Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. notwendiger Unterhalt

 

Orientierungssatz

1. Der angemessene Unterhalt der geschiedenen Frau braucht dann nicht ermittelt zu werden, wenn bereits der notwendige Lebensunterhalt, den die geschiedene Frau zu beanspruchen hat, ausreicht, um den erforderlichen Mindestbetrag (25 % des sozialhilfe-rechtlichen Regelsatzes) zu erreichen. Denn der verpflichtete Mann schuldet der geschiedenen Frau mindestens den zur Lebenserhaltung notwendigen Unterhalt.

2. Der notwendige Unterhalt setzt sich aus dem Regelsatz der Sozialhilfe, den Aufwendungen für Unterkunft einschließlich der Nebenkosten, den Mehrbedarfszuschlägen (§ 23 BSHG) sowie den einmaligen Leistungen in Form von Beihilfen, insbesondere zur Beschaffung von Heizmaterial, Hausrat und Kleidung, zusammen (vgl BSG vom 14.7.1982 5a/5 RKn 12/80 = BSGE 54, 34).

 

Normenkette

RVO § 1265 S 1 Alt 1; EheG § 58 Abs 1; BSHG

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 30.06.1982; Aktenzeichen L 14 Ar 302/80)

SG München (Entscheidung vom 18.12.1979; Aktenzeichen S 7 Ar 1607/75)

 

Tatbestand

Der im Jahr 1910 geborene Vorarbeiter Chrysant N. (Versicherter) heiratete im Jahr 1932 die im Jahr 1908 geborene Beigeladene Maria geb. L. Die Ehe wurde im Jahr 1949 aus dem überwiegenden Verschulden des Mannes geschieden. Dieser hatte damals ein durchschnittliches Monatseinkommen von 310,12 DM. Nach einem Urteil des Amtsgerichts Altötting sollte er zunächst 40,-- DM, aufgrund eines später geschlossenen Vergleichs ab Juli 1950 nur noch 30,-- DM monatlich als Unterhalt an die Beigeladene zahlen; ab Oktober 1964 erfolgten keine Zahlungen mehr, nachdem sich die Beigeladene in einem weiteren Vergleich verpflichtet hatte, vor Vollendung des 60. Lebensjahres und solange sie arbeitsfähig sei, keine Zwangsmaßnahmen aus dem Vergleich von 1950 zu betreiben.

Im März 1951 heiratete der Versicherte die Klägerin Sophie geb. Sch. Er ist am 27. Januar 1975 gestorben. Zur Zeit seines Todes bezog er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 785,60 DM und eine Betriebsrente von 340,-- DM, jeweils monatlich; die Beigeladene erhielt ein Altersruhegeld von 254,50 DM und eine Betriebsrente von 50,-- DM, jeweils monatlich.

Im Februar 1975 beantragten die Klägerin und die Beigeladene Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten. Die Beklagte bewilligte zunächst der Klägerin die volle Witwenrente (515,30 DM monatlich), kürzte diese dann aber mit Bescheid vom 13. November 1975 auf 306,30 DM monatlich; den Rest zahlte sie aufgrund eines weiteren Bescheides vom gleichen Tag an die Beigeladene aus.

Die Klägerin hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) München hat mit Urteil vom 18. Dezember 1979 den Bescheid der Beklagten vom 13. November 1975 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die volle Witwenrente zu zahlen. Auf die Berufung der Beigeladenen hin hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 30. Juni 1982 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage als unbegründet abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Wie das Einkommen des Versicherten zur Zeit der Scheidung für das Todesjahr projiziert werden solle, könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Nach seiner, des LSG, Rechtsauffassung müsse weder das Preisindexverhältnis von 1949 zu 1975, noch die allgemeine Lohnentwicklung, sondern die Entwicklung des vom Versicherten tatsächlich bezogenen Einkommens berücksichtigt werden. Die Einkünfte des Versicherten hätten im Todesjahr das 3,63fache des Einkommens im Scheidungsjahr ausgemacht. Von diesen Einkünften (1.225,60 DM) habe die Beigeladene zwischen einem Drittel und drei Siebentel, also 428,80 DM, monatlich zu beanspruchen gehabt; ziehe man davon das eigene Einkommen der Beigeladenen mit 304,50 DM ab, so ergebe sich ein Unterhaltsanspruch von 124,30 DM, mehr als 25 vH des Mindestbedarfs.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 1265 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie trägt vor, als Projektionsmethode sei allein das "Preisindexverhältnis", nicht aber die tarifliche Lohnentwicklung, die Nettolohnsteigerungsrate oder die Rentenentwicklung geeignet, nach dem Preisindexverhältnis habe aber die Beigeladene keinen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten gehabt. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Bayerischen LSG vom 30. Juni 1982 aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des SG München vom 18. Dezember 1979 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte hat keine Begründung abgegeben. Für die Ausführungen der Beigeladenen wird auf den Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 26. April 1983 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die volle Witwenrente.

Mit der Klage greift die Klägerin den Bescheid der Beklagten vom 13. November 1975 an, mit dem diese die Witwenrente der Klägerin nach § 1268 Abs 4 Satz 2 RVO neu, und zwar niedriger, festgestellt hat. Nach dieser Vorschrift ist die Rente (der Klägerin) neu festzustellen, wenn ein weiterer Berechtigter zu berücksichtigen ist. Als weiterer Berechtigter kommt hier die Beigeladene in Betracht. Sie ist dann zu berücksichtigen, wenn ihr ein Hinterbliebenen-Rentenanspruch nach § 1265 RVO zusteht. Gemäß Satz 1 dieser Vorschrift ist ein solcher Anspruch begründet, wenn der Versicherte ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte. Das ist hier der Fall.

Nach § 58 Abs 1 des hier noch anzuwendenden EheG idF bis 30. Juni 1977 hatte der ... überwiegend für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Einkünfte einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichten. Dazu bestimmte § 59 EheG, daß der ... überwiegend für schuldig erklärte Ehegatte dann, wenn er durch Gewährung des im § 58 bestimmten Unterhalts bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde, nur so viel zu leisten braucht, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht; dabei sind auch die Bedürfnisse und die wirtschaftlichen Verhältnisse eines minderjährigen unverheirateten Kindes und eines unterhaltsberechtigten neuen Ehegatten zu berücksichtigen.

Besteht sonach ein Unterhaltsanspruch nach den Vorschriften des EheG, so läßt sich allein damit noch nicht ein Rentenanspruch nach § 1265 Satz 1 RVO begründen, vielmehr muß der Unterhaltsanspruch mehr als nur einen geringfügigen Teil des Unterhalts ausmachen, wenn er für den Rentenanspruch beachtlich sein soll (BSGE 22, 44). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG wird diese Voraussetzung dann erfüllt, wenn er mindestens 25 % des sozialhilferechtlichen Regelsatzes beträgt (SozR 2200, § 1265 Nr 65). Um zu ermitteln, ob der Unterhaltsanspruch diese Höhe erreicht, ist in der Regel zunächst der Unterhaltsanspruch für den Zeitpunkt der Scheidung zu ermitteln, dann ist zu prüfen, ob und wie sich der Unterhaltsanspruch in der Zeit von der Scheidung bis zum Tod des Versicherten geändert hat - wie er auf den Todeszeitpunkt zu "projizieren" ist.

Diese Berechnung, durch die in der Regel der angemessene Unterhalt der geschiedenen Frau ermittelt wird, braucht dann nicht durchgeführt zu werden, wenn bereits der notwendige Lebensunterhalt, den die geschiedene Frau zu beanspruchen hat, ausreicht, um den erforderlichen Mindestbetrag zu erreichen. Denn der verpflichtete Mann schuldet der geschiedenen Frau mindestens den zur Lebenserhaltung notwendigen Unterhalt. Das hat der Senat bereits früher entschieden (SozR Nr 64 zu § 1265 RVO), der 5. Senat hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (Urteil vom 20. Juni 1979 - 5 RKn 34/77 - nicht veröffentlicht; BSGE 54, 34 = SozR 2200 § 1265 Nr 66). Der notwendige Unterhalt setzt sich aus dem Regelsatz der Sozialhilfe, den Aufwendungen für Unterkunft einschließlich der Nebenkosten, den Mehrbedarfszuschlägen (§ 23 Bundessozialhilfegesetz -BSHG-) sowie den einmaligen Leistungen in Form von Beihilfen, insbesondere zur Beschaffung von Heizmaterial, Hausrat und Kleidung, zusammen (BSGE 54, 34, 37).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Senat braucht weder den angemessenen Unterhalt zur Zeit der Scheidung noch den zur Zeit des Todes zu prüfen. Der Betrag, den der Versicherte zur Zeit seines Todes der Beigeladenen als notwendigen Unterhalt schuldete, war auch unter Berücksichtigung der Einkünfte der Beigeladenen Unterhalt iS des § 1265 RVO.

Das LSG hat - für den Senat bindend - festgestellt, daß im Jahr 1975 für einen Haushaltsvorstand am Wohnort der Beigeladenen ein Regelsatz nach dem BSHG von 252,-- DM monatlich galt und die Beigeladene zwischen 60,-- und 70,-- DM monatlich für ihre Unterkunft aufwenden mußte. Da die Beigeladene damals schon 67 Jahre alt war, ist nach § 23 Abs 1 Nr 1 BSHG idF vor dem 1. Januar 1982 ein Mehrbedarf von 30 vH des Regelsatzes = 75,60 DM monatlich anzunehmen. Legt man auch nur die untere Grenze der Unterkunftskosten zugrunde und berücksichtigt nicht etwa erforderlich gewesene Beihilfen, so ergibt sich ein Mindestbedarf von  387,60 DM. Davon sind die Einkünfte der Beigeladenen in Höhe von 304,50 DM abzuziehen. Der verbleibende Betrag von 83,10 DM ist höher als 25 vH des Regelsatzes, nämlich 63,-- DM, und damit Unterhaltsanspruch iS des § 1265 RVO (vgl dazu die Urteile des Senats BSGE 22, 44 = SozR Nr 26 zu § 1265 RVO und BSGE 40, 79 = SozR 2200 § 1265 Nr 5 und des 5. Senats BSGE 53, 256 = SozR 2200 § 1265 Nr 63). Der Versicherte, der Einkünfte von zusammen 1.125,10 DM monatlich bezog, war zur ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage.

Das LSG hat somit im Ergebnis zutreffend angenommen, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes der Beigeladenen Unterhalt nach dem EheG zu leisten hatte (§ 1265 Satz 1 Fall 1 RVO). Der Beigeladenen steht somit die Geschiedenen-Witwenrente zu. Die Revision der Klägerin war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

zu. Die Revision der Klägerin war deshalb als unbegründet Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662719

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