Leitsatz (amtlich)
1. Einer Klage, die sich gegen die Ablehnung eines beantragten Bescheides richtet, muß auch dann ein Vorverfahren vorangehen, wenn sie in der Form einer Feststellungsklage erhoben wird, die unmittelbar den feststellenden Ausspruch anstrebt, den der beantragte Bescheid enthalten sollte.
2. Die Verpflichtung des Versicherungsträgers erschöpft sich beim Eintritt eines Arbeitsunfalls in einem Mitgliedsunternehmen nicht in der Gewährung von Leistungen an den Verletzten. Der Versicherungsträger ist vielmehr dem Unternehmer gegenüber verpflichtet, auch dabei mitzuwirken, daß diesem der Schutz gegen bürgerlichrechtliche Schadensersatzansprüche nach RVO § 898 zugute kommt; er muß deshalb in den Bescheid über die Leistungen einen ausdrücklichen Ausspruch darüber aufnehmen, welchem Unternehmen die unfallbringende Tätigkeit gedient hat.
Normenkette
RVO § 898 Fassung: 1924-12-15, § 901 Fassung: 1924-12-15; SGG § 79 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 9. Februar 1960 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
I.
Der Kläger ist Inhaber eines Lohndreschunternehmens und gehört mit ihm der beklagten Berufsgenossenschaft als Mitglied an. Am 29. Januar 1955 führte er mit seiner Dreschmaschine Drescharbeiten im landwirtschaftlichen Betrieb der Bäuerin W aus. Diese stellte hierfür Arbeitskräfte ihres Betriebes zur Verfügung, darunter auch den Beigeladenen, der bei ihr als Landarbeiter beschäftigt war. Als nach Beendigung der Drescharbeiten die Dreschmaschine abgebaut wurde, zog der Beigeladene das Spreurohr aus der Maschine heraus. Der Kläger war der Meinung, daß der Beigeladene dies nicht sachgemäß tue. Es kam zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Beigeladene eine Verletzung des linken Auges erlitt, die schließlich zum Verlust des Auges führte.
Der Beigeladene beansprucht vom Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Rechtsstreit über diese Ansprüche ist zur Zeit beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht anhängig und nach § 901 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgesetzt.
Das Unfallereignis vom 29. Januar 1955 zeigten sowohl die Bäuerin W als auch der Kläger der Beklagten an. Die Beklagte erteilte unter dem 13. April 1956 einen Bescheid über die Feststellung einer Dauerrente, und zwar vom 1. Februar 1956 an in Höhe von 25 v. H. der Vollrente. In diesem Bescheid, der dem Vater des Beigeladenen erteilt worden ist, heißt es "Für die Folgen des Unfalls, den Ihr Sohn W am 29. Januar 1955 in dem landwirtschaftlichen Betriebe der Bäuerin A W ... erlitten hat ...".
Mit Schreiben vom 7. November 1958 beantragte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers bei der Beklagten, dem Kläger einen rechtsmittelfähigen Bescheid dahin zu erteilen, die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft solle anerkennen, daß der Unfall des landwirtschaftlichen Gehilfen W B am 29. Januar 1955 im Betriebe des Lohndreschereibesitzers Hermann St stattgefunden hatte. Hilfsweise beantragte er zu erklären, daß der Lohndreschereibesitzer St zur Zeit des Unfalles ein Angestellter war, welcher der Bäuerin W im Sinne des § 899 RVO gleichgestellt war.
Die Beklagte übersandte dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 14. November 1958 eine Abschrift des Rentenbescheides vom 13. April 1956 und führte im übrigen aus: "Ihrer Weiteren Bitte vermögen wir nicht nachzukommen. Es ist auf die neue Rechtsprechung des BGH hinzuweisen, wonach ein Gericht durch den Bescheid einer Berufsgenossenschaft sich nicht gehindert sieht festzustellen, daß ein Betriebsunfall auch dem Betriebe eines anderen Unternehmers zuzurechnen sei. Die Bindungswirkung des § 901 RVO steht einer solchen Feststellung nicht im Wege (BGH in NJW 1957 S. 1319 unter Z II, so auch OLG Schleswig in einem Beschluß - 4 W 56/58-)".
Der Kläger hat am 10. Dezember 1958 beim Sozialgericht (SG) Schleswig Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß der landwirtschaftliche Gehilfe W B am 29. Januar 1955 beim Dreschen auf dem Hof der Bäuerin W in Schönberg einen Arbeitsunfall im Betriebe des Klägers erlitten hat, mithin bei der Beklagten versichert war. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat er diesen Antrag dahin geändert, daß beantragt wird, festzustellen, daß der Arbeitsunfall des Beigeladenen am 29. Januar 1955 auch im Betriebe des Klägers erfolgte.
Das SG hat den verletzten B zum Verfahren beigeladen und durch Urteil vom 24. Juni 1959 die Klage abgewiesen. Es hat die Klage für zulässig gehalten, ist jedoch zu dem Ergebnis gelangt, daß der Beigeladene nicht wie ein auf Grund eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigter im Dreschunternehmen des Klägers tätig gewesen sei (§ 537 Nr. 10 i. V. m. Nr. 1 RVO), weil seine Mithilfe beim Abbau der Dreschmaschine nicht dem Willen des Klägers entsprochen habe.
Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig hat durch Urteil vom 9. Februar 1960 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: die vom Kläger erhobene Feststellungsklage sei schon deshalb unzulässig, weil der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, mit der Anfechtung des Verwaltungsakts vom 14. November 1958 einen Antrag auf Vornahme des von ihm gewünschten Verwaltungsakts zu verbinden; außerdem betreffe die beantragte Feststellung kein Rechtsverhältnis im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG komme gleichfalls nicht in Frage, da die Zuständigkeit der Beklagten nicht im Streit sei. Es fehle auch an einem Feststellungsinteresse, da die Zivilgerichte nicht gehindert seien, die streitige Frage selbst zu entscheiden. Der Kläger habe auch der Beklagten gegenüber keinen Anspruch auf Entscheidung der Streitfrage. Diese habe dem Verletzten eine Entschädigung gewährt und sei damit ihren aus dem Unfall erwachsenen Verpflichtungen nachgekommen.
Der Kläger hat gegen das Urteil des LSG, das ihm am 23. April 1960 zugestellt worden ist, am 17. Mai 1960 Revision eingelegt und sie zugleich begründet. Er beantragt, unter Änderung des Urteils des LSG der Klage stattzugeben, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen übereinstimmend, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ohne mündliche Verhandlung durch Urteil zu entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
II.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Sie hatte auch Erfolg.
Mit Schreiben vom 7. November 1958 hatte der Kläger von der Beklagten die Erteilung eines förmlichen ("rechtsmittelfähigen") Bescheides darüber verlangt, daß der Unfall des beigeladenen Bahr vom 29. Januar 1955 "im Betriebe" des Klägers "stattgefunden" habe. Dieses Begehren ist in der mündlichen Verhandlung vor dem SG dahin eingeschränkt worden, daß nur noch die Feststellung erstrebt wird, der Arbeitsunfall sei auch im Betriebe des Klägers erfolgt. Der Kläger verlangt also eine Ergänzung des Bescheides vom 13. April 1956 über die Entschädigungsansprüche des Klägers, der lediglich den Ausspruch enthält, daß der Arbeitsunfall des Beigeladenen sich bei einer versicherten Tätigkeit im landwirtschaftlichen Unternehmen der Arbeitgeberin des Beigeladenen, der Bäuerin W, ereignet hat.
Die Revision wendet sich mit Recht gegen die Auffassung des LSG, daß der Kläger gegenüber der Beklagten keinen Rechtsanspruch auf eine sachliche Prüfung seines Antrages habe, diese vielmehr ihren Verpflichtungen als Versicherungsträger durch die Gewährung einer Entschädigung an den Beigeladenen bereits vollständig nachgekommen sei.
Das LSG hat nicht ausreichend berücksichtigt, daß der Kläger mit seinem Unternehmen gleichfalls Mitglied der beklagten Berufsgenossenschaft ist und zu ihr infolgedessen in einem Rechtsverhältnis steht, aus dem sich für beide zahlreiche Pflichten und Rechte ergeben. Der Kläger kann zwar sein hier streitiges Verlangen nicht unmittelbar auf das Prozeßstandschaftsrecht nach § 902 RVO stützen, da die Entschädigung des Beigeladenen von der Beklagten bereits von Amts wegen festgestellt ist. Die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen des Versicherungsträgers erschöpfen sich aber bei Eintritt eines Unfalls in einem Mitgliedsunternehmen nicht darin, daß er dem Verunglückten aus den von den Mitgliedern gemeinsam aufzubringenden Mitteln die gesetzlichen Leistungen zu gewähren hat, vielmehr ergibt sich aus dem Mitgliedschaftsverhältnis dem Unternehmer gegenüber die weitere Verpflichtung, auch dabei mitzuwirken, daß dem Unternehmer der Schutz zugute kommt, den der Gesetzgeber den Unternehmern in § 898 RVO gegenüber bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzansprüchen eingeräumt hat (vgl. die zu dem vordem Inkrafttreten der RVO geltenden Recht ergangene grundsätzliche Entscheidung des RVA Nr. 2618, AN 1913 S. 462). Da nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Zivilgerichtsbarkeit die Zivilgerichte nach § 901 RVO auch an einen Ausspruch darüber gebunden sind, welchem Unternehmen die zum Unfall führende Tätigkeit zuzurechnen ist (vgl. z. B. RGZ 111 S. 159); BGHZ 8 S. 332), hat der Unternehmer ein berechtigtes Interesse daran, daß in den Bescheid über die Feststellung der Entschädigung für den Verletzten ein ausdrücklicher Ausspruch hierüber aufgenommen wird. Er kann einen solchen Ausspruch auf Grund seines Mitgliedschaftsrechts vom Versicherungsträger verlangen. Das gilt auch dann, wenn, wie im vorliegenden Falle, der Leistungsbescheid bereits einen solchen Ausspruch enthält, und der Unternehmer lediglich eine Ergänzung dieses Ausspruchs verlangt.
Gegenüber diesem Anspruch aus dem Mitgliedschaftsverhältnis kann die Beklagte sich auch nicht darauf berufen, daß die Zivilgerichte im Verfahren über den Schadenersatzanspruch des Beigeladenen die Frage als Vorfrage mit entscheiden können, ob die Tätigkeit, bei der sich der Arbeitsunfall des Beigeladenen ereignet hat, auch dem Unternehmen des Klägers diente.
Die Beklagte hätte deshalb den Antrag des Klägers sachlich prüfen und - je nach dem Ergebnis der Prüfung - ihn entweder mit sachlicher Begründung ablehnen oder ihm durch Ergänzung des Bescheides vom 13. April 1956 entsprechen müssen. Sie hat mit dem Schreiben vom 14. November 1958 zu Unrecht die Erteilung des beantragten ergänzenden Bescheides abgelehnt und ihre Verpflichtung zur sachlichen Prüfung des Antrags verneint. Durch diesen Verwaltungsakt ist der Kläger beschwert und konnte ihn mit einer Klage auf Erteilung des Bescheides anfechten.
Die fristgerecht erhobene Klage hat allerdings, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nach der Fassung des Klagantrags einen anderen Inhalt als der an die Beklagte gerichtete und von ihr durch den Verwaltungsakt abgelehnte Antrag. Sie erstrebt nicht mehr die Erteilung eines zusätzlichen Bescheides zur Ergänzung des Bescheides vom 13. April 1956, sondern begehrt unmittelbar den ergänzenden Ausspruch selbst. Da der beantragte Bescheid aber keine Leistung betreffen, sondern lediglich einen Ausspruch darüber zum Gegenstand haben sollte, daß der Beigeladene bei der zum Unfall führenden Tätigkeit auch im Unternehmen des Klägers tätig gewesen ist, würde ein Urteil nach dem Klagantrag im Ergebnis nur zur Folge gehabt haben, daß die angestrebte Ergänzung des Leistungsbescheides nicht durch einen zusätzlichen Bescheid der Beklagten, sondern unmittelbar durch einen Ausspruch des Gerichts vorgenommen worden wäre. Die Klage ist zwar in der äußeren Form einer Feststellungsklage erhoben. Sie richtet sich jedoch gegen die Ablehnung des beantragten Bescheides und erstrebt auch unmittelbar den Ausspruch, den der beantragte Bescheid enthalten sollte. Für sie gelten deshalb die Prozeßvoraussetzungen einer Klage, die eine Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten Verwaltungsakts anstrebt (vgl. hierzu auch BSG 12,46,47). Nach § 79 Nr. 2 SGG hätte die im Schreiben vom 14. November 1958 ausgesprochene Ablehnung zunächst in einem Vorverfahren nachgeprüft werden müssen. Die beim SG erhobene Klage war wegen des Fehlens dieser Prozeßvoraussetzung unzulässig. Der Senat hat jedoch davon abgesehen, die Revision des Klägers mit dieser Maßgabe zurückzuweisen.
Die durch das Schreiben der Beklagten vom 14. November 1958 geschaffene verfahrensrechtliche Rechtslage, die offenbar schon von der Beklagten und vom SG nicht zutreffend erkannt worden ist, war für den Kläger, der weder durch eine Rechtsmittelbelehrung noch durch das SG aufgeklärt worden ist, auch bei Anwendung der äußersten Sorgfalt außerordentlich schwierig zu übersehen (vgl. hierzu BSG 8, 24, 30). Es ist deshalb damit zu rechnen, daß die Fristen für eine Nachholung des versäumten Widerspruchs nach §§ 66 Abs. 2, 67 Abs. 3 SGG gewahrt sind. Um dem Kläger hierzu Gelegenheit zu geben und um zu vermeiden, daß das Verfahren nach Durchführung des Vorverfahrens mit einer neuen Klage vor dem SG begonnen werden muß, hat der Senat das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (vgl. hierzu auch BSG 8, 3, 10).
Wenn das fehlende Vorverfahren nachgeholt worden ist, dürfte es sich empfehlen, dem Kläger zunächst nahezulegen, seine Klage in eine Klage auf Erteilung des beantragten Bescheids zu ändern (§ 106 SGG). Da nicht anzunehmen ist, daß er sich einer solchen in seinem wohlverstandenen Interesse liegenden Anregung verschließen wird, hatte der Senat keine Veranlassung, die weiteren Voraussetzungen für die Zulässigkeit der bisher erhobenen Feststellungsklage, insbesondere die vom LSG verneinte Frage zu prüfen, ob die Klage das Bestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zum Gegenstand hat.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen