Leitsatz (amtlich)
Hauer iS der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau wird der Neubergmann ohne Knappen- oder Hauerprüfung erst dann, wenn ihm die in der Lohnordnung dafür vorgesehene schriftliche Bestätigung vom Betrieb erteilt worden ist oder ihm diese nach dem objektiven Wert seiner im Bergbau ausgeführten Arbeiten hätte erteilt werden müssen.
Normenkette
RKG § 45 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 19.10.1982; Aktenzeichen L 15 Kn 120/80) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 02.09.1980; Aktenzeichen S 5 Kn 12/79) |
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird nun noch darum geführt, ob dem Kläger Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zusteht (§ 45 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-).
Der im Jahre 1946 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger. Er wurde 1971 im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau als Neubergmann angelegt. Diese Tätigkeit verrichtete er mit kurzfristigen Unterbrechungen, bis er am 10. August 1977 einen Arbeitsunfall erlitt. Seinen Antrag vom 30. April 1978, ihm Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. September 1978 ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 1978).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren, und im übrigen hat es die weitergehende Klage, mit der der Kläger die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit begehrte, abgewiesen (Urteil vom 2. September 1980). Sowohl der Kläger als auch die Beklagte haben dieses Urteil mit Berufungen angefochten, die das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen hat (Urteil vom 19. Oktober 1982): "Bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" des Klägers sei diejenige eines Hauers. Zwar sei er stets als Neubergmann geführt worden, diese tarifliche Einstufung habe aber zumindest etwa ab Mitte des Jahres 1977 der geltenden Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau widersprochen. Die Arbeitgeberin des Klägers habe nachträglich unter dem 6. März 1981 bestätigt, daß er vom 22. April 1974 bis zum 10. August 1977 vollwertige Hauerarbeiten verrichtet habe und über Kenntnisse und Fertigkeiten verfüge, die ihn befähigten, die wesentlich bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Dem Hauer gegenüber im wesentlichen qualitativ und wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten könne er nicht mehr verrichten. Berufsunfähig iS der §§ 46 RKG, 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO) sei er hingegen nicht, weil er auf die Tätigkeiten eines Maschinenwärters in anderen Anlagen sowie eines Verwiegers 1 zu verweisen sei.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom Senat zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 45 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 RKG. Adressat der nach der Lohnordnung für den Status des bergmännischen Facharbeiters erforderlichen schriftlichen Bestätigung des Betriebes habe der Arbeitnehmer zu sein. Die vier Jahre nach Beendigung der Beschäftigung unter Tage dem LSG erteilte Auskunft könne diese Bestätigung nicht ersetzen. Das Berufungsgericht habe auch nicht davon ausgehen dürfen, daß unter dem 6. März 1981 eine Bestätigung bestimmter bergmännischer Kenntnisse und Fertigkeiten erfolgt sei. Da der Kläger weder eine abgeschlossene bergmännische Ausbildung aufzuweisen noch die in der Lohnordnung vorgesehene schriftliche Bestätigung der Hauerkenntnisse vom Betrieb erhalten habe, sei zu prüfen, ob ihm nach dem objektiven Wert der von ihm unter Tage ausgeführten Arbeiten der Qualifikationsnachweis des Hauers hätte erteilt werden müssen. Insoweit ließen die vom LSG festgestellten Tatsachen eine abschließende Beurteilung nicht zu. Sei der Hauerstatus nicht gesichert, so stehe dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nicht zu, weil er noch als Maschinenwärter und als Verwieger 1 eingesetzt werden könne.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG und des SG zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit wegen des noch streitigen Anspruchs auf Bergmannsrente an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben werden muß, soweit das LSG die Berufung der Beklagten gegen das dem Kläger Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit (§ 45 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 RKG) zubilligende Urteil des SG zurückgewiesen hat. Hinsichtlich dieses Rentenanspruchs lassen die vom Berufungsgericht
Bei der Beurteilung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit iS des § 45 Abs 2 RKG ist das LSG von einer "bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" des Klägers als Hauer ausgegangen, obwohl er während seiner Beschäftigung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau bis zu seinem Arbeitsunfall am 10. August 1977 nur als Neubergmann geführt worden ist. Darin kann dem LSG nicht gefolgt werden. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist die tarifliche Einstufung einer Tätigkeit ein geeignetes Mittel, die Qualität des "bisherigen Berufs" iS der §§ 46 Abs 2 RKG, 1246 Abs 2 RVO und der "bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" iS des § 45 Abs 2 RKG festzustellen (vgl aus der neueren Rechtsprechung die zur Veröffentlichung bestimmten Urteile des erkennenden Senats vom 1. Dezember 1983 - 5b RJ 114/82 - und vom 31. Januar 1984 - 5a RKn 7/82 - sowie vom 28. Januar 1982 in BSGE 53, 69, 70 f = SozR 2600 § 45 Nr 33 mwN). Das gilt nicht nur bezüglich der Stellung des Berufs innerhalb des Lohngefüges, sondern auch für die Beurteilung der qualitativen Anforderungen an Ausbildung, Kenntnissen und Fähigkeiten (so Urteil vom 28. Januar 1982 aaO).
Seit der Neuordnung des Entlohnungswesens im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau ab 1. Juni 1971 enthalten die für dieses Tarifgebiet geltenden Lohnordnungen einen Zusatz, in dem die Mindestanforderungen an einen Hauer im Steinkohlenbergbau definiert sind. Danach ist Hauer iS der Lohnordnung, a) wer eine Knappen- oder Hauerprüfung abgelegt hat, b) wem der Betrieb nach 2-jähriger Tätigkeit unter Tage schriftlich bestätigt hat, daß er die Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die ihn befähigen, die in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung vorkommenden wesentlich bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Unstreitig hat der Kläger weder eine Knappen- noch eine Hauerprüfung abgelegt. Jedenfalls vor dem Arbeitsunfall vom 10. August 1977 hat er auch keine schriftliche Bestätigung des Betriebs iS des Zusatzes zur Lohnordnung Buchst b) erhalten. Das LSG meint nun, eine Bescheinigung entsprechend diesem Buchst b) habe der Bergwerksbetrieb nachträglich unter dem 6. März 1981 ausgestellt. Mit dieser Begründung kann bei der Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit nicht vom Beruf eines Hauers ausgegangen werden.
Nach der Rechtsprechung des BSG zur Rente wegen Berufsunfähigkeit ist maßgebend die tarifliche Einstufung des "bisherigen Berufs" zur Zeit seiner Ausübung. Dies ist damit begründet worden, es liege im Wesen einer qualitativen Bewertung dieses Berufs, daß sie nur nach den zur Zeit der Ausübung maßgebenden Kriterien vorgenommen werden könne und nachträglich eingetretene Änderungen der Bewertungsmaßstäbe außer Betracht bleiben müßten (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 41 sowie das bereits erwähnte Urteil des Senats vom 31. Januar 1984). Das gleiche hat für die tarifliche Einstufung der "bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" iS des § 45 Abs 2 RKG zu gelten, jedenfalls soweit es um die Frage geht, welchen Beruf der Versicherte vor dem Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübt hat. Damals hatte die Zeche, die den Kläger unter der Bezeichnung Neubergmann beschäftigt hatte, eine schriftliche Bestätigung iS des Zusatzes unter Buchst b) zur Lohnordnung über eine Hauerqualifikation nicht abgegeben.
Dem Wortlaut des Zusatzes nach ist nur derjenige Hauer iS der Lohnordnung, dem der Betrieb die im einzelnen aufgeführten Kenntnisse und Fertigkeiten schriftlich bestätigt hat. Erst wenn das geschehen ist, kann er sich von da ab Hauer nennen sowie als solcher geführt und entlohnt werden. In der Entscheidung vom 28. Januar 1982 (aaO) hat der Senat bereits dargelegt, die tarifliche Regelung im Zusatz zur Lohnordnung schreibe für den Qualifikationsnachweis des Hauers die schriftliche Bestätigung der wesentlich bergmännischen Kenntnisse und Fertigkeiten durch den Betrieb als Mindestanforderung vor. Da diese schriftliche Bestätigung einerseits ausreiche, andererseits aber auch erforderlich sei, könne ohne jene Mindestvoraussetzung grundsätzlich kein Gedingearbeiter als Facharbeiter angesehen werden. Wer nach den Regelungen des Tarifvertrages kein Hauer sei, könne auch bei der Beurteilung von knappschaftlichen Rentenansprüchen - von besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen - nicht als Hauer anerkannt werden. Grundsätzlich sei die Berufstätigkeit, unter der der Arbeitgeber den Versicherten geführt und für die er ihn entlohnt habe, die "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit". Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, an denen der Senat festhält, ist deshalb im allgemeinen nur derjenige, der nach der schriftlichen Bestätigung seiner Befähigung zu den wesentlich bergmännischen Arbeiten tatsächlich als Hauer - wenn auch nur kurzfristig (vgl SozR Nr 20 zu § 45 RKG; SozR 2200 § 1246 Nr 53) - gearbeitet hat, im Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung als Hauer anzusehen. An diesen Voraussetzungen fehlt es im Falle des Klägers.
Indes ist damit noch nicht gesagt, daß der Kläger nicht ausnahmsweise einem Hauer gleichgestellt werden kann. Der 5b Senat des BSG hat im Urteil vom 27. Januar 1981 (SozR 2200 § 1246 Nr 77) entschieden, entspreche die - relativ hohe - tarifliche Einstufung nicht der objektiven Qualität der ausgeübten Tätigkeit, so sei es für die Frage, ob es sich um eine zumutbare Verweisungstätigkeit iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO handele, nicht rechtserheblich, daß der Arbeitgeber die tarifliche Einstufung für gerechtfertigt halte. Für den gegenteiligen Fall hat der Senat im Urteil vom 28. Januar 1982 (aaO) bereits angedeutet, Folgerungen aus der Entscheidung vom 27. Januar 1981 könnten bei streitigem Hauerberuf dann gezogen werden, wenn dem Versicherten nach dem objektiven Wert seiner im Bergbau ausgeführten Arbeiten der schriftliche Nachweis der Hauerkenntnisse hätte erteilt werden müssen. Der vorliegende Sachverhalt gibt Anlaß, diese Auffassung konkret zu bestätigen. In Übereinstimmung damit geht die Beklagte in ihrer Revisionsbegründung davon aus, daß der Kläger nicht benachteiligt werden darf, wenn die ihm an sich zustehende schriftliche Bestätigung des Betriebes unterblieben ist. Dann ist der Hauerstatus zuzubilligen. Insoweit reichen jedoch die Tatsachenfeststellungen des LSG zu einer abschließenden Beurteilung nicht aus.
Die Lohnordnungen für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau definieren im Zusatz b) den Hauer ganz eindeutig als einen Bergmann, der fähig ist, "die in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung vorkommenden wesentlich bergmännischen Arbeiten zu verrichten". Soll beim Fehlen der schriftlichen Bestätigung durch den Betrieb der Qualifikationsnachweis im Rechtsstreit geführt werden, dann hat er sich an den Anforderungen im genannten Zusatz zu orientieren und muß ihnen entsprechen. Es genügt somit nicht, daß der Kläger befähigt gewesen sei, die wesentlichen bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Diese allgemeine Feststellung, auf die sich das LSG beschränkt hat, ist dann noch dahingehend relativiert worden, als ausreichend müsse es angesehen werden, wenn der Arbeiter unter Tage in Teilbereichen in einem Maß Erfahrung als Hauer gewonnen habe, die es ihm ermögliche, nach kurzer Einweisung die anderen Bereiche der Hauerarbeit zu bewältigen. Ob das beim Kläger der Fall war, ist nicht dargelegt worden. Schon der eindeutige Wortlaut des Zusatzes zur Lohnordnung gebietet es, festzustellen, ob die Kenntnisse und Fertigkeiten für den Einsatz in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung ausreichen. Immerhin wird der Befähigungsnachweis in Form der schriftlichen Bestätigung durch den Betrieb der bestandenen Knappen- oder Hauerprüfung gleichgestellt. Im Prinzip müssen folglich auch gleichwertige Facharbeiterqualitäten vorhanden sein. Sonst müßte zwischen Hauern mit und ohne Prüfung unterschieden werden.
Zwar wird auch bei einem Facharbeiter eine Umsetzung auf einen anderen, ungewohnten Arbeitsplatz innerhalb seines Berufs eine Einarbeitung erforderlich machen, ehe er die volle Arbeitsleistung erbringt. Wesentlich ist aber, ob der Kläger über ausreichende Grundkenntnisse und Fähigkeiten verfügt hat, die es ihm ermöglicht hätten, nicht nur spezielle Hauerarbeiten in Teilbereichen zu verrichten, so daß darüber hinaus eine breitere Einsatzmöglichkeit bestanden hat, wie sie von einem Facharbeiter verlangt werden kann. Das LSG wird daher die zu diesem Punkte noch fehlenden Feststellungen nachzuholen haben.
Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß der Kläger qualitativ nicht einem Hauer gleichgestellt werden kann, so ist bei dem in § 45 Abs 2 RKG vorgeschriebenen Wertvergleich zwischen der "bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" und den Tätigkeiten, die der Kläger noch verrichten kann, von seiner tatsächlichen tariflichen Einstufung vor dem Arbeitsunfall auszugehen. Abzustellen ist auf die tariflich vorgesehene Vergütung, auf die er in jedem Fall Anspruch erheben kann (so der Senat in ständiger Rechtsprechung, vgl Urteil vom 28. Januar 1982 aaO und in SozR 2600 § 45 Nr 23 mwN). Dabei ist die in den Lohnordnungen für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau seit dem 1. Juni 1971 enthaltene Regelung über die "Bezahlung bergfremder Personen (Neubergleute)" zu berücksichtigen. Diese sieht folgendes vor: "Vom 3. Jahr der Untertagetätigkeit an erhalten sie den für die ausgeübte Tätigkeit festgesetzten Tariflohn, es sei denn, daß der Neubergmann die Kenntnisse und Fertigkeiten, die von einem Hauer verlangt werden, nachweislich nicht besitzt."
Ist der Kläger nach dieser Bestimmung der Lohnordnung bezahlt worden, so ist festzustellen, welche Tätigkeit er als Neubergmann verrichtet hat, wie hoch der dafür vorgesehene Tariflohn ist und ob dieser dem tatsächlich erhaltenen Lohn entsprochen hat. Davon ausgehend muß geprüft werden, ob der Kläger noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben ausüben kann. Das angefochtene Urteil enthält keine Angaben über die Entlohnung des Klägers, die aber in diesem Zusammenhang nicht entbehrlich sind, weil für die Vergütung von Hauerarbeiten mehrere Lohngruppen vorgesehen sind. Bei der weiteren Frage, ob die dem Kläger noch möglichen Arbeiten iS des § 45 Abs 2 RKG solche von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten sind, ist ggf Vergleichsmaßstab der Neubergmann.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1662610 |
BSGE, 35 |