, ob der Teilzeitarbeitsmarkt, obwohl er nach den genannten Grundsätzen als verschlossen angesehen werden müßte, doch ausnahmsweise deshalb als offen anzusehen ist, weil der Versicherte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen offenen Arbeitsplatz vermittelt werden könnte. Schon nach der bisherigen Rechtsprechung ist der Arbeitsmarkt für einen Versicherten dann offen, wenn dieser einen Teilzeitarbeitsplatz innehat oder wenn ihm ein geeigneter Teilzeitarbeitsplatz-erfolglos-angeboten worden ist, gleichgültig, von welcher Stelle. Diesen beiden Fällen ist wegen der vergleichbaren Interessenlage der Fall gleichzustellen, in welchem dem Versicherten bei entsprechender Bemühung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von der Arbeitsvermittlung ein geeigneter offener Teilzeitarbeitsplatz angeboten worden wäre. Der Versicherte, der einer möglichen Arbeitsvermittlung aus dem Wege geht, kann nicht besser behandelt werden als der Versicherte, der einen angebotenen Arbeitsplatz abgelehnt hat. Zu den Aufgaben der Gerichte gehört es natürlich nicht, dem Versicherten einen Arbeitsplatz nachzuweisen. Jedoch kann das Gericht - ebenso der Versicherungsträger im Verwaltungsverfahren - in den Fällen, in denen die Ermittlungen ergeben, daß der Versicherte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen offenen Teilzeitarbeitsplatz des örtlichen Wirtschaftsgebiets vermittelt werden kann, den Arbeitsmarkt für diesen als offen ansehen. Man muß sich allerdings darüber klar sein, daß eine entsprechende Auskunft nur vom örtlich zuständigen Arbeitsamt gegeben werden kann. Im vorliegenden Fall sind allerdings keine Anhaltspunkte für die Annahme ersichtlich, daß ein solcher Fall vorliegt.
Nach alledem ist die Revision der Beklagten unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen