Leitsatz (redaktionell)
1. Im Rechtsverkehr des privaten und öffentlichen Rechts der Bundesrepublik kann sich niemand mit Erfolg auf die Ungültigkeit der Scheidung durch ein sowjetzonales Gericht berufen, solange nicht im Verfahren nach den ZPO §§ 606 ff durch Urteil eines Gerichts der Bundesrepublik der Fortbestand der Ehe festgestellt worden ist.
2. Der Ehegatte, der bei Erlaß des Scheidungsurteils seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder Westberlin hatte, kann eine Schuldfeststellungsnachtragsklage erheben, um das "DDR"- Scheidungsurteil durch einen Schuldausspruch zu vervollständigen.
3. Erst mit der Übersiedlung des Versicherten in das Bundesgebiet oder nach Westberlin kann ein Unterhaltsanspruch gegen ihn nach dem Recht der Bundesrepublik begründet werden.
4. Das Tatbestandsmerkmal des RVO § 1265, daß der Versicherte "zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte", ist daher nicht erfüllt, wenn der Versicherte von der Scheidung an bis zu seinem Tode sich in der "DDR" oder in Ostberlin aufgehalten, sich der ehegesetzlichen Unterhaltspflicht, wie sie in der Bundesrepublik normiert ist, also nicht unterworfen hat.
5. Der Rentenanspruch der geschiedenen Ehefrau ist nicht von einem in der Zukunft liegenden Ereignis (Eintritt von Bedürftigkeit), sondern davon abhängig, daß die Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs in ihrer Person erfüllt waren, als der Versicherte starb.
Normenkette
ZPO § 638; EheG; RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 28. Juni 1966 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin beansprucht die Hinterbliebenenrente als geschiedene Ehefrau des Versicherten (§ 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Auf die Klage des Versicherten hin war die Ehe am 12. Mai 1961 durch Urteil des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte (Ostsektor Berlins) geschieden worden. Die Klägerin hielt sich zur Zeit der Scheidung ständig in West-Berlin auf; ihr Ehemann wohnte im Ostsektor dieser Stadt. Das Urteil des Stadtbezirksgerichts enthält - nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) - keinen Schuldausspruch, trifft auch keine Unterhaltsregelung, hat jedoch dem Versicherten sämtliche Kosten des Rechtsstreits auferlegt; es enthält die Angabe, daß jeder Ehepartner zur Zeit der Scheidung ein Monatseinkommen von 500,- DM erzielte. Ungeklärt ist, ob dem Urteil die Gründe, die zur Scheidung führten, zu entnehmen sind.
Nach der Scheidung erhielt die Klägerin keine Unterhaltszahlungen. Der Versicherte ging eine zweite Ehe ein. Am 12. Februar 1963 starb er.
Die Klägerin behauptet, ihr früherer Ehemann habe die Scheidung allein verschuldet; eine Unterhaltsklage sei nach den im Ostsektor Berlins geltenden Vorschriften zwecklos gewesen; ihr Ehemann habe auch jede freiwillige Zahlung abgelehnt; sie selbst habe 1963 monatlich 250,- bis 300,- DM verdient. Über das Einkommen ihres früheren Ehemannes hat die Klägerin unterschiedliche Angaben gemacht (im Rentenantrag ist von Monatseinkünften in Höhe von "ca. 350,- DM" die Rede; später wird von einem Monatsbetrag von 2.000,- DM gesprochen). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. Oktober 1964 die Bewilligung der Hinterbliebenenrente ab, weil die Klägerin über ein eigenes, zu ihrem Lebensunterhalt hinreichendes Einkommen verfüge und deshalb keine Unterhaltsforderung gegen ihren geschiedenen Ehemann gehabt habe.
Die Klägerin hat die Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides zur Gewährung der Hinterbliebenenrente zu verurteilen, hilfsweise festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sie bedürftig sein werde, diese Rente zu zahlen. Sozialgericht (SG) und LSG haben die Klage abgewiesen (Urteil des SG Berlin vom 14. September 1965, Urteil des LSG Berlin vom 28. Juni 1966). Das LSG hat ua ausgeführt, die Klägerin habe durch den Tod ihres geschiedenen Ehemannes keinen Unterhaltsanspruch verloren. Eine Unterhaltsforderung hätte die Klägerin nur unter den Voraussetzungen des im Ostsektor Berlins geltenden Rechts durchsetzen können. Diese Rechtsordnung sehe eine Unterhaltsregelung bei Scheidung nur im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren vor. Eine solche Regelung sei nicht erfolgt. Die Klägerin hätte zu Lebzeiten des Versicherten von diesem niemals Unterhaltsleistungen erzwingen können.
Die Klägerin hat die - von dem LSG zugelassene - Revision eingelegt; sie beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides im Sinne des Klageantrags zu verurteilen, hilfsweise, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, vorsorglich, das Verfahren auszusetzen, damit Gelegenheit gegeben werde, die Ehescheidung für unwirksam erklären zu lassen. Sie meint, das LSG habe seine Entscheidung zu Unrecht auf die im Ostsektor Berlins herrschende Rechtslage abgestellt. Für sie, die im Augenblick der Scheidung in West-Berlin gelebt habe, müsse von § 1265 RVO ausgegangen werden und somit maßgebend sein, ob nach den ehegesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik ein Unterhaltsanspruch bestanden hat.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält an der in ihrem Bescheid vertretenen Auffassung fest.
Die Revision ist unbegründet.
Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten geschieden war. Das Scheidungsurteil des im Ostsektor Berlins gelegenen Stadtbezirksgerichts ist in der Bundesrepublik wirksam. Die Gerichtsbarkeit des Ostberliner Gerichts wird unterstellt, selbst wenn an sich nach § 606 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ein Gericht der Bundesrepublik zuständig gewesen sein sollte, weil der auf Scheidung klagende Ehegatte sich bei Erhebung der Scheidungsklage in Ostberlin aufhielt (BGHZ 34, 134, 139). Die Scheidung ist auch hinzunehmen, obgleich der Sachverhalt, der für diese Folge nach der Rechtsordnung der Sowjetzone erheblich war, nicht ohne weiteres mit einem der Scheidungsgründe des in der Bundesrepublik geltenden Ehegesetzes identisch ist. Für die Scheidung war die objektive Zerrüttung der Ehe maßgeblich; m.a.W.: es genügte, daß "die Ehe ihren Sinn für die Eheleute ... und für die Gesellschaft verloren" hatte (§ 8 der Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung vom 24. November 1955, GBL. DDR S. 849). Die Beachtlichkeit eines solchen Scheidungsurteils folgt aus einem Rechtsgedanken, den der Bundesgerichtshof (BGH) in Anlehnung an § 23 des Ehegesetzes entwickelt hat. Danach kann sich im Rechtsverkehr des privaten und öffentlichen Rechts der Bundesrepublik niemand mit Erfolg auf die Ungültigkeit der Scheidung durch ein sowjetzonales Gericht berufen, solange nicht im Verfahren nach den §§ 606 ff. ZPO durch Urteil eines Gerichts der Bundesrepublik der Fortbestand der Ehe festgestellt worden ist (so v.a. BGHZ 34, 134, 146, 149; ferner BGH MDR 1965, 118; NJW 1967, 772). Dieser Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits zugestimmt (BSG 21, 10); der erkennende Senat folgt ihr ebenfalls. Im Falle der Klägerin erheben sich um so weniger Bedenken, weil kein Anhalt dafür besteht, daß das Scheidungsurteil gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstößt (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO).
Das Berufungsurteil ist ferner unbedenklich und keinen Revisionsangriffen ausgesetzt, soweit es die Feststellung trifft, daß der Versicherte im letzten Jahre vor seinem Tode keinen Unterhalt geleistet hat und auch aus "sonstigem Grunde", namentlich aus einer vertraglichen Unterhaltsregelung nicht unterhaltsverpflichtet war. Der Rentenanspruch ist deshalb davon abhängig, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes zu leisten hatte (§ 1265 RVO). Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß der im Ostsektor Berlins wohnende Versicherte wegen Zahlung von Unterhalt nicht nach den in West-Berlin geltenden ehegesetzlichen Vorschriften hätte in Anspruch genommen werden können und daß es in Ostberlin für einen solchen Anspruch an einer Rechtsgrundlage gefehlt hätte.
Diese Erwägungen sind im Ergebnis richtig. Allerdings war es rechtlich nicht völlig ausgeschlossen, daß die Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann einen Unterhaltsanspruch nach dem Recht der Bundesrepublik hätte erwerben können. Eine solche Möglichkeit hat der BGH jedenfalls für diejenigen Fälle bejaht, in denen der unterhaltsberechtigte Ehegatte - so wie die Klägerin - zur Zeit der Scheidung im Bundesgebiet ansässig war (BGHZ 34, 151; NJW 67, 772). Der geschiedene Ehepartner braucht sich danach in der Bundesrepublik nicht mit dem Unterhalt zu begnügen, der ihm nach sowjetzonalen Bestimmungen zustehen mag oder der wegen Fehlens eines Schuldausspruches nach § 61 Abs. 2 des Ehegesetzes zu leisten wäre. Daran, daß die Scheidungsurteile in einem anderen Teile Deutschlands keine Feststellungen zur Schuld enthalten, dürfen die Ansprüche einer deutschen Partei, die im Bundesgebiet und Berlin (West) zugebilligt werden, nicht scheitern. Vielmehr kann die Schuldfeststellung aufgrund besonderer Statusklage (BGHZ 34, 134, 150 ff) oder inzidenter (BGH NJW 1967, 772) nachgeholt werden. Im vorliegenden Fall kann es jedoch zu keiner Bejahung eines Unterhaltsanspruchs kommen. Einmal schon deshalb nicht, weil sich der Versicherte von der Scheidung an bis zu seinem Tode stets im Ostsektor Berlins aufhielt und aus diesem Grunde der ehegesetzlichen Unterhaltspflicht, wie sie in der Bundesrepublik normiert ist, nicht unterworfen war. Erst mit einer Übersiedlung in das Bundesgebiet oder nach Westberlin hätte ein solcher Anspruch begründet und seine gerichtliche Durchsetzung eröffnet werden können. Infolgedessen ist das Tatbestandsmerkmal des § 1265 RVO, daß der Versicherte "zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes zu leisten hatte", nicht erfüllt. Aber auch dann, wenn man den Sachverhalt dem Ehegesetz unterzuordnen hätte, wäre das Ergebnis kein anderes. Denn die Klägerin war zu der Zeit, als der Versicherte starb, imstande, aus eigenen Erwerbseinkünften ihren angemessenen Lebensbedarf zu bestreiten. Für das, was als angemessener Unterhalt der geschiedenen Frau anzusehen ist, sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung maßgebend. An einer späteren - bei Scheidung der Ehe nicht sicher zu erwartenden - Einkommensverbesserung nimmt die geschiedene Frau nicht teil. Wenn also, wie die Klägerin behauptet, die monatlichen Einkünfte des Mannes gegen Ende seines Lebens erheblich gestiegen sein sollten, so konnte sich dies auf das Ausmaß ihres Unterhaltsanspruchs nicht auswirken.
Das Berufungsurteil ist auch darin zu bestätigen, daß es den hilfsweise erhobenen Feststellungsantrag der Klägerin als unbegründet abgewiesen hat. Der Rentenanspruch der Klägerin ist nicht von einem in der Zukunft liegenden Ereignis (Eintritt von Bedürftigkeit) sondern davon abhängig, daß die Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs in der Person der Klägerin erfüllt waren, als der Versicherte starb (§ 1265 RVO). Diesem Erfordernis ist, wie oben dargelegt worden ist, nicht genügt. Deshalb kann die Klägerin auch nicht mit dem Hilfsanspruch durchdringen.
Dem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (§ 114 Abs. 1 SGG) konnte im gegenwärtigen Revisionsrechtszug nicht stattgegeben werden. Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits hat die Existenz des Scheidungsurteils - oder die Feststellung des Fortbestands der Ehe - die Wirkung einer Tatfrage; diese hat das Revisionsgericht nicht zu prüfen, außer wenn in bezug auf eine solche Frage zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG; vgl. Stein/Jonas/Schönke/Pohle, Komm. zur ZPO, 18. Aufl., Anm. II 1 zu § 148 ZPO; RGZ 121,167).
Das ist nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Fundstellen