Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Einkommensausgleichs nach § 17 BVG aF bei Einkommen aus Gewerbebetrieb
Leitsatz (amtlich)
Das Kalenderjahr vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit oder dem Beginn der stationären Behandlung ist für die Ermittlung des Nettoeinkommens eines Gewerbetreibenden nach BVG § 17 Abs 3 idF vom 1966-12-28 (KOVNOG 3, BGBl I 1966, 750) auch dann maßgebend, wenn der Beschädigte in diesem Jahr mit Verlust abgeschlossen hat.
Orientierungssatz
1. Einkünfte aus dem Jahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat, bleiben hierbei ebenso unberücksichtigt wie die Tatsache, daß der Gewerbetreibende wegen der Arbeitsunfähigkeit Mindereinnahmen hinnehmen mußte.
2. Läßt sich der vom Beschädigten im maßgebenden Kalenderjahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erwirtschaftete Verlust aus Gewerbebetrieb zahlenmäßig genau ermitteln, kann das Nettoeinkommen nicht nach § 17 Abs 6 BVG idF des KOVNOG 3 unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse festgesetzt werden.
Normenkette
BVG § 17 Abs 1 Fassung: 1966-12-28; BVG § 17 Abs 3 Fassung: 1966-12-28; BVG § 17 Abs 6 Fassung: 1966-12-28
Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 15.11.1978; Aktenzeichen S 11 V 1613/76) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt einen Einkommensausgleich. Er wurde vom 26. März bis 15. Mai 1973 wegen Schädigungsfolgen stationär behandelt und war anschließend bis zum 17. Juni 1973 wegen der Schädigungsfolgen noch arbeitsunfähig.
Er ist selbständiger Metzgermeister. In seinem Gewerbebetrieb arbeitete er im Kalenderjahr 1972 mit einem Verlust von 9.420,-- DM.
Das Versorgungsamt lehnte den Antrag des Klägers ab, weil der Einkommensteuerbescheid einen Verlust ausweise. Sonderausgaben und sonstige Lasten, welche bei Nichtabzug einen steuerrechtlichen Verlust in Gewinn hätten verwandeln können, seien nicht nachgewiesen. Der Kläger habe 1972 keine Sonderausgaben und betriebsbezogenen Investitionen zu verzeichnen gehabt.
Der Kläger machte demgegenüber geltend, ein Vermögensverlust sei nicht gleichbedeutend mit einem Einkommensverlust und ein Gewinn oder ein Verlust in der Bilanz nicht identisch mit einem Nettoeinkommen; er habe durch seinen stationären Aufenthalt in dem Krankenhaus und seine anschließende Arbeitsunfähigkeit einen höheren Verlust erlitten, als wenn er in seinem Betrieb hätte bleiben können.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung und die Sprungrevision zugelassen.
Der Kläger hat Revision eingelegt. Er trägt vor: Das SG habe § 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) aF unzutreffend ausgelegt. Er sei für einen Zeitraum von beinahe drei Monaten als Betriebsleiter und Arbeitskraft ausgefallen, das habe im Ergebnis zu Mindereinnahmen führen müssen. Darüber hinaus habe er während der strittigen Zeit eine zusätzliche Aushilfskraft beschäftigen und anderen Arbeitskräften wegen längerer Arbeitszeit mehr Löhne zahlen müssen. Unter diesen Umständen wäre es unbillig, ihm einen Einkommensausgleich zu versagen. Es sei daher zu prüfen, ob sein Nettoeinkommen nicht nach § 17 Abs 6 BVG aF zu bestimmen sei, weil der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1972 kein Einkommen ausweise. Im übrigen treffe es auch nicht allgemein zu, daß der in einem Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Verlust im Gewerbebetrieb grundsätzlich die Annahme eines Einkommens ausschließe und stets eine Substanzeinbuße und damit einen Vermögensverlust bedeute; so könnten Investitionen und andere Maßnahmen des Gewerbebetriebes (zB Ausbau und Modernisierung des Betriebes, Ankauf neuer Maschinen, Vergrößerung der Vorratshaltung, Erweiterung des Sortiments) steuerrechtlich zwar einen Verlust zur Folge haben, sie führten aber regelmäßig nicht zu einer Substanzeinbuße, sondern vielmehr zu dem Gegenteil.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts
und des Bescheides des Beklagten vom 24. Juli 1975
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
6. September 1976 den Beklagten zu verurteilen,
dem Kläger für die Zeit vom 26. März 1973 bis
17. Juni 1973 einen Einkommensausgleich zu
gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das SG hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Einkommensausgleich verneint.
Als Grundlage für den Anspruch des Klägers käme § 17 Abs 1 und Abs 3 BVG idF des 3. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechtes (3. NOG KOV) vom 28. Dezember 1966 (BGBl I S 750) in Betracht. § 17 Abs 1 BVG bestimmt, ein Beschädigter, der wegen Schädigungsfolgen arbeitsunfähig wird oder dem wegen solcher Gesundheitsstörungen eine Krankenhausbehandlung gewährt wird, erhält einen Einkommensausgleich nach Maßgabe der folgenden Vorschriften. Nach den unbeanstandeten Feststellungen des SG ist der Kläger in der Zeit vom 26. März bis 15. Mai 1973 wegen Schädigungsfolgen in einem Krankenhaus behandelt worden und anschließend wegen dieser Folgen bis zum 17. Juni 1973 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Indessen steht dem Kläger für diese Zeit ein Einkommensausgleich nicht zu, weil im Jahre 1972 sein Gewerbebetrieb mit Verlust gearbeitet hat. Der Einkommensausgleich richtet sich nach dem Nettoeinkommen, das der Beschädigte vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielt hat (§ 17 Abs 2 BVG aF). Für die Ermittlung des Nettoeinkommens ist, wenn der Beschädigte Einkommen aus Gewerbebetrieb erzielt hat, grundsätzlich der Durchschnitt des in dem Kalenderjahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielten Einkommens maßgebend (§ 17 Abs 3 BVG aF). Mit Recht hat die Versorgungsverwaltung darauf bestanden, für die Ermittlung des Nettoeinkommens von dem Jahre 1972 auszugehen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 7. November 1979 - 9 RV 22/78 - ausgeführt hat, läßt es der Wortlaut des Gesetzes nicht zu, die Einkünfte aus dem Jahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat, zugrunde zu legen, wenn in dem vorangegangenen Jahr der Gewerbebetrieb keinen Gewinn, sondern einen Verlust erwirtschaftet hat. Das Gesetz stellt es bei Gewerbetreibenden darauf auf, den Einkommensverlust aus dem Vergleich eines Einkommens vor dem Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und dem während der Arbeitsunfähigkeit zu berechnen (§ 17 Abs 2, 3 und 5 BVG aF) und nicht fiktiv zu ermitteln (vgl dazu § 17 Abs 4 Buchst c BVG aF), wie hoch das Einkommen ohne die Arbeitsunfähigkeit gewesen wäre und dieses mit dem tatsächlichen Einkommen zu vergleichen. Demnach ist es ohne Bedeutung für die Errechnung des Nettoeinkommens, daß der Kläger fast drei Monate in seinem Betrieb nicht hat arbeiten können.
Der Vortrag des Klägers, der in einem Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Verlust aus Gewerbebetrieb schließe nicht aus, daß tatsächlich ein Nettoeinkommen erzielt worden sei, ist nicht hilfreich. Insbesondere deuten die angeführten Beispiele der Revisionsbegründung nicht darauf hin, daß der Einkommensteuerbescheid eine unbrauchbare Grundlage für die Ermittlung des Nettoeinkommens sei. Nach § 2 Abs 2 Nr 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Gewinn. Als Gewinn ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen definiert (§ 4 Abs 1 Satz 1 EStG). Eine Vergrößerung der Vorratshaltung oder eine Erweiterung des Sortiments würden damit auf den Gewinn keinen Einfluß haben, sondern lediglich eine Verschiebung zwischen Vergrößerung des Warenbestandes und Verringerung etwa des Geldbestandes bewirken. Etwas anders liegen die Dinge allerdings, wenn als Gewinn der Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben nach § 4 Abs 3 EStG anzusetzen ist. Darüber hinaus hat jedoch die Versorgungsverwaltung und mit ihr das SG unangefochten festgestellt, daß Sonderausgaben und sonstige Lasten, die bei Nichtabzug einen steuerrechtlichen Verlust in Nettoeinkommen iS des § 17 Abs 2 und 3 BVG aF hätten verwandeln können, nicht aufgeführt sind. Diese wären möglicherweise - das kann jedoch dahinstehen - entsprechend der Vorschrift in § 8 Abs 1 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG bei der Ermittlung des Nettoeinkommens abweichend vom Steuerbescheid zu berücksichtigen. Die Revision hat derartige Gründe jedoch nicht geltend gemacht.
Des weiteren ist das Nettoeinkommen des Klägers nicht gemäß § 17 Abs 6 BVG aF unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse festzusetzen. Dies ist nach dem klaren Ausdruck des Gesetzes nur möglich, wenn sich das Einkommen des Beschädigten aus Gewerbebetrieb zahlenmäßig nicht ermitteln läßt. Damit ist deutlich ausgedrückt, daß ein Ausweg dort gegeben ist, wo es nicht möglich ist, die allgemeine Regelung anzuwenden. Dahin ist auch die Ausnahme in den Verwaltungsvorschriften zu § 17 BVG aF Nr 9 zu verstehen, daß bei einem Beschädigten, der Einnahmen aus Gewerbebetrieb erzielt, in dem Kalenderjahr, das der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangen ist, noch keine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat, das Nettoeinkommen aus der genannten Einkunftsart im Kalenderjahr der Arbeitsunfähigkeit zugrunde zu legen ist. In diesen Fällen ist es nicht möglich - wie in den in § 17 Abs 6 BVG aF angesprochenen Fällen - das Einkommen zahlenmäßig zu ermitteln. Der Verlust des Klägers im Jahre vor der Arbeitsunfähigkeit ist zahlenmäßig jedoch genau zu ermitteln. Es ergibt sich daher kein "positives Nettoeinkommen", aus dem ein positiver Einkommensausgleich zu errechnen wäre (vgl BSG vom 22. Februar 1967 - 8 RV 1033/65 - in SozEntsch 2. Folge BSG IV/3 § 17 Nr 2 und Urteil des Senats vom 7. November 1979).
Der Senat vermag schließlich nicht davon auszugehen, daß das Gesetz eine Lücke für eine Fallgestaltung wie die vorliegende aufweist. Zwar hat der Senat in einem anderen Zusammenhang, nämlich dem der Mitarbeit des Beschädigten im Gewerbebetrieb der Ehefrau, angenommen, daß die Regelung in § 17 BVG aF nicht dem Plan des Gesetzes genüge (Urteil vom 30. Oktober 1973 - 9 RV 64/73 = BSGE 36, 229 = Familienrechtszeitung 1975 S 95 mit Anmerkung Grasmann S 98). Eine Planwidrigkeit ist hier jedoch nicht zu erkennen. Vielmehr ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien eindeutig, daß den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen bekannt war, wie Unstimmigkeiten deshalb aufzutreten vermöchten, weil das Nettoeinkommen aus einem zurückliegenden Zeitraum errechnet werden sollte (vgl Kurzprotokoll der 35. Sitzung des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vom 27. April 1960 Seiten 8-11). Gleichwohl ist dieser Zeitabschnitt gewählt worden, um eine feste Grundlage für die Berechnung zu erhalten, die insbesondere in einem vorliegenden Einkommensteuerbescheid gesehen wurde. In der Vorschrift, die seit dem Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) den entsprechenden Sachverhalt regelt (§ 16b Abs 1 Satz 2 BVG nF), heißt es, "Bemessungszeitraum ist das letzte Jahr, für das ein Einkommensteuerbescheid vorliegt". Dabei nimmt der Gesetzgeber sogar in Kauf, daß eine noch weiter zurückliegende Zeit als das Jahr unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit für die Berechnung des Übergangsgeldes, das an die Stelle des Einkommensausgleichs getreten ist, zugrunde gelegt wird.
Der Gesetzgeber ist berechtigt, derartig typisierende Regelungen vorzunehmen, auch wenn dadurch im Einzelfall gewisse Härten entstehen, die sich aber in tragbarem Rahmen halten (vgl BVerfGE 26, 265, 275; 48, 346, 361).
Das angefochtene Urteil bleibt demnach aufrecht erhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen