Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz. Versorgungszusage. Verwaltungsakt. Ausscheiden aus Versorgungssystem. Überführungsprogramm
Leitsatz (amtlich)
Zeiten einer Tätigkeit, für die eine Versorgungszusage erteilt worden war, gelten als Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung unabhängig davon, ob nach DDR-Recht materiell die Rechte aus dem Versorgungssystem bei einem Ausscheiden vor Eintritt des Versorgungsfalls verloren gingen.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
AAÜG § 1 Abs. 1 S. 2, § 2 Abs. 2, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1; AAÜG Anl. 1 Nr. 1; EinigVtr Art. 19 S. 1; EinigVtr Anl. II Kap. VIII H; EinigVtr Anl. II Kap. VIII H III Nr. 9; SGB X § 31
Verfahrensgang
Tenor
I. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. August 1996 abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
1) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 14. August 1995 abgeändert: Der Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1994 wird abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, die in der Zeit vom 1. Oktober 1968 bis 12. Oktober 1981 erzielten Arbeitsentgelte des Klägers unter Anwendung der Anlage 3 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz vom 25. Juli 1991 festzustellen.
2) Die Klage wird – als unzulässig – abgewiesen, soweit der Kläger die Neufeststellung der Altersrente begehrt.
3) Im übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
II. Die Revision der Beklagten wird im übrigen zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, in dem die Beklagte es abgelehnt hatte, Arbeitsentgelte für die Dauer der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem festzustellen.
Der am 21. November 1924 geborene Kläger war in der ehemaligen DDR von Januar 1964 bis zu seiner fristlosen Kündigung – nach seinen Angaben wegen Westkontakten – am 12. Oktober 1981 erwerbstätig. Er gehörte seit 1. Oktober 1968 – beitragsfrei – dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz an, gemäß der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (≪AVI≫ GBl I Nr 93 S 844). Gemäß dem Versicherungsschein der Deutschen Versicherungsanstalt vom 20. November 1968 wurde ihm bei Vollendung des 65. Lebensjahres bzw bei Eintritt der vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit eine monatliche Rente in Höhe von 60 vH des im letzten Jahr vor Eintritt des Versorgungsfalls bezogenen durchschnittlichen monatlichen Bruttogehaltes, höchstens 800,00 Mark, zugesagt. Von Oktober 1971 bis 1981 entrichtete der Kläger auch Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR).
Ab 1. November 1989 erhielt der Kläger eine Altersrente aus der Sozialpflichtversicherung und eine Rente aus der FZR. Eine Rente aus dem Zusatzversorgungssystem hatte er – nach seinen Angaben – nicht beantragt. Mit Bescheid „über die Umwertung und Anpassung der Rente aufgrund des ab 1. Januar 1992 geltenden neuen Rentenrechts” gewährte ihm die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, anstelle der og Leistungen eine Regelaltersrente nach den Bestimmungen des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Zahlbetrag der Rente belief sich zum 1. Januar 1992 auf 1.030,30 DM.
Im Februar 1993 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung auch der Zeiten seiner Zugehörigkeit zur AVI. Mit Bescheid vom 31. Januar 1994 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1994 lehnte die Beklagte, Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme, eine Berücksichtigung dieser Zeiten ab, weil gemäß § 2 Abs 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur AVI (AVI-VO) vom 24. Mai 1951 (GBl Nr 62 S 487) die Altersversorgung nur solchen Versorgungsberechtigten zu gewähren gewesen sei, die sich zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls in einem Anstellungsverhältnis zu einem volkseigenen oder ihm gleichgestellten Betrieb befunden hätten. Diese Voraussetzungen hätten beim Kläger zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls des Alters, am 20. November 1989, nicht vorgelegen. Zuvor, vor Erlaß des Widerspruchsbescheides, hatte die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen, daß eine Anerkennung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem „zur Zeit” nicht in Betracht komme, weil das Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligung für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (≪BerRehaG≫ Art 2 des Zweiten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht vom 23. Juni 1994, BGBl I S 1311) noch nicht in Kraft getreten sei.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, unter Abänderung der og Bescheide seine Altersrente neu zu berechnen und „dabei die Ansprüche aus der AVI” zu berücksichtigen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. August 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 2. August 1996 das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Umwertungsbescheid teilweise zurückzunehmen und die Arbeitsentgelte unter Zugrundelegung der Zeiten der Zugehörigkeit zur AVI von Oktober 1968 bis Oktober 1981 sowie der Werte nach der Anl 3 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606, 1677) festzustellen und die Altersrente entsprechend neu zu berechnen; im übrigen – was die Zeit von November 1981 bis Oktober 1989 anbelangt – hat es die Berufung zurückgewiesen, da eine Berücksichtigung dieser Zeiten allein gemäß den im BerRehaG vorgeschriebenen Verfahren in Betracht komme. Soweit die Berufung Erfolg hatte, hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Erlaß eines sog Zugunstenbescheides nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 307a Abs 8 Satz 3 bis 7 SGB VI sowie von § 259b Abs 1 SGB VI iVm §§ 5, 6 Abs 1 AAÜG. Zwar habe er bis zum 31. Dezember 1991 keinen Antrag auf Berücksichtigung der Zeiten aus dem Zusatzversorgungssystem gestellt; ein derartiger Antrag hätte auch wegen der bis zu diesem Zeitpunkt weiter geltenden Vorschriften der ehemaligen DDR, nämlich im Hinblick auf § 2 Abs 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur AVI-VO, abgelehnt werden müssen. Die Zeit vom 1. Oktober 1968 bis 12. Oktober 1981 sei aufgrund des AAÜG und der maßgebenden Vorschriften des am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen SGB VI idF des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606) zu berücksichtigen. Zu Unrecht habe die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden mithin nicht nur den Erlaß des Zugunstenbescheides über eine Neufeststellung der Rente, sondern zugleich – inzidenter – auch die Feststellung der Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem gemäß § 8 AAÜG abgelehnt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 307a SGB VI und trägt vor:
Am 31. Dezember 1991 habe der Kläger lediglich einen Anspruch auf eine Rente aus der Sozialpflichtversicherung und aus der FZR gehabt, der nach § 307a Abs 1 bis 3 SGB VI umzuwerten gewesen sei. Eine Neuberechnung der Rente nach § 307b SGB VI komme nicht in Betracht, da dem Kläger am 31. Dezember 1991 kein Anspruch auf eine nach dem AAÜG überführbare Leistung zugestanden habe. Der Anspruch auf Leistungen aus dem Versorgungssystem sei nämlich, wie sich aus § 2 Abs 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung AVI-VO ergebe, bereits vor Eintritt des Versorgungsfalls erloschen gewesen. § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG stehe dem nicht entgegen. Die Vorschrift regele allein das Wiederaufleben und nicht das Entstehen von Rentenanwartschaften zum Zwecke der Überführung. Würde man § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG anders auslegen, dann hätte ab 1. August 1991 eine Gesetzeskonkurrenz mit den bis zum 31. Dezember 1991 weiter geltenden Bestimmungen der Versorgungssysteme bestanden. Bestätigt werde die Auslegung durch die Regelungen des BerRehaG. Danach sei bei Verfolgten, die wegen einer Verfolgungsmaßnahme aus einem Sonder- und Zusatzversorgungssystem ausgeschieden seien, eine neue Rentenberechnung durchzuführen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. August 1996 aufzuheben, soweit sie verurteilt worden ist, eine Neuberechnung der Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung der Zeiten seiner Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz von Oktober 1968 bis Oktober 1981 vorzunehmen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt; er ist anwaltlich nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten hat teilweise Erfolg.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, die Altersrente des Klägers neu festzustellen unter Berücksichtigung der – nach § 8 AAÜG – „vorzumerkenden” Arbeitsentgelte während seiner Zugehörigkeit zur AVI.
1. Begründet ist die Revision der Beklagten und das Urteil des LSG aufzuheben, soweit das LSG die Beklagte zur Neufeststellung der Altersrente verurteilt hat; insoweit ist die Klage – als unzulässig – abzuweisen.
Die Klage ist hinsichtlich dieses Teils des Verfahrensgegenstandes bereits vor dem SG unzulässig gewesen, weil insoweit kein vom Kläger mit der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) angreifbarer Verwaltungsakt vorgelegen hat. Erkennbar hat die Beklagte (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫), was bereits dem Schreiben vor Erlaß des Widerspruchsbescheides zu entnehmen war, als Funktionsnachfolgerin des Trägers des Zusatzversorgungssystems (§ 8 Abs 4 Nr 1 AAÜG) gehandelt und allein eine Entscheidung über die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Feststellungen getroffen; sie hat es abgelehnt, Zeiten der Zugehörigkeiten zur AVI und die entsprechenden Arbeitsentgelte nach der Anl 3 zum AAÜG gemäß § 8 AAÜG „vorzumerken”. Hingegen hat die BfA als zuständiger Träger der gesetzlichen Rentenversicherung über den – auch – auf Neufeststellung der Altersrente gerichteten Antrag des Klägers vom Februar 1993 bisher noch nicht entschieden. Diese Vorgehensweise entspricht der Gesetzeslage. Der Gesetzgeber hat bei der „Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen” zwei Verfahren vorgesehen, die er unterschiedlich ausgestaltet hat. Zur Entscheidung über die zur Festsetzung der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung notwendigen Vorfragen (Art und Höhe der zu berücksichtigenden Entgelte; § 8 Abs 1 und 2 AAÜG; vgl entsprechend § 149 Abs 5 SGB VI) ist die Beklagte als Funktionsnachfolgerin des Trägers des Zusatzversorgungssystems der AVI (Anl 1 Nr 1 zum AAÜG, Art 13 Einigungsvertrag ≪EinigVtr im folgenden: EV≫ vom 31. August 1990 ≪BGBl II S 889≫) zuständig (§ 8 Abs 1, Abs 4 Nr 1 AAÜG), für das abschließende Rentenfeststellungsverfahren jedoch die BfA als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 8 Abs 5 AAÜG). Beide Aufgabenbereiche werden von der BfA selbständig und in unterschiedlicher Funktion wahrgenommen (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 2). Die Aufgaben und Befugnisse des Funktionsnachfolgers des Trägers des Zusatzversorgungssystems sind demgemäß von vornherein ausschließlich darauf gerichtet, Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse der Betroffenen festzustellen, soweit sie nach den §§ 5 bis 7 AAÜG für die spätere Überführung und Rentenfestsetzung für den Rentenversicherungsträger rechtserheblich werden können. Allein insoweit hat die Beklagte die für eine Rentenneufeststellung erforderliche vorrangige (hier: ablehnende) Entscheidung getroffen; dabei hat sie – gesetzeskonform – jedoch nicht zugleich über den Neufeststellungsantrag (mit-)entschieden.
Infolgedessen ist der Kläger insoweit nicht durch einen Verwaltungsakt iS des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG beschwert; seine Klage war mithin insoweit unzulässig, die Berufung in diesem Umfang unbegründet und die Revision der Beklagten insoweit erfolgreich.
2. Unbegründet ist die Revision der Beklagten hingegen, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Feststellung der – nach § 8 Abs 1 und 2 AAÜG iVm § 6 Abs 1 iVm mit der Anl 3 zum AAÜG – „vorzumerkenden” Arbeitsentgelte für die Dauer der Zugehörigkeit des Klägers zur AVI vom 1. Oktober 1968 bis zum 12. Oktober 1981 richtet.
Das LSG hat zutreffend den auf den Antrag des Klägers vom Februar 1993 ergangenen ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1994 insoweit aufgehoben. Mit diesem Antrag hatte der Kläger zwar im Ergebnis eine – höhere – Rente, aber unter Berücksichtigung der Zeiten der Zugehörigkeit zur AVI begehrt (§ 133 BGB). Der Antrag des Klägers konnte von der BfA – im Interesse des Klägers (§ 2 Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) – mithin nur so verstanden werden, daß er die für ein erfolgreiches Begehren erforderlichen Erklärungen abgeben wollte. Der Antrag betraf daher sowohl das Verfahren auf Feststellung dieser Zeiten und der entsprechenden Arbeitsentgelte gegenüber der Beklagten als Funktionsnachfolgerin des Trägers des Zusatzversorgungssystems nach § 8 Abs 4 Nr 1 AAÜG als auch das Verfahren über die Neufeststellung seiner Rente gegenüber der BfA als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Sowohl das SG als das LSG haben zwar – wie ausgeführt – die „eingeschränkte”, sich allein auf das Verfahren nach § 8 AAÜG beziehende Regelung der angefochtenen Bescheide unberücksichtigt gelassen und zu Unrecht auch über eine Neufeststellung der Rente (mit)entschieden. Daneben haben sie aber zu Recht – zugleich – eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Bescheide getroffen, in denen die Beklagte es abgelehnt hatte, die Zeiten der Zugehörigkeit zu dem Versorgungssystem und die entsprechenden Arbeitsentgelte nach § 8 Abs 1 und 2 AAÜG „vorzumerken”.
Diese Bescheide waren, wie das LSG zutreffend erkannt hat, rechtswidrig und insoweit abzuändern. Das LSG hat daher die Beklagte zu Recht verurteilt, die Dauer der Zugehörigkeit des Klägers zu dem Versorgungssystem vom 1. Oktober 1968 bis zum 12. Oktober 1981 und die während dieses Zeitraums erzielten Arbeitsentgelte gemäß § 6 Abs 1 AAÜG iVm der Anl 3 festzustellen. Dieser Anspruch beruht auf der dem Kläger am 20. November 1968 von der Staatlichen Versicherung der ehemaligen DDR erteilten Versorgungszusage, ihm werde entsprechend der jeweiligen Gesetzeslage ein Anspruch auf Leistungen aus dem Zusatzversorgungssystem – ua – bei Vollendung seines 65. Lebensjahres zustehen. Die Versorgungszusage, ein Verwaltungsakt iS von Art 19 EV, der in der DDR nicht aufgehoben worden war, blieb – kraft Bundesrecht – für die Zeit nach der Wiedervereinigung, nach dem 3. Oktober 1990, wirksam. Dies hat zur Folge, daß der Kläger im Bundesrecht, auf das es hier alleine ankommt, Rechte aus der Zusage nach der zum Zeitpunkt der Geltendmachung bzw der Entstehung des Anspruchs maßgeblichen Rechtslage hat.
Gemäß Art 19 Satz 1 EV bleiben vor dem Beitritt (mit Beginn des 3. Oktober 1990) ergangene Verwaltungsakte der ehemaligen DDR wirksam. Für die Beurteilung, ob das Verhalten eines Organs der früheren DDR oder ihrer Untergliederungen ein Verwaltungsakt iS von Art 19 Satz 1 EV ist, kommt es allein auf die Bewertung nach Bundesrecht an; dies gilt auch für die Frage seiner Wirksamkeit mit Ablauf des 2. Oktober 1990 und Beginn des 3. Oktober 1990. Nach Bundesrecht ist die Versorgungszusage im Versicherungsschein der Staatlichen Versicherung der ehemaligen DDR vom November 1968 ein Verwaltungsakt iS des am 3. Oktober 1990 zumindest entsprechend anwendbaren § 31 SGB X (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 11 Nr 4 S 36). Es fehlt jeder Hinweis, daß Art 19 EV auf einen anderen Begriff als den des Verwaltungsaktes in § 31 SGB X abstellt. Die Versorgungszusage regelte auch einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 17 Nr 1 S 13; SozR 3-8120 Kapitel VIII A III Nr 6, Nr 1 S 9). Sie begründet nämlich Rechte aus dem Zusatzversorgungssystem, das ausschließlich auf staatlicher Norm (AVI-VO) beruhte und gegen staatliche Träger, nämlich die „Versicherungsanstalten der Länder der DDR” (§ 2 AVI-VO), gerichtet war (vgl hierzu entsprechend BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 8 S 19). Dieser, das Versorgungsrechtsverhältnis begründende und damit auch zu „Versorgungsanwartschaften” – gleich welchen Inhalts (siehe oben) – führende Verwaltungsakt, ist aus der Sicht des Bundesrechts – und nicht nach der Verwaltungspraxis der ehemaligen DDR – weder aufgehoben noch zum Nachteil des Klägers abgeändert worden, wie sich aus den Feststellungen des LSG ergibt. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß das Versorgungsrechtsverhältnis „kraft Gesetzes” erloschen ist. § 2 Abs 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung AVI-VO bestimmte zwar, daß die zusätzliche Altersversorgung nur gewährt wird, wenn sich der Begünstigte im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls in einem Anstellungsverhältnis zu einem volkseigenen oder gleichgestellten Betrieb befindet. Ob diese Regelung insoweit überhaupt sekundäres Bundesrecht und deswegen rechtserheblich geworden ist, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Denn sie ist weder eine Einzelfallregelung iS des § 31 SGB X noch ist sie von DDR-Organen durch Einzelakt mit der Folge des Erlöschens sämtlicher Rechte aus diesem Verhältnis umgesetzt worden.
Demnach hat das durch die Versorgungszusage begründete Versorgungsrechtsverhältnis ab dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 weiterbestanden. Hierauf gründen sich die „Rechte” des Klägers und mithin auch sein Anspruch auf Feststellung der Zeiten seiner Zugehörigkeit zur AVI sowie seiner Arbeitsentgelte gemäß §§ 2 Abs 2, 5, 6 Abs 1 iVm der Anl 3 iVm § 8 AAÜG. Diese „Rechte” bestimmen sich – auch für die Beurteilung der von der Beklagten zu treffenden Feststellungen über die Vorfragen nach § 8 Abs 1 und 2 AAÜG – nach dem für die Entstehung bzw (hier) Neufeststellung eines Anspruchs des Klägers auf eine SGB VI-Rente maßgeblichen Recht.
Danach gilt für die Überführung von „Ansprüchen und Anwartschaften” aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen in die gesetzliche Rentenversicherung zum 1. Januar 1992 das vom Gesetzgeber in EV Anl II Kapitel VIII H III Nr 9 (= EV Nr 9) geschaffene und im AAÜG fortgeführte – modifizierte – Überführungsprogramm. Das AAÜG als neues Gesetz hat EV Nr 9 als das ältere Bundesgesetz – soweit Normkonkurrenzen bestehen – ersetzt bzw verdrängt (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 11 Nr 2 S 16). Mit den Vorschriften des AAÜG hat der Gesetzgeber gemäß den og Vorgaben in EV Nr 9 – „Überführung der Ansprüche und Anwartschaften” in eine SGB VI-Rente – das Ziel verfolgt, sämtliche Zeiten, in denen Beschäftigungen in der ehemaligen DDR ausgeübt wurden und für die zu irgendeinem Zeitpunkt Versorgungsansprüche aus einem Zusatz- und Sonderversorgungssystem zugesagt worden waren, ab 1. Januar 1992 als Pflichtbeitragszeiten in die gesetzliche Rentenversicherung zu übernehmen (vgl hierzu § 2 Abs 2, § 5 Abs 1 AAÜG; BSG SozR 3-8120 Kapitel VIII H III Nr 6, Nr 1 S 5 mwN), und zwar wie § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG ausdrücklich bestimmt, unabhängig davon, ob das Versorgungssystem einen Verlust von Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor Eintritt des Versorgungsfalls vorgesehen hat oder nicht. Denn erfaßt werden sollten „alle Zeiten der Zugehörigkeit” (vgl BT-Drucks 12/826 S 21). Dem widerspricht EV Nr 9 Abs 1 nicht, der die Weitergeltung der jeweiligen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme als sekundäres Bundesrecht bis zum 31. Dezember 1991 angeordnet hatte. Denn die Anordnung hatte nur insoweit Bestand, als sie im Einklang mit der Zielsetzung des EV stand, sämtliche in den Versorgungssystemen zurückgelegten versorgungsrechtlich erheblichen Zeiten in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen. Auf dieses Ziel, das bereits in Art 20 Abs 2 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 (BGBl II S 537) enthalten war, waren die „Überleitungsbestimmungen” sowohl des EV als auch die des AAÜG ausgerichtet. Hätten bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur AVI-VO sämtliche Rechte aus dem Versorgungsverhältnis rückwirkend erlöschen sollen, so wäre dies nach alledem bereits mit der Zielsetzung des Überführungsprogramms von EV Nr 9 nicht zu vereinbaren gewesen. Darüber hinaus wären alle Berechtigten, deren „Versorgungsfall” nach dem 2. Oktober 1990 eintrat, von der Anwendung des AAÜG – entgegen dem Wortlaut des § 1 Abs 1 aaO – ausgenommen gewesen.
Die in den Versorgungssystemen zurückgelegten Zeiten mußten infolgedessen systemkonform, entsprechend den Vorgaben im SGB VI, bewertet werden, damit sie in die gesetzliche Rentenversicherung überführt werden konnten. Eine Bewertung dieser Zeiten nach den Vorschriften der ehemaligen DDR kam demnach nicht in Betracht. Rentenrechtlich relevant sind daher – nach Bundesrecht – allein die „Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem”, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist (§ 5 Abs 1 AAÜG) sowie die während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte (§ 6 Abs 1 AAÜG); bei dem Personenkreis, dem der Kläger angehört, nämlich den Zusatzversorgungsberechtigten der AVI, begrenzt auf die Werte der Anl 3 zum AAÜG (§ 6 Abs 1 AAÜG).
Nach alledem sind aufgrund der Versorgungszusage die Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur AVI vom 1. Oktober 1968 bis 12. Oktober 1981 und die während dieses Zeitraums erzielten Arbeitsentgelte gemäß § 8 AAÜG iVm § 6 Abs 1 und der Anl 3 zum AAÜG durch Bescheid festzustellen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten darf der Kläger insoweit nicht auf das BerRehaG verwiesen werden. Eine Anspruchskonkurrenz zwischen den Ansprüchen aus diesem Gesetz und denjenigen aus dem AAÜG bzw dem SGB VI besteht nicht. Denn beide Gesetze betreffen verschiedene Regelungsbereiche. Während das AAÜG „erworbene Ansprüche und Anwartschaften überführt”, dient das BerRehaG dem Ausgleich rechtsstaatswidriger Maßnahmen, die sich ua auf den Beruf bzw auf die Rente ausgewirkt haben, etwa bei „Eingriffen infolge politischer Verfolgung” wegen unerwünschter Westkontakte (vgl § 1 Abs 1 Nr 4 iVm §§ 10 ff BerRehaG). Die Vorschriften dieses Gesetzes ergänzen somit lediglich die Bestimmungen des AAÜG „zugunsten des Verfolgten” (vgl § 10 BerRehaG; BT-Drucks 12/4994 S 47); sie finden nur subsidiäre Anwendung, nämlich dann, wenn der Eingriff etwa zu einem Nachteil in der Rentenversicherung (§§ 10 f BerRehaG) geführt hat. Ein derartiger Nachteil liegt jedoch beim Kläger gerade im Hinblick auf die Regelung in § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG (und auf die Regelung des EV Nr 9, siehe oben) vom 1. Oktober 1968 bis 12. Oktober 1981 nicht vor. Dem Kläger ist kein rentenrechtlicher Nachteil in diesem Zeitraum entstanden.
Die Beklagte ist mithin verpflichtet, die Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur AVI sowie die von ihm während dieses Zeitraums erzielten Arbeitsentgelte unter Berücksichtigung der Anl 3 zum AAÜG gemäß § 8 AAÜG festzustellen; ihre Revision ist insoweit unbegründet, im übrigen jedoch (s.o.) begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; nicht ins Gewicht fällt, daß die Revision der Beklagten teilweise Erfolg hat; denn die Beklagte ist nunmehr verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Neufeststellung seiner Rente unter Berücksichtigung der Zeiten der Zugehörigkeit zur AVI (§ 44 SGB X iVm § 307b SGB VI) – entsprechend diesem Antrag – zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 1173874 |
SozR 3-8570 § 1, Nr.1 |