Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung. erschlichene Leistung
Orientierungssatz
1. Bei der Rückforderung zu Unrecht gewährter Leistungen ist der Gesichtspunkt der sozialen Billigkeit nicht nur im Hinblick auf den in Anspruch genommenen Versicherten zu beachten. Vielmehr ist unter diesem Aspekt auch das Interesse der Solidargemeinschaft an der Rückzahlung der erschlichenen Leistungen zu sehen (vgl LSG Essen 1967-02-02 L 2 Kn 21/66 = MittRuhrKn 1968, 39-41).
2. Hat der Versicherte die berufsgenossenschaftliche Krankenbehandlung bzw Heilbehandlung durch sein egoistisches Verhalten erst herbeigeführt, können die vollen vom Versicherungsträger aufgeführten Kosten zurückgefordert werden.
Normenkette
RVO § 628 S. 2 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.07.1969) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 24.09.1968) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. Juli 1969 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 24. September 1968 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides der Beklagten.
Der 1912 geborene Kläger erlitt am 21. Mai 1940 als Postfacharbeiter in B/Oberschlesien einen Arbeitsunfall. In dem Bescheid des Amtes für Unfallversicherung der Deutschen Reichspost vom 4. September 1940 über die Gewährung der Vollrente sind als Unfallfolgen anerkannt: "Zustand nach Bruch beider rechter Schambeinäste, nach Harnblasenriß und nach Urinphlegmone in der rechten Oberschenkelseite". Nach Einholung fachärztlicher Gutachten gewährte die Beklagte dem Kläger nach dessen Zuzug in die Bundesrepublik durch Bescheid vom 23. Oktober 1957 eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 65 v.H. vom 11. März 1957 an. Als Unfallfolgen erkannte sie an: "Zustand nach Blasenverletzung mit Balkenblase, Blasensteinbildung, geringes Harnnachträufeln, Zustand nach Schambeinbruch rechts. Arthrosis des rechten Hüftgelenks und des rechten Kniegelenks. Schwere Deformierung des rechten Fußgelenks und des Fußes, Versteifung des rechten Fußgelenks".
Nachdem die Beklagte weitere ärztliche Gutachten eingeholt hatte, hob sie durch Bescheid vom 23. Juli 1962 den Bescheid vom 23. Oktober 1957 aufgrund des § 1744 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf. Im Bescheid ist u.a. ausgeführt: Der Kläger habe anläßlich der ärztlichen Untersuchung im Jahre 1957 bezüglich des erlittenen Körperschadens vorsätzlich falsche Angaben gemacht. Er habe angegeben, daß der rechte Fuß und der rechte Unterschenkel verletzt worden seien. Tatsächlich habe jedoch nur eine Weichteilverletzung der linken Ferse vorgelegen. Die erheblichen Veränderungen am rechten Unterschenkel und Fuß, ebenso die degenerativen Veränderungen am rechten Hüftgelenk, am rechten Kniegelenk und die Verbindung der Lendenwirbelsäule seien unfallunabhängig. Die Blasenentzündungen und Blasensteine seien nicht Erkrankungserscheinungen, die auf eine Beschädigung des Harnsystems zurückzuführen seien, sondern Schädigungen, die der Kläger in betrügerischer Absicht selbst produziert habe, um ein Blasenleiden vorzutäuschen und dadurch in den Genuß von Leistungen aus der Unfallversicherung zu kommen. Als Unfallfolge bestehe lediglich ein "Zustand nach Beckenfraktur links und eine belanglose Narbe an der linken Ferse"; dadurch werde keine MdE meßbaren Grades hervorgerufen.
Der Kläger hat den Bescheid vom 23. Juli 1962 nicht angefochten.
Die Beklagte hat in der Zeit vom 11. März 1957 bis zum 31. Juli 1962 aus Anlaß des Unfalles des Klägers vom 21. Mai 1940 an Rente, Behandlungs- und Pflegekosten, Pauschale für Mehrverschleiß von Kleidern und Wäsche und Kosten einer orthopädischen Versorgung insgesamt 12.872,40 DM aufgewendet. Der Kläger ist durch Urteile der großen Strafkammer des Landgerichts Göttingen vom 22. Oktober 1963 und 21. Mai 1964 (3 KMs 2/63) - rechtskräftig - wegen fortgesetzten Betruges zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Durch Bescheid vom 13. Januar 1966 forderte die Beklagte von dem Kläger gemäß § 628 RVO den Betrag von 12.872,40 DM zurück: in dieser Höhe bestehe eine Bereicherung des Klägers durch vorsätzlich falsche Angaben in betrügerischer Absicht; dem Kläger werde nachgelassen, die Rückzahlung in Raten von monatlich 50,- DM, erstmalig für den Monat März 1966, zu bewirken. Den vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 3. April 1967 zurück.
Mit der dagegen erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Leistungen nicht zu Unrecht empfangen zu haben.
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat durch Urteil vom 24. September 1968 den Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 1966 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. April 1967 aufgehoben und in den Gründen ausgeführt: Die Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Leistungen sei wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht vertretbar. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Frühjahr 1966 lebe er von Sozialhilfe, die er zur Erhaltung seiner Existenz benötige. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 628 RVO könne eine Leistung, die auf betrügerische Weise erlangt worden sei, keineswegs immer zurückgefordert werden. Der Gesetzgeber habe vielmehr die Rückforderung ausnahmslos von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Empfängers abhängig gemacht.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 10. Juli 1969 (Breith. 1969, 940) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Grundlage des Rückforderungsanspruchs der Beklagten sei ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Der Anspruch setze voraus, daß der Empfänger eine nach unfallrechtlichen Vorschriften gewährte Leistung "zu Unrecht" erhalten habe. Das sei hier in Höhe des vom Beklagten geltend gemachten Anspruchs auf Rückzahlung von 12.872,40 DM der Fall. Den Rentenbewilligungsbescheid vom 23. Oktober 1957 habe die Beklagte mit dem auf § 1744 Abs. 1 Nr. 4 RVO gestützten Bescheid vom 23. Juli 1962 aufgehoben. Da der Kläger den letzteren Bescheid nicht angefochten habe, stehe bindend fest, daß er für die Zeit vom 11. März 1957 bis zum 31. Juli 1962 keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen aufgrund unfallrechtlicher Vorschriften gehabt und somit 12.872,40 DM zu Unrecht erhalten habe (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Einwendungen gegen den Bescheid vom 23. Juli 1962 könnten in dem hier anhängigen Streit über die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides nicht mehr erhoben werden. Der von der Beklagten geltend gemachte Rückforderungsanspruch sei dennoch ausgeschlossen. Nach der im vorliegenden Fall gemäß Art. 4 § 2 Abs. 1 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) anzuwendenden Vorschrift des § 628 RVO dürfe eine Leistung u.a. nur zurückgefordert werden, soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar sei. Für die Beurteilung der Frage, ob die Rückforderung vertretbar sei, komme es auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an. Zu dieser Zeit habe der Kläger Sozialhilfe in Höhe von 130,- DM monatlich bezogen. Ihm hätten daher nur die zur Bestreitung des notwendigen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel zur Verfügung gestanden. Die Rückforderung von 12.872,40 DM - auch in monatlichen Raten von 50,- DM - sei wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht vertretbar. Die drei in § 628 RVO angeführten Voraussetzungen müßten kumulativ zusammentreffen, um den Rückforderungsanspruch geltend machen zu können. Diese gesetzliche Regelung sei eindeutig. Ein Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber die hier streitige Regelung nicht habe treffen wollen, bestehe nicht. Den Gesetzesmaterialien sei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber die Möglichkeiten zur Rückforderung überzahlter Leistungen "aus Gründen der sozialen Billigkeit" habe ausschließen wollen (Bundestagsdrucksache IV 938 - neu - S. 18); er habe sich damit in dem Interessenkonflikt zwischen der öffentlichen Hand und dem einzelnen Staatsbürger auf den Boden der Sozialstaatlichkeit gestellt. Hiernach dürfe u.a. die wirtschaftliche Existenz des Staatsbürgers - soweit sie nur das zur Bestreitung des Lebensunterhalts Notwendige darstelle - durch Eingriffe der öffentlichen Hand nicht angetastet werden. Dieses Prinzip gelte unterschiedslos für alle Staatsbürger, also auch für denjenigen, der sich - wie der Kläger - öffentliche Leistungen durch strafbare Handlungen erschlichen habe. Diesem Prinzip widerspräche es, wenn die öffentliche Hand berechtigt wäre, einen böswilligen Leistungsempfänger durch Inanspruchnahme aller Vermögenswerte "zum Bettler" zu machen, zumal da sie den Betroffenen doch sogleich wieder mit Mitteln der Sozialhilfe unterstützen müßte. Die Regelung des § 628 Satz 2 RVO nF habe daher ihre innere Berechtigung. Die Vorschriften anderer Rechtsgebiete (§§ 47 Verwaltungsverfahrensgesetz - VerwVG - 7 Bundesentschädigungsgesetz) ließen ebenfalls erkennen, daß der Gesetzgeber auch den bösgläubigen Leistungsempfänger unter bestimmten Voraussetzungen geschützt wissen wolle. Diesen Schutz habe er durch § 628 Satz 2 RVO nF für das Gebiet der Unfallversicherung erweitert. Daß der Gesetzgeber diese Regelung so, wie sie nach ihrem klaren Wortlaut aufzufassen sei, verstanden wissen wolle, folge schließlich aus den §§ 1301 RVO, 93 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) und 80 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des am 1. Juli 1965 in Kraft getretenen Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes. In diesen Vorschriften habe er die Regelung des § 628 Satz 2 RVO nF - zwei Jahre später - für das Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung wörtlich übernommen und damit eindeutig zu erkennen gegeben, daß § 628 Satz 2 RVO nF seiner Auffassung entspreche.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und begründet es wie folgt: Durch strafbare Handlung erlangte Leistungen könnten stets zurückgefordert werden, entweder unmittelbar aufgrund des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs oder auf der Grundlage des § 628 RVO unter Berücksichtigung eines erweiterten Vertretbarkeitsmerkmals. Gründe der sozialen Billigkeit müßten gegenüber Straftätern zurücktreten. Die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Eingriffsmaßnahmen ergebenden Grenzen seien bei Rückforderungen gegenüber Straftätern weit zu ziehen. Auch diesem Personenkreis solle nicht die Existenzgrundlage streitig gemacht werden. Die Prüfung der konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse sei vielmehr - wie in anderen Rechtsgebieten - im Rahmen der Vollstreckung vorzunehmen. Neben dem Erstattungsanspruch bestehe auch ein Schadensersatzanspruch aus Verletzung der Pflichten des öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnisses, das durch Betrug zustandegekommen sei. Grundlage dieses Anspruchs bildeten die auch im öffentlichen Recht anzuwendenden Institute der culpa in contrahendo und der positiven Vertragsverletzung.
Die Beklagte beantragt,
unter Änderung der angefochtenen Urteile die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.
II
Der Senat hat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die zugelassene Revision ist begründet. Entgegen der Auffassung des LSG darf die Beklagte die dem Kläger gewährten Leistungen zurückfordern.
Der Bescheid vom 23. Juli 1962, durch den die Beklagte den Bescheid vom 23. Oktober 1957 über die Rentengewährung aufgrund des § 1744 RVO mit rückwirkender Kraft aufgehoben hat, ist bindend geworden (§ 77 SGG). Damit steht fest, daß die Beklagte die dem Kläger für die Zeit vom 11. März 1957 bis zum 31. Juli 1962 gewährten Leistungen "zu Unrecht" gezahlt hat. Zu Unrecht bewirkte öffentlich-rechtliche Leistungen sind nach der in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Institution des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zu erstatten (vgl. BSG 32, 52, 54; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Aufl., S. 190 g VI und 730 g mit weiteren Nachweisen). Den Rückforderungsanspruch - als Anwendungsfall des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (vgl. BSG 22, 136, 137) - konnte die Beklagte durch Verwaltungsakt feststellen (BSG 29, 6, 8). Die Frage, ob und inwieweit der Rückforderungsbescheid - idF des Widerspruchsbescheids - rechtmäßig ist, richtet sich nach § 628 Satz 2 RVO idF des UVNG vom 30. April 1963 (BGBl I 241 - vgl. Art. 4 § 2).
Nach dieser Vorschrift darf der Unfallversicherungsträger zu Unrecht erbrachte Leistungen nur zurückfordern, wenn ihn für die Überzahlung kein Verschulden trifft (1. Regelung), soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand (2. Regelung) und soweit die Rückforderung nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Empfängers vertretbar ist (3. Regelung).
Wie der erkennende Senat in seinem ebenfalls am 29. Juni 1972 ergangenen - zur Veröffentlichung vorgesehenen - Urteil 2 RU 256/68 entschieden hat, müssen zwar die Voraussetzungen aller drei Regelungen kumulativ erfüllt sein, dem schuldhaften Verhalten des Leistungsempfängers bei der Überzahlung kommt jedoch zentrale Bedeutung zu; bei erschlichenen Leistungen hat die im Zeitpunkt der Rückforderung bestehende wirtschaftliche Situation des Leistungsempfängers als unerheblich in den Hintergrund zu treten.
§ 628 Satz 2 RVO enthält im wesentlichen das, was bereits die Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes aus dem Grundsatz von Treu und Glauben entwickelt hat (BSG 23, 259, 262; SozR Nr. 8 zu § 1301 RVO; BSG in BG 1970, 393; Brackmann aaO S. 730 h, 731, 732 b; Pappai in BArbBl 1965, 606). Nach der 2. Regelung des § 628 Satz 2 RVO ist der bösgläubige Leistungsempfänger, der von der Unrechtmäßigkeit der Leistung weiß oder nur infolge Fahrlässigkeit nicht weiß, vor dem Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers nicht geschützt. Wie der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) zu dem inhaltlich gleichlautenden § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG ausgeführt hat, gilt dies selbst dann, wenn auch den Versicherungsträger an der Überzahlung ein Verschulden trifft (1. Regelung), der Empfänger die Überzahlung jedoch vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat; denn es erscheine schlechthin ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber demjenigen eine unrechtmäßige Leistung belassen möchte, der sie in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit arglistig erwirkt hat (vgl. SozR Nr. 16 zu § 1301 RVO). Das Ausmaß des Verschuldens ist auch bei der 3. Regelung des § 628 Satz 2 RVO zu berücksichtigen. Wer die Solidargemeinschaft aus Versicherten und Unternehmern schädigt, indem er sich Leistungen der Unfallversicherung (UV) erschleicht, soll zur Rückzahlung nicht nur verpflichtet sein, wenn die Rückforderung im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung wirtschaftlich vertretbar ist. Diesem Ergebnis stehen die Gründe, die den Gesetzgeber zu einer Änderung des § 620 RVO aF bewogen haben, nicht entgegen. Nach dem Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses des Bundestages (BT-Drucks. IV/938 - neu - zu § 625, abgedruckt bei Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 1 zu § 628) ist die Vorschrift aus Gründen sozialer Billigkeit erweitert worden. Der Gesichtspunkt der sozialen Billigkeit ist aber nicht nur im Hinblick auf den in Anspruch genommenen Versicherten zu beachten. Vielmehr ist unter diesem Aspekt auch das Interesse der Solidargemeinschaft an der Rückzahlung der erschlichenen Leistungen zu sehen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen in Mitt. Ruhrkn. 1968, 39). Der Solidargemeinschaft gegenüber wäre eine Regelung, die dem Versicherungsträger die Rückforderung einer erschlichenen Leistung nur gestattet, wenn sie wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers vertretbar ist, schlechthin unzumutbar. Wer sich eine Leistung erschlichen hat, darf sich in einem sozialen Rechtsstaat nicht darauf berufen dürfen, daß er in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Es kann vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein, daß der arglistige Leistungsempfänger die erschlichene Leistung behält und der Anspruch des Versicherungsträgers - sofern nur der arglistige Leistungsempfänger im Augenblick der Rückforderung in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt - untergeht und selbst dann nicht mehr durchgesetzt werden kann, wenn dieser später zu Vermögen kommt (Kohleiss, Ist das sozial? S. 72, 73; Beck in Arb. u. SozP 1967, 265, 267). Selbst im Vollstreckungsverfahren, in dem aus sozialpolitischen Gründen zur Verhütung der Existenzvernichtung ein Schuldnerschutz notwendig ist, kann das Arbeitseinkommen eines Schuldners wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in einem größeren Umfang gepfändet werden als wegen einer sonstigen Forderung (§ 850 f Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Diese Vorschrift zeigt ebenfalls, daß der Gesetzgeber denjenigen Schuldner für weniger schutzwürdig hält, der Leistungen, die ihm nach der Rechtsordnung nicht zustehen, erschlichen hat. Es wäre unter diesen Umständen nicht verständlich, wenn in der UV bei erschlichenen Leistungen bereits die Rückforderung wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers ausgeschlossen sein soll. Vollstreckungsschutz ist dem Schuldner aber auch hier zu gewähren.
Die Vorschrift über den Vollstreckungsschutz (§ 115 Abs. 1 RVO, § 5 VerwVollstrG i.V.m. §§ 350, 369 AO i.V.m. §§ 811 bis 813, 850 bis 852 ZPO) gewährleisten, daß die Existenzgrundlage auch des arglistigen Leistungsempfängers durch einen Eingriff der öffentlichen Hand nicht angetastet werden kann. Der gesetzlich geregelte Schuldnerschutz bei der Vollstreckung von Geldforderungen genügt auch den Anforderungen des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -). Durch ihn wird verhindert, daß der arglistige Leistungsempfänger durch die Inanspruchnahme aller Vermögenswerte der Allgemeinheit zur Last fällt. Wegen des schwerwiegenden öffentlichen Interesses ist es jedoch nicht gerechtfertigt, in diesen Fällen die für die Durchsetzung des Rückforderungsanspruches geltenden Schuldnerschutzbestimmungen bereits vorab - bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Rückforderung - zu berücksichtigen. Dies würde zu unbefriedigenden und vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnissen führen.
Unter Beachtung des zwischen den drei Regelungen des § 628 Satz 2 RVO bestehenden Zusammenhangs steht der Rückforderung von Leistungen, die sich der Leistungsempfänger durch Vortäuschung von Unfallfolgen erschlichen hat, somit nicht entgegen, daß der Leistungsempfänger sich im Zeitpunkt der Rückforderung in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen befunden hat. Nach den tatsächlichen und für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) bestehen keine Bedenken dagegen, daß die Beklagte an der Überzahlung kein Verschulden trifft und der Kläger bei Empfang der Leistungen bösgläubig war. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse kommt es nicht an, weil der Kläger sich die Leistungen erschlichen hatte (vgl. Brackmann aaO S. 732 e).
Die Rückforderung ist auch gerechtfertigt, soweit die Beklagte den vollen Geldbetrag geltend macht, den sie für die Bezahlung von Sachleistungen aufgewendet hat. Zwar hat der Senat entschieden (BSG 22, 136), daß sich der Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers wegen zu Unrecht gewährter Sachleistungen grundsätzlich nicht auf die vom Versicherungsträger gemachten Aufwendungen schlechthin und in vollem Umfang richten könne. Er sei vielmehr auf den Vermögensvorteil beschränkt, der dem Leistungsempfänger dadurch entstanden sei, daß ihm Aufwendungen erspart geblieben seien, die er sonst aus eigenen Mitteln getragen hätte. Diese Auffassung ist damit begründet worden, daß der Versicherte in der UV auf die Art und das Ausmaß der Sachleistungen regelmäßig keinen maßgeblichen Einfluß habe, sie vielmehr in Auswirkung der berufsgenossenschaftlich gelenkten Krankenbehandlung hinnehmen müsse. Bei erschlichenen Leistungen besteht eine solche Einschränkung des Rückforderungsanspruchs dagegen nicht, wie der Senat ebenfalls schon angedeutet hat (BSG 22, 136, 139). In diesem Fall muß sich der Versicherte entgegenhalten lassen, daß er die berufsgenossenschaftliche Kranken- bzw. Heilbehandlung durch sein arglistiges Verhalten erst herbeigeführt hat und der Versicherungsträger nur aufgrund seines Verhaltens tätig geworden ist. Hier dürfen daher die vollen vom Versicherungsträger aufgewendeten Kosten zurückgefordert werden.
Die Beklagte hat daher den Betrag von 12.872,40 DM zu Recht von dem Kläger zurückgefordert. Für einen Ermessensfehlgebrauch der Beklagten (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) liegen keine Anhaltspunkte vor.
Die Urteile der Vorinstanzen waren deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen