Leitsatz (amtlich)
Bei der Berechnung der Halbbelegung wird ein Kalendermonat, der nur teilweise mit Pflichtbeiträgen belegt ist, während für den restlichen Teil die Merkmale einer Ausfallzeit vorliegen, nur als Beitragsmonat mitgezählt (RVO § 1259 Abs 3 S 1); er bleibt nicht außerdem bei der Ermittlung der Anzahl der Kalendermonate vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles als "Ausfallzeit" unberücksichtigt (RVO § 1259 Abs 3 S 2).
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1965-06-09, S. 2 Fassung: 1965-06-09, § 1258 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1250 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 17. Januar 1975 und des Sozialgerichts Berlin vom 29. Oktober 1971 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Für die am ... 1908 geborene Klägerin wurde der erste Beitrag zur Invalidenversicherung im September 1926 entrichtet. Die Zeit bis einschließlich August 1970 ist mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung von 237 Monaten belegt. Die Beschäftigung der Klägerin war vom 2. Dezember 1952 bis 24. Februar 1953 und vom 1. bis 30. Juni 1969 durch Zeiten der infolge Krankheit bedingten Arbeitsunfähigkeit sowie vom 15. Mai bis 1. Juli 1952, vom 1. März 1953 bis 16. August 1956 und vom 29. Dezember 1956 bis zum 31. Mai 1957 durch Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen (insgesamt 55 Monate). Für die Monate Mai, Juli und Dezember 1952, Februar 1953 sowie August und Dezember 1956 (zusammen 6 Monate) wurden auch Pflichtbeiträge entrichtet; sie sind in den 237 Monaten enthalten.
Dem Antrag der Klägerin entsprechend bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 16. September 1970 für die Zeit vom 1. September 1970 an Altersruhegeld. Sie rechnete die 237 Beitragsmonate - einschließlich der 6 auch als Ausfallzeit geltenden Monate - und eine pauschale Ausfallzeit (Art. 2 § 14 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG -) von 5 Monaten an. Die nachgewiesenen Ausfallzeiten berücksichtigte sie nicht, weil die Halbbelegung nach § 1259 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gegeben sei. Dabei ging sie von folgender Berechnung aus:
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Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung (September 1926) bis zum Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist (September 1970), |
529 Monate, |
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ab: Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung und Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, |
2 Monate |
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ab: Ausfallzeiten |
49 Monate |
Ergebnis |
478 Monate |
die Hälfte: |
239 Monate. |
Mit der Klage hat die Klägerin vorgetragen, bei der Berechnung der Halbbelegung müßten vom Gesamtzeitraum auch die 6 weiteren Ausfallzeit-Monate abgezogen werden; dann sei die Halbbelegung gegeben, was zur Berücksichtigung der nachgewiesenen Ausfallzeiten anstelle der kürzeren pauschalen Ausfallzeit führe. Mit Urteil vom 29. Oktober 1971 hat das Sozialgericht (SG) Berlin den Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "das Altersruhegeld der Klägerin mit Wirkung ab 1. September 1970 neu zu berechnen und dabei anstelle der pauschalen Ausfallzeit von 5 Kalendermonaten 49 Kalendermonate als nachgewiesene Ausfallzeit zu berücksichtigen". Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen und ausgeführt: Monate, die zu einem Teil mit einer tatbestandsmäßigen Ausfallzeit und zum anderen Teil mit einer Beitragszeit belegt seien, müßten bei der Ermittlung des Halbbelegungszeitraumes abgesetzt werden. Solche Monate seien zwar nicht als Ausfallzeiten auf die Versicherungsjahre anzurechnen, weil insoweit die Beitragszeit vorgehe und § 1258 Abs. 1 RVO eine Doppelanrechnung ausschließe. Für die Frage, welche Zeiten bei der Berechnung der Halbbelegung abzusetzen seien, komme es aber nur darauf an, ob es sich tatbestandsmäßig um eine Ausfallzeit handele.
Mit der zugelassenen Revision weist die Beklagte auf den Grundsatz des Vorranges der Beitragszeiten vor Ausfall-, Ersatz- und Zurechnungszeiten (§ 1258 Abs. 1 RVO) hin. Sie beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist, wie im Gegensatz zu den Vorinstanzen festzustellen ist, rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Erhöhung des Altersruhegeldes durch Berücksichtigung der nachgewiesenen Ausfallzeit anstelle der pauschalen Ausfallzeit.
Die Höhe des Altersruhegeldes wird durch die Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre, den Steigerungssatz und die für den Versicherten maßgebende Rentenbemessungsgrundlage bestimmt (§ 1254 Abs. 1 RVO). Die Ausfallzeiten beeinflussen die Höhe zum einen durch ihre Berücksichtigung bei der Rentenbemessungsgrundlage (§ 1255 a RVO) und zum anderen dadurch, daß sie die Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre erhöhen (§ 1258 Abs. 1 RVO).
Die Berücksichtigung von Ausfallzeiten - in denen der Versicherte aus persönlichen Gründen an der Beitragsleistung verhindert war - widerspricht an sich dem Versicherungsprinzip der Gleichheit von Beiträgen und Leistungen, stellt sich als eine Ausprägung des Sozialstaatsgedankens dar und ist in mehrfacher Hinsicht beschränkt, damit sie nur Personen zugute kommt, die - weil sie ihre Altersversorgung auf die gesetzliche Rentenversicherung abgestellt haben - als besonders schutzbedürftig angesehen werden. Eine dieser Beschränkungen ist die Vorschrift des § 1259 Abs. 3 RVO über das Erfordernis der Halbbelegung. Danach werden, um solche Pflichtversicherten von den Vorteilen der Ausfallzeit-Anrechnung auszuschließen, deren Versicherungsleben eine erheblich unter dem Durchschnitt liegende Kontinuität aufweist (BVerfGE 36, 102, 114 = SozR Nr. 97 zu Art. 3 Grundgesetz - GG -), Ausfallzeiten nur angerechnet, wenn mehr als die Hälfte des Gesamtzeitraumes (vom Eintritt in die Versicherung bis zum Versicherungsfall) mit Pflichtbeiträgen belegt ist. Damit aber Versicherte, für die aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen längere Zeit keine Beiträge entrichtet wurden, keine unzumutbaren Nachteile gegenüber anderen Versicherten mit regelmäßiger Beitragsleistung erleiden, sieht Satz 2 vor, daß in bestimmtem Umfang Ersatz-, Ausfall- und Rentenbezugszeiten von dem Gesamtzeitraum abgezogen werden. So ist die Beklagte auch verfahren. Die Bedenken der Klägerin richten sich lediglich darauf, daß neben den "reinen" Ausfallzeit-Monaten nicht auch die "gemischten" Kalendermonate, die nur zum Teil mit Beiträgen belegt sind und für deren übrigen Teil an sich die Merkmale einer Ausfallzeit vorliegen, abgezogen worden sind, was zu einer Verringerung des Gesamtzeitraumes bei gleichbleibender Beitragszeit und damit zur Erfüllung der Halbbelegung und Berücksichtigung der gesamten Ausfallzeiten geführt hätte.
Das Gesetz erkennt Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeiten nur an, wenn sie die Beschäftigung für mindestens einen Kalendermonat unterbrochen haben (§ 1259 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 RVO). Das wird mit der Absicht erklärt, von vornherein dem Grundsatz des Vorrangs von Beitragszeiten vor Ausfallzeiten Rechnung zu tragen, weil der Pflichtbeitrag auch nur für einen Teil eines Monats diesen ganzen Monat zur Beitragszeit qualifiziert (Großer Senat des Bundessozialgerichts in dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Beschluß vom 9. Dezember 1975 - GS 1/75 -). Dauert die Ausfallzeit länger als einen Kalendermonat, dann wird auch derjenige weitere Kalendermonat, der nur teilweise mit Ausfallzeiten belegt ist, voll als Ausfallzeit angerechnet (§ 1259 Abs. 4 RVO), vorausgesetzt, daß der restliche Teil dieses Kalendermonats nicht mit Beiträgen oder Ersatzzeiten belegt ist, die diesen Kalendermonat voll als Versicherungszeit anrechenbar machen (§ 1250 Abs. 3, § 1258 Abs. 1 RVO).
Die Frage, wie bei der Halbbelegung (§ 1259 Abs. 3 RVO) Kalendermonate zu behandeln sind, die nur zum Teil mit (Pflicht-) Beiträgen belegt sind, während der übrige Teil an sich eine Ausfallzeit darstellen könnte, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt.
Eine am Sinn der Halbbelegungsvorschrift orientierte Auslegung des § 1259 Abs. 3 RVO ergibt folgendes: Bei der Berechnung der Halbbelegung wird ein Kalendermonat, der zum Teil mit Pflichtbeiträgen belegt ist (§ 1250 Abs. 3 RVO) und im restlichen Teil eine Ausfallzeit sein könnte, nur bei den Beitragsmonaten mitgezählt. Es kann nicht außerdem noch bei der Ermittlung der Anzahl der Kalendermonate vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles (Gesamtzeitraum) abgezogen werden; denn er stellt allein einen Beitragsmonat dar. Sogenannte "gemischte" Kalendermonate werden im Gesetz jeweils einer bestimmten Kategorie der versicherungsrechtlich erheblichen Zeiten in bestimmter Rangfolge (§ 1258 Abs. 1 RVO) zugeordnet. Ein Beitrag macht den Kalendermonat zum Beitragsmonat (§ 1250 Abs. 1 Buchstabe a und Absatz 3, § 1251 Absatz 2 Satz 1, 2. Halbsatz RVO). Ein Teil eines Kalendermonats mit einer Ersatzzeit, während der weitere Teil an sich eine Ausfallzeit sein könnte, macht den Monat im vollen Umfang zum Ersatzzeitmonat (§ 1250 Abs. 1 Buchstabe b, § 1258 Abs. 1 RVO). Ein Kalendermonat mit einem Teil Ausfallzeit, bei dem der restliche Teil versicherungsrechtlich irrelevant ist, macht den Kalendermonat in vollem Umfang zum Ausfallzeit-Monat (§ 1259 Abs. 4 RVO). - Die Ausnahme in § 1255 Abs. 7 Satz 2 RVO kommt hier nicht in Betracht. -
Wollte man - mit dem Berufungsgericht- bei der Halbbelegung "gemischte" Kalendermonate sowohl der Beitragszeit zuzählen als auch von dem Gesamtzeitraum abziehen, so hätte ein solcher Kalendermonat eine doppelte Wirkung und zwar die eines Beitragsmonats und außerdem noch die eines Ausfallzeitmonats. Dies wäre aber weder sinnvoll noch sachgerecht. Der Versicherte hat keinen Anspruch darauf, einen "gemischten" Kalendermonat doppelt so hoch wie den "reinen" (Beitrags-, Ersatzzeit- oder Ausfallzeit-) Kalendermonat berücksichtigt zu bekommen. Er hat in einem solchen "gemischten" Kalendermonat, in dem er z. B. teilweise gearbeitet hat und teilweise krank oder arbeitslos gewesen ist, weder eine höhere Leistung zur Rentenversicherung erbracht als in einem anderen Monat noch Anspruch auf einen stärkeren Versicherungsschutz erworben. Bei der Auffassung der Klägerin stände ein Versicherter mit "gemischten" Kalendermonaten bei der Halbbelegung im Ergebnis günstiger da, als wenn der jeweilige Kalendermonat nur mit Beiträgen belegt wäre; denn ein solcher Monat kann nicht vom Gesamtzeitraum abgezogen werden.
Diese Auslegung des § 1259 Abs. 3 RVO entspricht dem Grundsatz, daß jeder Kalendermonat nur einmal und zwar in bestimmter Rangfolge - wie dargelegt - berücksichtigt wird (§ 1258 Abs. 1 RVO). Die Ausnahme von diesem Grundsatz, die in § 1259 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 RVO ausdrücklich angeordnete Doppelberücksichtigung des Kalendermonats des Eintritts in die Versicherung und - soweit er mit Pflichtbeiträgen belegt ist - des Kalendermonats des Versicherungsfalles, kann nicht ausdehnend verallgemeinert werden. Für die Berücksichtigung von Kalendermonaten bei der Halbbelegung gilt insoweit nichts anderes als für die Errechnung der Anzahl der Versicherungsjahre (§ 1258 Abs. 1 RVO).
Auf die Revision der Beklagten waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen