Leitsatz (amtlich)
1. Die für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entwickelte Rechtsprechung, nach der ein Versicherter keine Familienhilfe für seinen berufstätigen Ehegatten erhält, wenn dessen regelmäßiger JAV die Krankenversicherungspflichtgrenze (RVO § 165 Abs 1 Nr 2) überschreitet, ist auch für Einkünfte der Ehefrau des Versicherten aus Vermietung und Verpachtung anzuwenden (Fortführung von BSG 1970-10-02 3 RK 91/67 = BSGE 32, 13).
2. Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind bestimmte Unkosten, die steuerlich als Werbungskosten zu werten sind, abzusetzen, soweit sie bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aus der Natur des Beschäftigungsverhältnisses heraus nicht entstehen. Die gebotene Gleichbehandlung der verschiedenen Einkunftsarten ist dadurch zu wahren, daß die Werbungskosten, die bei nichtselbständiger Arbeit für die Feststellung des Überschreitens der Krankenversicherungspflichtgrenze nicht abgesetzt werden können, auch bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht absetzbar sind.
3. Für das Ausscheiden aus der Familienhilfe gilt die für das Ausscheiden aus der Krankenversicherungspflichtgrenze wegen Überschreitens der Krankenversicherungspflicht geltende Regelung des RVO § 165 Abs 5 entsprechend.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1970-12-21, Abs. 5 Fassung: 1975-06-24, § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1970-12-21; RKG § 20 Fassung: 1957-05-21
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. August 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger gehört der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner an. Darüber hinaus ist er auch freiwilliges Mitglied der knappschaftlichen Krankenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Streitig ist im Revisionsverfahren nur noch, ob die Beklagte in der Zeit vom 1. Januar bis zum 11. Mai 1972 berechtigt war, Leistungen der Familienhilfe aus der Krankenversicherung des Klägers für dessen Ehefrau zu versagen.
Mit Schreiben vom 22. März 1971 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie künftig für seine Ehefrau keine Familienhilfeleistungen mehr gewähren könne, weil deren Bruttoeinkommen aus Vermietung, Verpachtung, Grundbesitz usw. die Krankenversicherungspflichtgrenze überschreite. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1972 zurück. Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Detmold mit Urteil vom 29. Oktober 1973 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 31. August 1976 das Urteil des SG abgeändert und festgestellt, daß die Beklagte in der Zeit vom 22. März 1971 bis zum 15. Juni 1972 nicht berechtigt gewesen sei, Leistungen der Familienhilfe aus der Krankenversicherung des Klägers für seine Ehefrau zu versagen.
Das LSG hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei seiner Ehefrau unterhaltspflichtig gewesen, weil er höhere Einkünfte als diese gehabt habe. Außerdem hat das LSG festgestellt, daß das Einkommen der Ehefrau des Klägers in der Zeit vom 22. März bis zum 31. Dezember 1971 die damals geltende Krankenversicherungspflichtgrenze von monatlich 1425,- DM nicht überschritten hat. Nach einer Auskunft des Finanzamtes Bremen-West vom 13. Mai 1976 hätten die Einkünfte der Ehefrau aus Kapitalvermögen sowie Vermietung und Verpachtung im Jahre 1972 5.054,- DM betragen. Dieses Jahreseinkommen verteilte sich jedoch nicht gleichmäßig über das ganze Jahr, weil die Ehefrau dem Sohn des Klägers und dessen Ehefrau aufgrund einer Auflassung vom 12. Mai 1972 das Eigentum an einem Grundstück in Wuppertal-Barmen, C. Straße 113, und dem Kläger aufgrund einer Auflassung vom 7. Dezember 1971 das Eigentum an einem Grundstück in Wuppertal-Barmen, Graudenzer Straße 21, übertragen hatte. Das LSG ist davon ausgegangen, daß auch hier, wie bei Arbeitnehmern, für die Beurteilung der Versicherungspflichtgrenze von den Bruttoeinkünften, nicht aber vom steuerpflichtigen Einkommen auszugehen ist. Um die gebotene Gleichbehandlung mit Arbeitnehmern zu erzielen, seien aber bei den Einkünften der Ehefrau des Klägers die steuerlich als Werbungskosten anzusehenden Unkosten abzuziehen, die bei einer Erwerbstätigkeit in abhängiger Beschäftigung aus der Natur des Beschäftigungsverhältnisses heraus nicht entstehen, wie die Kosten für die Instandhaltung der Grundstücke, für Grundsteuer, Versicherung und Verwaltung. Auch soweit die Einnahmen Umlagen enthielten, seien diese abzusetzen. Allein aus den übertragenen Grundstücken ergäben sich im Jahre 1972 Mieteinnahmen in Höhe von 29.989,- DM, von denen nach Abzug der genannten Unkosten in Höhe von 7.828,- DM noch 22.161,- DM, d.h. monatlich rd. 1.847,- DM verblieben, so daß damit die im Jahre 1972 bestehende monatliche Krankenversicherungspflichtgrenze von monatlich 1.575,- DM überschritten werde. Gehe man davon aus, daß diese Mieteinnahmen der Ehefrau des Klägers vom 1. Januar bis zum 12. Mai 1972 zugestanden hätten, dann hätte in der Zeit vom 1. Januar bis einschließlich 11. Mai 1972 kein Anspruch auf Familienhilfe für die Ehefrau bestanden. Lege man dagegen für jeden Monat 1/12 des tatsächlichen Jahreseinkommens zugrunde, so hätte die Ehefrau des Klägers für 1972 insgesamt die Krankenversicherungspflichtgrenze von 18.900,- DM nicht überschritten. Welche Berechnungsart in derartigen Fällen anwendbar sei, läßt das LSG jedoch dahingestellt, weil unter Beachtung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Juni 1975 (1 BvR 2261/73, 2268/73) auch im vorliegenden Fall der Schutz des Vertrauens des Versicherten auf das Fortbestehen der Ansprüche auf Familienhilfe vorrangig sei gegenüber den Gedanken, von denen das Bundessozialgericht (BSG) sich in seiner Entscheidung vom 2. Oktober 1970 (BSGE 32, 13 ff = SozR Nr 27 zu § 205 RVO) habe leiten lassen. Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie greift die Entscheidung des LSG nicht an, soweit das LSG festgestellt hat, daß die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, in der Zeit vom 22. März bis zum 31. Dezember 1971 und für die Zeit vom 12. Mai bis zum 15. Juni 1972 Leistungen aus der Familienhilfe zu versagen; sie meint aber, derartige Leistungen für die Zeit vom 1. Januar bis 11. Mai 1972 versagen zu müssen. Sie beanstandet auch nicht die Art der Berechnung des Einkommens, insbesondere, daß - anders als bei Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit - bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bestimmte steuerlich als Werbungskosten zu beurteilende Unkosten von den Einkünften in Abzug zu bringen sind. Sie wendet aber dagegen, daß das LSG aus grundsätzlichen Erwägungen heraus zu dem Ergebnis gelangt ist, daß im Falle des Klägers die Schutzwürdigkeit der Ehefrau im Hinblick auf die Vorschrift des § 205 RVO generell trotz des Einkommens aus Vermietung und Verpachtung zu bejahen und sie deshalb in die Familienkrankenhilfe einzubeziehen sei.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es auch für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis zum 11. Mai 1972 feststellt, daß die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, Leistungen der Familienhilfe aus der knappschaftlichen Krankenversicherung für den Ehegatten des Klägers zu versagen und insoweit die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Nach § 20 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) iVm § 205 Abs 1 RVO in der im Jahre 1972 geltenden Fassung erhalten Versicherte für den unterhaltsberechtigten Ehegatten und die unterhaltsberechtigten Kinder, wenn diese sich gewöhnlich im Inland aufhalten und nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege haben, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, Krankenpflege und Krankenhauspflege unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfang wie Versicherte. Unter den Beteiligten ist mit Recht unstreitig, daß die Ehefrau gegenüber dem Kläger unterhaltsberechtigt war. Zu entscheiden ist lediglich darüber, ob die Familienhilfe für die streitige Zeit unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 2. Oktober 1970 - 3 RK 91/77 - (BSGE 32, 13 ff = SozR Nr 27 zu § 205 RVO) entfällt.
Nach dieser Entscheidung erhält ein Versicherter keine Familienhilfe für seinen berufstätigen Ehegatten, wenn dessen regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst die Krankenversicherungspflichtgrenze (§ 165 Abs 1 Nr 2 RVO) überschreitet. Das BSG hat die Ansicht vertreten, daß die Anwendung der Vorschrift über die Krankenversicherungspflichtgrenze und die Mitversicherung von Familienangehörigen zu in sich widersprüchlichen Ergebnissen führen würde, wenn Personen, die wegen der Höhe ihres Einkommens von der Versicherungspflicht freigestellt seien und deshalb keinen eigenen "gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" mehr haben, wegen eben dieser, mit der Versicherungsfreiheit notwendig verbundenen Rechtsfolge durch Mitversicherung beim Ehegatten wiederum in die Versicherung einbezogen würden. Das wäre um so weniger gerechtfertigt, als die beitragsfreie Mitversicherung aus den Mitteln der Versichertengemeinschaft getragen werden müsse, die versicherungspflichtigen Kassenmitglieder also den Versicherungsschutz von Personen mitzufinanzieren hätten, die der Gesetzgeber wegen Überschreitung der Einkommensgrenze aus der Versicherungspflicht entlassen und auf den Weg der Selbstvorsorge verwiesen habe. Damit würde das Prinzip der Solidarität der Versicherten, das die wirtschaftlich Leistungsfähigeren zum Einstehen für die Schwächeren verpflichtet und das mit Recht als konstituierendes Merkmal der sozialen Krankenversicherung angesehen worden sei, in sein Gegenteil verkehrt. Um dieses sinnwidrige Ergebnis zu vermeiden, müßten Beschäftigte, die wegen Überschreitung der Krankenversicherungspflichtgrenze versicherungsfrei seien, von der Familienhilfe ausgeschlossen bleiben.
Diese Rechtsprechung hat der erkennende Senat in einem Urteil vom 29. September 1976 - 5 RKn 41/75 - für den Fall übernommen, daß eine Ehefrau als Beamtin versicherungsfrei ist und ihr Gehalt die für Angestellte geltende Krankenversicherungspflichtgrenze überschreitet. Die gegen dieses Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie - soweit sie zulässig war - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (Beschluß des BVerfG vom 23. Dezember 1977 - 1 BvR 992/76 -).
Grundsätzlich hängt die Schutzbedürftigkeit gegen die wirtschaftlichen Risiken von Krankheiten nicht von der Art des Einkommens ab. Wenn also nach der genannten Rechtsprechung bestimmte Personen wegen der Höhe ihres Einkommens im Bereich der Familienhilfe nicht mehr als schutzbedürftig gelten, kann es nicht darauf ankommen, ob dieses Einkommen durch nichtselbständige Arbeit oder aus anderen Einkunftsarten erzielt wird. Der Senat hat deshalb keine Bedenken, die für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entwickelte Rechtsprechung auch für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung anzuwenden, wenn bei der Ermittlung dieser Einkünfte - wie im vorliegenden Fall geschehen - bestimmte Unkosten, die steuerlich als Werbungskosten zu werten sind, von den Einkünften abgezogen werden, soweit sie bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aus der Natur des Beschäftigungsverhältnisses heraus nicht entstehen. Da bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit vom Bruttoverdienst auszugehen ist, wird die gebotene Gleichbehandlung der verschiedenen Einkunftsarten dadurch gewahrt, daß die Werbungskosten, die bei nichtselbständiger Arbeit für die Feststellung des Überschreitens der Krankenversicherungspflichtgrenze nicht abgesetzt werden können, auch bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht absetzbar sind. Diese Art der Einkommensberechnung wird von der Beklagten ebenfalls gebilligt.
Die Ehefrau des Klägers hatte in der noch streitigen Zeit vom 1. Januar 1972 bis zum 11. Mai 1972 zwar Einkünfte, die die monatliche Krankenversicherungspflichtgrenze überschritten, dennoch muß ihr auch für diese Zeit Familienhilfe gewährt werden. Nach den Feststellungen des LSG hat das Einkommen der Klägerin in den Monaten vor dem 1. Januar 1972 die damals geltende monatliche Krankenversicherungspflichtgrenze nicht überschritten. Das war somit erstmalig im Monat Januar 1972 der Fall. Wenn aber die Gewährung der Familienhilfe von dem Nichtüberschreiten der Krankenversicherungspflichtgrenze im Sinne des § 165 Abs 1 Nr 2 RVO abhängt, dann muß auch für das Ausscheiden aus der Familienhilfe die für das Ausscheiden aus der Krankenversicherungspflicht wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze geltende Regelung des § 165 Abs 5 RVO entsprechend gelten. Das bedeutet, daß dann, wenn das Einkommen der Ehefrau eines Versicherten die Krankenversicherungspflichtgrenze überschreitet, die Ehefrau erst mit Ablauf des Kalenderjahres des Überschreitens aus der Familienhilfe ausscheidet. Die Ehefrau des Klägers hätte also, wenn dann die Voraussetzungen für ein Ausscheiden aus der Familienhilfe noch vorgelegen hätten, frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres 1972 aus dieser ausscheiden können, so daß der Kläger während der streitigen Zeit vom 1. Januar bis zum 11. Mai 1972 noch einen Anspruch auf Familienhilfe für seine Ehefrau hatte.
Das LSG ist demnach - wenn auch mit anderer Begründung - zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß für die Ehefrau des Klägers auch für die Zeit vom 1. Januar bis zum 11. Mai 1972 Familienhilfe aus der Versicherung des Klägers zu gewähren war.
Daher mußte die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen