Leitsatz (amtlich)
1. Nimmt eine BG an, daß sie für ein beim GUV versichertes gemeindliches Unternehmen materiell zuständig sei, so ist sie nur berechtigt, den GUV zur Betriebsüberweisung aufzufordern und - falls der GUV die Überweisung nicht vornimmt - gegen ihn Klage zu erheben. Vor Erledigung dieses Verfahrens darf die BG das Unternehmen nicht in ihr Betriebsverzeichnis aufnehmen.
2. Ist ein Verwaltungsakt allein mit der Aufhebungsklage angegriffen worden, so bedarf es, wenn der Klaganspruch begründet ist, nicht der Prüfung, ob der Verwaltungsakt nichtig ist.
3. Auf eine im Verfahren vor dem LSG erhobene Widerklage ist ZPO § 529 Abs 4 nicht anzuwenden.
4. Der Beklagte kann eine Widerklage gegen einen Versicherungsträger richten, der am Verfahren als notwendig Beigeladener (SGG § 75 Abs 2) beteiligt ist.
Normenkette
RVO § 628 Fassung: 1942-08-20; ZPO § 529 Abs. 4; SGG §§ 100, 153, 55, 75 Abs. 2; RVO § 894 Fassung: 1939-02-17; SGG § 54; RVO § 658 Fassung: 1924-12-15, § 668 Fassung: 1924-12-15
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 22. November 1957 wird, soweit es die Widerklage betrifft, mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. In diesem Umfange wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Das Gas- und Wasserwerk sowie die Abwässerbeseitigung der Stadt … waren bis Ende 1930 bei der Berufsgenossenschaft (BG) der Gas- und Wasserwerke versichert. Am 1. Januar 1931 wurden diese Regiebetriebe von der damals errichteten Eigenunfallversicherung (EUV) des Landes Bremen übernommen. Beschwerde und weitere Beschwerde der BG hatten keinen Erfolg. Das Reichsversicherungsamt (RVA) führte im Beschluß vom 17. August 1933 aus, die Zuständigkeit der EUV nach § 625 in Verbindung mit § 624 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei gegeben, da die Betriebe des Gaswerks, des Wasserwerks und der Abwässerbeseitigung für Rechnung des Staatshaushalts des Landes Bremen geführt würden; unerheblich sei demgegenüber der Umstand, daß sie von der Stadt B... verwaltet würden.
In derselben Weise wurde gleichzeitig das bislang zur BG der Feinmechanik und Elektrotechnik gehörende B... Elektrizitätswerk zur EUV übergeleitet.
Durch Gesellschaftsvertrag vom 12. Juli 1941 wurden die Stadtwerke B... als Aktiengesellschaft (AG) gegründet. Die Stadtwerke verblieben weiterhin bei der EUV, auch nachdem die an der AG beteiligten Landgemeinden in die Stadt B... eingemeindet worden waren. Als die Landesverfassung vom 21. Oktober 1947 (Bremisches Gesetzblatt 1947, 251) eine haushaltsmäßige Trennung zwischen dem Land Bremen und der Stadtgemeinde B... eingeführt hatte, gelangten die Stadtwerke in das Vermögen der Stadtgemeinde. Mit Wirkung vom 1. April 1947 an sind sie ein in selbständiger Rechtsform betriebenes Unternehmen der Gemeinde B..., das beim B... Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) versichert ist.
Mit Schreiben vom 29. Mai 1954 wandte sich die BG der Gas- und Wasserwerke an den GUV und verlangte unter Hinweis auf ihre grundsätzliche Zuständigkeit für Versorgungsbetriebe die Überweisung der Stadtwerke B... AG. Als sich der GUV hierzu nicht abschließend äußerte, erteilte die BG den Stadtwerken B... AG den Bescheid vom 6. Januar 1955; dadurch wurde das Unternehmen mit den Abteilungen Gaswerk, Wasserwerk und Elektrizitätswerk mit Wirkung vom 1. Januar 1954 an in das Betriebsverzeichnis der BG aufgenommen. Den Widerspruch der Stadtwerke erklärte die BG durch Bescheid vom 9. Februar 1955 für unbegründet.
Im Verfahren über die Aufhebungsklage der Stadtwerke Bremen AG hat das Sozialgericht (SG) die EUV und den GUV beigeladen. Durch Urteil vom 5. Dezember 1955 hat es die angefochtenen Bescheide aufgehoben: Das Unternehmen der Klägerin sei auf Grund von Nr. 2 des Erlasses des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 16. März 1942 - Gemeindliche Unfallversicherung - (AN 1942, 201) in Verbindung mit §§ 628 Abs. 1, 624 Abs. 1 Buchst. a RVO an sich beim GUV zu versichern. Von dieser allgemeinen Regelung mache Nr. 4 des Erlasses eine Ausnahme hinsichtlich der in gemeindlichen Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken beschäftigten Personen; diese seien bei den bisherigen Versicherungsträgern zu versichern. Der Ausdruck "bisher" bedeute aber nicht, daß sämtliche irgendwann einmal vor dem 1. Januar 1942 zuständig gewesenen Versicherungsträger in Betracht kämen, vielmehr komme es nur auf die unmittelbar vor Inkrafttreten des Erlasses, also am 31. Dezember 1941 bestehende Zuständigkeit an. An diesem Tage sei die Klägerin jedoch nicht bei der Beklagten, sondern bei der EUV versichert gewesen. Daher könne die Beklagte nicht die Zuständigkeit für die Klägerin beanspruchen. Der Umstand, daß die Klägerin nach 1945 von der EUV auf den GUV übergegangen sei, ändere hieran nichts.
Mit der Berufung hat die Beklagte Wiederherstellung ihrer Bescheide und Abweisung der Klage beantragt. Sie hat dargelegt, unter den "bisher zuständigen Versicherungsträgern" im Sinne von Nr. 4 des RAM-Erlasses vom 16. März 1942 seien nur das Reich, ein Land oder eine BG zu verstehen, dagegen nicht ein GUV, dessen Zuständigkeit für gemeindliche Versorgungsbetriebe durch Nr. 4 des Erlasses grundsätzlich ausgeschlossen werde.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren die formelle Befugnis der Beklagten zur Bescheiderteilung bestritten und ausgeführt, das Vorgehen der Beklagten verstoße gegen §§ 650 Halbsatz 2, 624 bis 628 RVO; statt der Erteilung des Aufnahmebescheids hätte die Beklagte gemäß § 668 RVO gegen den GUV auf Feststellung oder "Herausgabe" klagen müssen.
Die Beklagte hat zur Rechtfertigung ihres Verfahrens auf § 894 RVO hingewiesen. Hilfsweise hat sie Widerklage erhoben mit dem Antrag auf. Feststellung, welcher Versicherungsträgen zuständig ist (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 22. November 1957 die Berufung und die Widerklage der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen: Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht bestünden gegen das Verfahren der Beklagten formell keine Bedenken. Nach § 894 RVO seien die Vorschriften der §§ 649 bis 717 RVO unanwendbar, wenn für den Betrieb ein Land, ein Gemeindeverband, eine Gemeinde oder eine andere öffentliche Körperschaft Versicherungsträger sei. Zwar habe das RVA früher angenommen (EuM 15, 142, 327), ein Katasterstreit zwischen einer BG und einer öffentlichen Körperschaft sei in sinngemäßer Anwendung des § 668 RVO zu entscheiden. Hiervon sei das RVA jedoch später abgewichen (AN 1930, 307 Nr. 3797) und habe es für zulässig erachtet, daß eine BG, die einen Gemeindebetrieb für sich beanspruche, diesen Betrieb gemäß § 658 RVO in ihr Verzeichnis aufnehme und zur Beitragsleistung heranziehe. Diese Rechtsauffassung sei nur insoweit überholt, als an die Stelle des Beschwerdeverfahrens (§§ 1791 ff RVO aF) nunmehr das Vorverfahren mit anschließender Klage gegen den Widerspruchsbescheid getreten sei. Zum Erlaß der angefochtenen Bescheide sei die Beklagte also befugt gewesen.
Die Bescheide träfen aber sachlich nicht zu. Dem RAM-Erlaß vom 16. März 1942 könne entnommen werden, daß damals der Bestand der für die Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke sowie für die gemeindlichen Verkehrsbetriebe zuständigen BGen gewahrt bleiben sollte; daraus folge aber nicht, daß ihnen nun auch diejenigen Betriebe wieder zugeführt werden sollten, für die sie früher einmal zuständig gewesen waren. Im übrigen habe die Beklagte als BG der Gas- und Wasserwerke das Elektrizitätswerk und das Personal, das die Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke gemeinschaftlich verwalte, von vornherein nicht aufnehmen dürfen. Die Bescheide seien mithin zu Recht vom SG aufgehoben worden.
Hinsichtlich der Feststellungs-Widerklage habe kein berechtigtes Interesse der Beklagten an der Feststellung bestanden, welcher Versicherungsträger für die Klägerin zuständig sei. Soweit sich dieser Streit auf die Zuständigkeit der Beklagten erstrecke, sei er von der Aufhebungsklage der Klägerin erfaßt worden. Auf Grund dieser Klage sei festgestellt worden, daß jedenfalls die Beklagte nicht der zuständige Versicherungsträger für die Stadtwerke Bremen AG sei. An der Klärung der Frage, ob die EUV oder der GUV zuständig sei, habe die Beklagte kein berechtigtes Interesse. Für diese beiden als Beigeladene am Verfahren beteiligten Versicherungsträger sei der Rechtsstreit zwischen Klägerin und Beklagter nur insofern von Bedeutung, als über die Zuständigkeit der Beklagten entschieden werde. Zwischen den Beigeladenen bestehe kein Zuständigkeitsstreit.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 11. April 1958 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. April 1958 Revision eingelegt und sie zugleich wie folgt begründet: Das LSG habe verkannt, daß die Beklagte auf Grund der §§ 623, 624 Abs. 1, 628 RVO in Verbindung mit Nr. 2 und 4 des RAM-Erlasses vom 16. März 1942 (bei dem in der Revisionsbegründung mehrfach angeführten Erlaß vom 6.2.1943 handelt es sich offensichtlich um ein falsches Zitat) der zuständige Versicherungsträger für den Betrieb der Klägerin sei. Die Klägerin sei zwar ein in selbständiger Rechtsform betriebenes gemeindliches Unternehmen im Sinne des § 628 Abs. 1 in Verbindung mit § 624 Abs. 1 RVO sowie der Nr. 2 des RAM-Erlasses vom 16. März 1942. Zugunsten der Beklagten greife jedoch die Regelung der Nr. 4 des RAM-Erlasses vom 16. März 1942 ein. Mit den "bisher zuständigen Versicherungsträgern" im Sinne dieser Bestimmung könnten lediglich die gewerblichen BGen gemeint sein. Dies folge aus der geschichtlichen Entwicklung der Katasterzugehörigkeit kommunaler Versorgungsbetriebe. Bei der Abfassung des Erlasses vom 16. März 1942 habe der RAM an den Fall nicht gedacht, daß in Zukunft einmal Versorgungsunternehmen der in Nr. 4 genannten Art bestehen könnten, deren bisheriger Versicherungsträger nicht eine BG, das Reich oder ein Land gewesen wäre. Auf diese drei Gruppen habe der Begriff des bisherigen Versicherungsträgers offensichtlich unter Berücksichtigung aller Fälle und Möglichkeiten beschränkt bleiben sollen, die es auch in Zukunft würde geben können. Wenn zB eine jetzt neu entstandene Gemeinde erstmals Versorgungseinrichtungen für ihren Betrieb schaffen sollte, könne sie selbst in diesem Fall nicht etwa die Zuständigkeit ihres GUV nach § 628 Abs. 1 RVO verlangen, vielmehr wäre gemäß Nr. 4 des RAM-Erlasses vom 16. März 1942 die nach § 623 RVO zuständige BG berufen. Infolgedessen hätte am 1. April 1947 die Klägerin von der unzuständig gewordenen EUV nur zu einer gewerblichen BG übergehen dürfen; dies sei die Beklagte, und zwar auch hinsichtlich des bis 1930 zur BG der Feinmechanik und Elektrotechnik gehörenden Elektrizitätswerks (§ 631 RVO).
Zu Unrecht habe das LSG außerdem das berechtigte Interesse der Beklagten an der hilfsweise mit ihrer Widerklage begehrten Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers verneint. Ein solches Interesse habe vielmehr schon angesichts der früheren Beziehung der BG der Feinmechanik und Elektrotechnik zum heutigen Arbeitsgebiet der Klägerin durchaus vorgelegen. Auch wäre das LSG, wenn es die Frage der Zuständigkeit im Verhältnis zwischen den Beigeladenen nicht offengelassen, sondern entschieden hätte, mit Sicherheit zu dem Ergebnis gelangt, daß keine der Beigeladenen ein gleich starkes oder gar ein besseres Recht auf die Versicherung der Klägerin besitze als die Beklagte. Falls auf die Revision nicht ohne weiteres die Zuständigkeit der Beklagten für den gesamten Umfang der Stadtwerke AG zu bejahen sei, müsse jedenfalls das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, weil das LSG auch die BG der Feinmechanik und Elektrotechnik hätte beiladen müssen.
In ihrem Schriftsatz vom 6. November 1958 hat die Beklagte schließlich vorgetragen, sie habe schon in der Revisionsbegründung gerügt, daß das LSG auf eine nichtöffentliche Verhandlung entschieden habe, obwohl die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 SGG nicht vorgelegen hätten. Dieser schwere Verfahrensmangel sei von Amts wegen zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Urteile die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie meint, das LSG habe zu Unrecht das Verfahren der Beklagten als einwandfrei bezeichnet. Die Beklagte hätte ihre vermeintliche Zuständigkeit nicht durch Erteilung eines Aufnahmebescheids an die Klägerin, sondern nur durch Klage auf Herausgabe des Unternehmens gegen den GUV geltend machen dürfen, da allein so die Entscheidung des Rechtsstreits auch gegenüber den weiteren Beteiligten Rechtskraftwirkungen äußern könnte. Im übrigen pflichtet die Klägerin den Darlegungen des LSG bei und hebt insbesondere hervor, Nr. 4 des RAM-Erlasses vom 16. März 1942 sei im Verhältnis zu Nr. 2 als eine eng auszulegende Ausnahmebestimmung anzusehen. Zweck der Nr. 4 sei lediglich gewesen, den damaligen tatsächlichen Besitzstand der BGen vorläufig zu erhalten, nicht dagegen, ihnen künftig Zuständigkeiten einzuräumen, die sie zur Zeit des Inkrafttretens des Erlasses gar nicht besaßen.
Die Beigeladenen haben auf die Revisionsbeantwortung der Klägerin Bezug genommen und sich im übrigen zur Sache nicht geäußert.
Sämtliche Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Von der hierdurch gegebenen Befugnis (§ 124 Abs. 2 SGG) hat der Senat Gebrauch gemacht.
II
Die Revision ist statthaft durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, daher zulässig. Sie ist jedoch unbegründet, soweit sie sich dagegen richtet, daß die Vorinstanzen den Bescheid vom 6. Januar 1955 in der Gestaltung durch den Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 1955 als rechtswidrig angesehen haben.
Hinsichtlich der Formalitäten des Berufungsverfahrens rügt die Beklagte, das LSG habe unter Verstoß gegen § 61 Abs. 1 SGG auf Grund einer nichtöffentlichen Verhandlung entschieden, Ob diese Rüge erst nach Ablauf der Frist für die Revisionsbegründung vorgetragen und bereits aus diesem Grunde unbeachtlich ist, kann dahingestellt bleiben. Denn aus der Schlußbemerkung in den Gründen des angefochtenen Urteils (S. 27) und aus der Niederschrift vom 22. November 1957 (LSG-Akte Bl. 54) geht zweifelsfrei hervor, daß das LSG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG). Die im Urteilskopf enthaltene, offenbar unrichtige Angabe, das Urteil sei auf eine nichtöffentliche Verhandlung ergangen, ist durch Beschluß vom 15. Juni 1962, der am 19. Juni 1962 den Beteiligten zugeleitet wurde, berichtigt worden (§ 138 SGG).
Das LSG hat entschieden, die Beklagte hätte der Klägerin nicht den Aufnahmebescheid vom 6. Januar 1955 erteilen dürfen, da das Unternehmen der Stadtwerke Bremen AG auf Grund der Nr. 4 des RAM-Erlasses vom 16. März 1942 jedenfalls nicht in das Betriebsverzeichnis der bis 1930 zuständig gewesenen BG gehöre. Diese Entscheidung trifft im Ergebnis zu. Ob auch der Begründung beizupflichten ist, war vom erkennenden Senat nicht zu prüfen, da der angefochtene Bescheid - entgegen dem vom LSG vertretenen Standpunkt - schon aus formellen Gründen aufgehoben werden mußte. Die Erwägungen, die das LSG hierzu angestellt hat, beruhen auf irrigen Schlußfolgerungen aus der von ihm angeführten Spruchpraxis des RVA zur Frage, wie in Katasterstreitigkeiten zwischen BGen und den in § 894 RVO aufgeführten Versicherungsträgern zu verfahren ist. Zwar hat das RVA seine frühere Ansicht, § 668 RVO sei in solchen Fällen sinngemäß anzuwenden (RVO-Mitgl Komm. Bd. 3, 2. Aufl., Anm. 2 zu § 894; AN 1922, 516 Nr. 3124; EuM 15, 327), in der Grundsätzlichen Entscheidung (GE) Nr. 3797 (AN 1930, 307) ausdrücklich preisgegeben. Diese Abweichung bedeutet aber nicht, wie das LSG offenbar angenommen hat, daß nunmehr etwa dem RVA die Ansicht zu unterstellen wäre, eine BG dürfe einen beim GUV versicherten Betrieb ohne weiteres in ihr Betriebsverzeichnis aufnehmen und damit den Betrieb bzw. den GUV in die Rolle des Klägers drängen. Eine so weitreichende Abkehr von den allgemeinen Grundsätzen zur ordnungsgemäßen Regelung eines Betriebsübergangs ist der GE Nr. 3797 nicht zu entnehmen. Ihre Bedeutung erschöpft sich vielmehr darin, daß das RVA es als unzweckmäßig ansah, die in § 668 RVO vorgeschriebene umständliche Prozedur in allen Einzelheiten - insbesondere hinsichtlich der Vorlagepflicht des bisher formell zuständigen Versicherungsträgers - auf katasterrechtliche Auseinandersetzungen der hier gegebenen Art zu übertragen. Deshalb hat das RVA in der angeführten GE die ablehnende Erklärung der bisher zuständigen Ausführungsbehörde- und nicht etwa, wie nach der Auffassung des LSG anzunehmen wäre, den Aufnahmebescheid der das Unternehmen beanspruchenden BG - als die "Entscheidung" im Sinne des § 1791 RVO aF bezeichnet, über die im damaligen Beschwerdeverfahren mit der BG in der Rolle der Beschwerdeführerin zu befinden war. Unberührt von diesen - seit dem Inkrafttreten des SGG ohnehin überholten - Gedankengängen ist auch nach der GE Nr. 3797 der Grundsatz geblieben, daß eine BG in den Katasterbestand des formell zuständigen Versicherungsträgers nicht dadurch eingreifen darf, daß sie gegen den Willen dieses Versicherungsträgers einem bei ihm versicherten Unternehmen einen Aufnahmebescheid erteilt mit der Begründung, materiell sei ihre Zuständigkeit für das betreffende Unternehmen gegeben. Ein solches Vorgehen hat das RVA von jeher mißbilligt (vgl. AN 1908, 550 Nr. 2261; AN 1923, 232 Nr. 3138; RVA-Entsch. vom 29.4.1925, Monatsschrift für Arbeiter- und Angestelltenversicherung 1926, Sp. 124; ferner Schiedsstelle, EuM Bd. 36, 453). Auch der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 28. November 1961 (BSG 15, 282, 286) auf die Bedeutung hingewiesen, die dem Einverständnis des bisher zuständigen Versicherungsträgers für die Rechtmäßigkeit des Aufnahmebescheids zukommt.
Statt eigenmächtig den Bescheid vom 6. Januar 1955 zu erteilen, hätte also die Beklagte, wie die Klägerin mit Recht geltend macht, ihren vermeintlichen Anspruch auf Übernahme der Stadtwerke Bremen im Wege der Klage gegen den GUV verfolgen müssen. Ob das Vorgehen der Beklagten einen so groben Rechtsverstoß darstellt, daß ihr Aufnahmebescheid als nichtig anzusehen ist (so offenbar RVA, AN 1923, 232 Nr. 3138; ferner Salzwedel, "Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags", Heft 11 der "Neuen Kölner Rechtswissenschaftlichen Abhandlungen", S. 146 f.), braucht anläßlich der Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht näher geprüft zu werden, da die Klägerin einen dahingehenden Klagantrag nicht gestellt, sondern sich mit der fristgerechten Erhebung der Aufhebungsklage begnügt hat. Auf jeden Fall ist der Verwaltungsakt der Aufnahme in das Betriebsverzeichnis schon wegen der Art seines Zustandekommens so fehlerhaft, daß er allein aus diesem Grunde aufzuheben war, ohne daß sein Inhalt einer gerichtlichen Nachprüfung unterlag. Mit dieser Maßgabe war deshalb die Revision der Beklagten, soweit sie sich auf die Entscheidung des LSG zur Aufhebungsklage bezieht, im Ergebnis als unbegründet zurückzuweisen.
Begründet ist die Revision hingegen, soweit sie sich gegen die Entscheidung des LSG über die im Berufungsverfahren erhobene Widerklage richtet. Das LSG hat diese Klage in der Urteilsformel "als unbegründet zurückgewiesen"; die Urteilsgründe ergeben jedoch, daß es sich hierbei um eine Prozeßabweisung handelt. Denn das LSG hat ausgeführt, für die Beklagte bestehe kein berechtigtes Interesse an der mit der Widerklage begehrten Feststellung, welcher Versicherungsträger für die Klägerin zuständig sei; wegen des Fehlens dieser Prozeßvoraussetzung ist die Widerklage in den Gründen des angefochtenen Urteils als unzulässig behandelt worden. In der Sache selbst hat das LSG über diese Klage nicht entschieden. Der hiergegen gerichtete Revisionsangriff trifft im Ergebnis zu.
Das LSG hat das Feststellungsinteresse mit der Begründung verneint, der Streit um die begehrte Feststellung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG werde, soweit die Zuständigkeit der Beklagten in Frage komme, bereits von der gegen sie gerichteten Aufhebungsklage erfaßt. Dies träfe zu, wenn es bei der Entscheidung über die Aufhebungsklage - wie das LSG angenommen hat - auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids ankäme. Wie jedoch oben dargelegt, ist der Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 1955 schon aus formellen Gründen, ohne weiteres aufzuheben, seine sachliche Richtigkeit kann also hierbei nicht vom Gericht geprüft werden. Damit entfällt der Gesichtspunkt, unter dem das LSG geglaubt hat, das berechtigte Interesse der Beklagten an der Feststellungs-Widerklage verneinen zu müssen. Sonstige Gründe, die gegen die Zulässigkeit der Widerklage sprächen, sind nach Meinung des erkennenden Senats nicht ersichtlich.
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Widerklage ist hier nicht unter dem Gesichtspunkt zu verneinen, die Beklagte könne den mit der Widerklage erhobenen Anspruch durch den Erlaß eines Verwaltungsakts geltend machen (BSG 3, 136; 6, 97). Der nach § 100 SGG erforderliche Zusammenhang zwischen der Haupt- und der Widerklage liegt in einem Fall der hier gegebenen Art vor, da die begehrte Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers als Rechtsgrundlage für einen dem Gesetz entsprechenden Aufnahmebescheid in Betracht kommt. Die zulässigerweise erst im Berufungsverfahren erhobene Widerklage bedurfte keiner Einwilligungserklärung seitens der Klägerin; da nämlich die Vorschriften des SGG über das Berufungsverfahren eine dem § 529 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung (ZPO) entsprechende Einschränkung der Widerklagebefugnis nicht vorsehen, bedeutet die gemäß § 153 Abs. 1 SGG anwendbare Vorschrift des § 100 SGG eine lückenlose Regelung auch hinsichtlich des zweiten Rechtszuges; eine Heranziehung des § 529 Abs. 4 ZPO auf Grund des § 202 SGG scheidet somit aus (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 6. Aufl., S. 242 o mit weiteren Nachweisen; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Stand Dezember 1961, Anm. 15 zu § 100; Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Anm. 2 zu § 100; Wudtke, SGb 1956, 309; a.M. Bettin, KOV 1954, 171, 186; Wagner, KOV 1956, 65; hinsichtlich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vgl. Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, Anm. C 4 zu § 89 gegen Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Anm. zu § 89 und Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Komm., 3. Aufl., Anm. 4 zu § 89).
Der von der Klägerin in ihrer Revisionserwiderung vorgetragenen Ansicht, die mit der Widerklage begehrte Feststellung könne nur in einem Verfahren getroffen werden, an welchem alle in Betracht kommenden Versicherungsträger "unmittelbar in echter Parteistellung" und nicht bloß als Beigeladene beteiligt seien, vermochte der Senat nicht beizupflichten. Die Klägerin übersieht bei ihren Darlegungen, daß auch beigeladene Versicherungsträger von der Rechtskraftwirkung des Urteils erfaßt werden (§§ 141 Abs. 1 und 69 SGG) und gegebenenfalls zu verurteilen sind (§ 75 Abs. 5 SGG). Im übrigen handelt es sich jedenfalls bezüglich des Bremischen GUV um den Fall einer notwendigen Beiladung im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG; die in diesem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung würde nämlich unmittelbar zugleich in seine Rechtssphäre eingreifen (vgl. BSG 11, 262, 265); denn der Streit betrifft die künftige Katasterzugehörigkeit des beim GUV versicherten Unternehmens der Klägerin mit dem durch die Widerklage verfolgten Ziel, daß hierfür die Zuständigkeit der Beklagten festgestellt werden möge. Im Hinblick darauf hält es der Senat für statthaft, daß die Widerklage sich - wie die Beklagte im Berufungsverfahren erklärt hat - gegen den GUV richtet (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Breith. 1955, 458).
Zu einer Sachentscheidung über die Widerklage reichen die bisherigen Feststellungen des LSG nicht aus. Insbesondere bedarf es - wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat - noch einer Beiladung der bisher am Verfahren nicht beteiligten BG der Feinmechanik und Elektrotechnik, da der Rechtsstreit u.a. die Versicherung des B... Elektrizitätswerks betrifft, für welches die Beklagte ihre Zuständigkeit behauptet, welches aber seiner Art nach zum Zuständigkeitsbereich der BG der Feinmechanik und Elektrotechnik gehören würde.
Die Sache war hiernach zur erneuten Verhandlung und Entscheidung in dem oben näher dargelegten Umfang an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Bei der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung hat der Senat berücksichtigt, daß die Beklagte mit ihrer Revision hinsichtlich der Aufhebungsklage keinen Erfolg hatte. Soweit der Rechtsstreit zurückverwiesen worden ist, bleibt die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen